– Zu Brigitte Oleschinskis Gedicht „Wie eng, wie leicht: ein Tankflügel-“ aus Brigitte Oleschinski: Your passport is not Guilty. –
BRIGITTE OLESCHINSKI
Wie eng, wie leicht: Ein Tankflügel-
stutzen, weil in den Tankstutzengriff sich eine staubweiche Falte
schmiegt, Fühler und Augen
und das meilenweite
Summen rundum, das tief in der Hitze
sich entspannt
wie in der Hand der Bügel
der Zapfpistole
Mental heat control heißt der erste Gedichtband von Brigitte Oleschinski. Er erschien 1990. Seitdem gilt die heute zweiundvierzigjährige Berlinerin als eine der wichtigsten lyrischen Stimmen der mittleren Generation. Der modernistische Titel des Buchs ist indes eine Täuschung. Hinter ihm verbergen sich privat und hermetisch wirkende Gedichte mit einer eigenwilligen Bildsprache, die manchmal an Träume erinnert, aber immer streng kalkuliert bleibt. Nicht selten öffnen sich die Gedichte auf die dunklen Seiten der deutschen Geschichte hin.
Ein wenig in die Irre führt auch der schwergängige Titel ihres neuen Bandes Your passport is not Guilty mit seiner Anspielung auf Asylsuche und auf das Verhältnis von Schuld und Identität. Vor allem läßt er nichts ahnen von der Leichtigkeit und gelegentlich auch Anmut, die den strengen Gedichten zu eigen ist.
Die acht Zeilen des „Tankstellengedichts“ erscheinen auf den ersten Blick wie hingetupft. Erst allmählich wird klar, daß und wie sie es vermögen, jenen flüchtigen Augenblick hervorzurufen, in dem bei heißem Wetter an einer Tankstelle rund um Zapfpistole und Einfüllstutzen die Luft zu flirren beginnt und eine irreale, traumhafte Zone sich mitten im alltäglichen Ablauf zeigt. Wie heißt es eigentlich richtig: Tankstutzen, Tankfüllstutzen, Einfüllstutzen? Der Gedichttitel, bereits Teil der Versfolge, provoziert eine kurze Unsicherheit über den korrekten technischen Begriff. Das Vorstellungsvermögen beschäftigt sich mit der alltäglichen Situation des Auftankens an einer SB-Tankstelle. Es stellt einen normalen Ablauf vor Augen, und es vermittelt die Atmosphäre einer nur allzu vertrauten Situation. Zugleich ist das eingeübte Sprachvermögen herausgefordert
„Tankflügelstutzen“ – der in den technischen Begriff eingefügte „flügel“ sprengt die sprachliche Routine, mit der wir uns über praktische Abläufe verständigen. Und auf der Stelle wird auch der Ablauf, also die Situation des Tankens selbst, in unserer Vorstellung fremd. Was tun wir eigentlich, wenn wir tanken? Wir transportieren flüssige Energie, den Rest und den Abfall organischen Lebens auf der Erde. Und während wir dies tun, fallen wir, ohne es deutlich zu registrieren, momentweise in Träume.
Von hier aus lassen sich auch die ersten beiden Wendungen der Titelzeile verstehen: „ Wie eng“ – die Begriffe und Abläufe des Alltags; „wie leicht“ – die poetische Öffnung der Situation: ein „flügel“ genügt, und wir erheben uns über die enge Weltauslegung, die eine funktionale Handlung trägt. Ein solch Geringes genügt, um einen prosaischen, etwas stumpfen Weltausschnitt wie eine Tankstelle für einen Augenblick buchstäblich „auf-fliegen“ zu lassen.
Der Fortgang des Gedichts ist das Protokoll dieses Aufflugs. Mit der „staubweichen Falte“, dem „Fühler“, den „Augen“ sind wir im Reich der Insekten, der Schmetterlinge, den zarten Farben auf ihren Flügeln. Wir hören Bienen bei der Arbeit der Befruchtung. Doch verläßt das Gedicht nicht die Ebene der Tankstelle, um sich romantisch-sehnsuchtsvoll davonzumachen ins Ungefähre der zarten Natur. Es hält seine technischen und organischen Teile strikt zusammen: ein frühlingshaftes Fluggeräusch und das Betriebsgeräusch einer Benzinpumpe; ein Schmetterlingsflügel und der weiche Widerstand des Griffs der Tankpistole.
Die zwei Sphären Natur und Technik sind zusammengedacht, und sie klingen zusammen. „Meilenweit“ ist jetzt der Raum der freien Natur, aber auch die Fahrleistung eines vollgetankten Fahrzeugs. Lesend vereinen wir das Unvereinbare. Die Spannung der Gegensätze verliert sich. In der Hitze flimmert das vom Benzingemisch aufsteigende Gas. Konturen verschwimmen, Trennungen heben sich auf, Entspannung setzt ein. Ganz leicht nur berührt das Gedicht das Motiv der Aufhebung aller Gegensätze. Doch es ist zu klug und zu ironisch, um seine Tricks an einen solch schweren Effekt zu verraten.
Das Gedicht besteht aus einem einzigen Satz, dessen buchstäblichen Schwerpunkt zu Beginn die harten Konsonanten des „Tankstutzens“ bilden und an dessen Ende die martialische Zapfpistole steht. Dazwischen der poetische Aufflug. Brigitte Oleschinski karikiert nicht die Tankstelle als unwirtlichen Ort von Naturausbeutung und Technikkult; im Gegenteil: sie erotisiert die Tankstelle, macht sie zum Ort der Poesie selbst. Sie braucht kein Pathos, um die banalen Dinge in Schwingung zu versetzen. Sie schafft es, indem sie uns die sprachlichen Mittel, die dazu nötig sind, vorführt. Seht her, sagt sie: „Wie eng“ die Welt ist und „wie leicht“ wir sie öffnen können: mit einem weit ausschwingenden Satz in wenigen Versen, mit einem „flügel“ und einer „staubweichen falte“. So einfach ist das. Nein, so einfach sieht das aus. Sieben Jahre hat Brigitte Oleschinski gewartet, bis sie ihren neuen Gedichtband vorlegte. Vierundvierzig Gedichte umfaßt er, sprachlich hochkonzentrierte Gebilde; die besten leicht wie ein Tankflügelstutzen.
Hubert Winkels, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Zweiundzwanzigster Band, Insel Verlag, 1999
Schreibe einen Kommentar