TATEN IN DEN BEIDEN STAATEN
von kleinen dingen die paare bilden
geht eine strahlung zur achse an der
das vierergespann unserer hände hängt
laternenpfähle an denen wir uns banden
einen sommerlichen abend lang die aus stahl
und quadrat gebaute allee entlang standen
stühle an tischen vor cafés an breiten wegen
die früher kälte atmeten ich dachte
daß dies keine rückkehr wäre daß dies stück
vergangenheit mir unbekannt bleiben würde
nicht zu beschreiben wie wir die luft dieser
häuser atmeten die stark in unsere leben drangen
und jetzt plötzlich warm und leicht sich
ausgedehnt zu haben schienen abgeranzt aufgeputzt
sich selber persiflierten das licht der straßenlaternen
nur auf die tische reichte in die getränke zum vergessen
an die aufkleber der flaschen die golden
den neuen suff umrandeten
ich sah deine und die hände aus anderen tagen von den
fahnenstangen wehn wieder war keine telefonkabine
in funktion nur laufen nicht sehn nicht denken
deine eine stimme endlich sich die weichen laute
immer zarter werdend durchdrangen
wo die kronen der laternen schwankten die
hände im quartett bis zum abwinken stritten liebkosungen
tauschend zwischen den jeweiligen zehn fingern
handinnen- und außenflächen handwurzeln ausläufern
in die unterarme vollständige umgarnungen
die die gegenwart dieser kleinen dinge
die wir paaren nicht erschrickt
erscheinen Gedichte, Kurzprosa und andere Kostproben aus dem literarischen Schaffen der Autorinnen und Autoren zu Lesungen, die zum Teil mit Musik begleitet werden.
Das Mitlesebuch ist eine Broschur im Format 19 x 27 cm, hat 24 Seiten einschließlich der Abbildung von zwei oder mehr Graphiken in einer fadengehefteten Auflage von 50 signierten und numerierten Exemplaren.
Aphaia Verlag
Eigenartig – ein aufwärts fließender Fluß, so faßte ich früher meinen Eindruck von Heike Willinghams Gedichten zusammen. Zumeist vom Meer ausgehend, Küsten- und Stadtlandschaftsbilder reflektierend, Szenen in Zimmern, an Stränden und auf Straßen enthaltend, von Dingen und Menschen, die etwas durchmachen oder hinter sich haben, vom Schicksal gezeichnet oder von unklaren Verhältnissen skizziert sind. Auf unterschiedlichen Stufen ihres Erscheinens lernt man sie kennen, mitunter gleich so unvermittelt nah, daß man sich bereits im Bild wähnt, noch ehe man es ganz gesehen hat. / Beim Lesen findet eine Transformation statt, gemäß der Maxime, daß es gut ist, ein Gedicht zu lesen, aber besser, ein Gedicht zu sein, stets unter der Voraussetzung, daß Schreiben die aktivste Form des Lesens ist. Heike Willinghams erster Gedichtband heißt „Vom Fegen, weiß ich, wird man Besen“, das klingt nach einer Gewißheit, könnte jedoch auch einen Wunsch und die Befürchtung seiner Erfüllung zugleich ausdrücken. Jedenfalls handelt es von einer Wandlung des tätigen Subjekts, seinem Auflösungsprozess in der Arbeitsmaterie. Vielleicht ist das programmatisch: Die künstlerische Absicht manifestiert sich im Schwung des Aufgehens in der Arbeit am Gedicht. Es geschieht etwas, die Geschiedenheit von Subjekt und Objekt verlangt nach Aufhebung, die entworfenen Kulissen der Landschaften und menschlichen Spannungsverhältnisse befinden sich in Bewegung, Hintergrund wird Vordergrund, die Perspektiven von Raum und Zeit verschieben sich wie in filmischen Sequenzen. Die Gedichte, wenn sie denn etwas anderem als sich selbst gleichen sollen, sind aber weniger ein Film als eher ein Schlafsaal der Emotionen, die geweckt werden und Geträumtes in sachlichem Ton erzählen, dabei Illusionen mit realen Beständen abgleichend. Mitunter überraschen sie mit den letzten Fragen der Menschheit, rollen etwas auf, was nur die Götter wissen, wissen von fehlenden Antworten, ersetzen die mutmaßliche Endgültigkeit des Fehlenden vorsichtig durch sich selbst. Hörst du mich klopfen, scheinen sie zuweilen zu sagen, und vor allem: hörst du die Qualität des Klopfens, es ist nämlich im Laufe der Zeit des Wartens auf Aufschluß zu einer ganz eigenen Musik geworden. Früher vermeinte ich, Heike Willingham wäre eine Dichterin der leiseren Zwischentöne, würde im Gestus lakonischer Resignation über schon erschöpfte Themen eine Reihe von freien, postmodern motivierten Improvisationen setzen. Doch gleichzeitig zeichnet sich in den Gewebemustern ihrer lyrischen Textfäden, im Spiel mit Spurenelementen tragischer Konstellationen, die eigene unverwechselbare Handschrift ab. Manche Gedichte lesen sich wie stichwortartige Protokolle, mitunter wie Auswertungen der Geschwindigkeit, in der erlebte Augenblicke, Tatsachen und Empfindungen gekommen und vorübergegangen sind. Andere wieder stellen mit grafischer Genauigkeit Landschaften und Seestücke dar, fügen sich in ihren aufeinander abgestimmten Details zu bewegenden Momentaufnahmen, schreiben das Genre der Naturlyrik fort, sind mehr der Gesang der Dinge als die persönliche Stimme der Dichterin. Die Art ihres Humors wäre noch hervorzuheben, gerade weil sie diskret ist und überhört werden kann: ein ihren Versen angeborener Unterton des sich Wunderns, sich Wundern hier verstanden als reservierte Anteilnahme, aus der sich Formen kritischer Empathie entwickeln.
Andreas Koziol, Juli 2021
Heike Willingham spricht ab Minute 2:11 über die Zeitschrift Herzattacke, in der sie Mitherausgeberin ist.
Heike Willingham liest am 8.3.2016 für planetlyrik.de Gedichte aus dem Band Supermoon.
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