H.C. Artmann: Das poetische Werk – Zimt & Zauber

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von H.C. Artmann: Das poetische Werk – Zimt & Zauber

Artmann-Das poetische Werk – Zimt & Zauber

NEUN HAIKAI

um die treibhäuser
aller gärtner im frühjahr:
plast und metallmüll.

hier welkt der flieder
schon aus seinen knospen braun;
kein wort von lila.

montag, wenn jasmin
aus abgenagten stiften
modrig hervorwächst.

dienstag, ein bißchen
blauverwaschene stimmung
über dem schreibtisch.

mittwoch, weniger
idealismus im leib
als ideen im kopf

donnerstag, fliegen
auf meinen manuskripten
und eine motte.

freitag, eine frau
mit der verhatschten syntax
doofer gedichte

sonnabend, blätter
neben der tippmaschine,
die eben verreckt.

domingo, dimanche,
domenica, sunnantac;
morgen ist montag.

 

 

 

Ich betrachte die folgenden texte…

Ich betrachte die folgenden texte als bloße inhaltsverzeichnisse für den leser, als literarisierte inhaltsverzeichnisse freilich; als anhaltspunkte und als ideen für noch nicht existierende, erst in der vorstellung sich vollziehende gegebenheiten. Ich versuche mich also praktisch in ausgriffen auf die zukunft. Ein inhaltsverzeichnis weist auf etwas hin, das erst zu realisieren wäre: es ist ein vorentwurf, und ein solcher befaßt sich mit der zukunft.
Mit diesen texten soll ein weg, eine methode gefunden werden, um von der engen und allgegenwärtigen vergangenheit, wie sie da in der literatur als abgehalfterter Ahasver herumgeistert, wegzukommen. Hiermit soll der sehnsucht nach einer besseren vergangenheit entgegengetreten werden; wehmütiges sicherinnern ist fruchtlos, ein abgestorbner kirschbaum, der sich nie mehr beblättern wird. Wohl bin ich romantiker – aber war nicht jede romantik von etwas erfüllt, das uns hin und wieder gegen ende des winters gleich einer noch unrealen frühlingsbrise überfällt?
Auch die konventionelle science-fiction ist meist nichts anderes als in die zukunft projizierte vergangenheit (kenntlich allein schon am imperfektstil), obendrein dominiert der vergangenheitscharakter jedenfalls eindeutig in ihr.
Warum inhaltsverzeichnis? Warum so viel unausgeführtes? Warum nur angedeutetes? Warum nur versprechungen? – Warum denn nicht? Eine eindeutige antwort soll nicht gegeben werden, weil sprache festlegt; jeder leser mag jedoch für sich herausfinden, was diese texte ihm persönlich an möglichkeiten anbieten.
Auf die frage, welche von diesen möglichkeiten mir selbst am meisten am herzen liegen, kann ich nur antworten: jene, die in die westliche, in die atlantische richtung weisen, jene abenteuer, die ich bei der lektüre der fragmentarischen altirischen dichtung er-lebte, durch-lebte und noch heute weiter-lebe.

H.C. Artmann, aus: Unter der Bedeckung eines Hutes, Residenz Verlag, 1974

 

Editorische Notiz

Es waren 16 Haiku, die im Manuskripte-Heft zu Alfred Kolleritschs 50. Geburtstag gedruckt wurden. Sieben davon wurden in die Sammlung nachtwindschnur übernommen und zwar die Nummern 4, 5, 6, 7, 9, 10 und 12.
Die Gedichte aus Vier Scharniere mit Zunge sind H.C. Artmanns Beiträge zu einer Renshi-Kettendichtung, an der sich außerderdem Makoto Ooka, Oskar Pastior und Shuntaro Tanikawa, sowie die Übersetzer Hiroomi Fukuzawa und Eduard Klopfenstein beteiligten.
Die Sammlungen das prahlen des urwaldes im dschungel, nachtwindsucher, album und st. achatz am waldeein holzrausch wurden jeweils vollständig nach den Erstausgaben chronologisch gedruckt.
Den Band beschließen drei Gedichte aus dem noch nicht beendeten Zyklus gedichte aus dem botanischen garten.
Die Entstehungsdaten der Gedichte finden sich im Inhaltsverzeichnis.

Rainer Verlag und Verlag Klaus G. Renner

Editorische Notiz der Verleger

Die Idee zu einer mehrbändigen, aufgegliederten Ausgabe des damals schon auffällig vielschichtigen poetischen Œuvres von H.C. Artmann in der „Kleinen Reihe“ des Rainer Verlages – naheliegend erschien es damals – entstand 1967. Sie wurde – wie die meisten „Ideen“ von Verlegern – aufgrund dieser und jener Entwicklung (des Autors, seiner ständigen Wohnwechsel, des kleinen Verlages und seiner Probleme) ad acta gelegt, eigentlich aber nie aus dem Gedächtnis entlassen.
1969 erschien die von Gerald Bisinger mit Liebe und Fleiß betreute Sammlung Ein lilienweißer Brief aus Lincolnshire im Suhrkamp Verlag. 1978 auch in Taschenbuchform, die bis dahin vollständigste Zusammenstellung der Gedichte, welche bis heute Gültigkeit und Wirksamkeit erlangt hat.
Viele Jahre später, im Herbst 1991 also – was im Durcheinander der Frankfurter Buchmesse nicht möglich – nämlich bei einem Besuch der Renners bei Rainers im ungarischen Fünfkirchen, gerät diese „Idee“ wieder ins Blickfeld: ein mehrbändiges Werk, verteilt auf zwei Schultern.
Salzburg, Wohnort des H.C., liegt zwischen Fünfkirchen und München, zwischen Rainer und Renner. H.C. gibt also wenige Tage später sein Placet, bekundet Wohlwollen, avisiert gar seine Mitwirkung. Auch Klaus Reichert in Frankfurt am Main – nobilder und aufrechter Herausgeber vieler Werke H.C.s – wird sofort gewonnen.
1992 – Klaus Reichert hat seine nicht mühelose Arbeit angefangen, fortgeführt und mit H.C. abgestimmt – die, von den Verlegern übernommen, die Bandzahl der Gesamtausgabe auf zehn Stück (ursprünglich acht) ausgeweitet bzw. begrenzt. Die redaktionelle Arbeit des Herausgebers und des Autors ist vorläufig abgeschlossen.
Im Sommer 1993 beginnen Pretzell und Renner unter Nutzung der typographischen Vielfalt einer 1992 erworbenen leistungsfähigen Photosatz-Maschine die Ausführung der ersten Bände.
Frühjahr 1994 – Beendigung der Satzarbeiten. Die Drucklegung kann beginnen…

Klaus G. Renner und Rainer Pretzell, Nachwort

 

Beiträge zur Gesamtausgabe: Das poetische Werk

Fitzgerald Kusz: Kuppler und Zuhälter der Worte
Die Weltwoche, 18.8.1994

Andreas Breitenstein: Die Vergrößerung des Sternenhimmels
Neue Zürcher Zeitung, 14.10.1994

Thomas Rothschild: Die Schönheit liegt in der Abwesenheit von Nützlichkeit
Badische Zeitung, 15.10.1994

Franz Schuh: Weltmeister jedweder Magie
Die Zeit, 2.12.1994

Albrecht Kloepfer: Hänschen soll Goethe werden
Der Tagesspiegel, 25./26.12.1994

Karl Riha: Wer dichten kann, ist dichtersmann
Frankfurter Rundschau, 6.1.1995

Christina Weiss: worte treiben unzucht miteinander
Die Woche, 3.2.1995

Dorothea Baumer: Großer Verwandler
Süddeutsche Zeitung, 27./28.5.1995

Armin M.M. Huttenlocher: Narr am Hofe des Geistes
Der Freitag, 25.8.1995

Jochen Jung: Das Losungswort
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.12.1995

 

Das hobson-jobson’sche im Werke H.C. Artmanns

Vielen Dank Herr Prof. Greisenegger für die einführenden Worte und guten Tag meine Damen und Herren…
ich möchte heute H.C. Artmann und sein Werk mit einer ganz bestimmten Gattung der europäischen Literatur in Beziehung setzen: und zwar mit Wörterbüchern. Die Begeisterung für Wörterbücher war etwas, das mich mit H.C. über die Jahre sehr verbunden hat und bevor ich Ihnen mehr darüber erzähle, möchte ich einen Blick auf die Jugendjahre H.C.s werfen.
Es wird oft erwähnt, daß H.C. bereits mit ungefähr 14 Jahren Detektivgeschichten unter dem Namen John Hamilton schrieb, und diese unter seinen Schulkameraden verteilte.
Und etwa zur selben Zeit begann er mit Hilfe von Grammatiken, die er von einem Onkel bekommen hatte, mit seinen autodidaktischen Sprachstudien.
Diese Geschichten sind schön, aber ein Neider hätte vielleicht meinen können, daß er ein Streber war, oder vor seinen Mitschülern unbedingt brillieren wollte – und daher bin ich froh, daß H.C. mir noch ein paar andere Geschichten erzählt hat, die ein anderes Licht auf seine frühe Beschäftigung mit Sprache und Wörtern werfen. So erzählte er mir zum Beispiel, wie er als junger Bub in Wien stundenlang indische Briefmarken in der Auslage eines Ladens studierte.

-> ERSTES OVERHEAD
Hier sehen sie eine schöne indische Briefmarke aus dem 19ten Jahrhundert, wie H.C. sie damals vielleicht im Schaufenster gesehen hat.

 

 

 

 

 

 

-> ZWEITES OVERHEAD
und hier eine andere, jetzt aus den 30ern, wohlgemerkt nicht nur in Englisch, sondern auch in Hindi…

 

 

 

 

 

-> DRITTES OVERHEAD
und weil die letzte Marke etwas kompliziert war, möchte ich Ihnen eine Briefmarke späteren Datums zeigen, in der die Schrift besser zu lesen ist. Und darum geht es jetzt…

 

 

 

 

 

Solch eine Briefmarke hatte H.C. gesehen und er erzählte, daß er die Devanagari-Schrift, das heißt, die Zeichen der indischen Schrift, nachmalte und sie anhand der darunterstehenden lateinischen Buchstaben zu entziffern versuchte. Wie er freilich zugab, war seine Methode etwas fehlerhaft: die Devanagari-Schrift steht für „Bharat“, der Hindi Name Indiens, und nicht für „India“, wie auf der Briefmarke zu lesen ist. Aber was mir an dieser Geschichte besonders gefällt, ist, daß sie zeigt wie H.C. sich nicht nur als Autor von Detektivgeschichten sah, sondern daß er sozusagen als Detektiv im eigenen Auftrag arbeitete. Und mag seine Übersetzung der Devanageri-Schrift etwas fehlerhaft gewesen sein, so, erzählte er, bildete die Schrift immerhin die Basis für die Geheimschrift die er in seinem Tagebuch benutzte.
Noch weiteren Stoff für seine Dechiffrierarbeit bekam H.C., wie er mir erzählte, als ihm seine Mutter ein ganz besonderes Buch zum 14. Geburtstag schenkte: The Gospel in Many Tongues, von der British and Foreign Bible Society, in dem ein Bibelsatz „Denn also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab“ in 665 Sprachen, mitsamt den Schriften, übersetzt stand. Man kann sich schön vorstellen, wie er sich daran ergötzt haben muß.
Artmanns Faszination für Sprachen hörte nie auf. Wie die Nadel eines Kompaß wurde er magnetisch vom Fremden, vom Anderen angezogen. Bei meinen Besuchen bei H.C., anfangs um Übersetzungsprobleme zu diskutieren, später aus tiefer Freundschaft, habe ich immer wieder über seine abstruse Lektüre staunen müssen. Auf seinem Schreibtisch lagen Werke wie das Goddodin – ein frühwalisisches Epos des 7ten Jahrhunderts, oder ein Hottentot Lexikon, oder ein Assyrisches Wörterbuch. Solche Werke waren gleichzeitig Werkzeug und Inspiration für ihn, wie z.B. Terebelskys Vollständiges Handbuch der Böhmischen Sprache von 1853, das den Montagen von H.C. und Konrad Bayer zugrunde liegt. Oder die armenischen und tibetischen Wörterbücher, mit deren Hilfe er später eigene Dialekte erfand und in seine Erzählungen einbaute – ich denke dabei an das Tibetische in Tök ph’rong süleng oder das Transylvanische in Drakula Drakula. Er amüsierte sich köstlich über die Verzweiflung die seine Erfindungen bei den Spachforschern auslöste, die versuchten die benutzten Quellen ausfindig zu machen.
Auch ich bin ein Liebhaber von Wörterbüchern und von einer Reise aus Nepal, brachte ich H.C. den Hobson-Jobson mit, ein Wörterbuch, das gerade neu aufgelegt worden war.
Ich wußte, daß es ihm gefallen würde, aber das Ausmaß der Begeisterung H.C.s hätte ich nicht erwartet. In den darauffolgenden Jahren konnte ich ihn kaum besuchen, ohne daß das Buch immer wieder konsultiert wurde. Er empfahl es seinen Freunden, und während eines sehr langen Aufenthaltes im Krankenhaus hatte er, wie ich später von ihm erfuhr, das Lexikon ständig bei sich auf seinem Nachtisch liegen – als Rettungsanker, wie er sagte. Was könnte das denn für ein Buch sein?
Veröffentlicht wurde das 1000-seitige Werk, mit dem Untertitel A glossary of colloquial Anglo-Indian words and phrases, bereits 1886. Zusammengestellt wurde es von Sir Henry Yule, seines Zeichens Marco Polo Übersetzer und Forscher, und Arthur Burnell, Richter in Südindien und Sanskrit Gelehrter. Also, zwei wohlsituierte Gentlemen, die fasziniert waren von diesen Wörtern, die sie als „organische Überbleibsel“ bezeichneten, die „von den verschiedenen Strömungen äußerer Einflüsse hinterlassen wurden, die während zwanzig oder mehr Jahrhunderten die Gestaden Indiens überspült haben“.
Daraus entstand Anglo-Indian, die Sprache der Briten in Indien, die sie unter sich und mit den Einheimischen verwendeten. Die Zahl der Fremdsprachen die darin einmündeten, sind fast so zahlreich wie die in The Gospel in Many Tongues: Hindi, Urdu, Marathi, Persisch, Chinesisch, Portugiesisch usw. und so fort. Viele Wörter, die wir im Hobson-Jobson finden, sind hier in Europa noch geläufig, z.B. Khaki, Teakholz, Rattan, Punsch, Mandarin (aus dem Portugiesischen!!), Artischocke, Chintz usw.. Für solche Worte ist das Buch eine etymologische Fundgrube. Aber eine Wunderkammer wird an den Stellen daraus, an denen die Wörter nicht nur einfach importiert wurden, sondern an die akustischen Gegebenheiten der neuen Sprache – in diesem Falle Englisch – angeglichen wurden. Der Titel des Buches – Hobson-Jobson – ist ein Beispiel dafür:
Das Wort Hobson-Jobson ist eine anglo-indische Bezeichnung für ein Spektakel oder eine feierliche Aufregung unter den Einheimischen, und kommt von der Beobachtung der moslemischen Muhárrám Zeremonie. Dabei ziehen lange Prozessionen von Pilgern durch die Straßen, schlagen sich auf die Brust, und schreien zum Gedenken die Namen von Mohmades Enkeln, die im Heiligen Krieg starben: Ya Hasan! Ya Hosain! Mit einer ungeheuren Sorgfalt zeigen Yule und Burnell die Verwandlung dieses Ausrufes über dreieinhalb Jahrhunderte an 17 Beispielen – von Vah Hussein! sciah Hussein (Italian, 1618), über Hosseen Gosseen (England, 1673 – hier bereits als eine allgemeine Bezeichnung für solche lärmreiche Festivitäten verwendet), bis schließlich 1829 the Oriental Sporting Magazine endgültig Hobson-Jobson schrieb.
Das Wort Hobson Jobson klingt zwar sehr englisch, hat aber keine eigentliche Bedeutung. Anders verhält es sich aber bei vielen anderen Worten in dem Buch: Isle o’ bats (Fledermausinsel) war ein anglo-indischer Name für Allahbad oder Ilahabaz; die Insel Shang-Chuang auf welcher der Heilige Francis Xavier starb wurde St. Johns; und man sieht wieviel Fantasie im Spiel ist, wenn sich das portugiesische Wort für Cholera, „mordexim“, langsam in Mort-de-chien (Hundetot) verwandelt, komplett mit falscher französischer Etymologie. Diese systematische Korruption läßt sich vermutlich in allen Sprachen entdecken: das bekannteste Beispiel in der Deutschen Sprache ist das Wort Hängematte, dessen Ursprünge in dem westindischen Wort Hamac liegen, und nichts mit hängen und Matte zu tun haben.
Für mich ist es völlig klar, daß ein Dichter mit einem so starken historischen Bewußtsein für Sprachen und Worte wie H.C. sich für diese Recherchen einfach begeistern mußte. Und daß er eine starke philologische Bestätigung für seine poetische Arbeit in dem Buch fand. Ganz abgesehen von seiner Anglophilie, seinem Hang zum Anachronistischen und Abstrusen, und seiner Liebe für rechtschaffende Burschen und klarumrissene Typen, wie die Wallahs und Pukka Sahibs und Offiziersfrauen und sogar Kannibalen die überall in Hobson-Jobson vorkommen.
Das Poetische läßt sich in der Tat auf fast jeder Seite von Hobson-Jobson finden. Nicht nur in den vielen Gedichten, die zitiert werden, die, ganz im Geiste von H.C.s Arbeiten, keinen Unterschied zwischen ,high‘ and ,low culture‘ zulassen: also: Knittelverse, neben Gedichten von Knastvögeln und Hindi-Reime, neben Versen von Erasmus Darwin und Perlen der Barockpoesie.
Poetisches läßt sich sogar in Definitionen finden, wie z.B. bei „zircon“, ein Edelstein dessen Name sich von dem Spanischen zarca „eine Frau mit blauen Augen“, herleiten läßt. Oder in Fragmenten, wie die Geschichte, die unter dem Stichwort ,Pyjamas‘ erzählt wird, in der ein Gentleman seinen Schneider kurz vor Antritt einer Reise nach Indien besucht, und fragt warum seine neuen Pyjamas Füße hätten. Darauf antwortet der Schneider: „I believe, Sir, it is because of the White Ants“. Ein Fragment das gleichzeitig ein enigmatisches Ganzes bildet, und mich daran erinnert wie genial H.C. ein Romankapitel auf ein paar Wörter reduzieren konnte. Und mich sogar an die Concetti und Greguerías erinnert, die er Anfang der 50er Jahre komponierte.
Aber das Poetische liegt vor allem in den Wörtern selbst. Worte, die in Hobson-Jobson als Drehpunkte zwischen Sprachgebrauch und Erfahrungswelten gezeigt werden.
Wir lesen nicht bloß Definitionen mit historischem Beiwerk, sondern Beschreibungen vom Werdegang und Umgang der Wörter, und die Facetten der Welten, in denen sie sich bewegen. Wörter werden in ihrer ganzen Potenz und mit ihrem ganzen Potential präsentiert, wie sie vor der changierenden Kulisse der anglo-indischen Erfahrungswelt agierten.
Dazu paßt das was H.C. 1967 bei den Literarischen Colloquium in Berlin sagte:

Worte haben eine bestimmte magnetische Masse, die gegenseitig nach Regeln anziehend wirkt, sie sind gleichsam „Sexuell“, sie zeugen miteinander, sie treiben Unzucht miteinander, sie üben Magie, die über mich hinweggeht, sie besitzen Augen, Facettenaugen wie Käfer und schauen mich unaufhörlich und aus allen Winkeln an. Ich bin Kuppler und Zuhälter von Worten und biete das Bett…

Das Bett das er bietet ist aber so voller Überraschungen wie die Lebenswelten, denen wir in Hobson-Jobson begegnen. Systematisch wie ein Wörterbuch, wie ein Sammler, baute H.C. seine eigenen Systeme auf – um sie immer wieder durch Brechungen zu unterminieren, oder besser gesagt: in neue Bewegung zu bringen. Ich denke dabei an einen Zyklus wie Persischen Quatrainen, beim ersten Blick eine Hommage an Hafis oder Omar Khayam. Aber H.C. erzählte mir, daß er sie so geschrieben hat, als wäre er der berühmte Rubaiyat Übersetzer Edward Fitzgerald, aber eben als wäre Fitzgerald ein Deutscher. Das Schillernde wird immer wieder bewußt durch neue Begegnungen von Welten und Worten heraufbeschworen. Oder in dem Text „Tök ph’rong süleng“, wo mir klar wurde, daß der klassische Stoff einer Werwolfgeschichte im Stil Lord Dunsanays geschrieben worden war. Aber ebenfalls auf Deutsch. Solche Brechungen sind natürlich nicht direkt in Hobson-Jobson zu finden. Aber die sind überall in dem Sammelsurium von Worten, die wir eine Sprache nennen, sei es Anglo-Indisch, oder die Sprachwelten die H.C. ins Leben rief.
H.C. verstand sich nicht als jemand der einfach – wenn das überhaupt einfach sein kann – Gedichte schreibt. Spätestens mit seiner „Acht-Punkte-Proklamation des poetischen Aktes“ von 1953 wurde klar, daß es für ihn bei der Poesie um Haltung, Lebensformen, Lebensweisen geht. Und wenn ich zurück zu meinen anfänglichen Gedanken über den jungen H.C. komme, verstehe ich auch, warum ich gerade den Briefmarkenforscher H.C. so interessant finde. Zwar war der Krimiautor John Hamilton eine von H.C.s ersten literarischen Personen oder Masken, wie er sie überall in seinen Werken aufgesetzt hat. Aber als Detektiv vor dem Briefmarkenladen zog er die Maske des Under-cover Agents an. Er arbeitete unbemerkt, im eigenen Auftrag, und unbeeinflußt von außen. Und als Lebensform war das für den werdenden Dichter sehr aufschlußreich. Wie ein Lexikograph mußte er systematisch arbeiten, und womöglich schulte er hier seine fabelhafte Beobachtungsgabe. Und die hatte H.C. sein Leben lang: Mehr noch, er konnte in die Haut Anderer fahren – wie er selbst sagte – und darin aufgehen. Das habe ich immer wieder bei ihm gesehen, gerade im Alltag. Kleinigkeiten, Fragmente, eine Physiognomie, oder der Klang einer Stimme, erzählten ihm Bände. Dinge in seiner Umgebung wie Speisekarten, Straßenschilder, oder ein Gebäude wie z.B. in London, wo Aleister Crowley einst wohnte, konnten ihn minutenlang fesseln. Und Wörter, wie eben aus Hobson-Jobson, konnte er über seinen Gaumen hin und her rollen lassen, wie die Tropfen eines kostbaren Weines…
Die Maske des jungen Detektivs – mit allem was dazugehörte, wie die Kenntnis von Fremdsprachen und die Beherrschung von Geheimschriften – erlaubte ihm neue Richtungen einzuschlagen, neue Welten selbst zu entdecken und auch neu zu erfinden.
Dies zeigt wiederum etwas, daß man allzu schnell vergißt: daß eine Maske nicht bloß Tarnung sein muß, ein Mittel um sich zu verstecken, sondern auch und vor allem bei H.C. etwas Beflügelndes hat, auf Englisch würden wir ,empowering‘ sagen, das Ungeahntes möglich macht. Der eigene Enthusiasmus wird potenziert, ein Teil vom Ich wird ausgeschaltet, damit andere, neue Welten erschlossen werden können:
Welten die bei H.C. nicht bloß Zufluchtsorte sind, nicht Zerrspiegel, sondern so voller Potential sind, wie das Leben selbst, und an denen wir uns laben und uns erquicken können, wenn die Möglichkeit unseres Alltags zu beschränkt zu sein scheinen. Ein Alltag aber – wie vielleicht in der heutigen Zeit immer klarer wird – in der wir uns immer neu erfinden müssen, an den wir uns immer neu oktroyieren müssen. H.C. zeigt uns all dies und damit erfüllt er für mich eine der höchsten Möglichkeiten der Poesie.

Malcolm Green, manuskripte, Heft 153, 2001

Augustinergasse 8 – Schwarzgrabenweg 3 – Schönborngasse 19

Er war ein Dichter, und unter den Dichtern war er ein Ariel. Ein Luftgeist.
Er war großgewachsen, schlank und von aufrechter Haltung. Entsprechend war auch sein Gang, und so kam er mir im Frühjahr 1974 aus dem Gartenhaus im hinteren Bereich des Hauses Augustinergasse 8 in Mülln entgegen, wo er damals mit seiner Frau Rosa Pock lebte, die dann Artmann hieß und sich später wieder Rosa Pock nannte, als sie selbst eine Dichterin geworden war.
Er hatte die Bitte des unbekannten Lektors aus dem unbekannten Heinz Moos Verlag sofort akzeptiert: Ich wolle dann und dann am Nachmittag mit dem Verlagsauto nach Salzburg kommen, hatte ich am Telefon gesagt, ihm einen Vorschlag machen, den er nicht ablehnen werde, und am Abend wieder nach München zurückfahren.
So ganz unbekannt war ich ihm allerdings doch nicht: Etwa ein Jahr zuvor war ich zu einer Veranstaltung des Residenz Verlags gegangen, die in dem Schwabinger Lokal Meine Schwester und ich stattfand – damals der angesagte Platz für sowas. Ich, mehr literarisch als politisch interessiert und Leser durch und durch, freute mich sehr auf diesen Abend mit den „Individualanarchisten austriakischer Prägung“, wie Artmann Eisendle, Rosei und sich später einmal nannte, deren Literatur naturgemäß politisch war, weil damals alles politisch war, ansonsten aber entschieden literarischer als das Gros der bundesrepublikanischen. Rosei war auch an diesem Abend dabei, zudem Schutting und H.C. Artmann als der Star. Das Haus war voll, das Publikum zufrieden und der Abend ein Erfolg für den Verlag, der gerade dabei war, sich vom österreichischen Geheimtipp zur Erfolgsadresse zu wandeln.
Ich war neben Barbara Wehr gesessen, die viele Jahre eine inspirierende Freundin Artmanns gewesen ist, und hatte mich gut mit ihr verstanden. Als gegen Mitternacht Gertrud Frank, die richtungweisende Lektorin des Verlags, die den Abend auch moderiert hatte (sie starb nur wenige Monate danach, und nie wäre ich an jenem Abend auf die Idee gekommen, ich könnte ihr Nachfolger werden), einen Hundert-Mark-Schein schwenkend kam und sagte, Wolfgang Schaffler sei gegangen, wir sollten aber weiterfeiern, da blieb ich in der munteren Runde, und als auch die sich auflöste, forderte Artmann mich auf, noch mit in die nahegelegene Wohnung Barbara Wehrs zu gehen, da sei noch eine Flasche, die getrunken werden wolle.
Kann man sich vorstellen, wie „erfüllt“ ich an jenem Morgen nach Hause ging? Wie ratlos begeistert ich davon war, dass sie mich einfach mitgenommen hatten? Wie aufregend ich von da an jede keltische Sprachwurzel fand? Und wie ich seither Artmanns Gedichte, die mich lange schon hingerissen hatten, nun auch liebte?
Artmann erinnerte sich an jenem Nachmittag in der Augustinergasse, ich sah es seinem Blick an, er sprach aber nicht davon. Ich hingegen packte meine Idee aus: einen Stapel Neuruppiner Bilderbögen, A2-große Plakatbögen aus dem 19. Jahrhundert, auf denen in „Comic“-Form aufs Schönste und Naivste „Märchen, Sagen und Geschichten“ erzählt wurden, das meiste darunter von den Brüdern Grimm, manches aus entlegenen Quellen. Es sollte ein großformatiges Buch werden – und wurde es auch –, wo rechts die Bilderbögen und links eine Variante des Themas von einem zeitgenössischen Autor stehen sollten, und siehe da: die Idee gefiel. Ich hatte schon auf dem Weg nach Salzburg in Bayrisch-Gmain Station gemacht und dort Ilse Aichinger besucht. Ich erinnere mich an ein Haus mit großen Fenstern und einem großen Tisch in einem großen Zimmer, wo ich vor der zarten, aber bestimmten Dichterin meine Schätze nicht ohne Erfolg ausgebreitet hatte.
Artmann suchte sich die unbekannte Geschichte eines Flötenspielers aus – nicht aus Hameln, aber auch verführerisch –, wir saßen mit der schwangeren Rosa zu dritt und redeten aufs Munterste in Begleitung einiger Gläser, als ich ihn fragte, ob es denn in Salzburg nicht noch andere Autoren gebe, die an solch einer Aufgabe Vergnügen hätten, und Artmann sagte sofort: der Gläserne. Und schilderte mir verlockend, wer (der mir damals noch unbekannte) Gerhard Amanshauser sei. Und dass er ihn sofort anrufen werde, auf dass der sein verwunschenes Haus am Mönchsberg verlasse und sich zu uns geselle. Der Gläserne jedoch fühlte sich fiebrig und bat, wir möchten doch zu ihm hinaufkommen, und nachdem Rosa mir ohne Umstände eine Schlafmöglichkeit angeboten hatte – ich sah ja, dass an dem Abend kein Rückfahren mehr möglich sein würde, sah die Angelegenheit aber als förderlich für das Projekt und also den Verlag –, bestiegen Artmann und ich den Berg.
Der Gläserne, bekannt für seine Kopfstände, wie ich später bezeugen konnte, und seine scharfzüngigen Bemerkungen, wie ich noch am selben Abend registrierte, holte die von uns schon getrunkenen Gläser in Windeseile nach – die Art, den Wein gleichsam barrierefrei in sich hineinfließen zu lassen, übertraf unter den Autoren später nur Gert Jonke, wenn auch auf weniger lustige Weise. Artmann hingegen trank einfach stetig und gründlich weiter und ich haltlos beseligt. Im Laufe des Abends hatte H.C. Artmann mir das Du-Wort angetragen und Amanshauser schloss sich an: Es war für mich wie ein Ritterschlag, und ich gestehe, dass mich seither das Gefühl, Mitglied einer Tafelrunde zu sein, nie mehr verlassen hat.
Derart geadelt stand ich am nächsten Morgen auf, versuchte mich wieder zu orientieren, stieg in meine Hose und tat es so, dass ich – gewiss längst noch nicht nüchtern –, derart in das zweite Hosenbein fuhr, dass ich fiel und dabei meinen Hosenreißverschluss so ruinierte, dass ich die Hand vorm Schlitz an Rosas schön gedeckten Frühstückstisch treten musste – der Hausherr schlief sich aus – und sofort Opfer eines Lachanfalls und Zeuge ihrer (in solchen Dingen jedenfalls) schönen Unkompliziertheit wurde.
Kann man sich vorstellen, wie beschenkt ich mich fühlte und wie mein Chef mich anfuhr, bei dem ich mich nicht abgemeldet hatte und der das Auto dringend für seine Bankgeschäfte brauchte? Aber, beschenkt, wie ich mich fühlte – was scherte das mich!

Ich hatte mich von HC, wie ich nun sagen und denken durfte – ein Privileg, das ich, wie ich bald merkte, mit der halben Welt teilte –, nicht verabschieden können. Auch als ich mich auf meinen Weg machte, schlief er noch, und das war gerecht. Also blieb er mir als der im Kopf, als den ich ihn damals und noch so oft erlebte: den Schlanken, Hochgereckten, die Szene Bestimmenden (weshalb etwa in Gesellschaft von Peter Handke in dessen Salzburger Zeit immer beide schwächelten), der auch in der Unterhaltung ständig bewies, dass alles, was er sprach, in erster Linie Sprache war. Es war alles Pointe, Witz, Einfall, selten etwas Botschaft, Mitteilung. Auch die Zuwendung zu anderen war eher Feuerwerk als Kerzenlicht. Aber geistreich und hell war es um Ariel immer. Es war Selbstgenuss und Geselligkeit zugleich, zusammengebunden im Zauber des Augenblicks.
Was nicht bedeutet, dass neben Sympathien nicht auch Antipathien ihren Ausdruck fanden: Als 1982 die Argentinier die Falklandinseln zu kassieren versuchten und diese Angelegenheit in einer heiteren Runde im Salzburger Lokal Zum fidelen Affen diskutiert wurde (oder jedenfalls beredet), machte HC sein gerades Kreuz noch gerader und zischte nur „diese Tangojünglinge, ich würde am liebsten runterfliegen und denen mit diesem Messer“ – er griff sich eins vom Tisch – „zeigen, was Sache ist. Britain forever!“

Ich war für ein Vierteljahrhundert Artmann-Lektor, das heißt, ich war derjenige, wie er gerne sagte, der die paar fehlenden Kommas in seinen Texten nachzutragen hatte. Viel mehr war aber tatsächlich nicht zu machen. Was er – nach geheimnisvoller Kopfarbeit – in seine alte Olympia klopfte, stand, einwandfrei.
Allerdings, als ich im Februar 1975 in den Residenz Verlag kam, wurde mir schon in den ersten Tagen ein Packen Fahnen ausgehändigt: Es waren einzelne Kapitel eines neuen Artmann-Buches, deklariert als Roman, über eine Figur namens Dr. U. (vulgo Unspeakable), Kapitel, für die der Autor selbst keinen rechten Zusammenhang mehr fand und die seit Monaten unfertig dalagen. Ich sollte eine Lösung versuchen. Und fand sie, weniger genial als praktisch, indem ich die Kapitel neu gruppierte und eine Rahmenerzählung dafür entwarf, die den Dichter wieder in Schwung brachte. In wenigen Wochen war das Buch fertig.
Zum Glück. Denn Artmann war längst wieder beim Reimen angekommen und schrieb Balladen, die er in seiner Botanisiertrommel sammelte: Verwunschenes, Heroisches, Neckisches, Inniges, es war ein literarisches Kostümfest, das dem Dichter und seinen Gesellen großes Vergnügen machte (nicht aber Peter Handke, dem wir vergeblich nahezulegen versuchten, Artmann endlich den Petrarca-Preis zu geben, auf keinen passe er besser: er wollte aber nicht). Jedes Mal, wenn wieder eine Handvoll Gereimtes gelungen war, kam HC in den Verlag (damals noch in der Imbergstraße in einer Holzbauer-Notlösung der genialen Art) und legte sie wie einen Strauß Trockenblumen dem Verleger und seinem Lektor auf den Tisch, und alle freuten sich sehr. Für meinen Klappentext zur Botanisiertrommel wollte HC mich „abbusseln“, ein Ansinnen, das dem Österreichnovizen nicht gleich einleuchtete; dann aber schon.
Zuletzt bestand meine Lektoratsarbeit mit ihm in erster und schönster Linie darin, auf seinen Anruf „Ich bin fertig!“ umgehend in den Schwarzgrabenweg zu fahren und dem – man will es kaum glauben, es war aber so – unsicheren Dichter seine eigenen Texte vorzulesen und ihm aufrichtig zu versichern: HC, das ist so wunderbar, es bricht einem das Herz. – Ist das dein Ernst? – Mehr als das.
Das Haus im Schwarzgrabenweg war eher ein Häuschen. Keineswegs hässlich, stand es zusammen mit einem zweiten, in dem die Eigentümer mit einem scharfen Hund wohnten, und doch für sich auf einer Wiese mit freiem Blick auf den Untersberg unweit eines Bachs, der durchs Moos zieht. Es gab ein unteres und ein oberes Stockwerk – die Dame mit Kind Emily Griseldis unten, der Herr oben –, rechterhand war eine Art Schuppen aus Holz ans Haus gelehnt, und linkerhand standen Obstbäume, unter denen es sich im Sommer wunderbar sitzen ließ.

Gegen Ende des Jahrhunderts wurde Artmann krank, und nachdem er seine Ärzte in Wien hatte, stellte Ulrich Schulenburg ihm eine Wohnung in der Schönborngasse zur Verfügung, in der der Dichter anfangs vorübergehend und dann endgültig für die letzten Jahre sein Quartier hatte. Gelegentlich schaute Rosa im Schwarzgrabenweg vorbei, in dem ja nach wie vor die Möbel und Bücher standen (die nach Artmanns Tod im Jahre des Herrn 2000 geschlossen an die Wien-Bibliothek verkauft wurden). Später überließ sie die Wohnung Adrian Brauer, genannt Slatko, Handkes ständigem Begleiter auf dessen Serbienfahrten. Gelegenheitsmaler, der er war, hatte er sich im Schuppen ein Atelier eingerichtet und fertigte dort unter anderem Dichterporträts an.
Einen Artmann habe ich, von Handke mehr oder weniger darum gebeten, für den Residenz Verlag aus der Portokassa angekauft, damit Slatko auf der nächsten Serbienreise mit seinem Auto dabei sein konnte, für die Herren des Bundesverlags hinterher ein schöner Grund, auch damit meine Geschäftsunfähigkeit nachweisen zu können. Erfreulicher war hingegen die kleine Nachfeier anlässlich der Verleihung des Ehrendoktors der Universität Salzburg an Peter Handke (Artmann hatte diese Auszeichnung schon Jahre zuvor erhalten, übrigens auf Anregung meiner Frau). Sie fand auf der Schwarzgraben-Wiese neben dem Schuppen statt, wo Slatko für eine Handvoll Leute an einem offenen Grill eine Unmenge Cevapcici und Raznjici briet, die wir uns mit viel Wein schmecken ließen. Der Tag klang dann wieder in größerer Runde beim Schlosswirt in Anif aus, wo ich das erste Mal mit Peter Handke über Jesus geredet habe – das ist jetzt aber ein ganz anderes Thema.
Kann man sich vorstellen, wie wohl sich jemand wie H.C. Artmann als unverwüstlicher HC-Darsteller gefühlt hatte, und wie ungern er als kranker Mann dieses Bild schwanken ließ? Und wie schmerzhaft es war, ihm dabei zuzuschauen? Der kranke Artmann war wahrhaftig nicht der, der er für sich und andere sein wollte. Artmann als Kräuterteetrinker – brrr, aber es musste sein. Er knurrte, er schimpfte, aber klagen habe ich ihn nicht gehört. Er verwandelte sich ziemlich rasch in einen Gebeugten, der im Sessel und dann auch im Rollstuhl saß und die Wohnung nicht mehr verlassen konnte.
Gern würde man sagen, dass aber Blick und Stimme immer noch ganz den Alten zeigten, aber es war nicht so. Er wurde zarter und vorsichtiger, leiser auch, und zeigte, wenn man ihn besuchte, nicht nur Freude, sondern auch Dankbarkeit. Und beide Gefühle schienen ihn auch zu erfüllen, wenn ihm im Reden – dann doch wieder ganz der Alte – ein guter Sager gelungen war.
Unvergesslich auch ein Auftritt von HC während der Salzburger Buchwoche im alten, vollkommen atmosphärelosen Saal des WIFI, wo er von der schwoazzn dintn über die Burenwurst bis zu späten Gedichten einen hinreißenden Querschnitt gelesen hatte. Anschließend saßen wir in der Bar des Sheraton, wo HC, während sein Finger im Kondenswasser seines Whiskyglases Kreise zog, meinte, er habe in seinem ganzen Leben nichts zustande gebracht, gerade mal einen Meter Bücher. Natürlich sagte ich darauf, es komme nicht auf die Menge, sondern die Qualität an, und da brauche er sich wahrlich nicht zu verstecken, aber er blieb dabei, dass er ganz anderes hätte leisten können, wenn er nur konzentrierter bei der Sache geblieben wäre.
HC war jemand, dem man schwer etwas übel nehmen konnte (außer vielleicht, wenn man eine einstige Geliebte war). Und mit ihm im Zauberreich des Dichtens zusammen zu sein, war immer ein Glücksgefühl. 

Jochen Jung, aus Alexandra Millner und Marc-Oliver Schuster (Hrsg.): Acht-Punkte-Proklamation des poetischen Actes. Weiteres zu H.C. Artmann, Verlag Königshausen & Neumann, 2018

Erich Kleinschmidt: Schreiblektüren

 

H.C. ARTMANN

wartump knast tu sott klosse auen
wömm wöllst erschröcken mit der nösen
mit dämnen schandmaleur des zahlstein
wossu der omma brülle an der brauen
mit a stimm so koalt und grauen

wie ist mir ach die kehle weh
ein piff ein paff en puffer fehl er geh
am hals am ohr samt bart vorbeh
wo bleibst denn mit dei scheren
im hirn uns zu verklären

schau nicht den wein am nachtschrank stehn
gib s pfötchen meinem enkel schön
und dann verzisch dich im
turnschuhsenkelhalsumdrehn

Peter Wawerzinek

 

 

Der Mond isst Äpfel… sagt H.C. Artmann. Die H.C. Artmann-Sammlung Knupfer

Clemens Dirmhirn: H.C. Artmann und die Romantik. Diplomarbeit 2013

 

 

Adi Hirschal, Klaus Reichert, Raoul Schrott und Rosa Pock-Artmann würdigen H.C. Artmann und sein Werk am 6.7.2001 im Lyrik Kabinett München

 

„Spielt Artmann! Spielt Lyrik!“ (Teil 1)

„Spielt Artmann! Spielt Lyrik!“ (Teil 2)

 

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Nachrufe auf H.C. Artmann: FAZ ✝︎ Standart ✝︎ KSA
70. Geburtstag10. Todestag

Zum 100. Geburtstag des Autors:

Michael Horowitz: H.C. Artmann: Bürgerschreck aus Breitensee
Kurier, 31.5.2021

Christian Thanhäuser: Mein Freund H.C. Artmann
OÖNachrichten, 2.6.2021

Christian Schacherreiter: Der Grenzüberschreiter
OÖNachrichten, 12.6.2021

Wolfgang Paterno: Lyriker H. C. Artmann: Nua ka Schmoez
Profil, 5.6.2021

Hedwig Kainberger / Sepp Dreissinger: „H.C. Artmann ist unterschätzt“
Salzburger Nachrichten, 6.6.2021

Peter Pisa: H.C. Artmann, 100: „kauf dir ein tintenfass“
Kurier, 6.6.2021

Michael Stavarič: „Immer verneige ich mich, Herr Artmann“
Die Furche, 9.6.2021

Edwin Baumgartner: Die Reisen des H.C. Artmann
Wiener Zeitung, 9.6.2021

Edwin Baumgartner: H.C. Artmann: Tänzer auf allen Maskenfesten
Wiener Zeitung, 12.6.2021

Cathrin Kahlweit: Ein Hauch von Party
Süddeutsche Zeitung, 10.6.2021

Elmar Locher: H.C. Artmann. Dichter (1921–2000)
Tageszeitung, 12.6.2021

Bernd Melichar: H.C. Artmann: Ein Herr mit Grandezza, ein Sprachspieler, ein Abenteurer
Kleine Zeitung, 12.6.2021

Peter Rosei: H.C. Artmann: Ich pfeife auf eure Regeln
Die Presse, 12.6.2021

Fabio Staubli: H.C. Artmann wäre heute 100 Jahre alt geworden
Nau, 12.6.2021

Ulf Heise: Hans Carl Artmann: Proteus der Weltliteratur
Freie Presse, 12.6.2021

Thomas Schmid: Zuhause keine drei Bücher, trotzdem Dichter geworden
Die Welt, 12.6.2021

Joachim Leitner: Zum 100. Geburtstag von H. C. Artmann: „nua ka schmoezz ned“
Tiroler Tageszeitung, 11.6.2021

Linda Stift: Pst, der H.C. war da!
Die Presse, 11.6.2021

Florian Baranyi: H.C. Artmanns Lyrik für die Stiefel
ORF, 12.6.2021

Ronald Pohl: Dichter H. C. Artmann: Sprachgenie, Druide und Ethiker
Der Standart, 12.6.2021

Maximilian Mengeringhaus: „a gesagt, b gemacht, c gedacht, d geworden“
Der Tagesspiegel, 14.6.2021

„Recht herzliche Grüße vom Ende der Welt“
wienbibliothek im rathaus, 10.6.2021–10.12.2021

 

 

Ausstellungseröffnung „Recht herzliche Grüße vom Ende der Welt!“ in der Wienbibliothek am Rathaus

 

Lovecraft, save the world! 100 Jahre H.C. Artmann. Ann Cotten, Erwin Einzinger, Monika Rinck, Ferdinand Schmatz und  Gerhild Steinbuch Lesungen und Gespräch in der alten schmiede wien am 28.10.2021

 

Sprachspiele nach H.C. Artmann. Live aus der Alten Schmiede am 29.10.2022. Oskar Aichinger Klavier, Stimme Susanna Heilmayr Barockoboe, Viola, Stimme Burkhard Stangl E-Gitarre, Stimme

 

Bild von Juliane Duda mit den Texten von Fritz Schönborn aus seiner Deutschen Dichterflora. Hier „Uferartmann“.

 

Ausschnitte aus dem Dokumentarfilm Die Jagd nach H.C. Artmann von Bernhard Koch, gedreht 1995.

 

H.C. Artmann 1980 in dem berühmten HUMANIC Werbespot „Papierene Stiefel“.

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