ZIGEUNERTRIPTYCHON IN MEMORIAM / LINKS
Glühwurm, Tannenreis und Krähe.
Kindeswunsch und Todesnähe.
Engel überm Sarkophag.
Schon bei Geigenlied und Flöte
fiel ins Blut der Abendröte
Pendelschlag.
Letzte Straßenkarren fuhren
still durchs Zifferblatt der Uhren −
Sturz der Bäche in den Strom.
Manchmal schlug im Psalm der Meise
ihrer todgeweihten Reise
Metronom.
Geige, Tamburin und Spangen
sind im Niemandsland gefangen
wie der Schmetterling im Schnee.
Für das Armband ihrer Schelle.
brach dem Kelch der Immortelle
Salome.
Mazurka und Csárdás, Tamburin und Trommelschlag, Wenzel, der die Geige liebt: Zigeunerlied. Der Autor erinnert sich der unvergeßlichen Klänge in den slowakischen Bergen, erinnert sich auch der Verfolgungen und Verhaftungen, die 1943 unter deutscher Besatzung die Heiterkeit an den Lagerplätzen und Feuern der Holzfäller zum Verstummen brachten. Handschellennacht! Die Karren blieben stehen, die Feuer erloschen, die Kastagnetten zerbrachen unter den Stiefeln der Häscher.
In den Gedichten dieses Bandes werden Barosh und Lummja wieder lebendig, die seiltanzende Jullka, die stumme Klage in den Augen der Pferde, der Schrei der Krähen über den Wäldern, Hirtengesang und Liebeslied. All die beschworenen Bilder, der Gewalt entgegengesetzt, stehen als Gleichnis für eine Menschlichkeit, der wir überall wiederbegegnen möchten.
Mitteldeutscher Verlag, Klappentext, 1956
− Abschied von Günter Bruno Fuchs. −
Der Mann war so zart, er mußte sich einen Schutzpanzer anessen, antrinken. Wie wäre sonst einer, zum Kind geboren, in das für Kinder biblische Alter von achtundvierzig Jahren gekommen?
An diesem schweren Mann war alles leicht: seine Rede und sein Gang, seine Gesten und seine Hand, seine Verse und sein Gesang. Nur eines wurde diesem geborenen Melancholiker schwer: das Leben. Er litt an der Kälte unserer Welt; aber da er aus Berlin stammte, ließ er es die anderen nicht merken, schrieb lieber (vermeintlich) Lustiges, versteckte seinen Schmerz hinter einem Kalauer, steckte die Nase in den Krug oder bestellte (wie sein Lektor Michael Krüger erzählt) sechzehn Bratwürste, nicht ohne die entgeisterte Kellnerin zu trösten: „Ich esse sie natürlich nur aus Hochachtung vor Ihrer exzellenten Bratkunst.“
Er ist ein Kind geblieben, gerade weil sie ihn so rasch zum Mann machen wollten und als Flakhelfer in den Krieg schickten. Als er mit siebzehn wieder nach Berlin kam, wußte er, was Kampf und Tod und Kriegsgefangenschaft bedeuten. Er konnte es nie vergessen. Das Staunen – und das Entsetzen – eines Kindes vor dem Leben bestimmten alles, was er seither tat, als Hilfsarbeiter oder Zirkus-Clown, als „Schulhelfer“ oder Bergmann, als Holzschneider und Graphiker, als Dichter, Fabulierer, Herausgeber. Auch wenn er sich manchen etwas schalen Scherz nicht versagt hat, tut ihm Unrecht, wer Günter Bruno Fuchs als Troubadour der Trinker, als Dichter der Destille feiert, nur weil einige Titel seiner Bücher dies vermuten lassen könnten, von den Trinkermeditationen (1962) über Pennergesang (1965) bis zu Herrn Eules Kreuzberger Kneipentraum (1966).
Dieses melancholische Weltkind war ein solider, fleißiger Handwerker: gestochen klar und schön die Züge seiner handschriftlichen Briefe, skurril hintergründig die schwarz-weißen Linien seiner Holzschnitte, voll zärtlicher Trauer die Gedichte und die (meistens in schlichten Hauptsätzen erzählten) ganz realistischen, zugleich ganz phantastischen Geschichten. Dreißig Bücher in fünfundzwanzig Arbeitsjahren, dazu Mitbegründer von Galerien (Zinke) und Werkstätten (Rixdorfer Drucke), Herausgeber von Anthologien (Die Meisengeige) und Zeitschriften (Telegramme, Visum): ein großes Tagewerk, schwer einzuordnen in die Geschichte der zeitgenössischen Literatur – so schwer, daß die Damen und Herren unserer literarischen Gesellschaft, die Preise vergeben können, sich am Werk eines Träumers aus Trauer vorbeigedrückt haben, obwohl er Anerkennung und Hilfe mehr verdient (und gebraucht) hätte, als manch ein Poetaster, dem man den Schreibtisch-Sessel mit dicken Preisen polstert.
Jetzt ist es zu spät. In der Nacht vom 19. April ist dieser Schwerarbeiter mit der leichten Hand in seiner Arbeitswohnung in Wilmersdorf zusammengebrochen und an einem Blutsturz gestorben. Bis zuletzt hat er an einem Lyrikband gearbeitet, der – wie alle Werke von Fuchs – bei Hanser erscheinen wird (Frühjahr 1978).
− Günter Bruno Fuchs zum Gedenken. −
Günter Bruno Fuchs ist in der Nacht zum 20. April gestorben. Mit 48 Jahren, einsam in seinem kleinen Arbeitszimmer in der Güntzelstraße, einen eingespannten leeren Bogen in der Maschine. Niemand weiß, was er darauf schreiben wollte.
Der füllige Mann, ein Freund von hohen Graden und großer Treue, konnte auch die Freundschaft zum Roman machen. Wir lernten uns in Bayreuth kennen. Die erste Nacht unserer Freundschaft, an einem warmen Augusttag, schliefen wir umarmt auf einer Bank am Rande des Festspielhügels. Er gab damals in Reutlingen ein Blatt heraus, dessen Titel schon die Verbrüderungsstimmung der ersten Jahre nach dem zweiten Weltkrieg anzeigt: „Vogelflug verwirft die Zäune.“ Am Morgen las ich ihm frierend die Rede Dehmels am Grabe Liliencrons vor, die den wunderbaren Satz enthält: „Er war immer ein Ritter, manchmal auch ein Strauchritter.“ Wir haben darüber Tränen gelacht, diesen Satz durch die Bayreuther Straßen und Kneipen gebrüllt, behielten für die ganze Zeit unserer Freundschaft solche Anreden bei. Seine Briefe an mich hatten Adressen, die so lauteten: „An den Ritter R.W.S.“ oder „Dem Chevalier R.W.S.“ oder „Dem Bernhardiner Schnell“. Ich nannte ihn dagegen „Regenmaus“, denn er hatte einmal in einem unglaublichen Gedicht behauptet, daß die Mäuse bei Regen die Fensterscheiben durchbissen. Der unerhörte Poet und Grafiker Fuchs, der das Holz beherrschte wie kaum jemand und souverän eine Maus oder einen fliegenden Säufer in den Himmel setzte – immer stimmte es. Nie hatte man das unangenehme Gefühl des krampfhaft Erdachten bei seinen Arbeiten. Er hörte irgendeinen Rentner oder Räuber-Ernst, unseren zuchthausträchtigen tätowierten Freund, eine Dummheit sagen in der schlitzohrigen Berliner Naivität – am nächsten Tag war es ein Gedicht bei ihm. Eine kleine Wortverschiebung, das Weglassen einer Silbe, eine erhöhte Zusammenstellung – und schon war es traumsichere Kunst. „Was quatscht der von der Sonne?“ und „Was heißt hier Schilda und das Licht im Sack?“
Spätere Literaturwissenschaftler werden uns sicher viele Erklärungen geben, wo es keine gibt. Die Erklärung war Günter Bruno Fuchs selber, ein dickes Gedicht, ein durch und durch lyrisches Gehirn, das die Wirklichkeit für einen ausgemachte Unsinn hielt, zum Ärger oder zum Belachen geschaffen, aber – leider – immer gegenwärtig.
Er war ein Meister im Durchschlüpfen der Wirklichkeitsmaschen, mit dem unbedingten Willen zur Verwirklichung seiner Träume, die er uns in Worten und Grafiken hinterlassen hat – sie waren nur ein Entwurf – am liebsten hätte er uns alles vorgelebt. Günter Bruno floß so ganz und gar in der Tradition der Berliner Lyrik, wie sie sich im Leben des Peter Hille oder der Lasker-Schüler ausdrückte. Eigentlich war ihm nicht bewußt, daß das eine vergangene Zeit war. Er hat da einen Untergrund Berlins lückenlos fortgesetzt, etwas ganz Kostbares und Zerbrechliches weitergetragen, und das mit einer Intensität, die oft absurd erschien. Hille und Scheerbart, die wir beide eigentlich spielerisch wieder für uns entdeckt hatten, trafen ihn wie ein Hieb. Er hatte plötzlich eine Heimat gefunden. Vorläufer im Geiste, die für sein durch und durch jugendliches Gemüt so wichtig waren. Seine Herkunft, seine Admiralstraßenjugend auf Treppen und in Hinterhöfen, bekam plötzlich einen Glanz, der ihn immer wieder weitertrieb. „Der Affenkopp wird eines Tages belohnt: / Vor seinen Grabstein pflanz ich zwei studierte Lilien.“ Die vergangene Zeit der fünfziger Jahre, in denen wir mit Bobrowski und Bieler den Friedrichshagener Dichterkreis wieder nachleben wollten, sind in den Spannungen der Zeit untergegangen. Tod und gegensätzliches Wirken haben uns auseinandergetrieben, nur Günter Bruno Fuchs hielt all das aufrecht: Die Kameraderie der Poeten, diese Geistesbrüderschaft, wollte er partout nicht aufgeben, er hielt uns für zeitweilig Verirrte und Verwirrte, die in heiteren Gelagen zusammenzuführen immer wieder sein Bestreben war. Seine Enttäuschungen, daß das nie klappte, bewahrte er wie einen Trauerkondukt in sich. Seine nächste Arbeit sollte ein Buch zur 20. Wiederkehr des Geburtstages der zinke sein, in dem er noch einmal Freundschaft und Poetengeist, die für ihn eine Einheit waren, dokumentieren wollte. Mit Günter Anlauf arbeitete er schon an dem Layout. Die Wirklichkeit zerbrach diesen Traum, den er aus Trümmern zusammensetzen wollte. In seinem letzten Brief an mich stand: „Ich würde mich freuen, wenn wir uns bald wieder sehen und umarmen könnten.“ Nun ist er tot. Der Stadt Berlin, die wir für unseren Besitz hielten, fehlt nun ein großer Erklärer, ein Deuter ohne Zeigefinger. In seinen Arbeiten wird er fortleben, dessen bin ich sicher, mit einer Legende werden sie umwoben sein. Aber seine Zeit- und Weggenossen werden ihn nie lesen können, ohne ihn dabei zu sehen und sein trauriges Lachen zu hören, mit dem er sich selber vergeblich zurief, zu bleiben.
Robert Wolfgang Schnell, Der Tagesspiegel, 22.4.1977
EIN DICKER MANN GEHT EINFACH WEG
(zum Tod des Poeten Günter Bruno Fuchs)
Er ließ Sperlinge brüten
in der Mütze eines Straßenfegers.
Nun ist er tot der Meisengeiger
aus dem versoffenen Kreuzberg –
zusammengeklappt auf seiner Spielwiese.
Denk ich an den kleinen Jungen
der einen Herrn mit Hut
steigen läßt wie einen Drachen
kommen mir die Tränen.
„Der Abend ist da
was wundert ihr euch!“
Und so geh ich einfach in die Kneipe
und begieße meine einsame Trauer
mit viel ehrbarem Schnaps.
Christoph Derschau
Thomas Propp: ORNUNG MUSS SEIN, sprach der ANARSCHIST…
Eine Reise zum Dichter Günter Bruno Fuchs und zurück unternommen von Thomas Propp im Jahre 1981.
Jutta Hercher: „Raus mit der Sprache“
Günter Bruno Fuchs – Poet mit Narrenkappe
Thomas Schaefer: Platz für öffentliche Unordnung
Eine Erinnerung an Günter Bruno Fuchs
Er hätte mehr Aufmerksamkeit verdient. Ich hoffe, dass er nicht in Vergessenheit gerät.