NACH W. GOMBROWICZ
meine glückszahlen sind
3, 7, 11, 14, 17, 22
weniger im lotto
als im spiel mit versen
als nummern
in langen gedichten
von dichtern
die viel sagen müssen.
den Ingolf Brökel aus verschiedenen Perspektiven für den Leser öffnet, erweist sich als ein geschichtlicher Raum, in dem ein Ich lyrische Schlaglichter auf entscheidende Stationen seines Werdeganges wirft – von der Nachkriegskindheit über die Sozialisation im Osten Deutschlands, von der Vernichtung seines Heimatortes im Lausitzer Braunkohletagebau über die Erfahrungen und Erkenntnisse der 89’er Wende- und Nachwendezeit bis zur unmittelbaren Gegenwart. Dabei weitet sich der Themenkreis zunehmend von den nationalen Problemen, Moden und Stimmungen zum Globalen.
PalmArtPress, Ankündigung
Die Befürchtungen wissen zu viel, um in diesen Gedichten humorlos zu bleiben. Die Skepsis ist poetisch veranlagt: Sie kann ein Lied davon singen. Aber bitte keinen Gesellschaftsgesundungskanon! Statt dessen ein Geist, bei dem der Witz die Wunde aufzuheitern versucht und die Wunde den Witz mit Unbegreiflichkeit versorgt. Es geht darum, das Absurde gewissermaßen neu zu besilben und frech und frivol zwischen jene Selbstgewissen zu treten, die sich immer wieder freiwillig mit der Blindheit klappriger Weltbegreifenssätze schlagen.
Ingolf Brökel, der Physik an einer Berliner Hochschule lehrt, ist auch Dichter. Der b-raum, der dem neuen Band den Titel gab, hat klare Ausmessungen:
in der breite brecht
in der länge benn
und büchner ist die höhe
Der Autor blieb „ein leben lang / in der sprache hängen“. Schon zu DDR-Zeiten, „in einem abgeschlossenen System / in dem wir / erhaltungsgrößen waren“. Und nun, da sich die Welt geöffnet hat? Es „ging wärme verloren / unordnung zog ein“. Die Texte zeigen ein Doppelgeschehen: Zum einen erzählt Brökel von der Art jener seelischen, politischen, kulturellen Abirrungen, derer wir uns täglich schuldig machen, und zum anderen vollzieht sich zwinkernd die Überführung des Verlustgefühls aufs geistreiche ästhetische Feld. Alles Dichten erscheint als ein Aufstand gegen die Sprachlosigkeit – der seinen rebellischen Sinn nur erhalten kann, indem er just dieses Verstummtsein in immer neue Metaphern treibt.
Kämpferisch naiv ist Brökel, im Gedicht „mensch ärgere dich nicht“ heißt es:
einmal täglich
einen rauswerfen
das hilft schon
Sein physikalisches Expertentum bringt er auf den Punkt:
dass die erde
dich anzieht
merkst du erst
am ende
Wo trotzdem noch der Glaube wirken möge:
dass der letzte der mohikaner
us-präsident wird
dass der letzte der
das blaue wunder erlebte
sich immer noch wundert
Wahrnehmungsprotokolle eines leisen, scharfzüngig scheuen, aufrichtig schelmischen Dichters. Der kürzeste Vers heißt „vor dem einschalten“ und lautet:
die angst der glühbirne
vor der lichtgeschwindigkeit
So leben wir im Spannungsfeld von Ruhe und Sturm, von Idyll und Furor.
„Hier wird zum Nachdenken, nicht zur Nachsicht aufgefordert“, hat Günter Kunert über den Naturwissenschaftler geschrieben. Dessen Poesie trägt offene, neugierige, große Augen in einem Gesicht, das Freundlichkeit wie eine Herausforderung präsentiert – mit der Gewissheit, dass die Welt jede Freundlichkeit wie eine Kampfansage empfinden muss. Und der Kampf trägt! Fürs Ziel, irgendwie mittelgern zu leben. Das geht, das geht sogar sehr gut – wenn du beim Blick auf Geschichte und eigenes Gemüt nur genügend Mut und Lust zur Einsicht hast: Der Mensch kommt seinesgleichen nie ganz auf die Spur. Nimm dich in Schutz, aber nimm dich auch in acht – zuallererst vor dir selber, deinem eingerasteten Antwortverhalten.
– Poesie von Ingolf Brökel in der Reihe Einfach Lesen in Hoppegarten. –
Worte, Zeilen und Rhythmen, die sich verdichten und verknappen zu hintergründiger und humorvoll dargebotene Lyrik. Keine Poesiealbumlyrik, sondern stark pointierte Gedankenblitze die zwingen hinzuhören. In der Reihe Einfach Lesen von der Gemeindebibliothek Hoppegarten und der Gruppe mach art im Hönower Bürgerverein initiiert, stellte Raymund Stolze als sachkundiger und vermittelnder Moderator den 1950 geborenen theoretischen Physiker Ingolf Brökel vor. Geboren in einem Ort, den es nicht mehr gibt – Sauno –, weggebaggert von der Braunkohle, aufgewachsen in Senftenberg und Physik studierend, lebt Brökel jetzt in Berlin.
Er ist ein Spätberufener, der nicht nach Preisen sich drängt, sondern still, aber beharrlich an seinen Versen feilt. Erste Veröffentlichung 1981 in Temperamente, gefördert von Günter Kunert, der auch sein Vorbild ist, verstummte er aber alsbald wieder. Die Anmeldung für ein Auto und der Wunsch nach einem Garten seiner Frau waren zeitfüllender als das Schreiben.
Brökel erwacht erst nach der Wende, um seitdem stetig weiße Blätter zu füllen. Seine Lesung im Hoppegartener Gemeindesaal am Freitagabend hatte er in drei Blöcke gegliedert mit wunderbaren Pausen, in denen sich Raymund Stolze und Brökel leicht und unterhaltsam über das Schaffen eines Dichters auslassen konnten. Ein wunderbarer Kunstgriff Stolzes, um ein ermüdendes langes Vorlesen von Gedichten zu vermeiden.
Einfühlsam Brökels Zeilen aus dem Band zündplättchen oder nach 49 die seine Kindheit in dem untergegangenem Geburtsort schildern. Von Westpäckchen, Spitzbartwitzen und dem Weltfrieden erzählt er den Zuhörern und stellt ein Heimatgefühl her, welches sie aus dieser Gegend nur von Strittmatter kennen. Nichts deutet darauf hin, dass dieser Mann theoretischer Physiker ist.
Auf eine entsprechende Frage von Stolze hin antwortete er lakonisch:
Ein Gedicht ist freundlicher als eine Gleichung.
Wiewohl aber in seinem letzten Gedichtband im b. raum schimmert doch wieder Physik durch wenn er die Gauß’sche Glockenkurve verarbeitet und diese in reinen Glockenklang verwandelt.
Wirklich, eine Lesung von Lyrik, die so anders als gewohnt daherkommt. Denn Brökels Credo:
Dichten ist Handwerk.
Die gut 25 Zuhörer dankten es ihm mit herzlichen Applaus und intensiven Fragen.
Ingolf Brökel (Text) & Erhard Ertel (Video/Musik)
Trailer zu Häschen in der Grube – Ein Stück Abend aufgeführt am 23. Oktober 2004.
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