– Zu H.C. Artmanns Gedicht „Ich bitte dich“ aus H.C. Artmann: Sämtliche Gedichte. –
H.C. ARTMANN
Ich bitte dich
ich bitte dich
zeichne einen leuchtturm
an die wand deines hauses
hat die nacht keinen mond
werde ich dich nimmer finden
wer teilt dann die blumen
und die gefundenen beeren mit mir
und das schmale bett
mit dem kopf gegen das fenster
was nützt die schönste flaggenstange
und der nützliche hund bellt nicht
was nutzt ein wegweiser im dunkel
und der nützliche hund schläft
ist ein mann fertig
mit dem ölen seiner stiefel
hofft er auf einen schweren regen
um die dichte des schuhwerks
zu erproben
ich erhoffe mir aber
keine nacht ohne leuchtturm
ich bitte dich
zeichne einen leuchtturm
an die wand deines hauses
Er war unter den vielen, die nach 1945 die Sprache erst einmal einer strengen „Inventur“ unterzogen, der große Virtuose, der splendide Wortartist. Aus dem Vollen schöpfte er die verstiegensten Themen, die wunderlichsten Szenarien, die exotischsten Schauplätze. Zugegeben: Dieser „Dichter“ – er gab dem altmodisch gewordenen Titel einen Beiklang von Avantgarde – hat es uns nicht immer leichtgemacht. Dann nämlich, wenn seine überbordende Sprachfülle sich quasi selbständig zu machen drohte und man nicht wusste, ob man es letztlich nur mit einem seelenlosen Manieristen zu tun hatte. Wenn der Kuppler und Zuhälter, der er sein wollte, den Worten das Bett bot, sich praktisch aus dem Haus schlich und als Autor nicht mehr auftauchte.
So war H.C. Artmann in seiner Poesie ebenso wenig fassbar, wie er es in Realität war. Unstet, immer auf Reisen, ein Hirnzigeuner und poeta doctus, der Walisisch und die entlegensten Dialekte beherrschte. Zu viel der Rollen und Posen? Gerade aber in seiner Wandelbarkeit hat er sich unsterblich gemacht. „A gesagt, b gemacht, c gedacht, d geworden“, hat er einmal sein Leben auf den Punkt gebracht, in dem er von Verwirrung zu Verwirrung geeilt sei.
Aber es gibt auch Ruhepole in seinem Werk, und diese Ruhepole haben meistens mit Liebe zu tun. Schon Artmanns erste lyrische Proben, die er im Wiener Vorstadt-Dialekt an ein junges Mädchen richtete, waren der Liebe gewidmet. Nicht der unglücklichen, unerfüllten Liebe wohlgemerkt. Seine Gedichte konnten zwar melancholisch sein, besaßen aber nie eine Schwere, die den Leser hätte hinabziehen können. Meist spielte eine bestimmte Landschaft, die Erinnerung an eine Jahreszeit oder eine außergewöhnliche Konstellation von Begebenheiten eine Rolle. So wie in diesem wunderbar einfachen Gedicht, das zu Beginn der 60er Jahre in Schweden entstanden sein dürfte und in dem die Liebe die Logik außer Kraft zu setzen scheint.
Es ist eine Mischung aus Verzagtheit und aufgesetzter Männlichkeit, die den seltsamen Tenor dieses Gedichts ausmacht. Seltsam schon, dass der „Lackl“, der kein Kostverächter war, als Bittsteller gegenüber der Frau fungiert. Weniger seltsam: der Hinweis auf das tadellose Schuhwerk, denn der Sohn eines Schusters war ein Materialfetischist, der gern Qualität, Tweed-Jacketts, Einstecktuch und Budapester Schuhe trug. Am merkwürdigsten schließlich: dass er die Geliebte um das Zeichnen eines Leuchtturms bittet der als Bild ohne Funktion bleibt, weil er nicht leuchtet. Erliegt der über beide Ohren Verliebte hier der Symbolkraft, der Magie der Kunst? Dem Schamanentum, das er immer als das besondere Vermögen des Künstlers ansah? Liebe ist jedenfalls das Gegenteil von Logik. Es riecht sehr stark nach Wald, nach frisch gesägtem Holz in diesem Gedicht. Und Artmann, der gern a sagte, machte gern ein b daraus.
Hans Christian Kosler, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Vierunddreißigster Band, Insel Verlag, 2011
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