– Zu Bertolt Brechts Gedicht „Ein neues Haus“ aus Bertolt Brecht: Die Gedichte von Bertolt Brecht in einem Band. –
BERTOLT BRECHT
Ein neues Haus
Zurückgekehrt nach fünfzehnjährigem Exil
Bin ich eingezogen in ein schönes Haus.
Meine Nõ-Masken und mein Rollbild, den Zweifler zeigend
Habe ich aufgehängt hier. Fahrend durch die Trümmer
Werde ich tagtäglich an die Privilegien erinnert
Die mir dies Haus verschafften. Ich hoffe
Es macht mich nicht geduldig mit den Löchern
In denen so viele Tausende sitzen. Immer noch
Liegt auf dem Schrank mit den Manuskripten
Mein Koffer.
Die Häuser, in denen Brecht im Exil wohnte, standen in Prag, Stockholm, Moskau, London, Paris, New York, Los Angeles: auf dem Lande in Dänemark und Finnland. Daß er öfters die Länder als die Schuhe gewechselt habe, glaubt man ihm mehr als anderen. Im Grunde das Leben eines Obdachlosen. Ein Haus mit einem großen Garten hatte er schon einmal besessen: sieben Wochen lang. Es waren, wie er in einem Gedicht 1933 schrieb, „sieben Wochen echten Reichtums“. Er verließ es, floh über die Grenze. Bilder im Exil zeigen ihn unter dem dänischen Strohdach, in New Yorks Hochhauswüste, vor einem unscheinbaren Haus in Los Angeles: immer nur flüchtig bewohnt, er selbst alles andere als ein „hartnäckiger Villenbesitzer“, für den Thomas Mann galt. Das Gedicht über „Die Auswanderung der Dichter“ beginnt mit der Feststellung, daß Homer kein Heim hatte. Brecht hatte viele – aber sie waren nicht eigentlich die seinen.
Als er 1948 nach Berlin zurückkehrt, hat er für seine frühere Stadt nur sarkastische Formulierungen: „eine Radierung Churchills nach einer Idee Hitlers“ oder auch: „der Schutthaufen bei Potsdam“; eine Ruinenstadt. Am 23. Oktober 1948 notiert er:
gestern abend sahen wir nur bei einfahrt im dunkeln die ruinen der friedrichstraße undeutlich. früh sechs uhr dreißig gehe ich die zerstörte wilhelmstraße hinunter zur reichskanzlei. sozusagen meine zigarre dort zu rauchen. ein paar arbeiter und trümmerweiber. die trümmer machen mir weniger eindruck als der gedanke daran, was die leute bei der zertrümmerung der stadt mitgemacht haben müssen.
In Buckow findet er sein neues Haus, und er genießt seine Exklusivität – ein wenig schlechten Gewissens ob der anderen, die in den Trümmerlöchern hausen. Ein Ort fast jenseits der Zeit. „berlin ein hexensabbat, wo es auch noch an besenstielen fehlt“, hat er über die Nachkriegsstadt in sein Arbeitsjournal notiert: ein Gomorrha, das den Brand überstanden hatte. Doch Brecht fährt durch die Trümmerlandschaft nur hindurch, auf dem Weg zum Theater.
Er hätte es für töricht gehalten, auch in ein Trümmerloch zu ziehen. Aber die Lehren der Erfahrung sind dennoch in Buckow miteingezogen. Der Zweifler: das ist er selbst, und das Exil hat ihn gelehrt, was alles zu bezweifeln ist. Vor allem: es hat ihm seine Existenz als transitorisch gezeigt. Die Manuskripte sind noch nicht ausgepackt, der Koffer bleibt sichtbares Zeichen eines Lebens, das sich als unterwegs begreift. „Ich bin nicht gern, wo ich herkomme. Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre“, heißt es im Gedicht „Der Radwechsel“ und:
Warum sehe ich den Radwechsel
Mit Ungeduld?
Es ist die Ungeduld des Reisenden, und sie bleibt bei Brecht, auch in seinem schönen Haus. Die Lust am Besitz hat er übrigens schon früh nach dem Verlassen Deutschlands verloren. „Ich ging ohne Bedauern, oder mit geringem Bedauern“, hieß es in „Beim Lesen von ,Zeit meines Reichtums‘“. Der Exilant bleibt unbehaust, mag sein Haus noch so bequem sein. Brecht hat damit, nicht ohne Selbstgenuß und nicht ohne Zweifel an diesem, am Ende aber doch noch mehr beschrieben – das Vorübergehende auch unserer Existenz, in scheinbar kunstlosen Versen.
Helmut Koopmann, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Zwölfter Band, Insel Verlag, 1989
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