Hans Bender: Zu Guido Zernattos Gedicht „Dieser Wind der fremden Kontinente“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Guido Zernattos Gedicht „Dieser Wind der fremden Kontinente“ aus Guido Zernatto: Die Sonnenuhr. –

 

 

 

 

GUIDO ZERNATTO

Dieser Wind der fremden Kontinente

Dieser Wind der fremden Kontinente
Bläst mir noch die Seele aus dem Leib.
Nicht das Eis lähmt mir das frostgewohnte
Und die Schwüle nicht das lang entthronte Herz,
das leer ist wie ein ausgeweintes Weib.

Dieser Wind der fremden Kontinente
Hat den Atem einer andern Zeit.
Andre Menschen, einer andern Welt geboren,
Mag’s erfrischen. Ich bin hier verloren
Wie ein Waldtier, das in Winternächten schreit.

 

Waldtier in der Winternacht

Er zählte nicht zu jenen Autoren aus Österreich, die 1938 nur zu gern sich einreihen ließen. Im März, als der „Anschluß“ vollzogen wurde, als der „Erretter“ auf dem Heldenplatz umjubelt wurde, war Guido Zernatto unterwegs ins Exil. Als Schriftsteller und Minister der Regierung Schuschnigg war er doppelt gefährdet.
Seine Bücher, Gedichtbände, Romane, politische Schriften wurden verboten und verbrannt. Der Flucht aus Wien folgte zwei Jahre später die Flucht aus Paris. Im Frühjahr 1940 erreichte er New York. Die „Heimkehr“, die er sich in einem Gedicht erträumt hatte – „Weinet, denn wir werden wiederkehren / Und es wird nicht mehr so sein.“ –, war ihm nicht vergönnt. Im Februar 1943 starb er, erst vierzig Jahre alt.
Man muß suchen, will man Erwähnungen, erst recht Würdigungen Guido Zernattos finden. Die Gesamtausgabe der Gedichte, Die Sonnenuhr, 1961 im Otto Müller Verlag in Salzburg erschienen, hat seitdem keine Neuauflage erlebt. Selbst in Anthologien „Vergessener Dichter“ ist er vergessen. Er fehlt in Anthologien, die allein „Naturlyrik“ vorstellen. Dabei war er einer ihrer Protagonisten.
Artur Kuhnert und Martin Raschke hatten ihm 1930 den Lyrikpreis ihrer Zeitschrift Die Kolonne zugesprochen und seinen Band Gelobt sei alle Kreatur im Verlag von Wolfgang Jess ediert. Gedichte, die alle Eigenschaften der frühen Naturlyrik mitbrachten. Ländliches Leben, Natur und Landschaft, Tages- und Jahreszeiten waren ihre Themen. Die Region, der sie entstammten, war zu sehen, zu hören, zu schmecken. Zernattos Vorfahren waren aus dem Friaul gekommen. Kärnten wurde ihm zur Heimat. Wie andere junge Lyriker damals – Günter Eich, Peter Huchel, Jürgen Eggebrecht, Walter Bauer – fühlte er sich angezogen von der jungen Gruppe Dresden, der Kolonne, und deren Gesinnung. Frei von jeder politischen Tendenz und Solidarisierung wollten sie sich halten; auch frei vom Geruch der Blut-und-Boden-Dichtung, die sich bereits formierte.
Guido Zernatto mußte sich in den Gedichten, die er in den folgenden Jahren schrieb, nicht ändern. Er hatte seinen Stoff, seine Region und Religion. Er war den Menschen, die in seinen Gedichten auftraten, den Landwirten, Knechten und Mägden, Bettlern, zugetan. Er kannte ihr schweres Dasein. Er nutzte die Sprache der Herkunft und sprenkelte sie da und dort mit körnigen Wörtern des Dialekts. Er blieb seiner Form treu: vier- oder sechszeilige Strophen, liedhafte, gepaart in eher spröden Reimen.
Das alles ist ihm weggenommen in den letzten Jahren des Exils. „Das, was ich schreiben möchte, / Liegt wie ein Stein in mir“, beginnt ein Gedicht, das in New York entstand. Im ausgewählten Gedicht „Dieser Wind der fremden Kontinente“, 1943 geschrieben, wenige Tage vor seinem Tod, zählt er auf, warum er „hier verloren“ ist. Alles ist anders: der Wind, die Zeit, die Menschen, die Welt. Er kann und will sich nicht einleben. Das Bild, worin alle Qual der Fremde sich zuspitzt, wird aus der Landschaft daheim herübergeholt und hat daher einen so starken Nachhall:

Ich bin hier verloren
Wie ein Waldtier, das in Winternächten schreit.

Das Gedicht Guido Zernattos erinnert an andere Gedichte des Exils von Theodor Kramer, Jesse Thoor, Max Hermann-Neisse. Nicht durch seine Poesie ist es bedeutend; es ergreift als Dokument der Situation und der aus ihr gepreßten Klage.

Hans Benderaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Elfter Band, Insel Verlag, 1988

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