Hans Raimund: Strophen einer Ehe

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Hans Raimund: Strophen einer Ehe

Raimund-Strophen einer Ehe

„ICH HABE FÜR DICH KEINEN NAMEN“
Ich ungelernter Wortemacher   könnt schon einen finden
Der so klingt    wie die    die sie in der Karibik
Wirbelstürmen geben    oder die sich Generäle

Für Manöver einfallen lassen…
Ein Codewort     das ich     wann ich immer will
In das Bewußtsein tipp und prompt erscheinst du
Abstraktion    gestrichelt    auf dem Bildschirm…

Ich suche keinen    für dich vielgeliebt Gefürchtete
Oft der Begierde Objekt    des Neids für viele…
Von Brecht’scher Freundlichkeit stets zu dir selbst
Mit Freundlichkeit zu Zeiten andre mordend

Zumeist allein („o     it’s lonely     at the top“)
Mit deinem Wissen    daß der Umweg    auch    das Ziel war
Daß du     sonntagskindlich    schlicht Glück gehabt hast
Auf    dem Blindflug durch der Wüsten und der Dschungel

Grenzenlosigkeit…     der nun     so nimm es an
Nach ungewisser Mitte    seinem Ende zugeht…
Daß du    ohne je auf eigene Verdienste pochend
Gewieft dich manövriert hast   hin zum Absehbaren

Mäßiger Landschaft    zu verdienter Rast…    vor dem Fluge
Offnen Augs    zur Sonne    die seit jeher dein Emblem ist
Die auch deine Flügel schmelzen wird…
Ich habe für dich keinen Namen

 

 

 

„Wir sind die Glückswandler

am First des überstiegnen Dachs“. Hans Raimunds fünfter Gedichtband sammelt Liebesgedichte in Strophen einer Ehe, gelebte Liebe ist ihm wie Dichtern seit je „raison d’écrire“, jene gemeinsam entdeckte Geschichte, die, schon in uns vorhanden, in uns mit uns wächst.
In diesen Dichtungen findet jede Weise der Liebe die ihr gemäße Strophe, jeder Sinn die eigene Form – viel-stimmig komponiert, im Rhythmus und Maß, mit all den Tempi der Gezeiten von Nähe und Ferne.
„Der Poet gebraucht die Worte… wie Tasten.“ (Novalis) Raimund verfällt nicht in den Vordergrund des Bitter-Süßen, versteigt sich nicht in gefällige Idyllen; wo sich Geahntes auftut, weiß er, wie gach das Glück, wie doch der Gram vergehen und wiederkehren.
Kein Resümee flüchtiger Gefühle, kein Schmelz vergeblicher Liebesmüh, nicht die gesuchte Verständigung – es sind Verse und Lieder des erfahrenen wie gefundenen, des währenden, gewährten Einverständnisses: le dur désir de durer. Eros und Sehnsucht, Leben und Liebe gibt es nicht auf Probe, sie wachsen als Perlmutt im Herzen, als Dauer den Sinnen.

„Die Liebenden blühen ihren Sternen zu.“
(Georg Trakl)

Wieser Verlag, Klappentext, 1995

 

 

Gar keine Idylle

– „Die Liebenden blühn ihren Sternen zu“, sagt Georg Trakl. Hans Raimund, Trakl-Preisträger 1994, hat im Wieser-Verlag seinen fünften Gedichtband veröffentlicht: Liebesgedichte. Wer eine idyllische Insel der Seligen vermutet, irrt. Der Autor spricht auf den ersten Blick eine spröde Sprache. –

Form und Gestalt sind eins. Sein „langer geduldiger Blick“ ist Voraussetzung zum Schreiben. Was er sieht, beschreibt er genau. Er meint, was er sagt. Idylle also keine. Aber es gibt Gedichte in diesem Band, deren poetische Schönheit aus der Wahrheit wächst. „Gras ist über die Brunnen gewachsen“ (Seite 76) ist nur ein Beispiel dafür. Hier steht in der Dichte und Genauigkeit weniger Strophen ein Gedicht stellvertretend für einen ganzen Sommer. Auch „Das Dach, die Mauern“ (Seite 98) gehört dazu und „Ein kühles Licht“ (Seite 99).
Rilke fällt einem ein:

Gedichte sind nicht Gefühle – die haben wir früh genug – es sind Erfahrungen.

Welcher Art sind diese Erfahrungen? Es sind die zweier Menschen, denen das zerbrechliche Kunst-Stück eines gemeinsamen Lebens offenbar gelungen ist. In dieser Gemeinschaft „ist jeder wer“. Das gibt der Beziehung immer neue Spannung, hält sie lebendig.
Auf einem Foto sind beide zu sehen: Franziska, der das Buch gewidmet ist, und der Autor. Wer Franziska kennt, glaubt, auf dem Schutzumschlag ein zweites „übersetztes Porträt“ von ihr zu erkennen. Es ist ein grüner Baum. Auf Seite 29 findet sich die Bestätigung:

GRÜN BIST DU     SO GRÜN IN GRÜN    SO GANZ
Grün bist du von Kopf bis Fuß,      so durch und
Durch
… Augen groß und grün…

Man könnte sie für eine Dryade halten, die auf der Erde Fuß gefaßt hat.
Diese Ehe zeigt zwei Menschen, die „am Gängelband des Staunens durch den Tag stolpern“, wissend, daß sie „Glückswandler am First des überstiegenen Dachs“ sind. Der Ferien-Alltag richtet sich ein zwischen Schneckenspuren und aufzuziehenden Uhren, zwischen simplen Ordnungen und Träumen, besonntem Staub, Werkzeugschuppen und Schreibtisch. Hier sind zwei, die sich aufs Spielen verstehen. Zwei, die „einer beim anderen in der Kreide stehen und einander nichts schuldig bleiben“. Zwei, die das Verstummen der nicht ausgesprochenen Fragen hinnehmen, zwei, die auch den Mut zu der Knochenarbeit haben, sich gegenseitig, heil zu überstehen.

Catarina Carsten, Salzburger Nachrichten, 6.5.1995

Von der Fragwürdigkeit des Privaten

Hans Raimund ist sozusagen ein erwachsener Autor. Mit vielen Bänden Lyrik und Prosa hervorgetreten, wenn auch zu wenig präsent, kann er es sich leisten, die ein wenig stereotyp für unvereinbar gehaltenen Motive, die Pole Liebe und Ehe zusammenzudenken. Das Motto von René Char spielt auf die Konvention an, die das Lied, das aus dem Herzen dringt, nur der ersten frischen Liebe vorbehalten möchte:

Hymnes provisoires! hymnes contredits!

Es beginnt mit Anspielungen auf Bildteppiche, auf emblematische Bilder, die vom kecken Vokabular freilich schnell entgrenzt werden: Knospen, Pfahl im Fleisch, sich ergießen, eindringen, bohren, Erfüllung, Lust, Jubel, eng und weit zugleich, das alles auf der zweiten Seite, da weiß man, es wird nicht allzu zag zugehen in diesen Texten. Sie setzen Erfahrung voraus, Erfahrung auch mit Texten und Redeweisen, etwa dem Blumenvergleich, den Goethe schon in „Gefunden“ für die informelle  Silberhochzeit  mit Christiane Vulpius, seinem „Blumenmädchen“, ansetzte. „Dann tun sich deine Knospen auf“, heißt es hier; und auch in diesen Wendungen ist ein Hinweis auf das gemeinsame Gärtnern immer mitgemeint. Da gelingen am ehesten Gedichte, die rhetorisch gefügt sind, z.B. Als „Diärese“ von Grün, die mit Wiederholungen arbeitende Durchführung eines Begriffs „grün in grün“ zeigen sich uns das Du und seine Umgebung, bis ihm das Ich auch grün, „so grün“, ist.
Weniger will das Spiel mit Redensarten glücken. „Wir stehen in der Kreide“, das ist hübsch, aber einfach; und die Verfremdung dieser Formeln ist mir zu gut aus „Rede-Wendungen“ von Kito Lorenc im Ohr, der wendet sie wirklich:

Ich steh auf Messers Schneide
knietief in der Kreide…

Es kennzeichnet diese Gedichte Raimunds, daß er nicht ins Sprachmaterial selbst hineinwill. Die Texte bleiben anekdotisch in einem strikten Sinne. „Bist kein Jäger bist ein Sammler“ – das könnte eine bedeutsame Geste werden, ist aber ganz wörtlich eingesetzt: das Du kommt mit Plastiksäcken voll Pilzen nach Hause – „welche Lust!“ Die Angst, daß eine Wendung „übersetzt“ werden, also der unmittelbaren Beziehung aufs gemeinte Du abhanden kommen könnte, treibt Raimund dazu, private Gesten noch und noch in die Texte zu füttern, die dann eben nicht mehr abheben, sondern im burgenländischen Garten sitzen bleiben.
Das gilt für das Tischtennis-Spiel über dem „Bodensatz des niemals Ausgegorenen“, das Kerzenbrennen, den Schmetterling, der „aus Bestemm“ ins Licht fliegt, für sprachkritische wie pathetische Gesten. Freilich, was kann man im Liebesgedicht gegen Privatheit haben?! Wir erfahren, daß er im Bett gut ist, daß sie, allen gewissen Schwierigkeiten zum Trotz, „bei der Stange“ geblieben, daß sein „Horn noch nicht abgestoßen ist“. Das Kompliment für sie fällt weniger gekonnt aus:

Bist ein Löwe
Mit der Haut und dem Gedächtnis
Eines alten Elefanten…

Vermutlich gibt es hier dann doch den Einschlag von selbständigem Bildmaterial, denn glaubhaft ist der Vergleich keineswegs (der Umschlag zeigt ein Foto). Einige der Gedichte des Buches waren gewiß nicht für die Publikation gedacht, z.B. die Einhorn-Texte: die kesse Ich-Form wird ihnen jetzt zum Nachteil, läßt sich nicht nur privat lesen: immerhin ist es ein bedeutendes Tier mit großer Tradition.
Das ist die Schwierigkeit, vor der diese Texte stehen: sie wollen jede Transformation der Bilder in Sinnbilder vermeiden und können diese Lesart doch nicht ausschalten. Dazu gibt es auch zu viele geglückte lyrische Gesten wie „Hör den Wind“, das Abendlicht, die Annäherungen, die Tages- und Jahreszeiten.
So ist der Schluß des Bandes weitgehend den Bildern eines ländlichen Glücks gewidmet, und es stimmt ja auch – wo sind anders stillgestellte Augenblicke und (fast) ungemischte Gefühle noch erlebbar. Taktvoll übersetzt Raimund das nicht (immer) in Bilder, die das Glück doch wieder denunzieren würden, sondern in rhetorisch gebaute Verse, die mit Anaphern („Hier“) und Lakonismen („Gras“), mit Wiederholungen, Zeugma und Echo, Anspielungen und zweifelnden Zitaten arbeiten, also schließlich doch den strikt privaten Anspruch verlassen, selbst die Bilder kommunikativ werden lassen. Eigentlich gehört das ja auch zur Liebeslyrik, und vermutlich selbst zu den „Strophen einer Ehe“.

Alexander von Bormann, Literatur und Kritik

Trost im Trotz

Der 1945 im niederösterreichischen Petzelsdorf geborene, seit vielen Jahren in Duino lebende Hans Raimund ist einer der bedeutendsten deutschsprachigen Lyriker unserer Tage. Es wissen nur immer noch zu wenige, zumindest hierzulande. Übersetzungen ins Italienische, Amerikanische, Bulgarische, Kroatische, Albanische, Slowenische und in einige andere Sprachen zeigen, daß man jenseits der Sprachgrenze die Sprachkunst dieses Grenzgängers schon mehr zu schätzen weiß als bei uns. Seinen Rang hat Raimund mit einer Anzahl von Gedichtsammlungen erwiesen, von denen Der geduldige Blick (1989) seine Wahrnehmungskraft am eindrucksvollsten unter Beweis stellt, und Kaputte Mythen (1992) den größten Einblick in die vielen Verfahrensweisen des Autors bietet. Was die Qualität seiner Lyrik ausmacht, das ist erstens die hohe Musikalität, die den ausgebildeten Pianisten Raimund auch als Lyriker prägt; zweitens der Reichtum an Strophen-, Lied- und Versformen, über den kaum ein anderer zeitgenössischer österreichischer Lyriker verfügt; drittens die Präzision seiner Beobachtungen, allgemeiner: seine Wahrnehmungskraft; viertens der Mut, mit dem er sich Themen stellt, die heute nahezu tabuisiert sind.
Etwa in dem neuen Band, den Strophen einer Ehe. Wer schreibt heute noch Liebesgedichte? Nicht viele. Die Liebe als Thema ist der Triviallyrik, dem Schlager, dem Kitsch geschenkt worden. Wenige wagen dem etwas entgegenzusetzen. In der Prosaliteratur wird die „Liebe“ zwar häufiger beschrieben, aber vornehmlich als kruder Gewaltakt gegen die Frau, als männlicher Triumph oder als eklige Verirrung der Geschlechter gedeutet. Natürlich widersetzen sich manche dem ideologischen Liebesverbot, Evelyn Schlag beispielsweise mit ihrem ganzen Werk, in seinen populär gehaltenen Liebesgedichten auch Peter Turrini, Robert Schindel, Raoul Schrott in den Rime, C.W. Aigner mit manchem schönen Gedicht…
Doch Hans Raimund und Liebeslyrik, das ist etwas Besonderes, und das Besondere heißt Strophen einer Ehe. Liebesgedichte und Ehe, wie sollte das zusammengehen? Wenn schon Liebesgedichte, dann haben sie gefälligst das flüchtige Abenteuer zu preisen, den schönen Moment zu bannen, die unwiederbringlich verlorene Begegnung; und nicht etwas auf Dauer Angelegtes wie eine Ehe! Ulrich Weinzierl hat in seiner Besprechung von Raimunds Buch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erkannt, daß  diese Strophen einer Ehe im Grunde verkappte Hymnen an die Dauer sind. Und solches widerspricht den Topoi der Liebesdichtung, die diese gerade auf das Vergängliche  fixieren möchten. Schon in seinem Ansatz also stemmt sich Raimund gegen ein Klischee.
In den Strophen einer Ehe weiß Raimund  viele verschiedene Stillagen einzunehmen. Pathos ist ihm wenigstens in diesem Band nicht völlig fremd, aber auch milde Ironie, lapidare Schärfe, eine gewisse Bärbeißigkeit können die einzelnen Gedichte bestimmen. Man ist versucht zu mutmaßen, diese Palette an Stilen entspreche denen einer Ehe, die ja auch nicht auf einen einzigen Generalton zu bringen ist. Es ist ein seltsames Faktum, daß Raimund seine Stileigenheiten gewissermaßen lebensweise wendet, nicht nur als literarische Mittel einsetzt, sondern durchscheinen läßt, daß es sich auch um Lebenshaltungen handelt. Die Frau, die in diesen Strophen einer Ehe immer wieder direkt angesprochen wird, sie wird umschmeichelt, gepriesen, hart angegangen, verspottet, ironisch verklärt, boshaft gerühmt. Manche der schönsten Liebeserklärungen kommen sogar ziemlich brummig daher…
Was die sprachlich und formal so vielfältigen Gedichte verbindet, ist unter anderem die Gartenmetaphorik. Die Frau, man sollte das vielleicht nicht symbolisch oder sozial repräsentativ sehen, sondern ganz konkret nehmen, also diese Frau, die Frau des Autors zweifelsohne, die vielgepriesene Franziska, ist jedenfalls die Erdverbundene, die Gärtnerin, die Sammlerin. „Du gehst so mit der Erde / Wenn sie im März zu grünen anfängt / Schlägst du mit deinen Blättertrieben aus / Wenn alles sprießt und sproßt dann wächst und wucherst du“ heißt es von ihr; man wird hier daran erinnert, daß Hans Raimund zuallererst ein Naturdichter ist. Was der Naturdichter Raimund preist, ist aber nicht die Idylle ländlichen Glücks; woraus er seine Bilder schöpft, das ist die versehrte, bedrohte, vielfach zerstörte Natur. Daß Lebensweisheit auch mit einem gärtnerischen Verhalten zur Natur zusammenhängt, dies lehrt Raimund ganz unaufdringlich.
Hans Raimund ist ein poeta doctus, und er sucht nicht zu verbergen, daß er verschiedene  Tradition  europäischer Dichtung kennt. Verblüffend ist, wie er ausgeleierte Strophenformen – Kanzone, Terzine, Sonett – ganz heutig wendet und wie er selbst einem so abgedroschenen Sprachverfahren wie der Genitivmetapher noch überraschende Wendungen abgewinnen kann:

Durch den Tag dann
Stolpern wir am Gängelband des Staunens:
Glückswandler am First des überstiegenen Dachs.

Das paßt. Wie so vieles in diesem Zyklus, dessen Trost der Trotz ist: daß die Zeit vergeht und ihre Falten gräbt, raubt uns die Liebe nicht, sondern macht sie uns kostbar und läßt sie uns erkennen.

Annamaria Forster, Literatur und Kritik

Ins Labyrinth des Liebens

Verblüffend und wohl sehr irreführend der Titel dieses Buches voller Liebesgedichte: Wer sich bei den Strophen einer Ehe vielleicht auf Bergmannsche Manier allzusehr die in Lyrik geronnenen Szenen einer Ehe erwartet hat, wird beim Lesen dieses Buches a priori, also schon nach ein, zwei Gedichten, sehr enttäuscht sein. „Da ist ein Herz / das Herz treibt eine Rose“, so beginnt der Band, und noch klopft das Herz der Liebe aber nicht, noch sind’s nicht schwitzige Allüren der sich angeblich Liebenden.
Hier findet man wahrlich kein psycho-soziales Sezieren von Beziehung oder von scheinbar zu eruierender Wahrheit von Beziehung vor, hier ist der Leser nicht aufs allzu Langweiligste mit der flachen Psychologie des Familialen, der Dynamik klinischer Verhältnisse konfrontiert. Noch deutlicher ausgedrückt, die Ehe, um die es hier, pseudo-angekündigt, gehen soll, sie ist nicht einmal ansatzweise als Gegenstand dieser gegebenen Dichtung vorhanden.  Erstaunlich    das!  Denn „… wenn ich / Morgens die scharfkantigen Wörter / Mit der Laubsäge geduldig / Aus dem Sprachholz gesägt ineinander / Passe klemme verleime / Für die Dauer eines Buches“, da wartet auch der Leser, ob es – jenes ominös-subjektlose Es des Eros – geschieht oder nicht oder ob es nicht ohnehin schon längst passé oder gänzlich aus ist.
Womit will uns demnach der Dichter dann beschäftigen? Will er uns gar absichtlich und raffiniert auf eine ganz falsche Fährte setzen, damit wir, Ermattete und Resignierte aus Beziehungsfallen und beziehungshaften Schlamasseln, uns einmal mehr in einer weiteren, vielleicht sogar sehr idyllischen Sackgasse der Betroffenheit und Ratlosigkeit aus heutigem wie früherem Beziehungsdebakel wiederentdecken? – Was soll denn das?
Im vergangenen Jahr wurde Hans Raimund mit dem nicht ganz unbedeutenden Trakl-Preis ausgezeichnet. Kaputte Mythen heißt sein vorheriger und schon gar nicht sein erster Lyrik-Band, der möglicherweise maßgebend die Entscheidung für die Würdigung dieses nunmehr doch immerhin ein wenig mehr beachteten Dichters beeinflußt haben mag.
Nun ist der hauptsächlich im adriatischen Duino lebende Hans Raimund ja immerhin schon längere Zeit lyrisch unterwegs, und sein unbedarftes, fast bescheiden wirkendes Votum für die allseits torpedierte Existenz des Poetischen ist letztens mehr und mehr dem Diktum der eigentlichen, der steten und unbeugsamen Poesie-Wörter gewichen. Er wurde immerhin nachhaltiger in seiner Wirkung – dieser sich hartnäckig dem Betrieb verweigernde Raimund.
Jetzt aber steht er plötzlich da mit seinem neuen Buch, beinahe dandyhaft hingebannt auf hinterem Schutzumschlag, daneben hockt eine Frau im Bild, sie hockt – als die Frau, die er hier mehrfach als solche schüchtern ernennt und die ihrerseits des Dichters Verve in den Sog eines gemeinsamen Liebens hereinzuzaubern schien. – Haben Sie mich nun verstanden?
Was ihn nun mit Stolz in diesem Bild zu erfüllen vermochte, das hadert nicht länger mehr nur am Literaturhimmel. Es läßt sich zur Abwechslung auch ein  mal ganz anders sehen!
Statt Ehe oder die Unmöglichkeit herbeiführender Szenen ist es die irgendwie durchs Wunder oder sonstwas lebendig erhaltene Liebe, die uns hier schwarz auf weiß begegnet, statt Kata-Strophen sind es die einzelnen Strophen, die uns die Möglichkeit eines Liebens nicht nur suggerieren wollen. Was möglich ist, bestimmt gleichsam die Liebe des Dichtens, sie läßt den Leser wählen. Die Formen, die Weisen. Etwa so wie nur allzu billige Konstruktionen? Nein. Der Versuch, die Wahlmöglichkeit – zwischen der einen oder der anderen Strophe des Lebens – als die eigentliche Hoffnung darzustellen. Trotz Widerspruch, trotz Hader – bei allem.
Das Lieben mithin als der Konstrukteur und die Konstruktion in einem! Mal sind es die allzu alltäglichen Wörter, die gleichsam in ihrer Unterwäsche anhand dieses Buches daherkommen, mal hat das einzige Wort sein herzhaftes, fesches Feiertagsgewand an. Es ist partout kein hermetisches Buch, das wir hiermit in Händen halten, und auch kein unbedingt modisches. Ein Rätsel ist dennoch, warum das Buch so offen ist, und ein Buch haben wir da gelesen, das mehrere offene Rätsel beinhaltet. Also: offen für alle und alles. Doch nicht das schlechteste Kriterium – nein?
Schon wird man hingeführt an den Ort. Des Dichters kleiner, ehemaliger Bauernhof als der Ort des Liebens, von wo die Musik ausgeht und alles andere. Hans sagt:

Ich häng an dir
Wie das Bild an der Wand
dreh mich um!

Er sieht im Bild die Geliebte, wie sie ihr eigenes Bild betrachtet. Dann drehen seine nur wenig neugierigen Augen ab, und er sagt:

Ich habe für dich keinen Namen.

Und schließlich – trotz aller Namenlosigkeit – flugs aus der Wortunterhose:

Ich steh auf dich!

Was passiert denn da? möchte man sich dauernd voyeuristisch fragen. Nichts passiert, vor allem scheint diese Form des Liebens keinen epischen Gesetzen unterworfen zu sein.

Ich bleibe gern bei dir, was immer du auch tust, schon um
Des Spieles willen – das einzige, worauf ich mich
Verstehe, und ich bedaure nicht des Ernstes Masken –
Auch nicht zum Spaß – je aufgesetzt zu haben… Ich
Bleibe gern bei dir und spiel auch gern, darüber schreiben
Strophenweise, absatzweise…

Man möchte diese Geschichte dennoch weiterverfolgen, aber sie weigert sich. Aus gutem  Grund. „Moll im Marschschritt Alla breve / Vom Anfang bis zum Ende…“ und wiederum: Noch ist diese Liebesgeschichte durchgestanden und – Resümee eines fünfzigjährigen Liebenden hin oder her – Glück und Gram, so steht’s im kongenial begleitenden Klappentext, vergehen und kehren wieder. Man las nun Liebesgedichte, die hatten nichts zu verheißen, außer ihren eigenen Begleittext, außer das Diesseits von allem. Wohin abbiegen – nach links oder nach rechts? Geradeaus geht’s nicht weiter.
Alles in allem: Das Buch enthält mehrfach zugängliche Stellen, bei denen hineingeschlüpft werden kann, gleichsam wie in die labyrinthische Innenwelt und Außenwelt der sich Liebenden. Ein offener Zugang zu den gemäßigten Strophen mithin, die aber doch wieder so viel radikal Sentimentales – im besten Sinn dieses mißverständlichen Wortes – enthalten, daß einem auf einmal der Knopf aufgehen zu scheint. Man muß sich beim Lieben verirren, um sich beim Lieben nicht zu verirren.
Ja, denkt man, hier sind die Wörter am Werk, die aus Herzenslust Klavier oder Geige spielen, die Musik im sturmumbrausten, einsamen Haus der Liebe erzeugend. Klänge aus Gedanken und dem „verflixten Wind“, der dort im Burgenländischen verkehrt, wo Raimund den ganzen Sommer über sitzt und macht und wo, so ist nach dem beschriebenen Ambiente zu vermuten, großteils die vorliegenden Gedichte entstanden sind.
Er ist ein notabler Haus-Autor des Wieser-Verlages. Er ist einer der wenigen österreichischen Autoren des deutschsprachigen Programms dieses Verlages, eines Verlages, dessen Wortgeburten zumeist in den südosteuropäischen Nachbarländern stattfinden.
– Und schon wieder ist da ein geglücktes Buch!
Nun ja, irgendwie ist es, dieses Buch – oder meinen wir das Es des Liebens –, schon zu bekommen. Andiamo – also lieben wir – ja?

Ingram Hartinger, Die Brücke, 3/1995, Herbst 1995

Bisweilen ist es von Vorteil,

wenn man sich nicht sofort, nach Erhalt eines Buches, das zur Besprechung vorliegt, darüber hermacht. Schon der Titel mahnt zur Vorsicht Strophen einer Ehe. Wer denkt da nicht an Zerbrechlichkeit? Oder Berührungsängste aus Verletzbarkeit? Hätte ich also beizeiten angefangen, wäre abgehandelt worden. Und dafür sind mir, im nachhinein, die Strophen einer Ehe von Hans Raimund zu schade.
Diese fein gesponnenen Liebeserklärungen ließen mich mit Worten vorerst gar nicht heran. Also blieb das Buch liegen. Von Zeit zu Zeit gelesen, Details erhascht, in quasi homöopathischen Dosen eingenommen. Bis ich die letzte, zweisprachige Ausgabe aus dem italienischen Verlag Crocetti Editore mit dem Titel E qualunque cosa accada in die Hand bekam.
Zwischen den beiden Sprachen entdeckte ich den Geruch und Geschmack der Bilder aus den Strophen einer Ehe. Denn die Texte aus Qualunque bilden, vielleicht unbeabsichtigt, den Rahmen für die Ehe- und Liebesgedichte. Die Ehe beginnt mit der Mutter, die zwischen Abwasch und Herd ihr Blühen einbüßt. Und sie endet am und beim Vater, der seinen Sohn auf das Menschliche im Verblühen der Mutter hinweist. Ein schwerer Beweis von Herzbefindlichkeit. Den Rest besorgt der Alltag.
Wenn dem so ist. Aber gerade das Alltägliche wie Herrenpilze, Mäusefallen, Regentonnen, Zwetschken oder der Mann im Mond, der in den blauen Lagunen des Traums schwimmt, haben die Strophen einer Ehe erst möglich gemacht, die nur für Kenner von Ehe und Lyrik geeignet sind.
Aus der Erfahrung, dem Er-leben, schöpft der Autor Hans Raimund, dem die Lust aufs Wortemachen (dadurch) nicht vergangen ist. Man merkt seiner Sprache die Liebe an. Und seiner Liebe, die in den Strophen zum Ausdruck kommt, die Wortlebendigkeit. Abgesehen davon – wer schreibt heute noch Gedichte über die Ehe. Oder über einen Zustand mit dem kafkanischen Begriff Partnerschaft. Der nichts mehr gilt, dem nur noch Zurückgebliebene verfallen.
So verspielt die ars armandi der Ehestrophen sich auch liest, so handfest wirkt die ars pragmatica der zweisprachigen E qualunque cosa accada. Das Gedicht „Essen mit den Eltern“ herrscht fast übermächtig in die Vergangenheit hinein. Sein Inhalt zeigt, zumindest für mich, eine typologische Übereinstimmung mit dem Motto der Strophen einer Ehe.
Wie immer ergeben die unterschiedlichen Interpretationen italienischer und deutscher Wörter und Redewendungen eine andere Färbung, eine andere Atmosphäre. Ein Geöffnet­ sein oder eine Verschlossenheit. Das deutsche „Ich schieß ins Kraut“ (S. 44 / zweite Strophe) hat eine andere Konnotation als im italienischen „io fiorisco“, denn sonst müßte im italienischen Text doch wohl „mettere molte / o troppe / foglie“ stehen. Es ist ein Unterschied, ob man „Tunnel (hinein)treiben“ mit scavare übersetzt, was graben bedeutet.
In diesen Schwierigkeiten der Übersetzung zeigt sich die Feinheit der Texte Hans Raimunds.
Bleibt noch zu sagen, daß man auf weitere Strophen von Hans Raimund wird warten müssen. Denn der Traum des Wieser Verlages ist ausgeträumt. Die Farbschnitte, Lesebändchen, die gediegene Aufmachung dieser kleinforma­tigen Kostbarkeiten gehören der Vergangenheit an. Zurück bleiben offene Rechnungen, nicht eingehaltene Verträge, enttäuschte Autoren und der Verlust des Glaubens an eine so weit intakte Verlagslandschaft, in deren Feuchtbiotop seltene Worttiere und -pflanzen noch hausen können.

Hans Augustin, INN, Nr. 37, November 1996

Ehelyrik?

Strophen einer Ehe – der Titel des neuen Lyrikbandes von Hans Raimund erstaunt. Und veranlaßt, noch vor Aufschlagen des kleinen Buches zu (subjektiven) Spekulationen: Sequenzen, tragische, komische und banale, Höllenfahrten, Sonntagnachmittage oder Ingmar Bergmanns abwechslungsreiche Auffassung von „Szenen“ – alles scheint besser mit dem Wort und Zustand „Ehe“ vereinbar als „Strophen“ (Katastrophen?). Dieser Begriff aus der Verslehre, bei dem wir an Reim, Rhythmus oder Zeilenblöcke denken, an Wiederholung und Variationen, eignet sich zum Wirklichkeitsvergleich so gut wie, beispielsweise, der Satz: Ehen sind lyrische Gebilde, in denen lebt man paarweise gereimt… Anderseits: Wer will nicht manchmal – trotz Gefahr der Langeweile – glauben, daß die Zeit der Liebesgedichte nimmer endet…

Durch und ausgehalten hast du Alles
Mich durch Prügel wieder
Zur Vernunft gebracht bis sogar

Ich kapierte: Du bist keine
Zum Verlassen bist ein Löwe
Mit der Haut und dem Gedächtnis

eines alten Elefanten…
Zwanzig Jahre hat’s gedauert
Bis ich dich verstand.

Auch dem Dichter der Ehestrophen fällt das versuchte, hohe Frauenlob (dem rhetorische Selbsterniedrigung gegenübersteht) nicht leicht. In den Gedichten an seine Frau blickt Hans Raimund, mag sein, auf im Bergmann’schen Sinne gewesene Szenen einer Ehe zurück, und in diesen Rückblick mischen sich erwartungsgemäß angenehme und, sagen wir einmal, schwierige Erinnerungen. Die er anschaut als einer, der „zusammen überlebt“ hat – mit Verwunderung, Skepsis und Erleichterung. Was man bei den Texten hierzu, als Leser, als Leserin, unangemessen finden kann, ist allerdings eine Frage der fehlenden Vorliebe für symbolistische Verklärung und lyrische Pose. Zu oft (meint Ihre Rezensentin) rücken in den Strophen einer Ehe die traditionell symbolschwangeren Motive in den Vordergrund und nehmen zarteren Momenten den Atem: da beschreibt sich das lyrische „Ich“ als Einhorn, wird das weibliche „Du“ zum Löwen, zu Rose und Hagebuttenstrauch – Metaphern der Alchimie, der Natur- und Märchenwelt veredeln das ganze…
Der Stil, die Sprache dazu bleibt meistens, trotz mancher Holpersilbe und eingeschobenem Gegenwartsjargon („baff“), was man „versucht erhaben“ (eine Mischung aus wohlbeleibten Wörtern und geschwätzigen Zeilen) nennen könnte. Schade, aber nach der Lektüre der Gedichte Hans Raimunds kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, sehr viel von der literarischen Mühe erfahren zu haben, heute in einer Nachfolge Rilkes zu schreiben (zum Idealen verdammt?) – und wenig, leider, von der Liebe.
Doch Rezensentinnen irren wie jedermann. Lassen wir dem Autor die Schlußwörter:

Und wieder
Fasse ich kaum wenn überhaupt und vage
Wahrgenommenes sofort in Sprache noch bevor es
Unverwortet als Gesicht Geruch Geschmack
Als Klang durch Ohren Zunge Nase Augen
Eingedrungen ist in mich sich ins Bewußtsein
Einprägt oder als Sud tief drinnen in mir
Fermentiert…
Prompt eingesprachte eingekopfte
Wirklichkeit kalt eingesiedet in das Rexglas
Text…
„Ich seh den Mann im Mond
Nicht mehr…“

Birgit Schwaner, Podium, Oktober 1995

Beitrag zu dem Buch Stanze di un matrimonio:

Enzo Lamartora: Lettura critica di Stanze di un matrimonio
enzolamartora.it, 25.1.2023

 

 

Zum 70. Geburtstag des Autors:

David Axmann: Wider-Klang der Welt-Betrachtung
Wiener Zeitung, 3.4.2015

Fakten und Vermutungen zum Autor + Instagram +
ÖM + Kalliope
shi 詩 yan 言 kou 口

 

Hans Raimund im Interview mit Gerhard Winkler für die Literatur-Edition-Niederösterreich am 13.4.1999 in Hochstraß.

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