– Zu Rainer Maria Rilke Gedicht „Früher, wie oft“ aus Rainer Maria Rilke: Sämtliche Werke. 6 Bände. Band 2 Gedichte. Teil 2: Verstreute und nachgelassene Gedichte aus den Jahren 1906–1926. Gedichte in französischer Sprache. –
RAINER MARIA RILKE
Römische Fontäne
Borghese
Zwei Becken, eins das andre übersteigend
aus einem alten runden Marmorrand,
und aus dem oberen Wasser leis sich neigend
zum Wasser, welches unten wartend stand,
dem leise redenden entgegenschweigend
und heimlich, gleichsam in der hohlen Hand,
ihm Himmel hinter Grün und Dunkel zeigend
wie einen unbekannten Gegenstand;
sich selber ruhig in der schönen Schale
verbreitend ohne Heimweh, Kreis aus Kreis,
nur manchmal träumerisch und tropfenweis
sich niederlassend an den Moosbehängen
zum letzten Spiegel, der sein Becken leis
von unten lächeln macht mit Übergängen.
Er war ein Getriebener, der es zumeist nicht länger als ein paar Monate, manchmal auch nur Wochen oder Tage an einem Ort aushielt. Und wer im Falle Rilkes von „Wanderjahren“ oder von lebenslanger „Pilgerfahrt“ spricht, wie manche Biographen es tun, der möchte der manischen Unruhe des Autors noch nachträglich einen Sinn und eine Richtung abgewinnen.
Auch nach Rom ist Rilke im November 1903 nicht als Pilger – weder im wörtlichen noch im übertragenen Sinne – gereist, sondern als Begleiter seiner Frau, der Malerin Clara Westhoff, die sich zu Studienzwecken in der Ewigen Stadt aufhielt. Obwohl Rilke ein kleines Gartenatelier in vorteilhafter Lage, in der Villa Strohl-Fern nahe der Villa Borghese bewohnt, bleibt ihm die Stadt am Tiber unzugänglich und „attrappenhaft blind“. Und selbst der römische Himmel, der auch den lärm- und smoggestreßten Besucher unserer Tage mit vielem wieder versöhnt, liefert dem Autor nur „billige Farbenspiele“, ist „seicht und versandet“, wie er am 12. Mai 1904 an Lou Andreas-Salome schreibt. Eine Einladung nach Schweden erlaubt dem Dichter, Rom schon im Juni wieder zu verlassen, und er tut es ohne zu zögern.
Das Sonett „Römische Fontäne“ hat Rilke auf seinem Weg in den Norden nicht im Gepäck, es entsteht erst im Juli 1906 in Paris. Wohl aber wird ihn die Erinnerung an den Borghese-Garten begleitet haben, der ihm und seiner Frau „schon in den ersten Tagen ein vertrauter Zufluchtsort (Brief an Arthur Holitscher vom 5. November 1903! werden sollte. Die Ruhe des Gartens oberhalb der Spanischen Treppe spiegelt und verdoppelt sich gleichsam in der stillen, träumerischen Bewegung eines seiner Brunnen. Kein Strahl steigt auf, nichts fließt und fällt, wie noch in Conrad Ferdinand Meyers berühmtem Gedicht vom „Römischen Brunnen“, welches ebenfalls durch einen Borghese-Brunnen inspiriert wurde.
Hier ist alle Dynamik von Fallen und Steigen ganz verhalten, ganz leise geworden und wie nach innen gerückt. Fast möchte man meinen, die Fontäne droht zum Rinnsal zu werden, so wenig Druck und Dynamik billigt Rilke ihr zu. Und man ist geneigt, mit Rilkes „Brunnen“-Gedicht aus dem Jahre 1885 bedauernd auszurufen:
Ganz verschollen ist die alte,
holde Brunnenpoesie,
da aus Tritons Muschelspalte
eine klare Quelle lallte,
die den Gassen Sprache lieh.
Doch ging es Rilke hier eben nicht um den Brunnen als Sinnbild entweder überschäumender oder aber wohlregulierter Natur- und Vitalkräfte. Die „Römische Fontäne“ der Villa Borghese wird ihm vielmehr zum Ort der Stille, der beruhigten Affekte und der spiegelnden Selbsterfüllung.
In Rilkes aus einem einzigen Satz gebildeten Sonett teilt sich uns das Bild einer schmerzlos-innigen Selbstbegegnung mit. Zwar gibt es auch hier ein Nehmen und Geben, ein Träumen und Wachen, ein Reden und Schweigen, ein Zeigen und Sehen: doch alles geschieht nur innerhalb des Brunnens; ohne ein lyrisches Ich, ohne daß ein Betrachter sich über den Brunnenrand beugt – und ohne den Schmerz der Vergänglichkeit, den uns jeder Spiegelblick lehrt. Es ist das vom Wasser bewegte Wasser selbst, dessen Erzittern Rilke in ein Lächeln verwandelt, und das wohl Spiegel des Himmels, aber ganz ohne „Heimweh“ und nur bei sich selbst ist. „Sich selber ruhig verbreitend ohne Heimweh“ aber, das ließe sich auch lesen als Wunschtraum eines Ruhelosen, der zwar ein Heimweh hatte, aber kein Heim; der weder stürzen noch erstarren wollte, sondern seine Kreise ziehen aus einer einzigen Mitte heraus.
Hans-Ulrich Treichel, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Neunzehnter Band, Insel Verlag, 1996
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