– Zu Nicolas Borns Gedicht „Drei Wünsche“ aus Nicolas Born: Gedichte 1967–1978. –
NICOLAS BORN
Drei Wünsche
Sind Tatsachen nicht quälend und langweilig?
Ist es nicht besser drei Wünsche zu haben
unter der Bedingung daß sie allen erfüllt werden?
Ich wünsche ein Leben ohne große Pausen
in denen die Wände nach Projektilen abgesucht werden
ein Leben das nicht heruntergeblättert wird von Kassierern.
Ich wünsche Briefe zu schreiben in denen ich ganz enthalten bin –
wie weit würde ich herumkommen ohne Gewichtsverlust.
Ich wünsche ein Buch in das ihr alle vorn hineingehen und hinten herauskommen könnt.
Und ich möchte nicht vergessen daß es schöner ist
dich zu lieben als dich nicht zu lieben
Ich gebe zu, daß ich ,schöne Gedichte‘ schreiben wollte, und einige sind zu meiner Überraschung schön geworden.
Dieser Satz aus Nicolas Borns Nachwort zu seinem Lyrikband Das Auge des Entdeckers (1972), in dem das Gedicht „Drei Wünsche“ erstmals erschien, war damals eine gezielte Provokation. Was heute wie eine Binsenwahrheit klingt: daß Poesie etwas mit Schönheit zu tun hat, verstand sich nicht mehr von selbst, nachdem Hans Magnus Enzensberger das Diktum Theodor W. Adornos – nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, sei barbarisch – zugespitzt hatte zur These vom Tod der Literatur: „Für literarische Kunstwerke läßt sich eine wesentliche gesellschaftliche Funktion in unserer Lage nicht angeben“, hatte Enzensberger 1968 im Kursbuch dekretiert.
Romane und Gedichte wurden als bürgerlicher Luxus abgetan, und beim Versuch, die soziale Realität für sich selbst sprechen zu lassen, hatte sich „der Autor demütig in einen Herausgeber verwandelt“, wie Born in dem zitierten Nachwort schreibt: Günter Wallraffs Industriereportagen und die Bottroper Protokolle von Erika Runge galten damals als Nonplusultra engagierter Literatur. Obwohl oder weil er selbst aus dem Ruhrpott kam und, anders als die radikalen Studenten, die Arbeitswelt von unten auf kannte, hielt Born nichts von Agitprop und verteidigte die Phantasie, groß geschrieben, gegen die Indienstnahme durch die Politik.
Unser Gedicht gibt hierfür Regel und Beispiel zugleich. Drei Wünsche hat man sonst nur im Märchen, aber der zeithistorische Hintergrund – Vietnam-Protest und Kapitalismuskritik – hallt im privaten Innenraum des Textes nach, wo Kassierer ein Leben herunterblättern und die Wände abgesucht werden nach Projektilen: ein spätes Echo vielleicht auf die Ermordung Kennedys und Martin Luther Kings, durch die Borns Generation den Kinderglauben an die westliche Demokratie verlor. Also doch Agitprop? Nein, denn schon im nächsten Vers öffnet sich das Gedicht für eine persönliche Utopie, die in kein Parteiprogramm paßt: „Ich möchte Briefe schreiben, in denen ich ganz enthalten bin“, mit postalischer Schlußfolgerung:
Wie weit würde ich herumkommen ohne Gewichtsverlust.
Leichtigkeit ist das Kennzeichen dieses Lyrikers, der vom Podest heruntersteigt und sein Gedicht wie einen Pullover, den man an- und ausziehen kann, auf die Straße trägt, damit es sich dort, ohne seinen Kunstanspruch aufzugeben, als Gebrauchsgegenstand bewährt: „benutzerfreundlich“ wäre das heutige Wort dafür.
Die sinnliche Direktheit dieser Alltagslyrik kommt weniger von Brecht als von William Carlos Williams her, an dessen kalkuliertes Understatement die Liebeserklärung am Schluß des Gedichts gemahnt. Auch dazu gibt der frühverstorbene Autor in seiner Nachbemerkung einen wichtigen Fingerzeig:
Ich habe versucht, ich liebe dich zu schreiben, weil ich es oft gefühlt und auch ein paarmal gesagt habe, und damit habe ich dich und mich gemeint.
Hans Christoph Buch, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Zweiundzwanzigster Band, Insel Verlag, 1999
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