– Zu Georg Trakls Gedicht „Verklärung“ aus Georg Trakl: Das dichterische Werk. –
GEORG TRAKL
Verklärung
Wenn es Abend wird,
Verläßt dich leise ein blaues Antlitz.
Ein kleiner Vogel singt im Tamarindenbaum.
Ein sanfter Mönch
Faltet die erstorbenen Hände.
Ein weißer Engel sucht Marien heim.
Ein nächtiger Kranz
Von Veilchen, Korn und purpurnen Trauben
Ist das Jahr des Schauenden.
Zu deinen Füßen
Öffnen sich die Gräber der Toten,
Wenn du die Stirne in die silbernen Hände legst.
Stille wohnt
An deinem Mund der herbstliche Mond,
Trunken von Mohnsaft dunkler Gesang;
Blaue Blume
Die leise tönt in vergilbtem Gestein.
Es gibt kaum ein Gedicht von Georg Trakl, das mich nicht an Glasfenster denken läßt, zwar nicht so sehr an Goethes freundlich „gemalte Fensterscheiben“ zur Erbauung und „Ergetzung“ glücklicher Gotteskinder; Trakls Gedichte erinnern mich viel mehr an altertümliche, dickglasige vitres aus zugehackten Scherben, zwischen ungeschlachten Fassungen aus Zement oder Blei: ich stelle mir dann kryptische Räume vor, Grabstätten, Brunnenstuben, in die kein anderes Licht dringt als das farbig gefilterte, schwermütig glühende aus kleinen, tief eingelaibten Bogenfenstern. Trakls Texte scheinen mir dieselbe Funktion zu haben: sie führen Licht in eine tief verschattete Welt; und wenn es hier noch Trost und „Verklärung“ gibt, dann nur mittels der Bilder und Visionen, die durch seine Sprache zum Leuchten gebracht werden.
In seinen Bildern und Symbolen wickelt Trakl – ganz so wie früher die Hersteller alter Glasmalereien – ein ganz bestimmtes Programm ab. Trakls Gedichte haben ihre eigene Stereotypie, so überraschende Varianten sie auch manchmal hervorbringen können. Das Programm geht von Todessehnsucht und Todesschauer aus, es umfaßt Verfall, Rausch und Verbrechen – kontrapunktisch zu ersehnter Verklärung. Sehr oft tauchen Märchenmotive auf, wie in unserem Gedicht der kleine singende Vogel im Tamarindenbaum; Ikonographisches – der betende Mönch, der verkündigende Engel; die Lebenssymbole Korn und Wein. Das Grab darf nicht fehlen und die Signale rauschhaften Selbstverlustes, Mond und Mohn. Am Ende steht – wie oft – eine leise Trostgebärde: hier die blaue Blume auf steinigem Grund.
Bild steht neben Bild, jedes behauptet sein volles Recht. Ihre Abfolge gehorcht aber nicht nur sprachgedanklicher, sondern auch farbkompositioneller Logik. Anfang und Ende in Blau, zuerst als Farbe der Ferne, dann als Farbe demütigen Sich-Bescheidens. Das blasse Grün des Tamarindenbaums verdunkelt sich zu Mönchsbraun, aufgelichtet durch das Weiß der gefalteten Hände; dann – strahlend der Engel, gerahmt von Marienblau. Herzstück der Bildfolge: der „nächtige Kranz“ aus Veilchen-Violett, Goldbraun und Purpur, als Kreisform optische Dominante. Von da zerklüftet sich das Bild: Gräberschächte tun sich auf, herbstlicher Mond und Mohnsaft verdicken die Dunkelheit, in die sich die Stirn des Berauschten neigt, von „silbernen Händen“ umfaßt.
So bildhaft, bildbefangen, bildverfallen konnte Trakl vielleicht nur als Österreicher, Salzburger halbböhmischer Herkunft, also als Sohn eines katholischen Landes schreiben, das sich seit der Gegenreformation fast ausschließlich im Bild (und in Musik), aber nicht im Wort oder in der gedanklichen Konstruktion auszudrücken angehalten worden war. Trakl war nicht nur Zeitgenosse des literarischen Expressionismus, er war auch Zeitgenosse Rouaults und des „Blauen Reiters“. Die Suggestion, die von ihm ausgeht, beruht auf der ideellen Kongruenz von Wort und Bild.
Gertrud Fussenegger, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Siebter Band, Insel Verlag, 1983
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