– Zu Peter Rühmkorfs Gedicht „Ans Glück verzettelt“ aus Peter Rühmkorf: Gesammelte Gedichte. –
PETER RÜHMKORF
Ans Glück verzettelt
Ans Glück verzettelt und mit tausend Zoten,
zu leicht befunden, und ich täusche leicht
das schlaue Fatum auf Hyänenpfoten,
das meinen Bau umschleicht.
Es winkt von meines Mundes gelben Zinnen
der Zungenwimpel höherem Betrug:
Im Niederfallen, im Vorüberrinnen,
preise ich Lust und Wut auf einen Zug.
Was ist’s, das du besorgst?
Du, Liebste, wirst an meine Seite eilen,
Austern und Unbill treu mit mir zu teilen,
die graue Stund, wo du dein Herz entkorkst.
Sieh mich! als sei kein Beil für ihn geschliffen,
die Welt im Spaß vertun, den Himmel inbegriffen.
Ein vieltöniges Gedicht über das Glück und seinen Preis, über die Leichtfertigkeit und ihren dunklen Widerpart, über die Lust der Liebe und die Tröstung der Geliebten. Da ist einer ans Glück verzettelt, und die Wendung enthält schon das Wichtigste, was es über ihn zu sagen gibt. Wobei der schillernde Sinn dieser Metapher auch den zweideutigen Gehalt des ganzen Sonetts schon präludiert. Besagt sie doch zunächst nicht mehr als sich ans Glück vergeuden, verschwenden, die eigene Zeit, das Leben daran verschleudern, und das wirkt wie eine Paradoxie – denn gibt es etwas Wünschenswerteres als eine solche Verpflichtung aufs Glück? Auch diese Bedeutung des Wortes verzetteln ist noch spürbar, als Abmachung, Verbriefung kann es verstanden werden, als eine Art Pakt mit dem Glück.
Schließlich gibt es noch eine ganz buchstäbliche Ebene, insofern derjenige etwas verzettelt, der Worte oder Sätze – oder Verse – auf Zettel verteilt: der Schriftsteller ist hier gemeint, und Rühmkorf weiß natürlich um die poetische Faszinationskraft von Zettelkästen. So hat er vor einigen Jahren in einem von ihm so genannten „Un-buch“ den „Bildungsgang… eines einzigen Gedichts“ auf 696 Seiten dokumentiert, die aber in Wahrheit 696 Zettel sind, von kleinen Schnipseln bis hin zu großformatigen Blättern. In diesem Sinne gibt sich unser Autor auch in seinem Sonett als „Verzettler“ zu erkennen, noch dazu von „tausend Zoten“, ein Hallodri und Possenreißer, der, wie noch zu lesen sein wird, seinen besonderen Spaß an Anzüglichkeiten hat. Daher auch zu leicht befunden wird, diese Leichtigkeit aber sogleich zu seinen Gunsten wendet, denn er täuscht mit ihrer Hilfe und sagt im selben Moment, wie wenig schwer ihm solcher Betrug fällt – gilt dieser doch dem „schlauen Fatum auf Hyänenpfoten“, dem listenreichen Tod, der in allem Lebenden schon das künftige Aas wittert und nur im Märchen einmal den kürzeren zieht.
Die vertrackte Rätselrede geht weiter, doch so dunkel immer noch ihr Sinn, so vertraut ist plötzlich der Klang, Schulerinnerungen tauchen auf:
Er stand auf seines Daches Zinnen…
Die Ballade vom „Ring des Polykrates“ liegt wie ein Schatten über Rühmkorfs leichtsinnigen Versen – oder taucht unter ihnen hervor wie ihr dunkler Grund. Auch Schillers Gedicht handelte vom Glück und von der vergeblichen Anstrengung, seinen zwiespältigen Fängen zu entrinnen.
Der Glückverschworene, den Rühmkorf uns vorstellt, macht sich, wir sahen es, von Anfang an keine Illusionen über die Bedrohung seiner Behausung, die der Körper ist, der die Zeichen seines Verfalls ganz offenbar im Gesicht trägt. Doch damit hat es, genau wie in der ersten Strophe, nicht etwa sein Bewenden. Es bleibt noch ein Talisman besonderer Art, die Kunst des Verzettelns, die jetzt zum Winken des „Zungenwimpels“ geworden ist. Die dichterische Rede ist gemeint mit ihrer Kraft, der reißenden Zeit den höheren Betrug, den Lobpreis von Lust und Wut, entgegenzuhalten.
Mit der dritten Strophe gewinnt das Gedicht die unbesorgte Leichtigkeit des Glücks zurück. „Austern und Unbill“ – das Gespenst tanzen lassen, so hatte einst Shaw das Lebenselixier beschrieben, das der Dichter hier sich und seiner Geliebten verschreibt. Die Terzette lösen die in den ersten beiden Vierzeilern aufgebaute Spannung in die komische Verkehrung des Bedrohlichen auf, so daß der „Spaß“ des letzten auf das „Glück“ des ersten Verses zurückkommt. Jene „tausend Zoten“ und der Lobpreis der Lust wirken schon wie Signale für die ganz triebhafte Seite des Glücks, die seine Vitalität ausmacht. Und so ist es nur konsequent, wenn einige Wendungen auch zweideutig im anzüglichen Sinne verstanden werden sollen, weil sie ebenfalls in der Sprachwelt des Geschlechtlichen ihren Platz haben: der Zungenwimpel und die Auster, das Niederfallen und Vorüberrinnen, schließlich das entkorkte Herz. Und hat er nicht recht, unser ernster Bruder Leichtfuß – ans Glück verzettelt ohne die Geliebte: selbst wenn das Kunststück gelänge, welchen Reiz sollte es dann noch haben?
Gert Ueding, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Siebzehnter Band, Insel Verlag, 1994
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