– Zu Erich Frieds Gedicht „Begräbnis meines Vaters“ aus dem Band Erich Fried: Österreich. –
ERICH FRIED
Begräbnis meines Vaters
Am Judenfriedhof ist viel Land umbrochen,
und Sarg um Sarg kommt, und die Sonne scheint.
Der Pfleger sagt: So geht es schon seit Wochen.
Ein Kind hascht Falter, und ein Alter weint.
Dumpf fällt der Vater in die Erde,
ich werfe Lehm nach, feucht und kalt.
Der Kantor singt. Es wiehern schwarze Pferde.
Es riecht nach Sommeraufenthalt.
Die mir die Gärten meiner Stadt versagen,
die Bank im staubigen Grün am Kai,
sie haben mir den Vater totgeschlagen,
daß ich ins Freie komm und Frühling seh.
Erich Fried war von Kindheit an auf das Schlimmste vorbereitet. Sechsjährig wurde er in Wien zusammen mit seiner Mutter Zeuge des Blutigen Freitags vom Juli 1927, der Niederschlagung einer Demonstration gegen den Freispruch rechtsradikaler Mörder. 1930 schrieb er darüber ein Gedicht. Da war er neun. Es war nicht sein erstes, aber sein erstes politisches Gedicht. Später sagte sein Lieblingslehrer ihm eine Laufbahn als Schriftsteller voraus. Da saßen arische und jüdische Schüler schon in getrennten Bänken. Der Anschluß ersetzte den austrofaschistischen durch den nazistischen Antisemitismus.
Am 15. März 1938 sprach Hitler vor der fanatisierten Menge auf dem Heldenplatz. Vor seinem Eintreffen in Wien hatten jüdische Bürger, die man zusammengetrieben hatte, die Straßen reinigen müssen. Der siebzehnjährige Fried beobachtete vom Fenster der Wohnung im Alsergrund die Plünderungen jüdischer Geschäfte. Im April verhaftete man die Eltern unter dem Vorwurf der „Vorbereitung zur Devisenverschiebung ins Ausland“. Bei einem Verhör trat ein Gestapo-Beamter dem Vater die Magenwand ein. An den Folgen starb Hugo Fried am 24. Mai, seinem 48. Geburtstag. Erich Fried emigrierte im August 1938 über Belgien nach England. Es gelang ihm, die Mutter vor Kriegsausbruch nach London zu holen. Vor dem Jewish Refugee Commitee nach seinem Berufsziel befragt, antwortete er:
Ein deutscher Dichter.
„Begräbnis meines Vaters“ kommt ohne alle historischen Daten aus. Aber er ist – mit einem Wort Paul Celans – seiner Daten eingedenk. Es öffnet sich dem Leser. Erich Fried hat immer offene, keine hermetischen Gedichte schreiben wollen. Dieses kommt dem Leser durch die vertraute Strophenform besonders entgegen. Es spricht von seinem Thema so anrührend wie unsentimental. Es verdrängt weder das angetane Unrecht noch Schmerz und Trauer.
Der Gedichteingang entwirft die Situation. Im Nebeneinander von Nüchternheit und Banalität meint man den neusachlich-ironischen Ton Kästners und Tucholskys zu hören. Der Grund dafür, daß der Judenfriedhof erweitert werden muß, ist ausgespart. Der Leser kann nicht umhin, zu ergänzen: Was seit Wochen kommt, sind die Särge von Opfern, von Ermordeten oder zum Selbstmord Getriebenen. Um so stärker ist der Kontrast zur Idylle, den der banal gesetzte Binnenreim noch verstärkt:
Ein Kind hascht Falter, und ein Alter weint.
Die zweite Strophe verkürzt den Vers ins Lapidare, von fünf auf vier Hebungen. „Dumpf fällt der Vater in die Erde.“ Nicht die Leiche fällt, sondern der Vater – gewaltsam, als wäre er noch am Leben. So gerät die Geste des Sohnes, der Lehm nachwirft, mechanisch, wie bewußtlos. Der Rest ist wie ein Film, den das Bewußtsein als fremd und unzugehörig wahrnimmt: das Singen des Kantors, das Wiehern der schwarzen Pferde, der Geruch nach Sommeraufenthalt.
Das Ich des Gedichts greift erst in der Schlußstrophe ein – als habe es sich zurückhalten müssen. Jetzt findet es zu zornerfüllter, sarkastischer Klage. Sie ist sarkastisch im Wortsinn, nämlich bis aufs Fleisch gehend. Es geht ja um Fleisch vom eigenen Fleische. Es geht um den Zorn dessen, dem man das Leben einschnürt; auch um das Verbot für Juden, die Gärten und Parks der Stadt zu betreten. Der Zorn gipfelt im grotesken Paradox, daß einzig die Folge einer Gewalttat den Sohn für kurze Frist ins Freie gelangen läßt. Dieses „ins Freie” ruft uns die Frühlingsszene aus Faust in Erinnerung. Also jenen Goethe, den die Nazis für sich reklamierten. „Begräbnis meines Vaters“ ist ein bewegendes Gedicht. Es übersteigt die Konvention, deren es sich bedient, durch die Kraft des Authentischen. Erich Fried veröffentlichte es 1946 in Österreich, seinem zweiten Gedichtbuch. Die Grabtafel Hugo Frieds in der israelitischen Abteilung des Wiener Zentralfriedhofs ist noch erhalten.
Harald Hartung, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg).: Frankfurter Anthologie. Zweiunddreißigster Band, Insel Verlag, 2008
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