WORTFOLGE
wir können die einfachen dinge
aaaaawieder einfach sagen
z.b. die einsamkeit der stühle
in der hölzernen stille
eines sitzungsraums
elf uhr vormittags wenn du weißt
abends werden die leisetreter
eintreten
den hut ablegen die schuhe
den verstand
barhäuptig sich schnell einverstanden erklären
um noch zu ihrem bier zu kommen ja
diese einsamkeit der stühle
meine ich
Ende letzten Jahres machte der aus Siebenbürgen stammende und in Deutschland lebende Schriftsteller Hellmut Seiler eine Lesereise durch Rumänien. Hellmut Seiler ist 1953 in Reps geboren. Er studierte Germanistik und Anglistik und ist als Gymnasiallehrer tätig. Von 1985 bis 1988 hatte er Berufs- und Publikationsverbot in Rumänien, seit 1988 lebt er in der Bundesrepublik. Zu seinen Veröffentlichungen gehören unter anderem die einsamkeit der stühle. Gedichte, Klausenburg 1982, Glück hat viele Namen. Satiren, Esslingen 2004, An Verse geheftet. 77 Gedichte und Intermezzi samt einem Epilog, Ludwigsburg 2007. 1984 erhielt Seiler den Adam-Müller-Guttenbrunn-Preis, 1998 den Literaturpreis der Künstlergilde Esslingen, und 2000 den Würth-Literaturpreis der Tübinger Poetik-Dozentur. Dr. Mariana Lăzărescu von der Bukarester Germanistik-Fakultät führte mit dem Schriftsteller ein Gespräch für die Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien, das wir mit freundlicher Genehmigung des Verlages wiedergeben.
Mariana Lăzărescu: Welches waren die Stationen Ihrer Lesereise?
Hellmut Seiler: Die Reise führte mich dieses Mal nach Hermannstadt in die Bibliothek des Deutschen Kulturzentrums im Bischofspalais und nach Bukarest ins Kulturhaus „Friedrich Schiller“, wobei ich bereits im Mai bis Juni dieses Jahres über das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) unter dem Motto „Abschied und kein Ende“ in Klausenburg, Neumarkt, Schäßburg, Kronstadt und Hermannstadt gelesen habe. Damals haben mich meine Frau fotografisch und die beiden Söhne musikalisch begleitet.
Lăzărescu: Mit welchen Gedanken kommen Sie heute wieder nach Rumänien zurück?
Seiler: Mit durchweg versöhnlichen. In den ersten Jahren nach dem unfreiwilligen Weggang war das durchaus anders, zu viel wähnte ich damals verloren. Mittlerweile glaube ich mich meiner Herkunft nicht mehr vergewissern zu müssen, sie ist selbstverständlich und gewiss kein Grund, sich ihrer zu schämen, im Gegenteil.
Lăzărescu: Welches sind Ihre Eindrücke von Ihrem Heimatland 17 Jahre nach der Wende?
Seiler: Aus einigen Gesprächen und Beobachtungen kann ich zu keiner schlüssigen Bewertung kommen. Die Dinge sind in Fluss geraten, das ist nach jahrzehntelanger Starre schon einmal positiv. Der Kommerz hat auch das Herz des Einzelnen erfasst und das sämtlicher Lebensbereiche. Damit war zu rechnen gewesen. Rumänien scheint sich allerdings auf sehr dünnem Eis zu bewegen, wenn es heißt, die Gewinne aus diesem kommerziellen Fortschritt auf eine breite Basis zu stellen. Das – moralische – Profil der Transitgewinnler ist auch nicht unbedingt dazu angetan, das Vertrauen der Mehrheit in die Rechtmäßigkeit dieser Entwicklung zu bekommen. Die meisten Menschen werden wohl zurückgelassen und verfallen erneut in eine Position des Abwartens und Beobachtens, die an die Starre des gelenkten Lebens von einst erinnert.
Lăzărescu: Würden Sie sich als deutscher oder rumäniendeutscher Schriftsteller bezeichnen?
Seiler: Als württembergisch-siebenbürgischer vielleicht; doch das sind Etikette, auf Weinflaschen eher zu applizieren als auf einen Autor. Tatsache ist, dass durch die Aussiedlung ein dramatischer psychisch-intellektueller Umbau der Person stattfindet, da die mitgebrachte Sprache die Realität nicht mehr deckt, letztere sich deren Zugriff entzieht. Als müsste man neu sprechen lernen – und würde bei allem Bemühen über längere Strecken nicht verstanden.
Lăzărescu: Welches sind Ihre Themen als Schriftsteller?
Seiler: Über bestimmte Themen würde ich bei mir gar nicht sprechen, es ist eher eine Vorliebe für – um einen Begriff aus der Kosmetologie zu bemühen – „Problemzonen“; beispielsweise das Spannungsfeld „Poesie und Politik“, oder „Das Verschwinden der Natürlichkeit zugunsten mas senmedial vorgeführten Rollenverhaltens“, doch nehme ich mir diese nicht vor, sie fallen mir irgendwo auf. Der Inhalt sucht sich dann die literarische Form selber, ob es ein Gedicht wird, ein Aphorismus oder eine Satire.
Lăzărescu: Gibt es Themen, über die Sie nicht schreiben wollen?
Seiler: Ich suche sie mir nicht aus, meine Themen, sondern werde meistens von einem gefunden, wie kürzlich von dem „Guantánamo“-Zyklus anlässlich der Veröffentlichung von 22 Gedichten in englischer Übersetzung, die das Pentagon freigegeben hat.
Lăzărescu: Welche Rolle hat für Sie heute die Literatur bzw. der Schriftsteller?
Seiler: Die poetische ist die einzige Sprache, die einem nichts verkaufen will. Die Literatur gibt den Worten die Frische, Kraft und Bedeutung wieder, an denen man immer mehr Grund hat zu befürchten, sie gingen verloren. Ich wünschte mir deutlich mehr politisches Engagement des Schriftstellers, das aber nur einhergehen kann mit einer Aufwertung seiner gesellschaftlichen Stellung. Diese lässt, insbesondere in Deutschland, viel zu wünschen übrig. Als Vorbild taugt der Schriftsteller bedauerlicherweise nicht, es sei denn, er tritt im Fernsehen auf – aber dort weniger als Wortträger denn als Kuriosum.
Lăzărescu: Woran arbeiten Sie gerade?
Seiler: Gedichte, Aphorismen und Satiren.
Lăzărescu: Was bedeutet Ihnen das Übersetzen von Lyrik aus dem Rumänischen?
Seiler: Sehr viel! Vorige Woche ist der Band Yin Time des Lyrikers Emilian Galaicu-Păun in dem kleinen, aber feinen Pop-Verlag, Ludwigsburg erschienen – in meiner Übersetzung, die mich vor große Herausforderungen gestellt und mir viel Vergnügen bereitet hat. Weitere Bände werden folgen. Ich ziehe „Bildungslyrik“ und experimentelle Prosa vor, um meine Grenzen auszuloten.
Siebenbürgische Zeitung, 15.1.2008
Über eine „kleine Literatur“. Gespräch mit dem Schriftsteller Hellmut Seiler.
Gedanken des rumäniendeutschen Dichters Hellmut Seiler
Mariana-Virginia Lăzărescu: „Heimat trägt man mit sich selbst“. Online-(Vor)Lesung mit dem Dichter Hellmut Seiler
Stefan Sienert im Gespräch mit Hellmut Seiler: „Ich gehöre nicht zu den produktivsten der Branche“
Georg Aescht: Ehrliches Spiel
Siebenbürgische Zeitung, 25.10.2023
Schreibe einen Kommentar