– Zu Paul Celans Gedicht „(ICH KENNE DICH, du bist die tief Gebeugte,…“. –
PAUL CELAN
(ICH KENNE DICH, du bist die tief Gebeugte,
ich, der Durchbohrte, bin dir untertan.
Wo flammt ein Wort, das für uns beide zeugte?
Du – ganz, ganz wirklich. Ich – ganz Wahn.)
und das am Ende von sich gesteht, daß es „ganz Wahn“ sei, verwandelt sich in diesen Versen nicht in jenes allpräsente Ich, in dem sonst im lyrischen Gedicht Dichter und Leser ineins verschmolzen sind. Die Klammer klammert es auf die Partikularität des Ich-Sagenden ein und von der Allgemeinheit aus, die das lyrische Ich sonst besitzt – und sie klammert damit auch das angeredete Du ein, so daß das Ganze etwas von dem Charakter einer diskreten Widmung oder der Signatur eines Gemäldes empfängt, und das so, daß die Verse in ihren Motiven mit denen der Pietà spielen. (Tiefgebeugte/Durchbohrte)
Die Aussage dieser vier Verse selber behält aber ihren festen Bezug auf die Gedichtfolge, in die sie eingefügt sind, freilich mit einer Gebärde des Rückzugs. Der Dichter, der hier von sich – und nicht von uns allen – „Ich“ sagt, ist gleichsam vor dem Anspruch erschrocken, in seinem Wort Wirklichkeit sein zu sollen und die Wirklichkeit derer mit auszusagen, die so ganz anders wirklich ist als er. „Wo flammt ein Wort, das für uns beide zeugte?“ klingt wie ein Verzicht, dessen sich der Dichter bewußt ist, auch im wahrsten Wort nicht an das zu reichen, was „ganz, ganz wirklich“ ist.
Indessen, gerade diese Gebärde von Eingeständnis und Verzicht, die hier wie zwischengeschoben wirkt, schließt in Wahrheit die beiden Gedichte, die den Schluß des Zyklus „Atemkristall“ bilden, besonders zusammen. Es sind zwei Gedichte über die Sprache, und im besonderen über die wahre Sprache, die die Sprache des wahren Dichters ist.
Hans-Georg Gadamer, aus Hans-Georg Gadamer: Wer bin Ich und wer bist Du? Kommentar zu Celans Atemkristall, Suhrkamp Verlag, 2019
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