MARSYAS
Das Fieber meines Liedes, der Wein meiner Stimme
Erschreckten ihn, Wolfskehle Apollo,
Den Gott, der seine Knaben erstickte und Schwämme,
Stumpfe Messer sang, Wolfskehle, Sandgesang.
Da wütete er, verletzt,
Und brach meine Kehle.
Fesselte mich an einen Baum, riß mir die Haut vom Leib, durchbohrte mich,
Bis das Wasser seiner langlippigen Worte in meine Ohren floß,
Die, überflutet, versagten.
Sieh mich, in Ketten eines geräuschlosen Raumes,
Gefällt, ausgeliefert kupfernem Geruch,
Durchstochen,
Gerichtet,
Aufgespießt wie ein Falter
In einer Flamme von Hunger, in einem Morast von Schmerz.
Die Nägel des Windes krallen sich in meine Eingeweide.
Nadeln aus Frost und Sand reiten in meiner Haut.
Niemand mehr hat mich gerettet.
Taubstumm hängt mein Lied in den Hecken.
Die Zähne meiner Stimme dringen nur noch zu den Jungfrauen,
Und wer ist jungfräulich noch oder jungfräulicher Bräutigam
In dieser Brandung?
(Ein Blutchoral entsteigt in
Flocken meinen Hungerlippen.
Ich verfluche
Die Spreu und den Klee und die Horde, die auf meinen Dächern
Die Vaterflagge hißt – aber du bist aus Stein.
Ich singe – aber du bist aus Federn und stehst
Wie eine Rohrdommel, ein Signal der Trauer.
Oder bist du ein Bussard – da – ein schwebender Bussard?
Oder im Süden, niedriger, ein Stern, der goldene Stier?)
Niemand mehr hat mich gerettet.
In meinen Kellern das Mineral der Erkenntnis ist angebrochen.
Hugo Claus und seine Übersetzerinnen Maria Csollány und Waltraud Hüsmert erhalten den mit 30.000 DM dotierten Preis der Stadt Münster für Europäische Poesie 2001.
Die Juroren Renate Birkenhauer, Michael Braun, Harald Hartung, Joachim Sartorius und Norbert Wehr waren einstimmig der Überzeugung, dass der Sammelband Gedichte ein bedeutendes dichterisches Werk repräsentiert und dass es sich bei der Übersetzung dieser lyrischen Lebenssumme um eine eigenständige übersetzerische Leistung handelt.
Hugo Claus, 1929 in Brügge geboren, gilt seit seinem Debüt mit achtzehn Jahren als genialisches Talent auf vielen Gebieten. Claus ist als Erzähler und Dramatiker, als Film- und Theaterregisseur hervorgetreten. Er hat Shakespeare und Georg Büchner übersetzt, und sein Roman Der Kummer von Flandern trug ihm Ruhm und Erfolg ein. Durch seine Mitgliedschaft in der Künstlergruppe Cobra ist er auch als Maler bekannt geworden. Der Lyriker Claus freilich, in seiner Heimat wohlbekannt und hoch geschätzt, war bis zum Erscheinen des Bandes Gedichte für den deutschen Sprachraum noch zu entdecken.
Der Lyriker Hugo Claus ist ein großer Experimentierer in Leben und Dichtung, ein Selbstsucher und Selbstversucher. Er wechselt virtuos die Register seiner Poesie. Ein Meister strenger Sonette und freier Rhythmen, meidet er das Glatte und Gefällige. In einem seiner „Unfrommen Gebete“ lässt er Hekate sprechen, die hilfreiche und zugleich unheimliche Göttin, die Herrin von Zauberei und nächtlichem Unwesen:
Allein im Unvollkommenen
werde ich voll und dick.
Schönheit ist kein Gleichgewicht.
Auf diesem dunklen Untergrund entfaltet sich die Skala eines umfangreichen lyrischen Werkes. Sie reicht von alten Vegetationsmythen zu sexuellen Kraftausdrücken, von Rekursen auf Volksromane zu Anspielungen auf populäre Seifenopern. Claus porträtiert Rubens und Rembrandt ebenso wie Lumumba oder eine anonyme Rundfunksprecherin. Er liefert lyrische Polaroids zu Jesus Christus, Randgedichte zu Dantes Inferno ebenso wie poetische Kommentare zu Epikur. So entfaltet Hugo Claus ein lyrisches Werk, das die Spanne von Alltag und Eros, von schöpferischer Anarchie und tiefer Geistigkeit in der Fülle seiner Töne und Register umfasst.
Nach Rosemarie Stills Übersetzung der Spuren für eine bibliophile Editon ist die zweisprachige Ausgabe Gedichte der gelungene Versuch, das große lyrische Œuvre von Hugo Claus umfassend und konzentriert einem deutschsprachigen Publikum zu präsentieren. Die Auswahl verdeutlicht die Themen- und Formenvielfalt einer breiten Produktion. Sie zeigt neben dem reifen auch den frühen kraftgenialen Hugo Claus. Maria Csollány und Waltraud Hüsmert meiden die Fehlschlüsse, die sich aus der vexierenden Nähe des Niederländischen und Deutschen ergeben können. Sie übersetzen genau und einfühlsam, so dass die poetische Kraft der Originale erhalten bleibt.
Renate Birkenhauer, Michael Braun, Harald Hartung, Joachim Sartorius, Norbert Wehr
− Laudatio von Michael Krüger auf Hugo Claus, Maria Csollány und Waltraud Hüsmert. −
Selbst gestandene Optimisten müssen sich eingestehen, dass der gewundene, schneller werdende Lauf der Geschichte nicht noch einmal durch poetisches Gelände fließen wird. Vielleicht war auch das klassische Arkadien nur ein notwendiges Surrogat für die erlittene Unbill des irdischen Lebens – aber es wurde immerhin, am Anfang unserer Zivilisation, zu einem geschichtsmächtigen Symbol. Das neue Arkadien jedenfalls – sofern es überhaupt als ein solches erkannt und benannt werden wird – wird ein Laboratorium sein, in dem die exakte Beschreibung lebensverlängernder Techniken die Poesie ersetzen wird. War Unsterblichkeit im Gedächtnis der Völker in der nachchristlichen Epoche das uneingestandene, aber doch wenigstens heimlich erwartete Ziel der poetischen Anstrengungen, so scheinen sich heutige Vorstellungen von einem langen Leben mit sehr diesseitigen Hoffnungen zu verbinden. Unter der künstlichen Sonne einer sich selbst berauschenden Wissenschaft, die den menschlichen Makel, das Defizitäre, die Passion, die Ausnahme, das Kontingente zu tilgen verspricht, um die Gesellschaft noch reibungsloser und effizienter funktionieren zu lassen, wird der Poesie bestenfalls ein kompensatorischer Ort zugewiesen werden: Was man am Hauptportal abgewiesen hatte, weil es nicht passte, nicht richtig gekleidet war, sich nicht schickte, lässt man gern durch die Kellertür herein, damit das Gesinde Unterhaltung hat. Was mit den Einflüsterungen der Götter begonnen hat, mit der anderen Stimme, die den Rhythmus vorgab, endet entweder in der Erfüllung bestimmter Reimschemata am Küchentisch oder in der bewussten Ausstellung des Randständigen. In dem Moment, da der Mensch sich auflöste in tausendundeinen Diskurs, verschwand auch die geheimnisvolle Stimme, und vollends wollte sie sich nicht mehr hören lassen, als man sie nachzumachen versuchte, oder noch genauer: sie nachmachte, sie imitierte, um ihren lächerlich geringen Kunstgehalt bloßzustellen. Seht her, hieß es plötzlich, nichts als gemeine Worte, die von gemeinen Menschen, die sich als Schamanen aufspielen, zum Zwecke der gemeinen Täuschung untereinandergeschrieben werden.
Das ist die Lage, und der wäre ein Narr, der sie durch heftige Wünsche schönreden wollte. Aus dem Himmel der metaphysischen Sicherheiten entlassen, von der Theologie abgewiesen, in der wissenschaftlich orientierten, ökonomisch bestimmten Gesellschaft nicht angekommen – und doch gibt es immer wieder Gedichte, die uns durch ihre geistige Energie fesseln und verstören, weil sie gerade dieses Zwischenreich repräsentieren. Sie gehören nirgendwo dazu, sie wollen nirgendwo dazugehören. Das Gesetz der Wahrheit, das die positiven Wissenschaften trotz aller Krisen als Ideal nicht aufgeben können, ist ihnen ebenso fremd wie das Bekenntnis zur Relativität, zum Unernst. Ihr Ideal, so hat es Peter von Matt kurz und bündig festgestellt, ist die Schönheit, der sie auf allen möglichen Wegen nahekommen wollen. Kein Dichter weiß, wie sie zu erreichen ist. Selbst wenn alle Regeln eingehalten werden, der Rhythmus und der Reim, das Metrum und das raffinierte Enjambement, lässt sich das ideale Gedicht nicht herstellen, nicht erzwingen. Das, was fehlt, um aus einer Ansammlung von geordneten Worten und Klängen ein bedeutendes Gedicht zu machen, ist das Ferment der Inspiration, das wir im geglückten Gedicht wahrnehmen können, das chemisch nicht rekonstruierbar ist.
Keiner weiß das besser als die Übersetzer, die den tollkühnen Versuch unternehmen, Gedichte zu übertragen. Fehlt ihnen die Inspiration, ist ihre Arbeit für die Katz. Sie können dann noch so gebildet und beschlagen sein, die Anatomie des Gedichts in- und auswendig kennen, sie werden dennoch nur magere Resultate produzieren. Die prinzipielle Nichtherstellbarkeit von geglückten Gedichten bleibt ihr Geheimnis. Und weil sich dieses Geheimnis oftmals nur hinter wenigen Worten versteckt, die noch dazu jedem zugänglich sind, reizt es uns wieder und wieder, es hervorzulocken. Jede Lektüre eines Gedichts, jede Wiederholung dieser wenigen Worte ist der Versuch, dem Geheimnis auf die Schliche zu kommen. Aber so, wie der Dichter selber den Moment verpasst, der seine Worte belegt, und erst im nachhinein erstaunt feststellt, was ihm da geglückt ist, so ist auch der inspirierte Nachleser – früher, als das Wort noch nicht kontaminiert war, war es der Nachbeter – so ist auch der inspirierte Nachleser nicht in der Lage, diesen Geist zu fassen. Dieser sonderbare Geist, der unter verschiedenen Namen und Kleidern auftritt, der unter dem Clownskostüm den Straßenanzug und unter dem Straßenanzug die Kutte des Priesters und unter der Kutte des Priesters den Lendenschurz des Schamanen tragen kann, der als „lyrisches Ich“ Karriere gemacht hat, und dennoch keine Steuern zahlt, der sich einstellt, wenn es ihm passt, und der wieder verschwindet, wenn ihm der Sinn danach steht, der sich von Nuancen und feinen Echos ernährt und deshalb nicht zunimmt, der die Worte zum Erzittern bringt und ihnen die Melancholie einbläst, gerade wie es ihm gefällt, dieser sonderbare Geist, der sich der Realität nicht stellt, der mal archaisch und mal aktuell gewandet ist, dieses changierende Nichts, das uns heute hier zusammengeführt hat, gehört zu den wenigen Existenzialien unserer flüchtiger werdenden Existenz.
Gerade dieses Irrlicht ist – so paradox es klingen mag – das Festeste, das man sich vorstellen kann. Es inspirierte und formte mit seinen „Flammenfingern“ (Hughes) den ersten Schrei unserer Zivilisation und ließ sich weder durch das blutige Gemetzel, das wir Geschichte nennen, noch durch die Wissenschaften der Neuzeit davon abhalten, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Es sucht sich oft die Ärmsten und Verzweifelten aus, um seine Künste zu erproben. Es ließ sich weder von schlimmen historischen Bedingungen mundtot machen noch von bürgerlichen Erfordernissen. Es muss, mit anderen Worten, ein anthropologisches Bedürfnis nach Poesie geben, nach diesem verführerischen Zauber, der von Gedichten ausgeht, ohne dass das Poetische je dingfest gemacht werden konnte. Gerade heute, da die ästhetische Reflexion über die Mittel, Zwecke und Folgen der Kunst diese häufig zu einem bloßen Anlass für theoretische Überlegungen degradiert hat, sind wir weiter entfernt denn je von einer Bestimmung des Kunstschönen. Man hat sich irgendwie darauf geeinigt, dass Poesie etwas Wertvolles ist, auch wenn sich dieser Wert, die metaphysische Substanz dieses Wertes, nicht messen lässt. Denn man ist sich immer noch uneins darüber, was an Poesie so wertvoll sein soll: das Spiel mit den Worten? Die Ausleuchtung des Weltinnenraums, wie Rilke sich das vorstellte? Die gespielte Verantwortungslosigkeit, die etwas erlaubt, was sonst nicht erlaubt ist? Der Mangel an Kontrolle? Oder das Übermaß an Kontrolle, das heißt die Beherrschung von Reimtechniken, die Erfüllung von Vorschriften, die vor fünfhundert Jahren geschaffen wurden?
Nun, wir wollen und können diese Fragen auch an diesem Sonntag nicht lösen. Dass sie uns an einem Sonntag interessieren, lässt allerdings tief blicken. Da nur noch wenige am Sonntag Gott loben – oder loben müssen −, ist ein Freiraum entstanden, den die Dichter gerne besetzt haben. Dann wäre ich also – Gott behüte – der weltliche Priester, dem die Aufgabe zufällt, statt einer Bibelstelle die Gedichte von Hugo Claus in der Übersetzung von Maria Csollány und Waltraud Hüsmert auszulegen. Ich hoffe, dass Sie nicht mit dieser Erwartung hierher gekommen sind, denn schon das erste Gedicht, das ich zitieren möchte, hat nicht eine der genannten, sondern Rosemarie Still übersetzt. Da es aber die von Maria Csollány ausgewählte Sammlung der Gedichte von Hugo Claus einleitet, die einzige übrigens, die, neben dem schönen Band Spuren bei Kleinheinrich, im Buchhandel lieferbar ist, soll es auch hier am Anfang stehen:
ENVOI
Meine Verse gähnen noch ein bisschen.
Daran gewöhn ich mich nie. Sie haben hier lang
genug gewohnt.
Genug. Ich schick sie weg, ich will nicht warten
bis ihre Zehen kalt sind.
Durch ihr verworrenes Gelärm nicht gestört
möchte ich das Dröhnen der Sonne hören
oder das meines Herzens, der sich verhärtende Schwamm, der verrät.
Meine Verse vögeln nicht klassisch,
sie plappern ordinär oder prahlen allzu vornehm.
Im Winter springen ihnen die Lippen,
im Frühling liegen sie bei der ersten Wärme flach,
sie versauen mir den Sommer,
und im Herbst riechen sie nach Frauen.
Genug. Noch zwölf Zeilen auf diesem Blatt
halte ich ihnen die Hand übers Haupt,
und dann kriegen sie einen Tritt in den Arsch.
Nölt anderswo, ihr Reime für einen Cent,
bebt anderswo für zwölf Leser
und einen schnarchenden Rezensent’.
Geht jetzt, Verse, auf euren leichten Füßen,
ihr habt nicht schwer getreten auf der alten Erde,
wo die Gräber lachen, wenn sie ihre Gäste sehen,
die eine Leiche auf die andere gestapelt.
Geht jetzt und taumelt zu ihr,
die ich nicht kenne.
Leider verschweigt die deutsche Ausgabe, wann dieses Gedicht geschrieben wurde, alles andere aber findet seinen deutlichsten Ausdruck. Der Autor tritt auf als Ästhet und Berserker, als Schöpfer und Zerstörer. Von diesen grimmigen Zeilen, die wie mit geballter Faust geschrieben scheinen, geht ein doppelter Schrecken aus, der das gesamte Werk dieses produktiven Dichters durchtränkt: der Schrecken der Gewissheit, dass die Poesie keinen anderen Adressaten mehr hat, dass die schöne Rede, so leicht und anmutsvoll sie auch daherkommt, im Raum verhallt; und der Schrecken darüber, dass auch der Dichter, die ästhetische Existenz, sich mit seiner Produktion nicht freikaufen kann. Der lange Schatten der acedia, der Schwarzgalligkeit, liegt über diesen Einleitungsversen, ihr Ton ist auf Vergeblichkeit gestimmt. Eine pessimistische Diagnose. Kein anderer Dichter seines Sprachraums hat so viele Worte gefunden wie Hugo Claus, um der sich anschleichenden Erkenntnis von der Vergeblichkeit eine Mauer entgegenzusetzen. Selbst der katholische Himmel über Flandern bietet ihm keinen Schutz gegen die ansteigenden Melancholiewellen. Jahrelang hat er sich mit Ironie und einem grenzenlosen Vitalismus gegen die tragischen Interpretationen der Welt zur Wehr gesetzt. Jahrelang hat er seine Muskeln spielen lassen. Wenn man die reiche, überbordende Produktion von Hugo Claus anschaut, die verschiedenen Phasen unter die Lupe nimmt und hinzuzählt, was er außerhalb des weißen Papiers noch alles getrieben hat, dann könnte man sich ihn als ein kluges, wildes Kind vorstellen, ein enfant sauvage, das seine ganze Energie darauf verwendet hat, sich die Zivilisation vom Leibe zu halten – trotz der unumstößlichen Einsicht, dass dies unmöglich ist. Mit diesem Paradox muss fast jeder Dichter leben, ganz besonders aber einer wie Hugo Claus.
Vergegenwärtigt man sich die bildnerischen Arbeiten der niederländischen Künstlergruppe Cobra, zu der auch die beiden Maler-Dichter Claus und Lucebert gehörten, dann wird dieses Paradox sofort einsichtig: eine anarchische, wuchernde Bildersprache läuft wie ein Brand über die Leinwände und Kartons, als wollte sie die alten Erinnerungsarchive, wie sie die Malerei jener Gegend entwickelt und ausgestellt hatte, löschen – aber auch die Bilder der Cobra-Gruppe ergeben wieder ein Sprache, die wir sofort erkennen und verstehen. Die emotionale Erregung, die geradezu rauschhaften Zustände, die in dieser Kunst sich Ausdruck verschaffen, bilden selbst wieder ein Erinnerungsarchiv, in dem ein großer Schatz unserer eigenen Jugend aufbewahrt liegt, jener nämlich, die im Moment gerade von einer neuen Generation exorziert zu werden versucht. Das ist normal, auch wenn uns die Biederkeit der Polemik abstößt. Denn was macht, zu was wird eine Gesellschaft, die sich nicht mehr durch die wie auch immer verletzende Geste, durch Provokation und Spontaneität aus der Fassung bringen lässt, um die ihr gemäße Fassung zu finden?
Wenn wir, an der Hand von Maria Csollány, die poetische Landschaft von Hugo Claus durchwandert haben, dann finden wir am Ende, als poetische Klammer, wieder ein Gedicht, das als Echo des ersten zu lesen ist:
DICHTER
Herbst. Horch. Knattern. Hörst du das laute Prasseln?
Es naht in unsern Kleidern, in unsern Haaren.
Läuse aus Geräusch. Was ist dies aussätzige Murmeln?
Kind, das sind die zähneklappernden Dichter draußen.
Je näher die Dichter ihrem Sterben kommen
Desto grimmiger greinen sie zu den Sternen.
Im Morgennebel, in dem ihre Bilder schmelzen
Erfrieren die Dichter in einem erkennbaren Jackett.
Horch wie fiebrig sie ihr nahendes Schwinden erklären
Denn ihr letztes Röcheln soll durchsichtig sein,
Ihre Leserwitwen zum Schluchzen bringen.
,0, unser Ego war zu düster!‘ klagen sie.
,Das verlangte die Zeit, polyinterpretabel wie wir!‘
Und siehe, sie kriechen aus ihren Seelenwickeln,
Den Mund voll Kroketten und Gebeten um Gnade
Für ihre Prostata, ihr Plagiat.
Und in den letzten Zügen entdecken die Dichter jäh
Die beunruhigenden Mirakel der Götter, Aphorismen,
Aspirin, Zärtlichkeiten. Zum ersten Mal kann ihre Liebste
Etwas von den Lippen ihres Liebsten lesen.
Und bevor die Dichter, lose Winteräpfel,
Von den Pflückern als minderwertig verschmäht
Schließlich doch im November fallen
Wollen sie auf ewig für die Nachbarn verständlich
Fallen. Im Krämerjargon, wie Obst natürlich überreif.
Sie lauschen noch immer verbittert dem Geschmier
Der Zeitung, die ihren Namen stets falsch buchstabiert
Und füllen ihre Kreuzworträtsel aus
Voll Anekdoten, Angst und stolpernder Lieben.
Aber zu spät, zu taub, wird den Dichtern klar
Dass, was düster und platt in ihren Versen war,
Durch Abnutzung, Dauer, nicht heller wird,
Sondern weiter verdirbt. Unergründlich
Bleiben ihr Haus, ihr Wort, der Breitengrad, der Azur.
Ihre sture Dunkelheit bleibt ordinär wie Geld
Und flüchtig wie der Tod.
En als de dood zu vluchtig… da ist er wieder, der Hugo-Claus-Sound der Vergeblichkeit, der Prospekt einer negativen Vision, die der von der Welt und dem Realitätsprinzip enttäuschte Dichter ohne Demut und ohne Rücksicht auf sich selber entwirft. Und was hält diese Klammer zusammen?
Hugo Claus hat immer wieder Gedichte geschrieben, die man als offene oder versteckte Kommentare zu Gedichten und Autoren bezeichnen könnte, als spontan-gelehrte Fußnoten zur Literatur der Welt und der Weltgeschichte. In unserem Band sind es Porträts von Byron bis Calvino, Notizen zur Genesis, die ja, was häufig vergessen wird, auch einen berühmten Dichter als Autor hat, und sehr aufschlussreiche Anmerkungen zu Dante, die mich besonders affiziert haben. Ich brauche wohl nicht eigens zu sagen, welchem Teil der Commedia sein Kommentar gilt, es ist natürlich das Inferno, und natürlich drängt sich dem Leser Hugo Claus eine Parallelisierung mit der eigenen Existenz auf, weil er Literatur, Schrift nie als etwas in der Geschichte Eingefrorenes lesen kann, sondern als Aufforderung, sie fortzuschreiben. Wer so liest und schreibt, auf den Schultern der Riesen, die die gesamte Tradition repräsentieren und bewahren, muss zwangsläufig ein freies, nicht-normatives Verhältnis zu den literarischen Formen haben. Ist es das, was Hugo Claus so anziehend macht, dass er nicht wie ein Priester einen Glauben vertritt, eine Schule verteidigt, stur einer definierten Richtung folgt, also nur eine poetische Wahrheit kennt, sondern dass seine anarchisch-vitale Neugier gerade mit allen Sinnen und Mitteln vermeidet, dem Kanon, dem Glauben, der Schule in die Arme zu laufen? Diese Weigerung verdankt sich einem rigorosen Individualismus, den man in seiner literarischen Konsequenz bewundern darf, auch wenn er manchmal unheimlich anmutet wie in seinem Gedicht „Vor dem Tor“.
VOR DEM TOR
Dass Regelmäßigkeit friedlich sei,
ich hab es lange geglaubt, ein Friede von Ästen und
Schnecken. So wie gemeißelte Sätze selbst ohne Sinn
Unordnung mildern können. Doch ich bin
ein verbeultes, versiegeltes Maß, zusammengehalten
von Schnüren, die nicht verknüpfbar sind
im stets fahler werdenden Licht
von Formen
wie Vermutungen.
Die Formen besitzen fragmentäres Gewicht,
trotzdem verbinden sie die Dinge.
Die Dinge fallen in Ohnmacht,
wenn jemand sie erkennt, so entstehen
Erinnerungen, diese Farbe, diese Wolke, diese Straße,
dieser Mann; er taumelt auf dem Fahrrad ins Nichts.
Nichts? Würmer
auf deiner Decke.
Über den Himmel streifen fallende Flammen,
die sich im Lichteinfall in gelben Regen,
oder, wenn du hoffen willst, in goldene Zungen verwandeln,
in Fetzen von großen Abwesenheiten, von Gebeten,
die jedes Loch dichten würden. Aus welchem Grund?
Dessentwegen, was wir gemeinsam vollbrachten?
Dennoch die Hand ausstreckten.
Trotzalledem.
Denn, so spröde sie sei, die Klinke öffnet die Tür des Traums
zum schwarzen Wald der Vermutungen.
Da fließen spektrale Streifen Blut,
doch wurde kein Mantel, kein Gras bespritzt.
Die Welt wird verblassen, ob Einheit oder Gleichgewicht
in ihr herrschte oder nicht,
ohne Zeichen
von innen.
Erkennst du deinen Nächsten, den hustenden Kerl,
der dir den Rücken zukehrt, wegsieht von deinen Streichen?
Er schaut woanders hin, nach Anwesenheiten
außerhalb deines Moments, des unselbständigen zeitweiligen
Monuments, aus Gründen, die du hören könntest,
wenn du zuhören könntest.
Doch du wirst weiter in Zwietracht verderben, in deinem Mantel blattgoldener Lügen. Zwietracht vor einem Tor
ist, was du hörst.
Vielleicht gibt es nur noch sie, die Getreue.
Sie trauert nicht um Dinge, sie ist
und verkörpert die Erde. Vom Fenster aus sieht sie
den geschlagenen Rücken, die verkrampften Schultern,
den Schandpfahl des Mannes. Die Zeit des Mannes,
Wein und Essig, ist nicht ihre Zeit. Ihr Schauen
ist die Zeit der Erde. Sie, die Getreue, wacht
und lacht über die Schatten, die aufrecht stehenbleiben
an den Rändern der Welt. Sie sagt:
,Anwesend sein, das genügt.‘
Das Gedicht hört übrigens mit einem Vers auf, dessen Kern, dessen Aussage, in verschiedener Form immer wieder im Claus’schen Werk auftaucht: „Anwesend sein, das genügt.“ Einen geschichtsphilosophisch begründeten Horizont sucht man in diesen Versen vergebens: „Die Welt wird verblassen, ob Einheit oder Gleichgewicht in ihr herrschte oder nicht.“ Und man darf getrost hinzufügen: Die Welt wird mit mir verblassen, mit meinem Verschwinden. Aber wir haben auch das eine Wort nicht überhört, das den Pessimismus einsilbig, kurz angebunden herausfordert: trotz alledem. Dennoch die Hand ausstrecken. Trotz alledem. Es ist die selbstbewusste Haltung des David Mensch, der gegen den Goliath Welt antritt. Es ist die Haltung des Dichters gegen die alles fressende Gewalt der Zeit, gegen die Anämie der Geschichte, gegen die Auszehrung. In diesem ernsten Wort verkapselt sich der ganze Stolz, als Poet etwas leisten zu können, das nur über die Fortschreibung der Schrift zu leisten ist. In ihm leuchtet die Gewissheit auf, dass in der Poesie, in ihrem sinnlichen Reiz, etwas entsteht, das dem Mahlstrom trotzt. „Es ist besser, Gras zu sein“ heißt es in einem anderen Gedicht – „man kann es mähen, jäten und wild wächst es wieder, und immer anders“. Das Hohe Lied des Grases, so ließe sich die Poetik des Hugo Claus beschreiben. „In einer Kultur, deren bereits klassisches Dilemma die Hypertrophie des Intellekts auf Kosten der Energie und der sensuellen Begabung ist, ist Interpretation die Rache des Intellekts an der Kunst. Mehr noch. Sie ist die Rache des Intellekts an der Welt“. Das schrieb, vor vielen Jahren, Susan Sontag; ich werde also schließen, um mich nicht weiter an diesem Ränkespiel zu beteiligen.
Aber wir müssen noch ein Wort über die Übersetzungsanstrengung verlieren, die ja auch ein Grund ist, warum wir uns hier zu Ehren eines großen Dichters eingefunden haben. Übersetzer von Gedichten sind generöse Menschen, weshalb sie auch so selten anzutreffen sind. Man erkennt sie in der U-Bahn daran, dass sie nicht wie andere Menschen Zeitung lesen, sondern selbstvergessen die Lippen bewegen, weil sie, durch ständige Wiederholung, einem metrischen Schema auf der Spur sind, einem Bild, das es in einer Sprache schon gibt, für das es in einer anderen Sprache eine Entsprechung zu finden gilt. Sie kauen die Worte so lange, bis sie in ihre kleinsten Einzelteile zerfallen sind, um aus diesen Resten etwas Neues entstehen zu lassen. Sie sind Sprachzerstörer und Bilderstürmer, um Sprachbildner und Bildrestauratoren zu werden. Sie brauchen Zeit für ihre Arbeit, die mit Geld nicht aufgewogen werden kann. Wenn ein versierter Prosaübersetzer am Abend stolz auf seine fünf Seiten zurückblickt und die verdiente Flasche Wein entkorkt, hockt der Lyrikübersetzer oftmals immer noch über der dritten Zeile, die sich störrisch weigert, dem Silbenmaß einer anderen Sprache zu gehorchen. Das Skelett mag abzubilden sein, die Anatomie mag stimmen, aber diese Erfüllung von Vorschriften macht noch keinen poetischen Vers.
Diese Schwierigkeit, die jedem, der einmal Gedichte übersetzt hat, bekannt sein dürfte, potenziert sich in unserem Falle noch einmal. Die eigentümliche, nicht immer seriöse Auseinandersetzung um die niederländische Sprache, wie sie im frühen 19. Jahrhundert geführt wurde, gipfelte in der Forderung, die Holländer und Flamen sollten sich gefälligst ein wenig anstrengen, damit ihre Sprache als deutscher Dialekt durchgehen könnte. Mit welchen in aller Regel romantisch-chauvinistischen Argumenten gefochten wurde, ersieht man daraus, dass genau diese Argumente im Dritten Reich dazu herhalten durften, die Superiorität des Deutschen zu bekräftigen. Was die Grimm und von Fallersleben in ihrer naiv-überschwenglichen patriotischen Phantasie vorgeschlagen hatten, gipfelte bekanntlich in der zweimaligen Zerstörung der Bibliothek von Leuven, in der ja perverserweise all die literarischen Dokumente aufbewahrt wurden, die die Einheit bestätigen sollten.
Wenn also heute einer Gedichte aus dem Niederländischen übersetzt, muss er allerhöchste Vorsicht walten lassen, um nicht in den zahlreichen Fallen der trügerischen Wörtlichkeit zu landen. Denn was nicht wirklich zusammengehört, darf nicht zusammengezwungen werden. Eine Liebe zu Flandern zum Beispiel sollte nicht mit flandrischer Liebe verwechselt werden, was nichts anderes als eine Umschreibung für Treulosigkeit und Flatterhaftigkeit ist.
Aber an einem Mangel an Sprachkenntnis und Einfühlungsvermögen kann es nicht liegen, dass der Dichter Hugo Claus in Deutschland bislang so wenig bekannt geworden ist. Die Arbeit der Übersetzerinnen ist über jeden Zweifel erhaben, das Ergebnis kann sich lesen lassen, der Dichter darf sich beruhigt zurücklehnen: er ist – mit all seiner Schroffheit und Fremdheit gegenüber der Welt – in Deutschland angekommen. Dafür möchten wir uns bei Maria Csollány und Waltraud Hüsmert bedanken.
Michael Krüger, in: Hermann Wallmann (Hrsg.): Als ihr Alphabet mich in die Hand nahm, Daedalus Verlag, 2011
Gottfried Benn sagt in seinem Vortrag „Probleme der Lyrik“: „Ein Gedicht entsteht überhaupt sehr selten, ein Gedicht wird gemacht“. Weitaus mehr noch als für das Gedicht selbst gilt dies für die Übertragung eines Gedichts: Übersetzen ist Fleißarbeit. Das Gedankenmuster des Originals ist fertig vorgegeben. Dem Übersetzer ist es verwehrt, aus den Assoziationen des Originalgedichts eigene Gedankenbrücken zu bauen; er muß meist auf den überspringenden Einfall verzichten, mit dem sich bisher getrennte Begriffe überraschend zu einer neuen Metapher verbinden.
Was ihm bleibt, ist im Grunde nur das heikle Geschäft, aus einer beschränkten Anzahl möglicher Lösungen diejenige Variante auszuwählen, die von dem fremdsprachigen Gedicht möglichst viel in die eigene Sprache herüberrettet. Dabei kommt es nicht so sehr auf korrekteste Übersetzung einzelner Wörter an, sondern darauf, daß die individuelle Struktur, der Klang des Gedichts mit all seinen Untertönen und seine Atmosphäre so weit wie möglich erfaßt und wiedergegeben werden. Denn daß es die ideale Übersetzung eines Gedichtes nicht gibt, sondern immer nur eine mehr oder minder gelungene Annäherung, ist eine Binsenweisheit, die hier nicht eigens erörtert zu werden braucht.
„Übersetzen ist der Versuch, mit gefesselten Gliedern tanzen zu wollen“, hat ein ungarischer Dichter gesagt. Müßte das nicht einem Übersetzer, der aus einer so nah verwandten Sprache wie dem Niederländischen Gedichte ins Deutsche überträgt, leichter fallen? Kneifen ihn die Stricke nicht etwas weniger? Ein Deutscher, der einen niederländischen Text in die Hand nimmt, trifft darin auf viele bekannte Wörter und sogar ganze Redewendungen, und glaubt, mit etwas Mühe zu verstehen, was gemeint ist. Der ähnliche Satzbau, die nahezu gleich lautenden Wörter, deutlich erkennbar desselben Ursprungs, drängen einem „passende“ Wörter der Zielsprache geradezu auf und locken damit selbst noch den Übersetzer, sobald er sich auf seine intuitive Sprachkenntnis verläßt und ohne viel Nachschlagen im Wörterbuch auszukommen meint, unweigerlich aufs Glatteis. Ein Beispiel: „Een deftige heer is nooit zat“. Bei „deftige“ schweift die Phantasie sofort zu üppigen Gerichten, von denen der Herr offenbar nie genug bekommen kann. Der Satz bedeutet aber: „Ein vornehmer Herr ist nie betrunken!“
Die meisten Fangeisen liegen jedoch nicht so offen da. Oft genug verstecken sie sich in den täglich gebrauchten, unauffälligen Wörtern, die in literarischen Texten besonders häufig in solchen Bedeutungsvarianten erscheinen, die man im Wörterbuch erst unter Punkt sieben oder elf oder noch weiter unten findet.
Was die Form betrifft, so kommt das Niederländische im allgemeinen mit einer geringeren Silbenzahl aus als das Deutsche. Bei einer strengen Versform sieht der Übersetzer sich daher oft genötigt, möglichst die kürzesten, wenn auch nicht immer ganz adäquaten Synonyme zu wählen, läuft aber Gefahr, dabei einen Anteil vom Aussagegehalt preiszugeben. Und vom Reimzwang wollen wir gar nicht erst reden.
Die Bausteine, die die andere Sprache liefert, liegen da, nur lassen sie sich nicht mehr lückenlos aneinanderfügen. Als Vorteil für den Übersetzer erweist sich die Verwandtschaft des Niederländischen und Deutschen höchstens beim Übertragen von freien modernen Gedichten, wo es weniger auf Reim, Metrum und Wortklänge ankommt, sondern wo vor allem die Bilder und Metaphern, das Sinngefüge und der Spannungsbogen eines inneren Rhythmus das Wesen des Gedichts ausmachen.
Noch eine weitere Schwierigkeit gab es zu überwinden. Schon in der ersten Arbeitssitzung stellten wir fest, und zwar jeder an den Texten der anderen Kollegen, und die niederländische Autorin Judith Herzberg, die zweimal als Gast an der Gruppenarbeit teilnahm, an uns allen, daß wir sehr zur Überhöhung neigten: wir hatten oft aus den möglichen Synonymen das „schönste“ und „feierlichste“ ausgewählt, so daß die Übersetzung eine Gewichtigkeit bekam, die das Original überhaupt nicht beanspruchte. Manchmal wurde der Sinn der Aussage dadurch eingeengt, wenn nicht gar verfälscht. – Die Mitarbeit eines Autors oder Übersetzers aus dem Land der Ausgangssprache hat uns bei solchen Fällen sehr geholfen.
Maria Csollány, aus: Unbekannte Nähe. Moderne niederländische Lyrik bis 1980, Straelener Manuskripte Verlag, 1985
… Hugo Claus ist ein rühriger, dionysischer Künstler, auch wenn man in seinem Werk zahlreiche klassische Motive aufdecken kann, wie es Paul Claes in seiner Interpretation getan hat. Harmonische Ruhe ist nirgends zu finden. Auch in Claus’ Gedichten geht es ordentlich zur Sache. Vor allem in diesem Teil seines Werkes gehört er der Gruppe der ,vijftigers (der Fünfziger) an, und vielleicht steht er von allen Dichtern der Generation der Vijftigers Lucebert am nächsten. Aber Claus’ Gedichte sind erheblich dunkler als die des lachenden Lichtgotts.
Seine Lyrik ist zudem von sehr unterschiedlicher Qualität. Dies hängt unter anderem mit dem Gefühl zusammen, daß sie nicht ganz vollendet zu sein braucht. Zufall und Willkür werden nirgends ausgeschlossen. Auf einige Kritiker macht diese „offene“ Inspiration einen unreflektierten Eindruck. Dennoch sind Bände wie De Oostakkerse gedichten und Tancredo infrasonic Höhepunkte der Nachkriegslyrik. In De Oostakkerse gedichten besingt Claus die tierische, primitive Herkunft des Menschen und wendet sich gegen denjenigen, den er in Tancredo infrasonic als „Weißen Spion / Hafendiener“ umschrieb, gegen den Schreibstubensekretär, den Knecht der Zivilisation. Später nannte er die Thematik in De Oostakkerse gedichten und in De geverfde ruiter: „Jammern über meine Geburt, ,entstanden in fehlendem Licht‘“.
Die Poesie von Hugo Claus ist voll von ekstatischem Freiheitsdrang, aber der Dichter fühlt sich auch beengt durch die beklemmende Welt um ihn her:
Frei ist der Sänger nicht,
Aber flink und verächtlich und Spitzen
stutzend wie einen Bart.
Frei ist er nicht, denn sein durchbohrtes
Geplätscher
und sein sprechendes Wurmholz hängen
in seinem Mund, in Zäpfchen und Zunge.
Der Sänger ist sein Lied.
Preisgegeben in seiner Haut, diesem Haus,
grüßt er weder Kuckuck noch
Finkenfänger,
Noch die scheuen Späher im
Flachland.
Wer das gesamte Werk Claus’ in all seinen Genres nebeneinander betrachtet, erkennt eine Art Ganzheitsvision. Es wimmelt nur so von Gegensätzen und Widersprüchen, die samt und sonders das Ziel verfolgen, unser bipolares Denken zu widerlegen.
Rob Schouten, aus: Trouw, 31.3.1994 anläßlich des 65. Geburtstages von Hugo Claus
Eines der klassischen, immer wieder zitierten und bewunderten Gedichte von Hugo Claus ist ohne Zweifel „Marsua“, ein frühes Gedicht aus De Oostakkerse Gedichten (1955). Zum besseren Verständnis das Folgende vorweg.
Ich gehöre nicht zu der Schar der spöttelnd bewundernden Kläger, die diesen Gedichtband unablässig gegen das spätere Werk des proteischen Meisters ausspielen, um daraus abzuleiten, daß er eine Art Ensor’sche Figur sei, der die Last eines vollendeten Gedichtbandes mit sich herumschleppen muß, sein ganzes Leben lang. Gerade indem ich nur dieses eine Gedicht einer näheren Betrachtung unterziehe, hoffe ich, über die Originalität und die Qualität aller anderen Gedichte zu sprechen, und zwar ohne die reichlich infantilen Differenzierungsbemühungen einer Reihe kritischer Studien, die – auf der Basis stilistischer und poetologischer Spitzfindigkeiten – häufig nichts anderes bewirken, als daß man die unverwechselbare Querköpfigkeit der Claus’schen Gedichte verfehlt. Es gibt nichts Perverseres als diejenige Kritik, die eine Vorgabe des Dichters als Maßstab nimmt, um mit ihm sein späteres Werk zu verurteilen. Unter dem Vorwand von Werktreue verrät, wer so liest, die Aktualität, die Entwicklung, die Dialektik, die dazu führen muß, daß dieses Prinzip fruchtbar gewesen ist. In „Marsua“ geht es um ein solches dynamisches Prinzip, aber nicht als Stilprinzip verstanden, eher als ein poetologisches und sogar existentielles Programm.
Der Mythos ist unter anderem bekannt aus der knappen Erwähnung in Ovids Metamorphosen – der Satyr nimmt es mit dem musischen Gott auf, meckert und brüllt seinen dionysischen Gesang, schleudert seine Profanierung des Erhabenen in das Angesicht der theologischen Sonne – und verliert. Marsyas (ich verwende die traditionelle lateinische Schreibweise des Namens) verliert diesen Sängerwettstreit nicht weil er schlecht singt, vielmehr verliert er ihn, weil die vom verhöhnten Gott selbst eingesetzte Jury nur ein einziges Kriterium anlegt: das seine. Und das bedeutet: die Ablehnung der Dithyrambe und die Verabsolutierung der Euphonie. Klassisch wurde der Mythos immer als Paradigma des – wie es im Van Dale-Wörterbuch heißt – „aufgeblähten Wahns“ gesehen; der Silen aus Phrygien kennt seine eigenen Grenzen nicht und tut etwas Törichtes. Die Frage stellt sich, ob das wirklich so ist vielleicht zeigt der Wettkampf zwischen der Leier und der Flöte in erster Linie die Grenzen des apollinisch-euphonischen Urteilsvermögens…
Wir sollten nicht aus den Augen verlieren, daß Marsyas diese unsinnige Herausforderung annimmt, indem er auf einer Flöte spielt, die wohlgemerkt Minerva (Athene), dem Symbol der Weisheit, gehört hat. In klassischer Interpretation könnte man behaupten, daß die verlorene Flöte das Symbol der geliehenen Weisheit ist: jemand, der glaubt, daß er ebenso virtuos spielen kann wie das Genie, nur weil er dessen Flöte stiehlt, ist zu jämmerlicher Imitation verurteilt, zu Missklang und lächerlichen Talent-„Beweisen“, die alle sensiblen (apollinischen) Ohren quält.
Robert Graves weist in seiner Griechischen Mythologie darauf hin, daß der Konflikt zwischen Apollo und Marsyas vielleicht auch politische Hintergründe verdeckte: „Apollons Sieg über Marsyas und Pan erinnert an die hellenischen Eroberung Phrygiens und Arkadiens (sic). Außer bei der Landbevölkerung wurden die Windinstrumente durch Saiteninstrumente ersetzt.“ Wenn wir kurz bei diesem Motiv bleiben, erweist sich der Streit zwischen Marsyas und Apollo als der zwischen der Leier, dem Symbol der erhabenen Kunst, und der phallischen Flöte, dem Symbol des niedrigen „Stands“. Militärische Eroberung und Diktate für eine elitäre Kunst gehen in Apollos Eroberung also Hand in Hand; wie Platos Politeia bietet uns seine Kunstphilosophie eine Möglichkeit, die uralten transgressiven, sexuell angehauchten Rituale zu vergessen und zu verdrängen.
Der Kampf, der hier stattfindet, ist, wenn wir Nietzsche glauben können, nicht nur literarischer oder stilistischer Art; er ist ein Kulturdrama von weltweiter Bedeutung. Die archaische Welt der dionysischen Riten lehnt sich in der Gestalt des Silens Marsyas gegen die neumodischen, kunstphilosophischen Spitzfindigkeiten auf, die sich als rationale Theologie, Harmonie und Transparenz tarnen. Die „Dialektik der Aufklärung“, die durch die Suggestion einer künstlichen Klarheit ihre eigene Verdunkelung verdunkelt, wird also gerade durch das schmerzhaft „falsche“ Flöten des Marsyas demaskiert. In solchen Oppositionen wird, wenn wir Nietzsches Logik aus der Geburt der Tragödie folgen, Verrat an der düsteren, existenziellen und primären Kraft der vitalen griechischen Kultur begangen. Nietzsche ist der erste, der die griechische Kultur als innerlich gespalten ansieht, als eine Kultur, in der das Erhabene plötzlich seine Bedeutung ändert: nicht länger das Sublime des Blutes und der Tragödie, sondern das der harmonischen Architektur, die von Welteroberung träumt. Dieser Verrat hatte für Nietzsche sogar etymologische Geheimnisse: Tragödie bedeutet ursprünglich Bocksgesang (das Wort ist zusammengesetzt aus tragos, Bock, und oidein, singen). In der archaischen Tragödie meckert der Bock – die Geilheit, die Todesangst das Leben in seinen extremen Formen, die auch für die ekstatische Vitalität sorgten und die in der späteren griechischen Kultur, als sie ihren eigenen Stil als offiziell erklärt, verschwinden sollten. Nietzsche sieht den dialogisierenden Sokrates mit seiner Sophistik als Mittelpunkt dieses kosmischen Kulturdramas. Genau diesem archaischen und genialen Meckern wird durch die Diskussionstechnik der platonischen Schule von Syrakus die Kehle zugedrückt; der dithyrambische Bock schweigt in Platos Politeia endgültig, er wird selbst, zusammen mit den Künstlern, als erstbester Staatsverräter aus dem Staat verwiesen. Mit ihm werden die Vorsokratiker, Diogenes von Sinope und alle kynischen Stimmen vor die Tür gesetzt. Dieser Staatsstreich ist Nietzsche zufolge der Beginn des Untergangs der griechischen Vitalität. Damit vollzieht Plato das apollinische Urteil gegen Marsyas und setzt es in ein philosophisches Paradigma um.
Der Altphilologe Paul Claes hat das Gedicht „Marsua“ umfassend gedeutet – die Frazer’schen Verweise, die Vegetationsmythen, sogar das psychoanalytische Drama des Vater-Sohn-Konfliktes. Genauso widmet Claes dem von Nietzsche gezeigten Gegensatz zwischen dem Dionysischen und dem Apollinischen einige Zeilen und fügt hinzu, daß Claus die „ausgelassene Animalität“ wählt dies im Gegensatz zu der Interpretation von Weisgerber, der in den letzten Zeilen die Wiederbesinnung eines älter werdenden Dichters sieht.
Im Licht der von Claus jahrzehntelang gepflegten non-konformistischen Äußerungen, Kapriolen und Provokationen an die Adresse eines jeden hochmütigen Wichtigtuers scheint es unmöglich, diese „Reife“ des Satyrs in das Gedicht zu projizieren. Ich weigere mich andererseits mit Nachdruck, die paternalistische Interpretation zu akzeptieren, die die Haltung von Marsyas als die eines rebellischen ewigen Adoleszenten ansieht; es ist derselbe bürgerlich-paternalistische Reflex, der dazu führt, Nietzsche nicht als den endgültigen Enthüller des griechischen Geistes zu sehen, der er war, sondern ihn abzutun als den roh um sich tretenden Satyr, der die spirituelle Helligkeit der Hegel’schen Aufklärungsdidaktik provozierte mit seiner Philosophie des tragischen Geißbocks und seinem ewig wiederkehrenden Gemecker (ein Thema, das Heiner Müller am Herzen lag). Indem er die „verdunkelte Verdunklung“ des erleuchteten Gottes demaskiert, ist Marsyas in Wirklichkeit gerade der Erleuchter, er, der die Lügen der Transzendenz ans Tageslicht bringen will, in diesem Sinne ein Inbild von Nietzsches Projekt der Geburt der Tragödie.
Sieht Claus, wie Paul Claes kurz suggeriert, in diesem Marsyas ein „alter ego“, etwa so, wie Hölderlin in Empedokles die Personifizierung seiner eigenen existenziellen Position gesehen hat?
Die Frage ist durchaus den Versuch einer Antwort wert.
Ach! Was dachte ich nur?
Vier Beine, um zu treten,
Vier Arme, um zu liebkosen,
Und dazwischen die Dornen:
Lachpuder auf der Zunge?
„Was kommt über dich, mein Junge,
daß du in der Küche jammerst?“
„Vater, ich singe.“
„Ach“, sagt mein Vater, „wer singt,
muss bezahlen.“
(Het teken van de hamster /
Das Zeichen des Hamsters)
Was ist der Preis, die der marsyanisch jammernde Dichter dann bezahlen muß? In seinem Dankeswort aus Anlaß der Überreichung des Preises der Niederländischen Literatur am 14. November 1986 sagte Hugo Claus:
(…)
aber daß ich mich beugen muß über ein Blatt Papier
− das Papier, das mein Leben begleitet −
um einen Text der Dankbarkeit abzulesen,
illustriert den unsicheren Zustand dessen, der schreibt
und demzufolge nicht sprechen kann,
denn sein Verhältnis zur Sprache
hindert ihn, die Sprache aufzubrechen
in die größten gemeinsamen Teiler,
die der Verständlichkeit.
Das marsyanische „falsche Singen“, das an sich als eine Entscheidung für das Atonale, das Abweichende, kurz als die Entscheidung für eine nicht-euphonische Kunst verstanden werden kann, wird hier durch ein anderes Motiv potenziert: das der kryptischen Sprache. Später spricht Claus von „der Verengung zu Kryptogrammen“:
zwischen seinem Verlangen zu sprechen
und der „buchstäblichen“ Tat, mit der er Zeichen gibt,
läßt er sich durch Zufall und Notwendigkeit lähmen.
Ein einziges Mal,
natürlich im Morgengrauen, wenn alles schläft,
ist Musik zu hören in seinem Notsignal.
Diese explizit poetologische Botschaft an Ihre Majestät, die Königin der Niederlande, zeichnet sich durch marsyanische Motive aus: Der Dichter will sprechen, aber seine Stimme wird gebrochen und es kommen nur kryptische Botschaften heraus; manchmal ist darin ein Fetzen Musik wie ein Notsignal zu hören. Marsyas, der den Sängerwettstreit immer wieder überleben muß, weil das „falsche Singen“ der Dichtkunst nicht aussterben will, erklärt hier selbstbewußt, daß seine Kunst nichts anderes kann als in dieser Sackgasse blühen. Etwas später assoziiert Claus diese querköpfige Dichtkunst mit einem flämischen Charakterzug:
Aber was mein Land wohl bewahrt,
ist der Wildwuchs seiner Sprache,
die eigenwillig ihre Wege geht
und gegen den Terror der Schreiber,
die Eunuchen der Brauchbarkeit,
die Ökonomen der Sauberkeit,
ein Erbe von Worten und Wendungen verwaltet,
verzweigt im täglichen Dasein.
Alle Vorwürfe gegen Apollo sind deutlich erkennbar: der kulturelle Terror, die „Brauchbarkeits“-Ethik von Apollos Schönheitslehre, die Impotenz des Gegners, die der sexuelle Satyr immer wieder zur Sprache bringt, um die vorherrschende Lustfeindlichkeit auszulachen, und schließlich die Aufgabe der Erinnerung an die ursprüngliche, archaische Freiheit: ein Erbe von Worten und Wendungen, das heißt eine Sprachmusik, die im täglichen Dasein verwurzelt ist, die, mit anderen Worten, zur alltäglichen Praxis des gewöhnlichen Lebens gehört, so streng apollinische Scharfrichter das auch zu ahnden suchen. Hier wird nicht nur fast buchstäblich die apollinische Struktur der bürgerlichen Kultur angeprangert und zurückgewiesen, der Flame erweist sich gar als eine Art kultureller Marsyas im großen Ganzen der niederländischen Literatur, der nicht „richtig“ singen will und auf diese Weise dem Terror der Schreiber, jener Apollos, die nur helle, transparente Künste vertreten, die Dunkelheit seines aufsässigen Gemeckers ins Gesicht schleudert. Der marsyanisch schreibende Flame Claus ist aber auch der Provokateur derselben flämischen Kultur, der Dichter, der jedesmal wieder marsyanisch Einspruch erhebt durch Schmähschriften, querköpfige Aussagen, Karikaturen, Spottgedichte, Gedicht-Reime, die nicht „stimmen“ oder der äußerst zielsichere „Banalitäten“ abfeuert, um zu povozieren, Widerstand zu bieten, sogenannte ,Schludrigkeiten‘, strategische Glanzstücke der marsyanischen Sangeskunst.
HIER UND JETZT
Hier bleibe ich wohnen, auf jeden Fall!
Denn jede Nacht kann ich mich hier messen
Mit den Gästen und Angestellten
Des Hotels für Analphabeten.
Ich werde hier singen, trinken, vögeln
Jeden Tag des Jahres,
Außer am Karfreitag
Denn da habe ich Höhenangst.
Wiederum erscheint in diesem Schmähgedicht aus dem Band Scherven der marsyanische Dichter in aller Deutlichkeit: es wird sogar von einem ewig wiederkehrenden Wettkampf gesprochen, der jede Nacht mit den „Analphabeten“ ausgefochten werden kann, das heißt: sie, die sich nicht im geringsten um die klassischen Regeln der Dichtkunst scheren, die zechenden Satyrn aus dem literarischen Phrygien. Daß er dort „singen, trinken, vögeln“ wird, weist wieder auf die immer erneuerte und „potente“ Auferstehung des Marsyas nach der Folter durch Apollo. Dessen Auferstehungsmystik – durch die Marsyas selbst eine Gegen-Bild des Erlösers wird – ist schon im Gedicht „Marsua“ vollständig vorhanden. Marsyas gerät, gefoltert von dem in seinen Eingeweiden wehenden Sand (eine Zeile, die in der endgültigen Fassung vielleicht wegen der Redundanz eines Bildes gestrichen wurde), in Ekstase und singt „aber du bist aus Federn und stehst / Wie eine Rohrdommel, ein Signal der Trauer“. Der Dichter, der den Haufen hereinlegt, ist auch derjenige, der durch seine selbstgesuchte Strafe in schmerzvolle Ekstase gerät und so den lebendigen Protest gegen die Kulturdominanz verkörpert, weil er, beinahe in dem Sinn, in dem Michel Foucault es meinte, die Grenzen der Strafmoral verkörpert und verbildlicht.
Claus hat immer wieder in einer Art „silence, exile and cunning“ (Stille, Verbannung und List) die phrygische Kappe aufgesetzt – das heißt: die Kappe, die Midas tragen mußte, um die Eselsohren zu verbergen, die Apollo ihm verpaßt hatte, weil er den Mut gehabt hatte, für Marsyas’ Sangeskunst Sympathie zu zeigen; die Narrenkappe also, die denen aufgesetzt wird, die es wagen, eine abweichende Meinung darüber zu haben, was erhabene oder gute Kunst sein könnte oder nicht. Die abweichende – von vielen als „schludrig“ interpretierte spätere Lyrik von Claus kommt mir viel eher vor wie eine äußerst gefühlvolle, subtile, eigensinnige Poesie, die gerade durch die Erkundung ihrer eigenen Grenzen höchst dramatisch geworden ist und die ironischen Wortspiele auf virtuose, Apollo quälende Weise aufgetürmt hat. In diesem Sinn ist Claus der Wegbereiter für eine anti-programmatische Poesie gewesen: Eben dadurch, daß er in den Clinch mit den apollinischen Auffassungen über moderne Poesie geht, die sein eigenes frühes Werk provoziert hatte.
Es lohnt sich, noch ein wenig bei dem „flämischen“ Aspekt dieses marsyanischen Ethos stehenzubleiben. Gerade in seinem und durch seinen naturalistischen Ansatz hat Claus auch in seiner Prosa und in seinen Theaterstücken eine Form von Widerstand geschaffen, die nicht vom Marsyas-Drama zu trennen ist. Traditionell gesprochen sieht man den naturalistischen Claus meistens als eine andere Emanation eines vielgestaltigen Talents, das in seiner Poesie viel eher Verbindung zu manieristischen Traditionen und Techniken sucht, aber in seiner Prosa an eine barock-realistische Tradition anknüpft, die ihre Wurzeln in den Geschichten von Cyriel Buysse und dem frühen Gerard Walschap findet. Ich bin davon überzeugt, daß dies die soundsovielte Scheinopposition ist: der naturalistisch-flämische Claus ist genau dieser Marsyas, der im kulturellen Mainstream der niederländischen Prosa absichtlich abweichende, eigene Liedstrategien erdachte und der so, ohne jedes literarisch-ideologische Schubladendenken, weiterhin auf Leben und Tod für sein Recht auf eine Provokation der ,apollinischen‘ Auffassungen in der Literatur kämpft (er selbst spricht ausdrücklich und wiederholt vom Terror der Schreiber). Claus’ Kampf mit den im Kielwasser seines eigenen Werkes entstandenen Dogmen über sein eigenes Werk ist eine Art Scheingefecht, in dem der marsyanisch meckernde Satyr jedesmal wieder zu seiner Bestürzung feststellen muß, daß man ihm apollinische Federn ankleben will – eine göttliche Ehre, die die silenische Inspiration unmittelbar erstarren ließe. Ovid sagt, erstaunlich genug, daß der Strom Marsyas (der aus den Tränen der um Marsyas trauernden Satyrn, Nymphen und anderen mythischer Wesenheiten entsteht) „von den phrygischen Strömen der klarste“ sei. (Ovid, Metamorphosen, VI, 600) Diese Klarheit der Tränen um den Verlust von Marsyas’ „Musik“ ist frappant. Sie erinnert an die Klarheit des tragischen Mittagsdenkens, zu dem Nietzsche aufrief und in dem der Mensch keinen Schatten wirft, weil er im Zenit steht (und die Finsternis seines Schattens demzufolge sich selbst verschluckt); in derselben Art verschluckt Claus seinen eigenen Schatten, indem er weiterhin hartnäckig marsyanisch meckert und die existenzielle tragische Spannung ironisch und provokativ betont. Die Transparenz dieses Stromes muß nicht in den oft sehr idiosynkratischen Versen selbst gesucht werden, sondern in der existentiellen Klarheit des Widerstandes gegen die drohende Kulturdominanz.
Der marsyanische Claus ist denn auch der naturalistische, der Naturalist ist der Manierist, und die Oppositionspaare verschwinden im Zeichen des Kampfes gegen Apollo, um zu einem kohärenten vital-stilistischen Prinzip umgeschmiedet zu werden. Der rohe Schrei des Textes, diese urflämische Seite, ist eigentlich die satyrische – in einer Variante: die satirische – Kunst, die in der selbstverschuldeten „Züchtigung“ durch die höchsten Kunstinstanzen die eigentliche Legitimation für eine Poetik des Widerstandes findet.
Die Gedichte (von 1948 bis heute) brüllen buchstäblich vor lauter Beispielen, in denen naturalistische Verweise – ob low-culture oder wie auch immer „störend“ oder „banal“ – nur als marsyanischer Widerstand gegen die apollinische Dichtkunst verstanden werden können; sie steigern die Dramatik, erinnern an die ursprüngliche Tragödie des menschlichen Daseins des Schreibenden, der zusehen muß, daß er sich gegen die Gewalt der durch ihn verursachten musikalischen Dynamik behauptet.
In seiner klassischen Bearbeitung des Antigone-Dramas mit dem Titel Het huis van Labdakos lässt Claus Kreon, der alles verliert, zum Orakel sagen:
Was sagst du. „Und dann starb Kreon?“
Natürlich. Was sonst?
Allein werde ich nicht am kosmischen Firmament
Hängen und verehrt werden als Stern
Von dem Volk, das Helden und Märtyrer höher
achtet als die graue und listige und tägliche Arbeit
Des Regierens.
Es ist nur eine der vielen Stellen im Claus’schen Werk, an denen der Marsyas-Topos durchschimmert. Ironisch läßt er Kreon selbst sagen, dass er ein bürgerlicher Regent sei, der – in fast denselben Worten, die Marsyas in „Marsua“ für Apollo übrig hatte – nicht als ein Stern am Firmament treiben werde. „Man kann nicht regieren oder Politik machen / ohne im Schlamm zu wühlen / des korrupten Handeins der Menschen“ hatte derselbe König-Ersatz zuvor gesagt. Dieser Fatalismus des Realisten ist, so sehr auch der Schein des Gegenteils durch sein Œuvre spukt, genau jene Art Moral, gegen die sich Claus sein ganzes Schreiberleben lang zur Wehr gesetzt hat. Sein Fasziniertsein durch die Schwindler, die Underdogs, die halb oder gänzlich kriminellen Figuranten stammt aus seinem marsyanischen Widerstand; seine nonkonformistische Lesart der klassischen Tragödien schließt nahtlos daran an. Irgendwo in Het huis van Labdakos läßt Claus den Seher Teiresias laut und traurig kreischen, aber es ist nichts zu hören. Diesen stillen Schrei nennt er wiederum an einer anderen Stelle die Stille von zweitausend Jahren Theater. Der unhörbare Schrei der Tragödie verschmilzt in dem aufgesperrten Mund des verzweifelten Sehers Teiresias mit dem Schrei, den Marsyas Apollo hören ließ: alles, was „nicht zur Sprache kommen durfte“, dennoch zur Sprache bringen, genau das, was nicht gesungen werden durfte, auswählen, um es zu singen – auch wenn der Schrei darin oft größtenteils ungehört blieb. Wer auf solche Art die Unsagbarkeit ins Gesicht der Schönen Künste schleudert, der hat Apollo schon lange und haushoch besiegt.
Stefan Hertmanns, März 2001, Übersetzung von Dorothea Raspe
Machst Du es Dir bei diesen Gedichten nicht ein bißchen zu leicht?“, fragte Anfang der 50er Jahre Claus’ älterer, ernster Freund Jan Walravens einmal besorgt. Vom Talent des Dichters war er – wie viele andere – schon früh überzeugt, aber Walravens wies damals auf einen Widerspruch hin, der sich in Claus’ Lyrik fortsetzen sollte: den Gegensatz zwischen ungehobelt wirkenden, fast nachlässig hingeschriebenen Gedichten und anspruchsvoller, wohldurchdachter, artistisch hochstehender Lyrik.
Als der umfangreiche Sammelband Gedichten 1948 – 1993 erschien, war das Lob der Kritiker groß und fast einstimmig. Gleichzeitig konnte man aber auch damals mit den – jedenfalls dem Anschein nach – zusammengewürfelten Inhalten und der unterschiedlichen Qualität der Gedichte nicht immer etwas anfangen.
Auch in Wreed geluk (Grausames Glück), dem Gedichtband, der 1999, kurz vor dem 70sten Geburtstag des Dichters, erschien, durchbricht Claus alle Grenzen: Gelegenheitsgedichte stehen neben neuen Arbeiten, alte Bearbeitungen neben solchen aus jüngster Zeit, wirkliche Prachtverse neben regelrechter Reimschmiederei – alles unnachahmlich und nur unter einem einzigen Nenner zusammenzufassen: ganz und gar Claus.
Mittlerweile ist es selbstverständlich, daß Claus in seinem Werk alle Register verwendet. Anstatt darüber zu klagen, ist es sinnvoller, einmal ernsthaft zu untersuchen, welche Erklärung es für die offensichtlich bewußte Divergenz in Ton und Inhalt seiner Gedichte gibt. Es ist zunächst einmal deutlich, daß der Dichter sich nicht festlegen will. Nicht auf das, was allgemein als qualitativ hochstehend oder geschmackvoll angesehen wird und nicht auf ein definitives Endprodukt (wie wir noch sehen werden), kurz: nicht auf eine einzige, unumstößliche Wahrheit.
In Wreed geluk führt uns diese Feststellung eigentlich von selbst zu dem wunderschönen Gedichtzyklus „Een aap in Efese“ („Ein Affe in Ephesus“), der aus 10 Gedichten besteht, die – wie häufiger in Claus’ Werk – die körperliche Liebe zum Thema haben. Dieses Mal ist jedoch ein philosophischer Grundton mindestens ebenso deutlich wahrnehmbar. Das Motto der Reihe ist die (recht freie) Übersetzung eines der überlieferten Fragmente des griechischen Philosophen Heraklit: „Der weiseste Mensch ist für Gott ein Affe“.
Das erklärt natürlich den „Affen“ aus dem Titel, zugleich aber auch „Ephesus“, das nicht auf den biblischen Paulus, sondern vielmehr auf die Heimatstadt Heraklits verweist. Mit seinen Epheser Mitbürgern stand Heraklit, der von sich selbst offenbar stark eingenommen war, in einem ziemlich gespanntem Verhältnis. Der „Affe in Ephesus“ kann vielleicht als eine ambivalente Charakterisierung des Philosophen – oder des Dichters selbst – betrachtet werden: ein Einzelgänger in der Menge. Der „Affe“ ist zugleich selbstbewußt der „weiseste Mensch“: der Denker auch das instinktgeleitete Tier (das letzte Gedicht der Reihe heißt „Bonobo“, nach dem sexuell äußerst aktiven Affen, der dem Menschen aus biologischer Sicht am nächsten steht).
In dem Zyklus selbst bildet die Rivalität zwischen dem Physischen (die Geliebte) und dem Mentalen (der Philosoph) den Mittelpunkt, als Darstellung des Kampfes zwischen Körper und Geist. Einerseits repräsentieren die Gedichte auf diese Weise das bekannte Loblied auf die physische Liebe und die Schönheit, andererseits fließen beiläufig philosophische Betrachtungen mit ein. Ein gutes Beispiel dafür findet man gleich im Eröffnungsgedicht der Reihe, in dem von Anfang an, beginnend mit in den Wortpaaren der Eröffnungsstrophe, Gegensätze sichtbar werden:
Dunkel und hell, Wind und Sommer,
Verlangen und Verlust,
sie mit den Pfauenfedern.
Und die vielen Düfte
und die vielen Namen der Düfte, die duften.
So viele haben dir gesagt,
wie schön du bist,
doch keiner sagte dir etwas
über die Schönheit, die von allen Dingen
getrennt ist
und auf dem Planeten nicht vorkommt
und daß du ihr gleichst.
Philosophen in ihrem philosophischen Hemd
mit ihrem immanent und transzendent
möchte ich in Brand stecken.
Nur das Zimmer und der Rauch
und du mit den Pfauenfedern und mir.
(Übersetzung: Maria Csollány)
Claus spielt einfallsreich mit dem Gegensatz zwischen Körper und Geist. Der Dichter behauptet selbstbewußt, daß das Leibliche über dem Geistigen stehe. Er will die problemversessenen Philosophen sogar verbrennen und hat den Wunsch, sich ganz und gar seiner Geliebten zu widmen. Kurios ist natürlich, daß er kurz zuvor (in der Mittelstrophe) die Geliebte ausgerechnet in philosophischen Begriffen besingt und ihre Schönheit als eine Art Transzendenz umschreibt.
Auch die zweite, auf den ersten Blick rein lyrisch erscheinende Strophe über das Benennen der vielen Düfte, ist die Paraphrase eines Fragments von Heraklit: „Wenn alles, was es gibt, sich als Rauch erwiese, könnten Nasen darin noch Unterschiede feststellen“.
Die Düfte erhalten – auf welche Weise auch immer – einen Namen. Der Mensch ist unweigerlich dazu verdammt zu unterscheiden und zu benennen, also zu denken. Sofort läßt sich auch der „Rauch“ aus der letzten Strophe noch besser einordnen: Er ist nicht nur das Überbleibsel der verbrannten Philosophen aus der vorangehenden Strophe, sondern er verweist erneut auf die von Heraklit festgestellte Unvermeidlichkeit des Unterscheidens, sprich: des Nachdenkens über die Dinge. Claus hat den ganzen Liebeszyklus mit derartigen Bezügen auf Heraklit durchsetzt, sogar die bellenden Hunde aus dem sechsten Gedicht gehen direkt auf den griechischen Philosophen zurück.
Rauch verfliegt, Flüsse fließen unendlich: Heraklit ging in die Geschichte ein als der Denker schlechthin, der diese Art von Bildsprache verwendete, um aufzuzeigen, daß nichts feststeht, daß die Wirklichkeit sich nicht an einer einzigen Wahrheit oder einem unumstößlichen Prinzip ausrichtet: Es gibt keinen ewig ruhenden Bezugspunkt, sondern alles besteht in einer permanenten Bewegung von Augenblick zu Augenblick.
Die Tatsache, daß Heraklits Philosophie nur fragmentarisch überliefert ist, trug das ihrige zu seinem Ruhm als Meister des Vorläufigen bei, der keine definitive Lehre kannte, sondern nur Bruchstücke seines dynamischen Gedankenguts preisgab. Die Fragmente von Heraklit, der den Beinamen „der Dunkle“ trug, nehmen eine Wahrheit niemals einfach an, sondern kreisen sie ein, wie seine Charakterisierung des Orakels von Delphi : Das „spricht nicht und verbirgt nicht, sondern gibt ein Zeichen“.
Ein Satz, den Claus im neunten Gedicht des Zyklus „en passant“ in einen Dialog zwischen Dichter und Geliebter einfließen läßt.
Was sie sagte?
„Nur Fragmente sind gesunder Menschenverstand.
Stimmt’s? Warum bist Du frei?
Weil Du ungestört ein Sklave sein kannst.
Von mir aus der meine.
Es gibt allerdings eine Bedingung.
Gib auf, was vor Deiner Nase liegt,
bewahre, was in Dir ist
aber nicht wahrgenommen wurde.
Nichts sagen, nichts verbergen.
Nur das Unvermutete, das Überraschte.“
„Was für ein Geschwätz“, sagte sie und
hockte sich hin und pinkelte.
Die letzte Strophe erscheint vielleicht wie ein billiger Schluß. Aber hier vereinigen sich unbemerkt erneut Philosophie und Liebe. Die Geliebte erweist sich nämlich als äußerst „heraklitisch“ durch die physische Ausführung des bekanntesten Satzes des Philosophen: „Alles fließt“.
Ich halte mich nicht umsonst so lange bei Heraklit auf. Der Gedanke des „ewig Fließenden“ spielt auch an anderen Stellen in Wreed geluk eine wichtige Rolle.
Immer deutlicher wird, daß auch Claus’ eigene Poesie ständig in Bewegung bleibt. Einige Gedichte sind nie fertig. In dem mehr als 1000 Seiten zählenden Sammelband Gedichten van 1948-1993 wurde sein gesamtes Werk umgekrempelt. Wo für die meisten Dichter die „gesammelten Werke“ ein unumstößliches Denkmal ihrer schriftstellerischen Tätigkeit sind, erwies sich diese Publikation bei Claus als ausgezeichneter Anlaß für neue Veränderungen. Im Vorwort verkündete er nonchalant, daß er „so wie Dichter das tun, Gedichte hinzugefügt, gestrichen, neu arrangiert oder umgeschrieben“ habe.
Auch in Wreed geluk wurde (ohne weitere Erklärungen) vieles aufgenommen, was bereits erschienen war, manchmal nur unter einem anderen Titel, häufig jedoch auch völlig neu geschaffen. Das Gedicht „V.O“ beispielsweise, ist das, was von einem ursprünglich Paul van Ostaijen gewidmeten Gedicht übrig geblieben ist. In diesem Fall setzte Claus die Datierung „1957-1997“ hinzu (es wurde in einer viel längeren Version bereits 1953 in der progressiven Zeitschrift Tijd en Mens veröffentlicht), aber meistens führt er Veränderungen ohne weitere Erläuterungen durch.
Auch unlängst Erschienenes erlebte eine Metamorphose. In Wreed geluk findet sich eine lange Gedichtsequenz unter der Überschrift „Oktober 1943“. Erst 1998 hatte Claus unter dem Titel Oktober 93 einen Band mit Gedichten zu Schwarzweiß-Fotografien veröffentlicht, die Rik Selleslags in der deutschen Besatzungszeit aufgenommen hat. Wer die beiden Gedichtfolgen vergleicht, sieht, daß Claus die Gedichte nun – wo sie ohne die Fotos erscheinen – sinnvollerweise mit Überschriften versehen hat. Aber auch sonst hat er in Reihenfolge, Aufbau und Einteilung sehr rigoros eingegriffen. Zudem fällt auf, wie stark diese Gedichte sind: Unabhängig vom Bildmaterial führen sie ein ganz selbständiges und glaubwürdiges neues Leben.
Der Gedanke, daß alles fließt und nichts von Dauer ist, spielt in Wreed geluk noch auch in anderer Hinsicht eine Rolle. Wo ist für den unvermeidlich älter werdenden Menschen der eigene Platz in einer Welt, die ständig in Bewegung ist?
Aus dem biographischen Gedicht „Oostende“ spricht schon von der ersten Zeile an das Bewußtsein, daß auch das eigene Leben nicht von Dauer ist: „Da hat mein Dasein angefangen zu vergehen“. Auch der Buchtitel verweist indirekt auf das Älterwerden. Die Worte „grausames Glück“ finden wir im Motto am Anfang wieder. Sie stehen in den etwas geheimnisvollen Zeilen Petrarcas, die P.C. Hooft übersetzt und Claus mit Enjambements versehen hat: „Wenn sich mein Leben so lang / kann erwehren / gegen mein grausames Glück und nicht genutzte Chancen…“ Bei Hooft handelt es sich um die beiden ersten Verse eines Sonetts, in dem der Dichter sich vorstellt, wie es sein wird, wenn seine Angebetete, die ihn nun hochmütig abweist, bald ihrerseits alt und häßlich sein wird. Vorausgesetzt, daß er selbst das notwendige Alter erreicht und sein eigenes Leben bis dahin „wreet geluck en ongesiene cans“, also Unheil und Pech standgehalten hat.
Diese Erklärung gibt dem Titel etwas Unheilverkündendes. Claus übernimmt nur die Bedingung („Wenn“) und fügt drei Pünktchen hinzu; wiederum Offenheit und Vorläufigkeit. Claus selbst hat dem „grausames Glück“ standhalten können, was jedoch im Umkehrschluß bedeutet, daß er um sich herum Verfall sieht. Die eigene Poesie kann so als einziges Verteidigungsmittel und als Bezugspunkt in einer Welt betrachtet werden, die permanent in Bewegung und unvermeidlich dem Verfall ausgesetzt ist.
Diese dunkle Kehrseite führt in Claus’ Gedichten jedoch nie zu einer Flucht in etwas Ewiges, Endgültiges oder Übernatürliches. Der konkrete Augenblick ist immer wichtiger als eine erdachte Ewigkeit. Dies wird in einem kleinen Vierzeiler aus dem kleinen Zyklus „kwatrijnen“ („Vierzeiler“) treffend zum Ausdruck gebracht:
Die Berge und ihre Bedeutung
gehen unter im Augenblick
Sinn und Ordnung?
Die Oberfläche ist was ist.
Claus’ Lyrik versucht nicht, einen sinnvoll erscheinenden, aber künstlichen Zusammenhang zu konstruieren. Jeder Augenblick ist anders. Darum kann auch so mühelos umgeschrieben, neu definiert und kombiniert werden, was im jeweiligen Moment wichtig ist. Einziges Ziel ist das Registrieren der ziellosen Bewegung des Menschenlebens, wie es sich nun einmal bisweilen oberflächlich und bisweilen tiefgründig vollzieht.
Jos Joosten, De Standaard, 1.4.1999, hier gekürzt, Übersetzung von Mechthild Ragg
Hugo Claus in seinen eigenen Worten – Die Version Claus.
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