– Zu Heinz Czechowskis Gedicht „Wer nicht akzeptiert,…“ aus Heinz Czechowski: Das offene Geheimnis. –
HEINZ CZECHOWSKI
WER NICHT AKZEPTIERT,
Daß er unter Wahnsinnigen lebt,
Hat auf dieser Welt
Nichts mehr zu sagen.
Du mußt die Schmerzen,
Die alltäglich sind, verbeißen.
Der süße Rest in jedem Glas
Ist bitter. Die Sprache, die
Gesprochen wird,
Baut auf einige Hits, wie
In La Traviata, aber das Leben
Hat nichts gemein
Mit dem Elend der Seele:
Man muß weit von sich
Und außerhalb leben, denn niemand
Wird geliebt um seiner selbst.
Jedes Gedicht ist, mehr oder minder verhüllt, ein Selbstbekenntnis. Ohne ein gewisses Maß an Egomanie gäbe es keine Dichter, keine Gedichte. Der Dichter bezieht alles auf sich, auf seine Person, die von der Welt behelligt wird oder von ihr angetan ist; die Realität bildet nur die Folie des mittels Sprache kaum auszudrückenden Seelenzustandes. Metaphern und Umschreibungen müssen helfen und sind doch, wie der Dichter spürt, nie genug. Heinz Czechowskis Vierzehnzeiler stellt die Sache klar: Die Welt ist verrückt, außer mir, der ich ihren Wahnsinn erkenne und an dem ich leide. Nirgendwo habe ich deutlicher ausgesagt gefunden, was jemand denkt und fühlt, der mit besagter Welt bereits abgeschlossen hat. Mit Überraschungen, gar mit neuen, gar angenehmen, ist nicht mehr zu rechnen. In einem anderen Gedicht heißt es:
Es lohnt sich nicht
Sich zu erinnern, weil alles
schon einmal da war, wo es jetzt
Nicht mehr ist.
Czechowskis Dichtung ist resignativ, ja depressiv und bietet ein Exempel menschlicher Verzweiflung.
Sein Schicksal scheint mir nicht untypisch für die geteilte Welt, in der er nicht zu leben vermochte. Geboren 1935 in Dresden, findet er sich zehn Jahre später in einer zerstörten Stadt wieder, in der heimisch zu werden ihm nicht gelingt. Denn die Zerstörungen dessen, was ihm Heimat gewesen ist, gehen weiter. Die Umwelt wird zur Industriebrache. Obwohl er später dem Erinnern ja abgeschworen hat, taucht das Gestrige, Natur, Kleinstadt, Jahreszeiten von einst, immer erneut auf, aber die Wirklichkeit, wie er sie kannte, existiert nicht mehr.
In der DDR veröffentlicht er sporadisch: eine Nischenexistenz. Später geht er in den Westen, wohnt mal in dem Ort, mal in jenem. Zuletzt verschlägt es ihn nach Frankfurt am Main in ein Türkenviertel, wo er, der ohnehin kontaktarme Dichter, Fremdkörper bleibt. Am Ende vor seinem Ende erwartet ihn der Rollstuhl in einer „behindertengerechten“ Wohnung – was für eine unheimliche Art von „Gerechtigkeit“ ist das wohl? Er ist völlig vereinsamt. Nicht einmal sein Sohn, ebenfalls im Westen lebend, besucht ihn. Er, der Choleriker, hat sich mit allen überworfen, er hat seine Bekannten und Freunde, ihm Nahestehende gekränkt und beleidigt, und das, wie ich glaube, aus einer abgrundtiefen Niedergeschlagenheit heraus. Mich hat er, was mich immer wunderte, davon ausgenommen; wir trafen uns manchmal hier und da bei Lesungen, wir telefonierten miteinander, zuletzt einige Tage vor seinem Tode im Oktober 2009. Er lag im Bett, nicht mehr fähig aufzustehen, der einzige Besucher einmal am Tag die Pflegerin. Er weinte, wie es eine ansonsten nichtige Formel benennt: „herzzerreißend“. Von seinen Frauenbeziehungen war nicht eine einzige übrig geblieben, niemand mochte ihm helfen oder ihn trösten. Ein jämmerlicher Schluss einer, ich wage zu sagen „deutschen Tragödie“. In einem Wartesaal, an dem kein Zug mehr hält, wird man nicht heimisch:
Das Leben hat nichts gemein mit dem Elend der Seele.
Von Tag zu Tag gerät er mehr und mehr in Vergessenheit, obwohl sein Werk just jenes Ausgeliefertsein reflektiert, an dem viele Deutsche kranken. Die letzten drei Zeilen ziehen eine bedrückende Bilanz.
Man muß weit weg von sich
Und außerhalb leben, denn niemand
Wird geliebt um seiner selbst.
Und er wollte nichts anderes als geliebt werden. Aber das haben ihm die Umstände verweigert, alle jene, die seine Zornesausbrüche nicht als das verstanden, was sie waren: Hilferufe eines Mannes, der keine Sympathien hervorzurufen vermochte. Er bot sich an, mit seinen Gedichten, dem vertrackten Selbst, und stieß stets auf Ablehnung. Ein psychisch gefolterter Hiob.
Insofern sind seine Gedichte nicht allein mutige Selbstenthüllungen, sondern lesenswerte, berührende Zeugnisse einer Zeit, da viele, allzu viele dem oder jenem Wahn verfielen, ohne es selbst zu merken. Czechowski sagt es uns, die wir selbst an gesellschaftlicher Blindheit laborieren. Solche Gedichte, die an den Grundfesten der massenhaften Überzeugungen rütteln, verlieren niemals ihren Wert und vor allem nie ihre Aktualität. Leider.
Günter Kunert, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Achtunddreißigster Band, Insel Verlag, 2015
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