Gregor Laschen: Zu Gregor Laschens Gedicht „Karte aus Mexiko“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Gregor Laschens Gedicht „Karte aus Mexiko“.

 

 

 

 

GREGOR LASCHEN

Karte aus Mexiko

Das Gedicht ist der Alabasteraffe aus dem
anthropologischen Museum in Mexiko-Stadt, der mit
breiten Lippen vom ewigen Eis und seiner Glut
in der Welt redet, mit geschwärzten Augen, mit
erhobenen Händen: als Bild nach Europa
geschickt, aus seinem Blau in
das andere Blau hinüberleuchtend, mit der
deutlichen Kerbe, der gesplitterten Wunde
in den Unterschenkeln, die den
wie zur Notdurft gebeugten Körper
einfürallemal
am Aufstehen hindern, während der
Kopf, den Händen folgend, die den Korb
der Geschichte, der ihm ins
Kreuz gewachsen ist, übern Leib ziehen, auf
den einen Sprung aus ist
bis in die leuchtenden Zehenspitzen.

(1986)

 

Postkarte aus Mexiko geschickt von Martin Mooij an Gregor Laschen

 

Martin Mooij,

der Begründer und langjährige Leiter des Internationalen Poesie-Festivals in Rotterdam, Poetry International, schickte nebenstehende Postkarte von einem Besuch bei Octavio Paz.
Ein (Ab-)Bild(-nis) von fremder Deutlichkeit, in dem Verlorenheit und Anziehung eine sprachlose, aber beredte Stille eingehen und das von ganz weit her kommt und doch, gleichsam im Moment der Ankunft im Nu so etwas wie „fremde Nähe“, lang schon Vertrautes signalisiert: (Ausgang für ein jedes Gedicht wie auch Begründung für die Mitnahme alles Unverstandenen darin). Die abgebildete Figur kommt aus einem Archiv, einem Museum, einem Speicher, in dem sie aufgehoben wurde und ist, Zeichen für –, Vorstellung von –, Erinnerung an – was? Aber trotz der eindeutigen Mehrdeutigkeit, der luziden, offenen Determination der fremden Vertrautheit oder des Vertrauens ins Fremde, Andere: doch auch ein leuchtendes Für-Sich-Sein, das – wie alle autonome Substanz – über sich hinauszeigt in die Lesbarkeit von Welt, die ja auch noch vor uns liegt: sogleich war ja das Bild vom ewigen Gang der Geschichte, von der mutigen Aussichtslosigkeit des Sisyphos auf der unseligen Rampe dessen, was von Anfang an Leben genannt wurde, anwesend, im ersten Blick sozusagen, mit dem ich diese einsame Figur in ihrem Universum, dies (Ab-)Bild(-nis) wie meine Wahrnehmung wahrnahm, die sich aussprach als Darstellbarkeit von Gedicht und Geschichte. Abwesenheit des Engels zwar, auch hoffnungslos, aber nicht ohne Hoffnung.

Aus Manfred Enzensperger (Hrsg.): Die Hölderlin Ameisen, DuMont, 2005

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