HERZ DIESER STADT
1
Stadt, inmitten der Kohlengruben, Stadt
mit den rußgeschwärzten Fassaden!
Wenn du atmest, nachts, unter der Asphaltdecke,
wenn der warme Regen dieses Mai
deine Fassaden zärtlich wäscht, wenn du die Liebenden
in deine Lungen, die Parks,
eingeatmet hast, dann
schreibe ich Zeile um Zeile dieses Gedicht:
Ich höre dein Herz, Stadt, es schlägt:
im Blut der Heizer des Kraftwerks, das
in die Lampen und Lichtreklamen strömt,
in die Motore der Straßenbahnen, in
die Pressen der Druckereien,
daß ich es spüren kann am Morgen beim
Auseinanderblättern der Zeitung:
FEUER AUF DEMONSTRIERENDE
STUDENTEN IN ANKARA ERÖFFNET!
2
Zu dieser Zeit, an diesem blassen Morgen vielleicht,
schreibt in Moskau der türkische Dichter Hikmet ein Gedicht:
Die ihn aus seiner Heimat vertrieben, lassen das Blut
Ankaras und Istanbuls
in die Rinnsteine fließen. Und Nazims Blut
fließt in sein Gedicht; denn sein Herz
wird wie gestern in Griechenland
an diesem blassen Morgen mit dem
eines Studenten in
Istanbul erschossen.
Damit auch dein Herz, Stadt,
und das Herz meines Landes
weiterschlagen kann.
3
Ein einziges Herz könnt ihr töten. Zuckend
erlischt es, zerrissen von Blei.
Aber wie lange noch?
Überall in der Welt rächt sich das Volk
für sein vergossenes Blut.
Dröhnend schlagen die Herzen den Takt
zum Sturm auf die Mauern der Parlamente,
deren Säle ein einziges Wappen schmücken wird:
Das Herz des Volkes.
Peter Hamm: Glück ist schwer in diesem Land
Merkur, Heft 205, April 1965
Richard A. Zipster: DDR-Literatur im Tauwetter Stellungnahmen
Jens Bisky: Vom Nichts begleitet
Süddeutsche Zeitung, 7.2.2005
Beatrix Langner: Schreiben im eigenen Schatten
Neue Zürcher Zeitung, 7.2.2005
Hans-Dieter Schütt: Rückwende
Neues Deutschland, 7.2.2005
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