Gustav Seibt: Zu Jan Wagners Gedicht „nach canaletto“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Jan Wagners Gedicht „nach canaletto“ aus dem Lyrikband Jan Wagner: Regentonnenvariationen. –

 

 

 

 

JAN WAGNER

nach canaletto

… che l’occhio s’inganna, e crede realmente di
vedere la vera, non la dipinta…

(Pietro Guarienti)

vor allem himmel und vor allem wasser,
die ganze stadt von der lagune
verdoppelt, während auf der mole ein paar fässer
gewittern, wellen an den mauern lecken;
ein maharadscha oder großwesir
vielleicht, und prachtvoll wie ein leguan
im hafenbecken dessen karavelle,
die regungslos und satt auf der geriffel-

ten bläue ausruht; masten, takelage
als fremdartige schrift, die nichts als ferne
bedeuten will, dazu das kehlige
geschrei von möwen, händlern aus verona
und mantua. dort wartet die kalesche
im schatten der arkaden auf die feiern-
den, dort der löwe von sankt markus,
von so viel bronze zahm; jede markise

gestreift und die fassaden der palazzi
ein ganzes heerlager, weil schon ein regen
die halbe stadt zerstört, die bunten pilze
der buden: sommer, und die wolken segeln
vorbei – nur ab und zu wird eine blasser
und schwer, muß sich auf die kanäle legen,
hängt ausgeblutet wie ein schweinskadaver
von irgendeiner rah. und du: geh tiefer

ins bild, verschwinde zwischen den kulissen,
den hellen bögen und den fauligen
kloaken, statuen und steinkolossen,
jeder zerbrechlicher als ein flakon,
im duft von zwiebeln und kartoffelklößen.
es gibt die fahnen und es gibt die flaggen
der tropfenden wäsche, das gehißte laken
vorm fensterbrett, das sagt: keine lakaien,

sondern gesandte sind wir, jede schwiele
wird unter deiner lupe so pompös
wie eine kirchenkuppel. auf der schwelle
der bettler, vogelkäfige aus bambus,
ein korb mit fischdukaten; besen, schaufel
und seine eminenz, erwischt beim pis-
sen an der wand. der weiße lederhand-
schuh eines tintenfischs an einem stand.

was singt die frau auf dem balkon? was flüstern
die pärchen an der brüstung, wohin fahren
die gondeln? nagt in einem von den priestern
ein zweifel, und von welchem land erfahren
die hörer da vorne, worauf weist er hin,
der mann mit gehstock, dem verdorrten farn
von feder am hut? die fliederpelerinen
der stutzer auf dem hochzeitskahn, die plärren-

den kinder; hier ein hund, der statt zu bellen
an seinem knochen nagt, selbst blankgenagt
vom gleißenden licht, die packen und die ballen
des stoffverkäufers, noch verpuppt, noch nicht
geschlüpft, die später erst auf maskenbällen
die flügel öffnen, um durch eine nacht,
die es nie geben wird, zu schweben
als falter aus brokat: das ganze leben

ein tag mit seinen leuchtenden perücken
und strümpfen, wo die flotte der dreispitze
sich trennt, sie noch ein weilchen über brücken,
durch gassen weiterkreuzen. die trapeze
aus sonne auf den häusern, die burgun-
derroten, schwarzen schatten auf der piazza,
und immer noch wie georg mit dem drach-
en jener schornsteinfeger auf dem dach.

antonio canal, geboren
als bühnenbildner, bald eine legende
wie einhörner, die strömung vor kap hoorn,
beim feilschen pfiffiger als jeder kunde,
der ohne lärm und seltsames gebaren
nur saß und malte, malte, um am ende
gerahmt zu werden durch ein grab,
das unauffindbar bleibt, um ohne cherub

aus marmor, ohne schüler zu verschwinden,
als ob es ihn niemals gegeben hätte –
wenn da nicht ruderstangen wären, wanten
und pfähle, taubenschwärme, lose bretter,
die pflanzen in den topfen, brunnenwinden
und giebel, die wie karten beim tresette
sich ineinanderschieben; wäre da nicht
vor allem wasser, und vor allem licht.

 

 

Des einzelnen fröhlich

– Zwei Exkurse zu Jan Wagners Gedicht „nach canaletto“. –

I. Ottava rima
In der „Italienischen Reise“ berichtet Goethe aus Venedig, wie er im Oktober 1786 zwei Gondelschiffer anheuerte, die ihm „den Tasso und Ariost auf ihre eignen Melodien“ sangen.1 Vers für Vers wechselten sie sich ab, in einer Melodie, die Goethe als „eine Mittelart zwischen Choral und Rezitatif“ beschreibt:

(S)ie behält immer denselbigen Gang, ohne Takt zu haben; die Modulation ist auch dieselbige, nur verändern sie, nach dem Inhalt des Verses, mit einer Art von Deklamation, sowohl Ton als Maß.

Wie das Modulieren eines müßigen Menschen, der Gedichte auswendig kann, wirke das. Dabei sind die Stimmen kräftig, zumal die im Wechsel singenden Schiffer sich zuweilen weit voneinander entfernen und die einander antwortenden Stimmen über den stillen Wasserspiegel schallen lassen.

Der Gesang währt Nächte durch, unterhält sie ohne zu ermüden. Je ferner sie also von einander sind, desto reizender kann das Lied werden; wenn der Hörer alsdann zwischen beiden steht, so ist er am rechten Flecke.

Goethe wählt dafür das Ufer der Giudecca:

Da ward mir der Sinn des Gesangs erst aufgeschlossen. Als Stimme aus der Ferne klingt es höchst sonderbar, wie eine Klage ohne Trauer, es ist darin etwas unglaublich, bis zu Tränen rührendes.2

Diese Gesänge dürften aus Episoden der großen Epen bestanden haben, die die beiden berühmten Renaissance-Dichter verfassten, des Rasenden Roland von Ariost und der Befreiung Jerusalems jenes Torquato Tasso, über den Goethe damals ein Drama schrieb. Und vielleicht lässt Claudio Monteverdis Tancredi e Clorinda, die Vertonung einer Episode der Befreiung Jerusalems, die den Kampf einer heidnischen Fürstin mit einem christlichen Ritter erzählt, in sublimierter Form etwas ahnen von den melancholischen Rezitativen der venezianischen Gondelsänger.
Goethes Erlebnis zeigt, wie populär die gewaltig-kunstvollen, teils festlich-wuchernden (Ariost), teils feierlich-frommen (Tasso) Renaissance-Dichtungen am Ende des 18. Jahrhunderts noch gewesen sein müssen. Eine nur langwierig zu erlernende Kunst wie der auswendige musikalische Vortrag ganzer Epen-Gesänge überlebt nicht ohne Nachfrage. Wie weit müssen Stimmen tragen, die unter freiem Nachthimmel übers Meer schallen!
Der Vers, der hier sprechgesungen wurde, eignet sich für eine solche musikalische Aufführung in hervorragender Weise. Es ist die ottava rima, deutsch als ,Stanze‘ bekannt: eine achtzeilige Strophe aus endecasillabi (im Deutschen aus jambischen Fünfhebern) im Reimschema ABABABCC. In der strengen, begrenzten Reimfolge, dem geregelten Auf und Ab des Jambus und im ritornellhaften Abschluss der paarigen Endreime findet ein Wechselgesang festen Halt.
Goethe hat diese Vers- und Strophenform in der deutschen Sprache zu einer nie mehr erreichten Höhe geführt; einige seiner herrlichsten Gedichte, allen voran der Zyklus „Urworte. Orphisch“, sind darin gehalten, auch die feierlichen „Zueignungen“ am Beginn seiner Gedichtsammlungen und des Faust, daneben vor allem Festgedichte an Personen. Darunter glänzen Stücke wie das oft unterschätzte Karlsbader Gedicht an die Gemahlin Napoleons von 1812 oder der Gruß zum 50-jährigen Dienstjubiläum von Staatsminister Voigt, dem Amtskollegen, den Goethe am Höchsten schätzte und mit dem ihn auch naturforscherliche, geologische Interessen verbanden:

Von Berges Luft, dem Äther gleich zu achten,
Umweht, auf Gipfelfels hochwaldiger Schlünde,
Im engsten Stollen wie in tiefsten Schachten
Ein Licht zu suchen, das den Geist entzünde,
War ein gemeinsam köstliches Betrachten,
Ob nicht Natur zuletzt sich doch ergründe?
Und manches Jahr des stillsten Erdelebens
Ward so zum Zeugen edelsten Bestrebens
.3

Diese Gedichte, die das Klangbild der Stanze für deutsche Ohren endgültig prägten, haben allerdings einen feierlich schreitenden Ton, den Goethes substantivische Altersmanier – „Gipfelfels hochwaldiger Schlünde“ – schwerblütiger machte als es die hurtigeren früheren Beispiele noch waren:

Der Morgen kam; es scheuchten seine Tritte
Den leisen Schlaf, der mich gelind umfing
4

Im Italienischen ist die ottava rima eine vorwiegend narrative Form, die denkbar weit von Goethes späten weltanschaulichen Verkündigungen entfernt ist. Sie kam schon im 14. Jahrhundert als volkstümliche Konkurrenz zu den anspruchsvollen Kettenreimen der Dante’schen Terzine auf. Die italienische Stanze ist die Form für den Ritter- und Abenteuerroman, oft mit humoristischem Ton. Sie zeigt Züge des Bänkelsangs, man darf sich eine schollernde Laute dazu vorstellen; darin ist sie vergleichbar der eintönigeren Nibelungenstrophe mit ihren harten, wohl musikalisch akzentuierten Zäsuren.

Le donne, i cavallier, l’arme, gli amori,
le cortesie, l’audaci imprese io canto,
che furo al tempo che passaro i Mori
d’Africa il mare, e in Francia nocquer tanto,
seguendo l’ire e i giovenil furori
d’Agramante lor re, ehe si diè vanto
di vendicar la morte di Troiano
sopra re Carlo imperator romano
.5

Mit solchem Brio beginnt Ariost seinen „Orlando Furioso“, die Verse galoppieren wie die geflügelten Luftpferde, die bald durch die Szenerie des Ritterromans eilen. Das düstere Pathos von Tasso, an dem Goethe sich orientierte, ist noch weit entfernt. Und an Ariost, nicht an Tasso, orientierte sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts auch die deutsche Stanze, nämlich bei Christoph Martin Wieland, der sie 1767 in seinem „Romantischen Gedicht“ „Idris und Zenide“ erstmals erprobte. Freimütig gestand Wieland sogleich, dass er auf viele Beschränkungen der italienischen Vorbilder verzichte: die durchgehend weiblichen Reime, die strikte Kreuzreimanordnung, die Fünfhebigkeit. Dem gelockerten Schema entsprach ein ironischer Geist:

Die Welt ist längst der Kurzweil satt,
Den zornigen Achill, die zärtlichen Aeneen
Mit andern Namen nur von Todten auferstehen
Und lächerlich verkappt in neuer Tracht zu sehen.
Was im Homer das Recht uns zu gefallen hat,
Wird in der Neuem Mund oft schwülstig, öfter matt;
Und neue Bahnen sich zu brechen
Heißt, in ein Nest gelehrter Wespen stechen
.6

Von diesem heiteren Geist war dann auch der „Oberon“ geprägt, die Wiederauferstehung von Ariosts Genius in deutscher Sprache. Wieland machte die Stanze auch in Deutschland zu einer populären, leichtfüßigen Form. Selbst die sich formal streng an die italienischen Vorgaben haltenden Übersetzungen der italienischen Renaissance-Epen durch den auch von Goethe geschätzten Johann Diederich Gries (1775 bis 1842) – lesbar bis heute – sind Wieland näher als den späten Weltanschauungsgedichten Goethes. Die erzählerische Geschmeidigkeit, die die deutsche Stanze bei Wieland gewonnen hatte, bewog Schiller 1791, sie bei seinen Vergil-Übersetzungen dem deutschen Hexameter vorzuziehen. „Die harten Schläge, welche der Verfasser der Aeneis so oft auf das Herz des Lesers führt“, schreibt Schiller, „der großentheils kriegerische Inhalt seines Gedichts, die ganze Gravität seines Ganges werden durch eine gefällige Versart gemildert, und die Harmonie, die Anmuth in der Einkleidung söhnt vielleicht nicht selten mit der anstrengenden oft gar empörenden Schilderung aus. Diese Rücksicht vorzüglich bewog den Verfasser, den achtzeiligen Stanzen den Vorzug zu geben, derjenigen unter allen deutschen Versarten, wobey unsre Sprache noch zuweilen ihrer angestammten Härte vergißt, und durch ihren männlichen Karakter doch noch hinlänglich verhindert wird, ins Weichliche oder Spielende zu fallen.“7
Dabei verwies Schiller ausdrücklich auf die Vorbilder von Wielands „Idris“ und „Oberon“. Schiller ging sogar so weit, immer wieder auf die paarigen Endreime zu verzichten, ohne Einbuße an Wirkung – seine Übertragung des zweiten Gesangs der Äneis mit der Zerstörung von Troja und der Flucht des Äneas aus den flammenden Ruinen bringt diesen heute wieder so aktuellen Gefühlsstoff mit unmittelbar anrührendem Pathos zur Geltung. Wie Äneas, seinen Vater Anchises auf den Schultern, seinen kleinen Sohn Julus an der Hand, zum rettenden Strand unterhalb des brennenden Ilion eilte, erzählt er bei Schiller so:

Schnell wend’ ich jetzt, (der Tag fieng an zu grauen)
zu den Gefährten um. Verwundert fand ich hier
ein neues großes Heer von Jünglingen und Frauen,
des Elends Kinder! gleichgesinnt mit mir,
auf fremdem Strand sich anzubauen.
Entschlossen strömten sie mit Haab und Gut herbey,
bereit, durch welche Fluten es auch sey,
sich meiner Führung zu vertrauen
.8

Die feierlichen, vom Erzählerischen abgewandten Stanzen der Goethe’schen Alterslyrik haben 20 Jahre später das Schicksal dieser Form in der Geschichte der deutschen Dichtung zu einem Abschluss geführt, über den zunächst nicht mehr hinauszukommen war. Zwischen den „Urworten, Orphisch“ und der Massenproduktion in den Übersetzungen der italienischen Renaissance-Epik starb die um 1800 so lebhaft und freizügig blühende achtzeilige Strophe. Während Sonett und Distichon, selbst die Odenformen der griechisch-lateinischen Lyrik, hier und da sogar Terzine und Sestine – man denke an Hofmannsthal und Borchardt – immer wieder produktiv erneuert werden konnten, blieb die ottava rima im literaturhistorischen Ehrengrab, weitgehend unbeweint, wenn auch respektvoll begrüßt vor allem in den Goethe-Kommentaren.9
Umso größer ist das Glück des Wiedersehens und Wiederhörens in Jan Wagners prachtvollem, zehnstrophigem Gedicht auf den Maler Canaletto.10 Wer uns bis hierher gefolgt ist und wer vertraut ist mit Jan Wagners Poetik des slant rhyme, des „Reims in Schräglage“,11 der wird hier die ottava rima sogar in ihrer strengsten Form wiederfinden, im Reimschema ABABABCC. Schon die erste Strophe erfüllt sie rein: Die A-Reihe ist mit wasser-fässer-großwesir, die B-Reihe mit lagune-lecken-leguan, der Paarreim am Schluss mit karavelle-geriffel- aufs Allerbefriedigendste erfüllt, befriedigend eben in der Form des anklingenden, auch auf Buchstabenparallelen zurückgreifenden schlampigen und darum so beglückend lebhaften Reims.
Wer wird über solche Reihen eines absichtsvoll verschmutzten Glissandos nicht in Entzücken ausbrechen: takelage-kehlige-kalesche und ferne-verona-feiern-, vor allem wenn sie schwungvoll mit markus-markise beschlossen werden? Palazzi-pilze-blasser neben regen-segeln-legen – dann kann man nur hinterherrufen: -kadaver, geh tiefer! Ich persönlich weiß nicht, ob mir nicht die Achterbahnfahrt zwischen kulissen, –kolossen und kartoffelklößen lieber ist, vor allem wenn sie fugenhaft durchbrochen ist von fauligen, flakon und flaggen und das ganze Brio beruhigt wird bei laken und lakaien.
Es gibt kaum Abweichungen, keine Stellen, die jedenfalls bei genauem Nachhören echolos wirken. Denn da der Schmuddelreim ja weniger eine phonetische Tatsache ist als eine Leseanweisung, ein akustischer und morphologischer Rorschach-Test, eine Aufforderung zum Entdecken also, wird man bei längerer Bekanntschaft umso weniger Regelbrüche finden, als ja zwischendurch auch ganz regelrechte Reime das Prinzip festklopfen (schweben/leben, drach/dach, nicht/licht). Diese 80 Verse sind eine musikalische Wonne. Ist der Anklang von pompös und bambus nicht ein subtiler Tribut an die Dresdner Mundart, da so viele Canalettos in der Galerie der sächsischen Residenzstadt hängen?
Ähnliches gilt für den Rhythmus. Die erste Zeile darf als regelrechter jambischer Fünfheber gelesen werden, auch wenn man den Akzent auf dem „und“ schwach hält: „vor állem hímmel únd vor állem wásser“. Es gibt genug jambische Fünfheber in diesen zehn Strophen, aber auch hinreichend viele anders betonte Zeilen, um den gelenkigen Geist der Wieland’schen Verserzählung im Kontrast zum Goethe’schen Schreiten aufleben zu lassen. Reinste Jamben wie „gewíttern, wéllen án den máuern lécken“ wechseln mit kürzeren, zuweilen mehrfach auflösbaren Takten: „die gánze stádt von dér lagúne“ mag man vierhebig lesen, aber vielleicht wird man zwischen „stadt“ und „lagune“ lieber nur Senkungen hoppeln lassen und dementsprechend nach „stadt“ eine entschiedene Zäsur setzen. Solcher Vielfalt legt dem Leser an vielen Stellen die Phrasierung auf die eigene Zunge. Da im Deutschen nichts fader werden kann als ein gleichmäßiger Jambus, erfreuen harte, spondeische Fügungen, das Zusammenprallen von betonten Silben also, das Ohr durchaus: „von só viel brónze záhm; jede markíse“ – das ist ein ausnehmend schöner Vers, nicht nur wegen der so prachtvoll in Bronze gebändigten Kraft des Löwen, sondern auch wegen des abrupten, einen Blickwechsel signalisierenden Wechsels im Rhythmus. Und flattert im Adoneus von „jede markise“ nicht auch der Wind, der den Stoff der Markise knattern lässt?
Wie das schöne Legato eines Liebeslieds klingt dann wieder die makellose Rhythmisierung der sechsten Strophe:

was singt die frau auf dem balkon? was flüstern
die pärchen an der brüstung, wohin fahren
die gondeln?

Feierlich hallend dagegen der Name des Malers, den das Gedicht feiert:

antónió canál, gebóren
als bühnenbíldner

Und zu dieser reich belebten Musikalität gehört natürlich die gespiegelte Wiederkehr des einleitenden Akkords in der letzten Zeile: „vor allem himmel und vor allem wasser“ – „vor allem wasser, und vor allem licht“. So nimmt das Auge, das sich erst dem Bild näherte, wieder Abstand von ihm, sieht zum Abschied nur noch die großen Massen, in denen die vielen Einzelheiten ihren Hafen haben. Auch dieses Addio ist hier Klang geworden, und es ist wichtig für die edle Form, dass gerade der abschließende Paarreim so unverkennbar entschieden, als fast trockener Schlussakkord tönt:

wäre da nicht
vor allem wasser, und vor allem licht

 Ekphrasis
Trotz Goethes Verwendung als Gefäß für Gedankenlyrik war der jambische gereimte Achtzeiler in der allerlängsten Zeit seiner Geschichte ein Epenvers, ein Medium des Erzählerischen. Und wer seine Wiederbelebung durch Jan Wagner begrüßt, der wird zugleich würdigen, dass die absichtsvolle impuritas der Wagner’schen Reime wundervoll harmoniert mit der kaum zu bändigen Fülle der Anschauung, die in seinem Langgedicht aufgestapelt ist wie in einem bunten Warenlager. Dass die Stanzenform eine eigentümliche Bildhaftigkeit begünstigt, vor allem im Vergleich zum Hexameter, dem Epenvers der griechisch-römischen Antike, ist immer bewusst gewesen. Noch Schiller hat bei der Übertragung aus dem hexametrischen Latein des Vergil darüber nachgedacht. „Das lateinische Original bewegt sich in einem stetigen Strome fort“, bemerkt er im Vorwort zu seiner Übersetzung des zweiten Gesangs der Äneis.

Dieser fortströmende Gang des Gedichts mußte nun in der Übersetzung durch viele kurze Ruhepunkte unterbrochen, und ein einziges zusammenhängendes Ganze in mehrere kleine, sich leicht an einander schmiegende Ganze aufgelößt werden.12

Stanza heißt ,Zimmer‘, ,Raum‘, und ein in Stanzen verfasstes Epos wird deutlicher als Abfolge solcher erzählerischer Mikroeinheiten, die aus Bildern, Szenen und Gedanken bestehen, gegliedert sein, als es beim durchgehend klopfenden Herzschlag des ungereimten Hexameters möglich wäre.
Ist Jan Wagners Gedicht nicht ein kleines Epos? Aber es ist ja eine Bildbeschreibung! Doch halt, woher wissen wir eigentlich, dass es um ein Bild, gar ein Gemälde geht? Gewiss, der Titel, der den Namen eines großen Malers trägt, weist darauf hin, dann auch das italienische Motto, das von ,Gemaltem‘, einem ,Gemälde‘ (dipinta) spricht, allerdings mit dem Verweis auf eine Täuschung des Auges, das nun ,wirklich das Wahre, nicht das Gemalte zu sehen glaubt‘. Malerei also, die die perfekte Illusion von Wirklichkeit erzeugt. Streichen wir aber versuchsweise diese beiden Signale – Titel und Motto – weg, dann werden wir lange brauchen, um sicher zu sein, dass es sich hier um ein Gedicht auf ein Gemälde handeln könnte. Dagegen sprechen schon Sinneseindrücke, die das Sehen ergänzen: Fässer „gewittern“, werden also donnernd gerollt, das Geschrei von Möwen ist ebenso „kehlig“ wie das der Händler aus Verona und Mantua, später riechen wir den Duft von Zwiebeln und Kartoffelklößen. Und noch tiefer dringen die Verse unter die sichtbare Oberfläche der Wirklichkeit, wenn in der sechsten Strophe von einem möglichen „zweifel“ eines Priesters die Rede ist. Ganz und gar erzählerisch ist es, wenn sogar in die Zukunft geblickt wird angesichts der Stoffballen der siebten Strophe, die als enorme ungeschlüpfte Schmetterlinge metaphorisiert werden, „die später erst auf maskenbällen / die flügel öffnen“. Erst solches Eindringen und Ausgreifen lässt „das ganze leben // ein tag“ ins Bild kommen.
Das „bild“ wird aber überhaupt erst zu Beginn der vierten Strophe als solches benannt, allerdings auch auf zweideutige Weise: durch eine Ansprache – an den Leser, den Autor? –, ins Bild zu gehen, als wäre es ein dreidimensionaler Gegenstand oder auch eine 3D-Animation, eine second world, die es erlaubt, mit einem Cursor oder einem Joystick einzudringen, um die Ecke zu gehen und eine neue Perspektive zu entdecken. Dass dieses „bild“ eine Ölmalerei auf Leinwand darstellt, ist zunächst nur eine plausible, aber unbeweisbare Vermutung. Erst die achte Strophe spricht vom Schöpfer des Bildes, der als gebürtiger Bühnenbildner vorgestellt wird und erst damit in die Sphäre der Nachschlagbarkeit in Kunstlexika oder auf „Wikipedia“ gelangt. „(G)erahmt“ aber wird am Ende nicht sein Werk – das beschriebene Gemälde? –, sondern er selbst, nämlich durch ein Grab, ein unauffindbares übrigens. Der Maler verschwindet grablos in seinem Bild (oder seinen Bildern), die mit ihren gemalten Gegenständen, ihrem Wasser und ihrem Licht, für ihn zeugen, besser als jedes Monument es vermöchte.
Und diese gemalte Welt dröhnt und riecht eben auch, in ihr klatschen Wellen, über ihr liegt Meeresduft und Regenfeuchtigkeit, hier tropft Wäsche, und hier wird auch das Kleinste groß, nämlich, in der fünften Strophe, eine Schwiele „so pompös / wie eine kirchenkuppel“. Mit dieser Überschreitung der Grenzen zwischen den einzelnen Sinneswahrnehmungen fügt sich „nach canaletto“ ins älteste Genre der Kunstdarstellung ein, das als ,Ekphrasis‘ bekannt ist und direkt aus dem Epos stammt. Ekphrasis, die ,Ausformulierung‘ von Werken der bildenden Kunst, ihre Nachschöpfung in Worten, gehörte schon bei Homer und Vergil zum Kernbestand der erzählerischen Form. Nun ging es bei den großen Schildbeschreibungen der Ilias und der Äneis13 zunächst nicht um Kunst, so sehr sie in der Pracht und Vollkommenheit der von Hephaistos für Achilleus und von Vulkan für Äneas geschmiedeten Waffen schwelgen. Der Schild des Achilleus hat die Funktion, das Epos, das ja nur einen kleinen Ausschnitt des großen Trojanischen Krieges beschreibt, mit einem Bild des Kosmos auszustatten, von der Sternenwelt auf der Buckelerhebung in der Mitte bis zum Okeanos, dem Weltmeer, am äußersten Rand. Dazwischen aber ist von Krieg und Frieden, Streit und Gerechtigkeit, Ordnung und Festlichkeit die Rede – und darum darf sich die dichterische Darstellung, die Ekphrasis, auch über die Bindung ans metallische Material dieses göttlichen Meisterwerks erheben: Krieg und Idylle werden fühlbar.
Ähnlich wird der Schild des Äneas zum Gefäß, das schon vor der Gründung der Stadt Rom ihre ganze spätere Geschichte in einer Prophetie enthält. So kann von diesem in Worten anschaubaren Kunstwerk der Bogen geschlagen werden von der Gegenwart der Erzählung in die Gegenwart des Erzählers, von Äneas zu Vergil und Augustus. Ekphrasis meint in diesen Zusammenhängen also nicht Nachschöpfung, sondern Neuschöpfung. Ein archäologisches Museum, in dem wir einen Schild des Achilleus bewundern könnten, existiert nicht. Fiktive Kunstwerke hat die Geschichte der Literatur seit der Antike unentwegt hervorgebracht, unbekannte Meisterwerke, Dorian-Gray-Bildnisse, symbolische Galerien in Bildungs- und Künstlerromanen, enigmatische Werke, über die in Bühnenstücken gestritten wird, Ikonen und illuminierte Handschriften. Der edelste Nachhall der antiken Form von Ekphrasis ist die „Ode auf eine griechische Urne“ von John Keats: Sie bringt die dauerhafte, unveränderliche Materialität des Gefäßes in einen ergreifenden Kontrast zu der Vergänglichkeit der auf ihr dargestellten Szenen, die einen jugendlichen Frühlingsreigen, Flötenspiel und Tanz in frischer Natur zeigen. Die schöne Urne wird zum Grabgefäß eines vergänglichen Moments irdischer Seligkeit, Schönheit zum Kontrapunkt des Todes. Keats’ Gedicht lebt so immer noch von der Feier des Kosmos auf dem Schild des Achilleus.
Seit der Kunstschriftstellerei der Renaissance ging die Nachschöpfung von Bildwerken in Worten dann noch andere Wege: Sie versuchte, das Bekannte, Existierende, das sich anschauen ließ, durch Beschreibung wiederzugeben und durch Übertragung ins neue Medium der Sprache der Erkenntnis zugänglich zu machen. Dichtung und Wissenschaft blieben dabei in enger Berührung. Das ist eine riesenhafte Geschichte, nicht zuletzt in der deutschen Literatur, sie kann hier nicht einmal in Stichworten resümiert werden. An den Fragen der Grenzen von Malerei und Poesie hat sich ein Hauptteil der ästhetischen Reflexion in deutscher Sprache entzündet, ausgerechnet in jener Epoche, in die ein Bild von Canaletto den Betrachter eintauchen lässt. Die Lyrik des 20. Jahrhunderts, einer Epoche der allgegenwärtigen Verfügbarkeit von Bildern aus allen Zeiten in Reproduktionen, hat sich von der Nachzeichnung von Einzelheiten dann wieder ganz unabhängig gemacht. Die Brueghel-Gedichte von W.H. Auden und William Carlos Williams reagieren subjektiv-reflexiv auf Gemälde, die jeder Leser kennen kann. John Ashberys Self-Portrait in a Convex Mirror widmet sich Parmigianinos virtuosem Rundgemälde ebenso detailreich wie gedanklich ausgreifend; Ekphrasis wird hier zu einer Meditation. Im Übrigen hat auch die Kunstschriftstellerei immer gewusst, dass sie ihre Gegenstände nicht in der Anhäufung von Einzelheiten unerkennbar werden lassen darf. Jacob Burckhardts meisterhaft verknappte Bemerkungen im „Cicerone“ haben oft mehr mit Williams gemein als mit den Bestandsaufnahmen der Kunstwissenschaft, die Komposition, Stil, Farbgebung, ikonografisches Detail abarbeitet. Ebenfalls bewusst wurde den Ästhetikern allerdings auch die Fragwürdigkeit von sentimentaler Psychologisierung, die Bildaufbauten und Gesten als Signale rührender oder heroischer Geschichten las, wie es im 18. Jahrhundert gang und gäbe war und auch heute noch von Führern in Museen nicht verschmäht wird.
Wo liegt Jan Wagners Poem „nach canaletto“ auf dieser Weltkarte des Ekphrastischen, die sich zwischen Erfindung und Beschreibung, zwischen Bestandsaufnahme, Nacherzählung und Reflexion ausspannt? Auch Jan Wagner kann mit Lesern oder Hörern rechnen, die wissen, wie ein typisches Canaletto-Gemälde aussieht. Der venezianische Vedutenmaler ist einer der populärsten Künstler überhaupt. Sein fotografisch anmutender Detailreichtum besticht ebenso wie die duftige Sonnigkeit, in die er seine Szenerien getaucht hat. Die Grundfarben von Himmelblau und Meerblau einerseits und des Steins und Ziegels von Gebäuden andererseits – Himmel, Wasser, Stadt – werden gesprenkelt von den bunten Einzelheiten eines lebhaften Alltags, den man tatsächlich mit einer Lupe aufsuchen kann. Daraus, aus dem Wiedererkennbaren im doppelten Sinne (der Bekanntheit Canalettos als Maler und der fotografischen Treue seiner Bilder), gewinnt das Gedicht seine unmittelbare sinnliche Wirkung. Dass es sich in die Einzelheiten nicht auflöst und unerkennbar wird, verdankt es den Zooms zu Beginn und am Ende („vor allem himmel und vor allem wasser / die ganze stadt“ und „vor allem wasser, und vor allem licht“) und der sorgsamen Blickführung, die von der Mole ins Gewirr der Gassen und Kanäle gleitet. Dieses Gedicht ist wirklich wie Äneas, der nach seiner Ankunft in Latium zum ersten Mal über den Kapitolshügel geführt wird und sich die Monumente des schicksalsträchtigen Ortes zeigen lässt, „des einzelnen fröhlich“ – singula laetus, wie Vergils unsterbliche Wortverbindung lautet.14 Was auch heißt, dass in der stanzenhaft-gereimten Geste des Gedichts der Geist der großen epischen Form wieder auflebt, eben als Ekphrasis im ursprünglichen Wortsinn.
Dazu gehört auch, dass das Gedicht gar nicht von einem bestimmten Gemälde Canalettos handelt. Es führt gewissermaßen ein gesteigertes Metagemälde, zusammengesetzt aus vielen Bildern, vor, oder anders gesagt: es setzt das Canalettohafte überhaupt in Szene. Canaletto wird zu einer Welt, die der Dichter und mit ihm der Leser mit allen Sinnen, Auge, Ohr, Geruch, betreten kann. Es behandelt die Bildwelt Canalettos wie eine Wirklichkeit, wie einen kleinen Kosmos – auch darin dem Schild des Achilleus bei Homer verwandt.
Die deutsche Literatur dieser Jahre hat das Glück, dafür auch die Gegenprobe zu erlauben: Es ist ihr möglich, nicht nur Canaletto als Welt zu erfahren, sondern auch umgekehrt einen Ausschnitt unserer Welt ins Canalettohafte zu verwandeln. In seinem Roman Eine lange Nacht, dessen Held ein Frankfurter Kunsthistoriker ist, hat Martin Mosebach im Jahr 2000 dieses umgekehrte Experiment vorgeführt.15 Venedig oder andere „schöne Städte“, so bedenkt der junge Kunsthistoriker, könne man eigentlich gar nicht malen – gerade die größten Künstler der venezianischen Schule, Tizian, Giorgione, Tintoretto und Veronese, hätten sich sorgfältig davor gehütet, es auch nur zu versuchen. „Aber was hatte ein Canaletto, ein Meister seines Fachs, aus Venedig gemacht? (…) Venedig als entzückende Pappendeckel-Theaterdekoration, glasige Bildchen aus der Camera obscura. Etwas Kleinstädtisches, Harmloses lag über allem, entzauberndes achtzehntes Jahrhundert, das Wunder unterm Mikroskop, die Beschwörung der Schönheit als optisches Experiment. Canalettos Venedigansichten versuchten die Stadt zu narkotisieren, mit spitzen Nadeln festzustecken und in Schmetterlingskästen zu sperren. Ohne Reiz war das nicht“, schließt der Kunsthistoriker sein Urteil ab, „aber es war ein bescheidener Reiz, das durfte man bei aller Verehrung für dieses schmückende, heitere Werk doch wohl sagen. Und Canaletto war doch wahrhaftig ein guter Maler.“
Hat Jan Wagner nicht die Narkose für die Länge seines Gedichts aufgehoben? Diese Frage haben wir schon beantwortet. Folgen wir weiter der Gedankenoperation von Mosebachs Kunsthistoriker. Wie wäre es, Canalettos Kunst einmal auf einen nach landläufigen Vorstellungen genuin hässlichen Gegenstand anzuwenden, auf die verschmutzten, nach Bratfett riechenden, mit Krimskramsläden und Pornoshops gefüllten Straßen, die zum Frankfurter Hauptbahnhof führen, zu einer neubarocken, breit hingelagerten wilhelminischen Halle des Verkehrs, und zwar an einem glühend heißen Hochsommertag, an dem ein Backofenwind diese Straßen leergefegt hat? Sein hartes Hellblau, das gleichförmig seine venezianischen Himmel bildet, hätte Canaletto behalten können, so Mosebachs Kunsthistoriker.

Die Straßenbahnschienen wären, wie vom Goldschmied gearbeitet, in einer zarten Krümmung verlaufen, um das Auge nicht durch einen Strich mit dem Lineal zu ermüden. Die Seitenkuppel des Hauptbahnhofs wäre auch in der Ferne noch kostbar skulptiert herausgekommen, als ehrgeiziges prächtiges Bauwerk, dem der Rang einer Basilika inmitten von Hütten und Häuschen zukam. In der Schattenhälfte würde der schmutzige Buntsandstein in tiefem Ochsenblutrot leuchten, schön satte Lehmfarben zögen sich über die Fassaden. Den Krimskrams der Läden und Imbißstuben hätte er rigoros vereinfacht, der Vorspiegler des Detaillismus (…).

Der Kunsthistoriker steigert sich in einen mehrere Seiten währenden Rausch, der einen der hässlichsten Orte der Welt, die Münchner Straße im Frankfurter Bahnhofsviertel, „die aus Spekulantenbauten der Kaiserzeit und der Barackenarchitektur der Nachkriegszeit best(eht), als etwas Phantastisches, als Canalettosche Theaterwelt, als Projektionsspuk und Traumszenerie“ erscheinen lässt. „Der Abschluß der langen hohen Häuserfronten, das Seitenschiff des Hauptbahnhofs mit seinem runden verglasten Sandsteingiebel, hätte jetzt eine südliche Markthalle sein können, in der am Nachmittag nur ein paar zerquetschte Salatblätter und der von Wasserschläuchen nie mehr abzuwaschende Fischgeruch die abgeschlossenen Stände bezeichnen. (…) Das Straßenpflaster wölbt sich leicht wie der Rücken eines Walfischs.“ Daraus wird schließlich der Triumph der Schönheit, die unsichtbar und doch prunkend eine Prozession durch diese von der Hitze entvölkerte Straße halte, so Mosebachs Kunsthistoriker, und das sei mehr, als wenn man sagen könnte: Im Sonnenlicht sei sogar die Münchner Straße „schön“.
Kunst, Welt und Ekphrasis tauschen in diesen übersteigerten Reflexionen ihre Plätze. Die Malerei entbindet eine Sprache, die zu neuem Sehen, ja zu einer regelrechten Verwandlung der Wirklichkeit führt – das ist die jüngste Wendung in der nun schon 250 oder auch 2.500 Jahre währenden Geschichte des Grenzverkehrs zwischen Malerei und Poesie. Es ist also keineswegs ein Zufall, dass Jan Wagners Lyrik der epischen, erzählerischen Form bisher noch nie so nahe kam wie in seinen ekphrastischen Stanzen „nach canaletto“. Sollten diese Stanzen in einer letzten Grenzüberschreitung nicht selbst ins Bild eingehen und irgendwo an einem Kanalufer im Wechsel von zwei winzigen Gondelsängern mit zarten, aber durchdringenden Stimmen gesungen werden, mit verplätschernden Echos, in denen der slant rhyme seinen Ursprung enthüllt?

Gustav Seibt, aus Text+Kritik: Jan Wagner – Heft 210, edition text + kritik, März 2016

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