– Zu Peter Huchels Gedicht „Des Krieges Ruhm“ aus dem Band Peter Huchel: Die Sternenreuse. –
PETER HUCHEL
Des Krieges Ruhm
Ich sah des Krieges Ruhm.
Als wärs des Todes Säbelkorb,
durchklirrt von Schnee, am Straßenrand
lag eines Pferds Gerippe.
Nur eine Krähe scharrte dort im Schnee nach Aas,
wo Wind die Knochen nagte, Rost das Eisen fraß.
Ende der vierziger Jahre, als ich nach Kriegs- und Gefangenschaftszeit versuchte, mir ein Bild von der inzwischen erschienenen Lyrik zu machen. Damals war es noch selbstverständlich, daß man sich auch drüben, in der „Ostzone“, umsah. Seitdem ist mir das Gedicht geblieben. Die kurze Strophe erscheint so erschütternd eindeutig, daß man nur zögernd versucht, etwas dazu zu sagen. Aber vielleicht erscheint sie wie manches vollkommen Gelungene manchem zu eindeutig und verbirgt ihre Tiefe?
Auf dem Rückzug ein Bild – viel entsetzlichere, schauerlichere, vorher nicht vorstellbare hat man gesehen –, im Winter ein Pferdekadaver an der Straße. Das ist seit Tausenden von Jahren so, ein Bild in jedem Krieg. Aber gerade dieses Bild bleibt, schlägt ein, und zwar so stark, daß in der Strophe zuerst nicht das Bild, sondern die Metapher steht: „Des Todes Säbelkorb“ – eine kühne Metapher, aber mit einem alten Vorstellungsgehalt: „Säbelkorb“. Doch noch mehr, diese Metapher wird gedeutet, und diese Deutung steht am Anfang: „des Krieges Ruhm“. Das ist ungewöhnlich, gilt als unkünstlerisch, eine Metapher müsse durch sich selbst wirken, so sagt man. Aber hier muß es so sein. Lapidar wird das Thema gesetzt, und dann kommt das Bild, das uralte Bild, das schon Millionen seit Urzeiten gesehen haben, aber das nun in einen hineingefallen ist, so daß er es fassen muß, obgleich er viel Fürchterlicheres gesehen hat, mit Worten fassen, er hat nichts anderes als Worte. „Ich sah des Krieges Ruhm“ – nun seht her, ich zeig’ euch, wie er aussah, dieser Ruhm. Das ist er: eines Pferds Gerippe, des Todes Säbelkorb, und nun weiter: die Krähen, die nach Aas suchen, der nagende Wind, der fressende Rost. Auch da wieder alte Bilder, der Wind, der Rost, schon in der Barockzeit findet man sie, alte Bilder für eine alte Sache. Alte Bilder für eine immer wieder neue Sache. Aber was heißt Barock: neue Bilder, neu gesehene und gesagte Bilder, ein heutiges Gedicht: so dicht, so hart, keine nicht unbedingt nötige Silbe darin, es ist geprägt wie ein Siegel, ist fest, klar, wahr.
Ich brachte dieses Gedicht in einer lyrischen Sammlung, die ich vor Jahren veröffentlichte, und wurde daraufhin von einem ehemaligen Parteianhänger – ich kannte ihn – in einer Zeitung angegriffen: das sei Hohn auf die Gefallenen, Verächtlichmachung der toten Kameraden und dergleichen. Wirklich? Wirklich? Hat dieser unbelehrbare Heroe denn nicht gespürt, daß hinter dem Wort: „des Krieges Ruhm“ sich eine abgrundtiefe Trauer verbirgt, daß die Ironie dieses Wortes bitterste Klage ist, daß ungesagt viel mehr dahinter steht, der Tod, das Leiden, das vergebliche Opfer der Soldaten, der Frauen, der Kinder? Denn deshalb ist dieses Gedicht so wahr, weil seine Härte ohne jede Tendenz ist, ohne Nebenabsichten aus diesem oder jenem Lager heraus.
Herbert G. Göpfert, Die Zeit, 25.11.1960
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