– Zu Ernst Jandls Gedicht „Wien: Heldenplatz“ aus Ernst Jandl: Werke in 10 Bänden. Band 2: laut und luise. verstreute gedichte 2. –
ERNST JANDL
Wien: Heldenplatz
der glanze heldenplatz zirka
versaggerte in maschenhaftem männchenmeere
drunter auch frauen die ans maskelknie
zu heften heftig sich versuchten, hoffensdick.
und brüllzten wesentlich.
verwogener stirnscheitelunterschwang
nach nöten nördlich, kechelte
mit zu-nummernder aufs bluten feilzer stimme
hinsensend sämmertliche eigenwäscher.
pirsch!
döppelte der gottelbock von Sa-Atz zu Sa-Atz
mit hünig sprenkem stimmstummel.
balzerig würmelte es im männechensee
und den weibern ward so pfingstig ums heil
zumahn: wenn ein knie-ender sie hirschelte.
Diese Zeilen entfalten die „Erinnerung“, so Ernst Jandl in einer autobiographischen Notiz, „an eine Begebenheit aus dem Frühjahr 1938“. Als vierzehnjähriger Junge habe er, teilt der Autor mit, „auf der Wiener Ringstraße, nahe dem Heldenplatz, eingezwängt in eine Menge“ gestanden. Jandl gibt völlig unverschlüsselt Nachricht vom historisch-katastrophischen Vorgang, welcher hier ins Bewußtsein zurückgeholt wird – der Anschluß Österreichs an Nazi-Deutschland:
Als Zentrum steht, ohne Namensnennung, Hitler im Gedicht.
Jandls Destruktion von Sprache gibt den Blick frei auf ein Konglomerat von Vorstellungen und Assoziationsfeldern. Wir werden darauf aufmerksam, wie eklektisch die Nazi-Ideologie inhaltlich tatsächlich war, mit welch rabiater Überrumpelungskunst sie allerdings an ein breites Publikum herangetragen wurde. Politisches, Biologisches und Religiöses gehen wie in einer schmutzigen Sudelküche ineinander über, rauschhafte Massenzustände zielen ab auf kraß erotisch durchformte Vereinigungserlebnisse. Der Diktator konnte, nach damaligem Wortlaut, „die größte Vollzugsmeldung“ seines Lebens, nämlich den Eintritt seiner Heimat ins Deutsche Reich, herausschreien, die Menge delirierte.
Durchgängig fallen Bilder des Zuschlagens, Begattens und Fressens ins Auge, ein Kreiseltanz von Jagdmetaphern stellt sich ein: von „maschenhaft“, von „aufs bluten feilzer stimme“, von „pirsch!“, „Sa-Atz“ und „knie-ender“ ist die Rede. Das Verbum „hirscheln“ schlägt die Brücke zur Sexualität: Mit „frauen“ und „weibern“ geht Jandl, das Gedicht stammt von 1962, nicht eben zartfühlend um, aber auch die „männchen“ dürfen „balzerig würmeln“ und tragen mit gezieltem Einsatz ihrer Knie zur allgemeinen Vermischungsorgie bei. Mit dem Hinweis: „den weibern ward so pfingstig ums heil“ gleitet die Bilderflucht in religiöse Beschwörung hinüber, Herabkunft und Ausgießung des Heiligen Geistes wird in Betracht gezogen; „gottelbock“ nimmt diese Gemengelage nochmals auf. Unübersehbar kommt Völkisches zum Vorschein: „nach nöten nördlich“ liest man in Anspielung auf Richard Wagners alliterierende Textbücher, die „Sa“ als Kampfformation der Nazis ist zugegen. Die Stirnsträhne Hitler, die „feilze stimme“, das „heil“ der letzten Strophe geben Auskunft über den, der da agiert. Der abschließende Vers: „wenn ein knie-ender sie hirschelte“ läßt obendrein vermuten, daß die geschilderte Szene nicht nur politisch erschütterte, sondern auch so etwas wie sexuelle Initiation für den jungen Jandl bedeutete.
Was leistet also Jandls Verfahren, Wort- und Begriffsmaterial aufzuschlitzen und in eine atemlose Folge von Lauten und Silben zu überführen? Die Zerstörung von sprachlicher Mitteilung signalisiert den Einbruch des Gewalttätigen und Barbarischen. Wie der Faschismus die bürgerliche Ordnung in Deutschland und anderswo aus den Angeln hob, so ruiniert der Dichter hier semantische Strukturen.
Was übrigleibt, in der historischen Realität wie auf linguistischer Ebene, ist ein Trümmerhaufen, dessen Bestandteile sich allerdings unmißverständlich bezeichnen lassen: Massenhysterie, gewaltsames Überrennen zivilisatorischer Schranken, ins Politische verdrehte Religiosität, erotische Anarchie und über allem Angst, Drohung, Terror, die Jagd auf jeden, der vernunftgeleitetes Bedenken entgegenstellen könnte. Das Rätselhafte, aus heutiger Sicht kaum noch Begreifliche und Nachvollziehbare jener Epoche findet in der Reminiszenz vom „Heldenplatz“ einen knappen, eindringlichen Reflex.
Hanspeter Brode, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Zweiundzwanzigster Band, Insel Verlag, 1999
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