Günter Kunert: Zu Wolfgang Borcherts Gedicht „Antiquitäten“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Wolfgang Borcherts Gedicht „Antiquitäten“ aus Wolfgang Borchert: Das Gesamtwerk. –

 

 

 

 

WOLFGANG BORCHERT

Antiquitäten
Erinnerung an die Hohen Bleichen

Weitab vom Lärm der großen Gegenwart,
verfallumwittert, ruhmreich und verlassen,
stehn stille Dinge rings, verstaubt, apart
ein paar kokette Biedermeiertassen.

Darüber wuchtet bleich ein Imperator,
doch seiner Büste Würde ist gegipst.
Ein ausgestopfter Südseealligator
grinst glasig grünen Auges wie beschwipst.

Der bronzne Kienspanhalter Karls des Weisen
blinkt über Buddhas Bauch und seinen Falten.
Die Zopfperücke hat noch einen leisen
verführerischen Puderhauch behalten.

Malaiisch glotzt mit hölzern starren Zügen
ein Götze. Fahl erglimmen Zähne von Mulatten.
Verrostet träumen Waffen von den Kriegen
und klirren leis in Rembrandts weichem Schatten.

Der Totenwurm in der Barockkommode
tickt zeitlos in den ausgedörrten Wänden.
Betrübt summt eine Fliege ihre Ode –
das macht, sie hockt auf Schopenhauers
dreizehn Bänden.

 

Gegenständliche Garantie

Von Wolfgang Borcherts Schaffen scheint nur noch sein Theaterstück einigermaßen bekannt zu sein, weil immer wieder einmal irgendwo aufgeführt: Draußen vor der Tür. Im Widerspruch zum Untertitel: „Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will“ gehörte das Spiel um einen Heimkehrer noch lange nach dem Kriege zum festen Repertoire deutscher Bühnen. Borchert hat es in nur acht Tagen niedergeschrieben, „im Angesicht des Todes“, dem der Dichter 1947 als erst Sechsundzwanzigjähriger erlag: Im Kriege schwer verwundet, als Kriegsgegner zum Tode verurteilt und zur „Frontbewahrung“ begnadigt, kehrte er 1943 sterbenskrank in seine Vaterstadt Hamburg zurück, wo er erneut verhaftet wurde. Nach dem Zusammenbruch blieben ihm zwei ganze Jahre für ein „schmal“ genanntes Werk: Gedichte, Prosastücke und Geschichten.
Der Anlaß für das Gedicht „Antiquitäten“ hat den Dichter schließlich überdauert: Bei den „Hohen Bleichen“ handelt es sich nämlich keineswegs um blasse, riesenwüchsige Personen, vielmehr um einen Hamburger Straßenzug, der teilweise den Luftangriffen entgangen ist und seinen Geschäftscharakter fast unverändert bewahrt hat. Dort befinden sich noch heute zahlreiche Antiquitätenläden, in deren Fenstern man die von Borchert aufgezählten Relikte halb vergessener, versunkener Kulturen bestaunen kann.
Borcherts „Erinnerung“, obwohl sie das Erinnerte fast satirisch kommentierend aufreiht, läßt doch auf den einstmaligen starken Eindruck durch den Allerweltströdel schließen – sonst wäre kein Gedicht daraus entstanden. Was mag einen Mann mit einem derart „eindrücklichen“ Schicksal an dem Kram fasziniert haben, daß er ihm ein langes Gedicht widmete? Trotz der Ironie, so scheint es, meldet sich unterschwellig Verwunderung über die heterogene Fülle, über das gegenständliche Chaos und den unübersehbaren Gegensatz historisch und geographisch unterschiedlicher Hervorbringungen.
Auch heute noch (oder vielleicht gerade heute) unter dem Aspekt der Normierung aller Produkte, der Verödung des Gegenständlichen zur globalen Dutzendware, ziehen uns die Überbleibsel des unwiederbringlich Gewesenen in ihren milden Bann. Gleich Borchert wissen wir, wie nichtig diese Dinge im Grunde sind, ohne uns jedoch ihrer Wirkung ganz entziehen zu können: den Zeichen aus dem Gestern, das wir insgeheim und entgegen aller rationalen Einsicht für „besser“, nämlich für die verlorene Heimstatt größerer Geborgenheit halten.
Borcherts und unsere Erfahrung treffen sich in einem Punkt: dem historischen Bruch. Ein Klischee, gewiß: daß die fehlende Kontinuität scheinbar überbrückt wird durch die konkreten Dinge, da sie eine Quasi-Identität erlauben gegenüber einer Vergangenheit, welche selber durch rasch wechselnde Interpretationen instabil geworden ist. Dergestalt werden die Barockkommode und die Biedermeiertasse zur Garantie für eine uns persönlich gehörende Historie, die damit verwirrenden Relativierungen entzogen ist.
Nur wer an den Zufall zu glauben vermag, zumindest im ästhetischen Bereich (wo Gott gewiß nicht würfelt), wird auch das Auftauchen Schopenhauers für zufällig halten. Mir hingegen kommt es vor, als wenn dieser Name (als Synonym für tiefen Skeptizismus) die Geschichte, hier in Symbolen versammelt, bewußt konterkariert. Und daß, von der Schopenhauerschen Betrachtungsweise ausgehend, Oden betrübt und betrübend klingen müssen, gilt ganz bestimmt nicht allein für Fliegen.

Günter Kunertaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Elfter Band, Insel Verlag, 1988

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