„Als das Schreiben von Gedichten zur Dichtkunst wurde, sind ihm auch die Zähne gezogen worden. […] Keine Bedrohung der bestehenden Ordnung mehr, kein Werkzeug und keine Waffe.“ Wir müssen, nolens volens, dem südafrikanischen Dichter Breyten Breytenbach zustimmen, der den lyrischen Finger in eine soziale Wunde legt, die natürlich nach wie vor schwärt. Und doch gibt es Schriftsteller und Verlage, die wenigstens den Versuch unternehmen, das Gedicht als Werkzeug und Waffe gegen Ungerechtigkeiten aller Art zu verwenden: Zu diesen gehört eine Reihe von Autoren, die ihre verlegerische Heimat im rheinischen Horlemann Verlag in Bad Honnef gefunden hat. Für Rendras Weltliche Gesänge und Pamphlete (1991) von lyrischem Weltrang bin ich dem Verlag, dessen Engagement, Lyrik aus Asien und Afrika deutschen Lesern zugänglich zu machen, erstaunlich ist, sehr dankbar: ein wunderbares und ergreifendes Buch. Durch die Aufmerksamkeit, die sein Buch Gesang der Trommel (1998) erregte, fand der deutsch schreibende Afrikaner Jean-Félix Belinga Belinga sogar Eingang in Das große deutsche Gedichtbuch. Auch in den zweisprachig edierten, oft bedrückenden Gedichten des Kroaten Andjelko Vuleti in Zeit der Auflehnung (2000) stehen Angst, Fremdheit und Not im Vordergrund. Neben Hadayatullah Hübsch Macht den Weg frei (1998) und Arnold Leifert mit wenn wach genug wir sind (1997) ist es vor allem Manfred Enzensperger, der mit Sperrbezirk (1999), Strich und Faden (2000) sowie Semiopolis (2002) nachweist, daß er sich mit seinen pointierten, immer wieder auch visuell ausgerichteten Gedichten in die obere Etage deutschsprachiger Lyrik hineingeschrieben hat. Sein ironischerweise in englischer Sprache verfaßtes fulminantes Gedicht „Köln, Texas“ aus Sperrbezirk gehört zu meinen Lieblingsgedichten.
Erschienen in: Theo Breuer – Aus dem Hinterland, Edition YE, 2005
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