INSOMNIA
Dampfnaß
im Taldunkel schlafen
die Hügel.
Nichts regt mich.
Ab und zu stöbert
mein wilderndes Ohr
einen Vogelschrei auf.
In Geduld bin ich verwunschen.
mit dem Titel „Vierzig“, das als lyrische Bilanz von jener sanften Unerbittlichkeit ist, die seine Dichtung als Ganzes auszeichnet und bis in den einzelnen Vers durchformt, hat Hans Raimund aufgelistet, was einem alles verloren geht, wenn das vierzigste Jahr herangekommen ist. Die abschließende Strophe weiß zu sagen – nicht zu bejammern! – daß jetzt die Jahre vorbei seien, da das Scheitern noch „reulos gelassen“ erprobt zu werden pflegte. Die Reulosigkeit und die Gelassenheit bestimmen freilich über sein vierzigstes Jahr hinaus den Dichter Hans Raimund, der sich weder durch die bittere Arznei des Mißerfolgs noch durch das süße Gift des Erfolgs je beirren ließ und einige Gedichte geschrieben hat, die in ihrer sinnlichen Präzision und ihrem herben Klang zu dem gehören werden, was man zu Zeiten, da der Glaube an die Macht der Poesie noch geholfen hat, wohl als „ewigen Bestand österreichischer Dichtung“ bezeichnet hätte.
Die Reulosigkeit ist eine Haltung dem eigenen Leben gegenüber: was immer mißlungen scheint, sich als Weg in die Irre erwies, nichts als Kalamitäten eintrug – es wird nicht weinerlich bedauert oder mit dem besseren Wissen, das zu spät kommt, verworfen, sondern als Moment der eigenen Geschichte begriffen und akzeptiert. Die Gelassenheit wiederum ist eine Tugend des Dichters, der sich über die äußeren Dinge nicht mit expressivem Gefühle hermacht, um der Welt seine Innerlichkeit aufzupfropfen, sondern seine Sprache erst aus der respektvollen Begegnung mit dem Anderen, den Menschen, Tieren, Pflanzen und den Dingen gewinnt. Eine hohe Schule der Wahrnehmung ist diese Gelassenheit, eine lebenslang nie zuende gebrachte Übung der Geduld, die nichts von jenem Buddhismus des Sehens an sich hat, der sich demütig in die Dinge versenkt, sondern ein durchaus aktiver Vorgang ist, der die Routine des Lebens und Schreibens, das eingestanzte Vorurteil des Erkennens immer wieder neu außer Kraft zu setzen versucht.
Hans Raimund, der Reulose, Gelassene, hat seine literarische Wahrnehmungskunst keineswegs ausschließlich am Gegenstand der Natur geschärft; die Präzision, mit der er unscheinbare Naturereignisse bannt – in dem großen „Wahrnehmungsprotokoll Karst“ entdeckt er einmal die „zeckenschwer überweg hängende Holunder“ –, zeichnet auch seine Beschreibungen des Zivilisationsmülls aus und sein langen epischen Gedichte, mit denen er, wie kaum ein zweiter seiner Generation, auch soziale Breite entdeckt und historische Abgründe auslotet.
So unverwechselbar sein Tonfall ist, verfügt Hans Raimund über eine Vielzahl lyrischer Stilmittel und Verfahren, ihm steht die äußerste Verknappung ebenso zu Gebote wie die ausschwingende epische Geste; das Spiel mit der Sprache, das er so virtuos beherrscht, ist ihm nicht Selbstzweck, sondern eine Art von spielerischer Inventur der eigenen sprachlichen Fähigkeiten und Überprüfung dessen, was im Gedicht noch sagbar ist.
Hans Raimund hat als Lyriker, der sich nur selten und mit kaum verhohlenem Widerwillen dorthin begibt, wo Literatur heute verhandelt, mit Preisen versehen und verkauft wird, kein großes Publikum; aber er hat, verstreut über den deutschen Sprachraum und über diesen hinaus, seine Gemeinde, Leser und Leserinnen, die sich, seine Gedichte aufnehmend, zugleich in der eigenen Erfahrung erschüttern lassen und dann, fast in Form eines komplizenhaften Zuspruchs, in der großen Gelassenheit dieser Lyrik doch selber zum Innehalten finden.
Karl-Markus Gauß, Nachwort
David Axmann: Wider-Klang der Welt-Betrachtung
Wiener Zeitung, 3.4.2015
Hans Raimund im Interview mit Gerhard Winkler für die Literatur-Edition-Niederösterreich am 13.4.1999 in Hochstraß.
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