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EIN SCHÖNER SATZ AUS EINER FERNEN ZEIT
DOCH NUR DIE HALBSCHEID SO WIE IMMER…
Der Hälften Meister ist seit jeher er
Gewesen der fallen gelassenen losen Enden
Die aufzunehmen ihm nach atemraubend langer Weile
Im letzten Augenblick doch immer wieder so gelang dass alle die
Schon das Vertrauen in ihn und längst
Die ungezählten losen Enden aus den Augen
Verloren hatten stad und baff waren – wieder einmal hat
Er sich am eigenen Schopf aus dem Schlamassel
Abseits das sein Dasein eben war heraus
Gezogen – Schaut! – entschwebt dort pissend aus gehöriger Höhe
In einem desaströsen Strahl und redet redet
Mit Händen und mit Füßen als ginge es um
Sein Leben… Und niemand hört auch einen Ton nur…
Ist aus den Augen aus dem Sinn: und ist stets DA
Norbert Rupp gedenkend verfasste Hans Raimund, Poet, Lyriker, Träger des Trakl- und des Wildgans-Preises, einen wunderbar gestalteten kleinen Gedichtband mit Offsetlithografien von Friedrich Danielis: Choral Variationen. Tatsächlich beginnt und endet es mit einem in acht Strophen zu je zwei Zeilen komponierten Choral. Sieht man von Ruf-, Frage- und Anführungszeichen sowie von Doppelpunkten ab, kennen weder der Choral selbst, noch seine acht Variationen, in denen jeweils eine der Strophen in weiteren sieben oder acht Zweizeilern umspielt und besungen wird, Satzzeichen: keine Beistriche, keine Punkte.
Dieses Fehlen weist zugleich auf ein anderes Fehlen hin: das der Noten. Man muss den Text laut lesen, um seiner Musikalität gerecht zu werden, man muss beim Lesen auf die Abstände zwischen den Wörtern achten, um die Pausen richtig zu setzen und sich auf den im Text innewohnenden Rhythmus zu gewöhnen.
Hans Raimund schildert Norbert Rupp als einen Menschen, dessen Worte und Gebärden sich an viele richten, und den doch keiner hört. Selbst „wenn er schriee! Schriee!“ Bei Rilke hörte ihn niemand aus der Engel Ordnungen, bei Raimund niemand hier auf Erden. Er schildert einen Menschen, der „hat wollen Herzen zähmen so wie Löwen“, doch er „hat ungezähmt sie von sich fortgescheucht“. „Probier einmal was anderes!“ wird er aufgefordert, aber die Vorschläge „Miethling“, „Tagewähler“, „Federleser“, „Leberreimer“, „Senkler“ sind der Sprachgewohnheit so fremd, wie ihm, dem Unbehausten, sein Dasein.
Norbert Rupp war dem Verfasser dieser Zeilen bekannt: Er war Lehrer der alten Sprachen, ein Verführer seiner Schüler in die Zwiespältigkeit des Denkens. Kaum jemand war in der Lage, ihm zu folgen, der Verwegenheit seiner Gedanken zu trotzen. War das der Grund, warum er, der Intellektuelle durch und durch, „einst sagte: ,Die räudigen Kamele halten still?‘ Nur: was er damit sagen wollte? Das wusste er selber nicht. Er redet sich hinein ins Leere – niemand da, der anzusprechen ist – egal!“
Findet sich Hans Raimund in diesem Norbert Rupp wieder? Hallen seine Worte so in des Lesers Gemüt zurück, dass dieser sich in Raimunds Regungen wiederfindet? Mag sein, dass die amöbenhaft anmutenden Illustrationen von Friedrich Danielis dabei helfen, das Gewicht der Worte des Dichters zu tragen.
David Axmann: Wider-Klang der Welt-Betrachtung
Wiener Zeitung, 3.4.2015
Hans Raimund im Interview mit Gerhard Winkler für die Literatur-Edition-Niederösterreich am 13.4.1999 in Hochstraß.
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