ERINNERUNGEN
zweihundertmal
sechzehnmilliardenmal
einmal
vierhundertachtundsiebzigtausend
aaaaaneunhundertzehnmal
siebenundzwanzigbilliardendreihundertzwölfmal
einmal
keinmal
zweimal
neuntausendfünfmal
siebenhundertachtzigtausendvierhundertzwanzigmal
neunzehnmal
zweiunddreissigtrillionenmal
neunhundertfünfunddreissigtausendeinhalbmal
nullkommasechsmal
nullkommafünfmal
achthundertdreiundvierzigmal
siebzigtausendzweihunderteinundneunzigmal
fünfundvierzigtausendachthundertzweiunddreissigmillionenmal
siebzehnmillionenzweihundertelfmilliardeneintausendzweimal
dreizehnmal
siebzehnmal
achtundsechzigmal
vierhundertsiebenundzwanzigmal
vierundzwanzigmal
als chansons bezeichne ich gedichte, die meist auf eine eben chansonhafte vertonung hin geschrieben sind, also überwiegend mehr oder weniger eingängig gereimte strophenform aufweisen – wenn auch eine reihe von chansons an die grenze dessen (oder gar darüber hinaus) gehen mag, was als unterhaltend allgemein noch toleriert wird. die provokation, die das durchschnittshirn so dringend nötig hat, wird ja wohltuend verstärkt, wenn sich unter einer moderates verheissenden bezeichnung schärfere kost präsentiert (siehe auch die „thusneldaromanzen“). tatsächlich habe ich die meisten chansontexte auch in musik gesetzt und oft am klavier vorgetragen. einige davon enthält die 1969 erschienene, allerdings längst vergriffene schallplatte ich küsse heiss den warmen sitz. mehr gibt es auf tonträgern nicht, denn für kommerzielle plattenfirmen entfernen sich diese chansons doch allzusehr von ihrer vorstellung des „gängigen“ modells.
die thusnelda-romanzen entstanden 1955–1956; für die veröffentlichung in der eremiten-presse 1968 habe ich einige gedichte geringfügig verbessert. die schön ausgestattete erstauflage wurde von der sittenpolizei vorübergehend eingezogen (ein leser hatte sein exemplar in einem öffentlichen verkehrsmittel vergessen, der ehrliche finder erstattete wegen verletzung der öffentlichen sittlichkeit anzeige). kritiker haben den zyklus als parodie auf barocklyrik missverstanden – vielleicht auch, weil er meinem alten freund h.c. artmann, einem ebenso grossen liebhaber der barockliteratur, wie ich es bin, gewidmet ist und zwar unter seinem schäfernamen „laertes“ (wir sprachen uns gern mit den schäfernamen laertes und philander an). wohl ist der name thusnelda dem roman Großmüthiger Feld-Herr Arminius oder Hermann, Nebst seiner Durchlauchtigsten Thusnelda… des von mir hochgeschätzten caspar daniel von lohenstein entlehnt, doch wenn man unbedingt nach historischen vorbildern sucht, hat mein thusnelda-zyklus viel eher etwas mit der schwarzen romantik zu tun. bei veranstaltungen habe ich die thusnelda-romanzen mehrmals zu franz liszts erstem mephistowalzer (orchesterfassung) vorgetragen, was bei flüssiger rezitation zeitlich gut übereinstimmt.
(…)
Gerhard Rühm, Nachwort
ursprünglich sollte diese ausgabe meiner gedichte auf vollständigkeit anspruch erheben können, zumal alle früheren gedichtpublikationen schon längere zeit im buchhandel nicht mehr erhältlich sind. bei der sammlung des materials stellte sich nun heraus, dass eine gesamtausgabe mehr als 800 seiten umfassen würde. um den preis des buches in realistischen grenzen zu halten, sollte daher der umfang rigoros gekürzt werden. so muss ich den interessenten, was den grossteil meiner gedichte bis 1973 betrifft, auf bibliotheken verweisen. aus dem 1970 bei rowohlt erschienenen band gesammelte gedichte und visuelle texte, der auch die meisten meiner ,konkreten‘ gedichte enthält, habe ich in diesen band gar nichts aufgenommen, aus dem 1973 bei hanser erschienenen band wahnsinn/litaneien (mit schallplatte) nur die kürzeren texte. auf visuelle poesie, von der noch vieles unveröffentlicht ist, wurde grundsätzlich verzichtet, ebenso auf sprechgedichte, die in dem 1988 bei rowohlt erschienenen, noch greifbaren band botschaft an die zukunft / gesammelte sprechtexte (mit kassette) enthalten sind.
dafür finden sich hier zum erstenmal alle chansontexte, die seit langem vergriffenen thusnelda-romanzen sowie die in buchform bisher grösstenteils unveröffentlichten gedichte ab 1954.
man hätte die unterschiedlichen gedichte nach inhaltlichen oder (und) formalen gesichtspunkten in gruppen ordnen können, ich habe es vorgezogen, sie – soweit das noch feststellbar ist – in eine grob chronologische folge zu stellen (wo jahreszahlen fehlen, habe ich die entstehungszeit nach dem gedächtnis zu bestimmen versucht und eine entsprechende Einordnung vorgenommen). ich glaube, dass dieses ordnungsprinzip den reiz grösserer abwechslung hat und zugleich ein anschauliches bild meiner meist „pluralistischen“ arbeitsweise vermittelt. inhaltlich wie formal unterschiedliches entsteht bei mir oft innerhalb kurzer zeitabschnitte.
Gerhard Rühm, Nachwort
– Eine Ausgabe ausgewählter Gedichte von Gerhard Rühm. –
Das Buch hätte, im Jahre des sechzigsten Geburtstags des Autors, eigentlich zu einer Gesamtausgabe der Gedichte Gerhard Rühms werden sollen. Rühm hat das Jahrzehnt der einstigen Wiener Gruppe, 1954 bis 1964, das anregendste, aufregendste Jahrzehnt in der modernen österreichischen Literatur, entscheidend mitgeprägt; und er hat die Ansätze jenes provokanten Literaturquintetts Achleitner-Artmann-Bayer-Rühm-Wiener in seinem vielfältigen experimentellen literarischen Werk weitergeführt. Freilich: weniger Rühm als die Zeiten haben sich geändert. Der Wiener Gruppe gelang es damals, zu schockieren und zu provozieren mit ihren literarischen Aktivitäten, zu denen sich das interessierte Publikum drängte. Das Aufsehen jener glorreichen Zeiten hat Rühm später nicht mehr erregen können. So lag eine Gesamtausgabe jetzt offenbar nicht drin.
In einer editorischen Notiz zu der vorliegenden Gedichtsammlung unter dem Titel geschlechterdings bemerkt der Autor:
Bei der sammlung des materials stellte sich heraus, dass eine gesamtausgabe mehr als 800 seiten umfassen würde. um den preis des buches in realistischen grenzen zu halten, sollte daher der umfang rigoros gekürzt werden. dafür finden sich hier zum erstenmal alle chansontexte, die seit langem vergriffenen thusnelda-romanzen sowie die in buchform bisher grösstenteils unveröffentlichten gedichte ab 1954.
Der Band geschlechterdings umfasst 300 Seiten; quantitativ wurde also mehr als die Hälfte gekürzt. Inhaltlich bedeutet dies, dass ein ganzer, wesentlicher Teil von Rühms Werk, die konkreten Gedichte, seine „visuelle poesie“, weggelassen wurde.
Die vollständig vorliegenden Chansons und die thusnelda-romanzen, deren Exemplare bei ihrem ersten Erscheinen 1968 von der Sittenpolizei vorübergehend eingezogen worden waren, haben einiges gemeinsam; ihre Verbindung in diesem Band ist sinnvoll. Sie sind alle in einem eingängigen, einfachen, manchmal fast süffigen Rhythmus verfasst, die thusnelda-romanzen zudem leicht schwülstig barockisierend. Rühm hat letztere denn auch öfters mit Musikbegleitung vorgetragen und viele seiner Chansons selber vertont. (Rühm kommt von der Musik her: er hat Klavier und Komposition studiert.)
Der Inhalt steht allerdings in krassem Gegensatz zur scheinbar harmlosen Süffigkeit der Form; als ziemlich zahmes Beispiel das kurze Chanson „lebenslauf“
sprang dem vater aus dem glied
rackerte sich nimmermüd
baute sich ein kleines haus
und da wars schon wieder aus.
Dieser Gegensatz zwischen Thematik und Darbietungsart dient dem Autor als Mittel zur Provokation. Er schreibt denn auch in den Anmerkungen zum vorliegenden Band:
die provokation, die das durchschnittshirn so dringend nötig hat, wird ja wohltuend verstärkt, wenn sich unter einer moderates verheissenden bezeichnung schärfere kost präsentiert.
Provokation ist für Rühm jedoch nicht nur ein Gaudi. Er war schon immer auch der Theoretiker dessen, was er produzierte. Zu seinen literarischen Provokationen gesellt sich eine vielfach ausgeführte ästhetische Theorie, die sich grob auf einen Nenner bringen lässt: prinzipielles Überschreiten des bisher Üblichen, kreative Negation des Genormten.
Als Aufbrechen der Kruste des sozusagen zur Normalität verhärteten ist auch die Obszönität, das unbefangen Pornographische in seinen Chansons, vor allem in den thusnelda-romanzen und auch in einigen seiner Gedichte zu verstehen. Es handelt sich um metaphorische Pornographie; Heissenbüttel hat in Eichendorffs Untergang und andere Märchen (1978) Ähnliches unternommen und dort das Pornographische im gleichen Sinne als einen „Blick hinter den Zaun oder unter den Fussboden, vielleicht ein Loch in der glatten Schicht des Normalen“ bezeichnet.
Auch der Titel geschlechterdings ist ja eine sexuelle Anspielung; es ist zugleich die Überschrift eines Gedichts aus dem Jahre 1986 mit dem Untertitel „eine orgie“ – eine metaphorische Orgie! Jedes Wort treibt es gleichsam mit jedem; das heisst, semantisch einander Fremdes wird in kurzen Sätzen kopuliert, geht zusammen (Rühm weist dabei auf die lateinische Übersetzung für Zusammengehen: coitus, hin). Allerdings treten die grammatikalischen Subjekte dieser Orgie in alphabetischer Reihenfolge an, von „anzug“, „apfel“ bis „wind“ und „würfel“. So ernst ist es Rühm mit der Individualanarchie des Orgiastischen also vielleicht doch nicht.
Ernst Nef, Neue Zürcher Zeitung, 20.12.1990
Karl Riha: „Ich küsse heiß den warmen Sitz“
Frankfurter Rundschau, 4.10.1990
Christina Weiss: Thusneldas Stöckelschuhe oder schlechterdings geschlechterdings
Süddeutsche Zeitung, 13./14.10.1990
O. N.: Das Buch der Woche. Gerhard Rühm: Geschlechterdings
Kurier, 10.11.1990
Lucas Cejpek: Die Lust der leichten Muse
Der Standard, 25.1.1991
David Chotjewitz: Rühm, gerühmt
Freitag, 1.3.1991
Gott schütze Österreich. Lesungen, Performances, Montagen: H.C. Artmann, Diana Brus, Aloisius Schnedel, Jodik Blabik, Alexander, Friederike Mayröcker, Ernst Jandl, Günter Brus, Wolfgang Bauer, Gerhard Rühm, Hermann Nitsch. Aufnahmen für die Quartplatten des Klaus Wagenbach Verlages um 1974.
Jörg Drews: Laudatio auf Gerhard Rühm zum Alice-Salomon-Poetik-Preis 2007
Thomas Eder und Paul Pechmann sprechen über die Sprachkunst von Gerhard Rühm. Dieser liest und Annalena Stabauer moderiert am 5.10.2023 in der Alten Schmiede Wien.
Michael Lentz: Spiel ist Ernst, und Ernst ist Spiel
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.2.2010
Paul Jandl: Dem Dichter Gerhard Rühm zum 80. Geburtstag
Die Welt, 12.2.2010
Apa: „Die Mutter der Wiener Gruppe“
Salzburger Nachrichten, 12.2.2015
Peter Grubmüller: Der musizierende Literatur-Maler
OÖNachrichten, 12.2.2020
Daniela Strigl: Opernmörder
Süddeutsche Zeitung, 11.2.2020
Ronald Pohl: Gerhard Rühm zum Neunziger
derStandart, 12.2.2020
Doris Glaser und Peter Klein: „Der Herr der Laute“
radio.friendsofalan.de, 9.2.2020
Gerhard Rühm liest seine seufzer prozession am 10.11.2009 in der Alten Schmiede zu Wien.
Gerhard Rühm und Monika Lichtenfeld lesen unter anderem Sprechduette beim Literaturfestival Sprachsalz im Parkhotel bei Hall in Tirol (10.–12.9.2010)
Schreibe einen Kommentar