– Zu Heinz Pionteks Gedicht „Mit einer Kranichfeder“ aus dem Band Heinz Piontek: Mit einer Kranichfeder. –
HEINZ PIONTEK
Mit einer Kranichfeder
Dein harscher Ton.
Am Kehllaut erkenn ich
die Schönheit.
Die Partisanin.
Erhell mein
hinterlistiges Herz.
Schwarz auf weiß.
Mit mir gegen mich
Heute etwas mit der Feder eines Vogels zu schreiben gilt als unzeitgemäß. Darüber gar ein Gedicht zu machen wird nicht wenigen als Pose vorkommen.
Daß die Vogelfeder jahrhundertelang das einzige Handwerkszeug der Verseschreiber war, habe ich nie für einen Zufall gehalten. Vogel und Vers sind mir immer wie Geschöpfe eng verwandter Arten erschienen. Die scharfe metallene Spitze am Halter in meiner Hand betrachtend, freue ich mich, daß sie zur Erinnerung an das taugliche tierische Werkzeug Feder heißt.
Es ist nicht zu ändern: Was wir als wahr erkennen, wird, sobald wir es fixieren, schwarz-weiß. Ein harter Kontrast, der härteste, den wir unter Farben haben. Wird er zur Manier, so sprechen wir von einer Gefahr für die Wahrheit. Schreiben aber heißt, Buchstaben gegen das Licht halten in einer bestimmten Manier.
Nehme ich eine, sagen wir: schneeweiße Kranichfeder zur Hand und schreibe damit Verse in schwarzer Schrift, so kann mir plötzlich diese Gefahr besonders deutlich werden. Es ist die Feder selbst, die mich durch ihren Ton darauf aufmerksam macht. Ein Zuruf – jenen Geräuschen ähnlich, die man erzeugt, wenn man über Eis geht, das nicht unbedingt mehr tragfähig ist –, ein Warnruf. Eis ist wieder etwas Weißes, und ein solcher Ton, für einen Moment in der Luft hängend, steht wie ein großer wilder Vogelschatten über dem Eis.
Wer das lyrisch auszudrücken hat, wird es nicht beschreiben, sondern so formulieren, daß es durch sich selbst da ist und man es sich nicht erst zu imaginieren braucht. Höchstens drei Worte.
Das Eis haben wir angenommen, konkret allein bleibt der Vogel, sein Federgeräusch. Mit meinem Sprachsinn nehme ich den Vogel als primär männliche Erscheinung wahr. In ihm steckt ein Wächter von weithin vernehmbarer Schreikraft. Was ihn aber umkleidet, was ihn kleidet, ist die weibliche Feder. Durch sie wiederum ist männliches Blut geflossen. Jetzt, hier in meiner Hand, bringt sie mich auf beides: ihre Schönheit und ihren Widerstand auf eigene Faust.
Schönheit. In der Lyrik ist sie heute so unzeitgemäß wie die zum Gedichteschreiben dienende Feder vom Schreihals eines Vogels. Ein Wort der Schönheit hat heute so viele Gegner, daß es sich verbergen muß. Es taucht unter, verkleidet seine Schönheit. Doch im Untergrund verteidigt es sich, unpathetisch, beinahe lautlos.
Wer davon spricht, wird die Stimme senken, es hinter der Hand hervorstoßen, mit wenig Atem: Kehllaut, Schönheit, Partisanin. Höchstens drei Verse.
Achthabend überall, entdecken wir die verborgene Schönheit. Außer ihr sehe ich weit und breit niemanden, an den ich mich anschließen könnte, wenn ich mit dem schwarzweißen Gedicht gegen das Schwarzweiß des Gedichts vorgehen will. Das ist ein Partisanenkampf der von Blutsverwandten ausgetragen wird. Es geht um die reine Helligkeit in dieser hinterlistigen Auseinandersetzung und gerade nicht um eine, für die die Philosophie aufklärerische Waffen führen könnte, sondern um die Helligkeit der auf sich selbst gestellten Verskunst, die eine dunkle Zitadelle besetzen und schleifen will. Das Herz.
Wieder so ein altmodischer Begriff, der an die Poesie wie an eine verlorene Sache gemahnt. Bei Pablo Neruda heißt es:
Und vergessen wir niemals die Melancholie, die verschlissene Sentimentalität, Früchte wunderbarer vergessener Kräfte des Menschen, unrein, vollkommen weggeworfen vom Wahn der Literaten, das Licht des Mondes, der Schwan in der Dämmerung, „Herz, mein Herz“.
Er folgert:
Wer sich vor dem Geschmacklosen fürchtet, den holt der Frost.
Für mein Gedicht bedeutet das einen neuen, in zwei Teile zerbrechenden Satz. Die Ansage des Kampfes in der Befehlsform und die Schwierigkeit, ihn im Dunkeln auszutragen – wobei zu bedenken ist, daß ich sowohl auf dieser als auf jener Seite mein eigener Gegner bin.
Bis zum Schluß spielt sich alles auf der Spitze der unbesudelten weißen Feder eines Kranichs ab. Es liegt nahe, daß Helligkeit, die auf Federn herangetragen wird, eine außerordentlich leichte Form von Erkenntnis ist. Aber ich bin vorsichtig. Ich halte das Herz nicht für schwarz, die Vernunft für weiß. Ich sehe eine Gefahr für die Wahrheit.
In dieser Weise bin ich mittels einer Feder an den Ausgangspunkt zurückgekehrt. Jetzt kann ich die Vogelfeder entbehren, mit meiner Stahlfeder fortfahren.
Die Gefahr, die im Schwarzweiß des Gedichts liegt, vor der ich warne –
die gegen das Herz gerichtete Schönheit, mit der ich mich verbünde –
und die andere Gefahr, die mir dabei bewußt wird: die Anschwärzung des Herzens auf einem weißen Blatt –:
Wer sich darauf einen Vers macht, kann es wieder nur schwarz auf weiß tun. Es sind die Farben, mit denen wir stehen und fallen.
Heinz Piontek, aus Heinz Piontek: Männer die Gedichte machen, Hoffmann und Campe Verlag, 1970
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