Itzik Manger: Der Prinz der jiddischen Ballade

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Itzik Manger: Der Prinz der jiddischen Ballade

Manger-Der Prinz der jiddischen Ballade

VAGABUNDEN

Sie schlafen in den Gärten und sind heilig,
Von solcher Heiligkeit wie Nacht und Stern;
Barfüßer Wind kann zuweilen sie hörn
Im Schlafe reden; dann weiß er: Heilig!

Von ihrer Heimat haben sie geträumt
Und lieben sie mit jener großen Liebe,
Die schleicht in Schlappen durch die Herbstnacht
aaaaatrübe,
Mit lautrem Gold die lehmigen Hütten säumt.

Sie sind per du mit Wolken und mit Regen
Und sind geschworne Freund und gute Brüder
Mit allen ebenen und krummen Wegen.

Und sind bedrückt sie, singen sie Lieder
Und auch die schönen herbstlichen Balladen
Von Itzik Manger; oh, getreue Kameraden!

Übertragen von Alfred Kittner

 

 

  

Der Prinz der jiddischen Ballade

Niemand weiß genau zu sagen, wer den Ehrentitel „Prinz der jiddischen Ballade“ für Itzik Manger erfunden hat und niemand weiß, wann er das erste Mal so genannt wurde. Selten aber wurde ein solcher Ehrentitel mit mehr Berechtigung verliehen als für den jiddischen Dichter, dessen geschliffen funkelnde Lyrik den Leser fasziniert und beglückt.
Itzik (seine Zeitgenossen schrieben den Namen Itzig) Manger wurde als Isidor Helfer vel Manger in Czernowitz geboren. Seine erste Heiratsurkunde vermerkt den 30. Mai 1901 als Geburtstag. Andere Quellen nennen Tage im April 1901 oder andere Daten im Mai als Geburtsdatum. Geboren wurde er in Czernowitz, der Stadt, die als Vielvölkerstadt gerühmt wird, in welcher Menschen mit verschiedensten Religionen, aus unterschiedlichen Kulturen, in fast babylonischem Sprachengewirr, friedlich nebeneinander lebten.
Sein Vater war Schneidermeister, der ob seiner handwerklichen Kunst geschätzt, im Laufe der Jahre aber als Sonderling verarmte. So berichtet Alfred Kittner:

Sein Vater hatte ihm (Itzik Manger) zu diesem Zweck eigens einen ganz besonders eleganten, flotten doppelreihigen schwarzen Anzug nach neuestem Modeschnitt ,gebaut‘, der sich zum Schlapphut und zum derben Stock, von denen Manger sich nie trennte, recht seltsam ausnahm und war gewiss wochenlang über dieser Arbeit gehockt. Denn der alte Manger war in der ganzen Stadt dafür bekannt, dass er die Schneiderei wie eine edle Kunst betrieb, die Geduld der Kunden auf die härteste Probe stellte, indem er sie wochenlang immer wieder zu neuen Anproben kommen ließ, stets etwas an seiner eigenen Arbeit auszusetzen fand, sich niemals mit ihr zufrieden gab und war es endlich soweit, dass der bestellte Anzug fix und fertig war, musste der Kunde einen harten Kampf um die Herausgabe seines Anzugs ausfechten, ihn dem Alten buchstäblich aus den Händen reißen, da sich dieser von seinem ihm mittlerweile ans Herz gewachsenen ,Kunstwerk‘ nicht zu trennen vermochte; er brachte es einfach nicht übers Herz. Kein Wunder, dass sich seine Kundschaft bald verlief und er wenig zu tun hatte.

Hier ist ein „Einschub“ notwendig. Alfred Kittner war ein begnadeter Erzähler. Es war immer ein großes Vergnügen, ihm zuzuhören. Wenn seine Zuhörer die Geschichten, die er erzählte jedoch ein zweites oder drittes Mal hörten und wenn dazwischen Zeit vergangen war, so fiel auf, wie variabel seine Berichte waren. Und für eine gute Pointe ließ er gerne Fünfe gerade sein. Sehr wohl ist richtig, dass der Schneidermeister Hilel Helfer vel Manger einen guten Ruf als Könner seines Faches hatte. Dazu haben sicher auch die versierten Gesellen beigetragen, die er beschäftigte. Nach allem was wir wissen, litt er jedoch an Depressionen, die ihn zeitweise ausschalteten und in den Suff trieben. In diesen „dunklen“ Phasen konnte er nicht arbeiten und ließ seine Familie im Stich.
Weiter muss angemerkt werden, dass das Leben Mangers nur fragmentarisch überliefert ist. Dass manches über ihn Berichtete Kolportage ist und dass er selbst nach Kräften für Verwirrung sorgte, indem er bei verschiedenen Gelegenheiten sein Leben immer wieder anders erzählte. So ließ er den Lexikographen Salmen Rejsen in, das 1927 erschienene Lexikon der jiddischen Literatur, Presse und Philologie eintragen:

Manger, Itzik: geboren 1900 in Berlin als Sohn eines aus Rumänien immigrierten Schneiders. Kam mit 14 Jahren nach Jassy, wo er Jiddisch lernte und bis vor kurzem als Schneider arbeitete.

Das Folgende ist der Versuch das Leben Mangers möglichst fundiert zu beschreiben. Irrtümer und Übertreibungen sind dabei nicht ausgeschlossen, Lücken zwangsläufig.

Die Familie Helfer vel Manger war fünfköpfig, der Vater Hilel Helfer, geboren 1879 in Stoptschet, Galizien, die Mutter Chawe, geborene Wolliner, als Tochter eines Matratzenmachers um 1878 in Kolomea, Galizien, geboren, Itzik, der älteste Sohn, geboren 1901, der Bruder Notte (Nathan), geboren 1903, Schneider wie sein Vater, und Schejndl (Jeanette), die Schwester, geboren 1905. Zwei weitere Geschwister starben noch als Kleinkinder. Alle Kinder kamen in Czernowitz auf die Welt. Die Eltern hatten zunächst nur nach jüdischem Ritus geheiratet. Jüdische Ehen wurden von den Behörden nicht anerkannt. Deshalb waren die Kinder wie üblich „unehelich“. Erst in Bukarest heirateten Hilel Helfer und Chawe Wolliner standesamtlich und wurden damit als Ehepaar anerkannt. Seltsam, dass alle Czernowitzer Zeitgenossen Mangers, wenn sie über ihn berichten, auch immer von seinem Vater sprechen, die Mutter aber nie erwähnen. Von ihr ist nur wenig bekannt, sicher ist, dass sie im November 1930 in Bukarest verstarb. In einem Text erinnert Manger:

… Ich schrieb das Lied („Auf dem Weg steht ein Baum“) in den dreißiger Jahren im Gedenken an meine Mutter – eine schlichte jüdische Mutter, die weder lesen noch schreiben konnte, aber mit einem Übermaß an Liebe, das selbst den stärksten Flügeln zu schwer werden konnte.
Heute weiß ich, dass das Opfer der Liebe meiner Mutter nicht Itzikl sondern mein Bruder Notte war. Ein einsamer Erdhügel auf dem bucharischen jüdischen Friedhof in Samarkand, Usbekistan zeugt davon…

Die Familie Scherzer wohnte in Czernowitz in der Morariugasse Nr. 5. Der Vater Sigmund, die Mutter Kathi und die mit Isidor Helfer gleichaltrige Tochter Rosalie Beatrice Ruth. Vater Scherzer, zunächst Buchhalter, dann Prokurist in einer Import-, Exportfirma, war über Jahre Kunde des Schneiders Helfer. Da dieser mit seiner Familie nur wenige Schritte entfernt im Hause mit der Nr. 11 (vormals Kürschnergasse) wohnte und dort auch seine Schneiderei betrieb, war es naheliegend, dass die beiden Kinder schon früh miteinander spielten, bald befreundet waren. Ihr Spielplatz war der Garten des Hofrat Negrus mit Quitten-, Pflaumen- und Fliederbäumen, mit Tulpen, Narzissen und Maiglöckchen hinter dem Haus der Morariugasse Nr. 5.
Isidor ging in den Cheder, die jüdische Vorschule, Rosalie in einen christlichen Kindergarten. Ab dem sechsten Lebensjahr besuchten sie gemeinsam die Sechsklassige Kommunale Volksschule in der Landhausgasse, die nur fünf Minuten Fußweg entfernt lag. Sie blieben ein Leben lang befreundet. Niemand hat damals daran gedacht, dass diese beiden Kinder später einmal die berühmte Dichterin Rose Ausländer und der berühmte Dichter Itzig Manger sein würden.
Die Ferien verbrachte Itzik häufig bei den Großeltern in Stoptschet. Die Großmutter und die Tanten behüteten und verwöhnten ihn und der Großvater der als Fuhrmann mit eigenen Pferden und Wagen den Lebensunterhalt verdiente, nahm den Jungen gerne auf seine Fahrten mit. Kein Wunder, dass Manger diese Zeit als eine besonders glückliche erinnert und davon in seinen Erzählungen berichtet.

Erinnerung tut sich auf. Vielleicht muss es so sein. Ab einem gewissen Lebensalter werden Gestalten und Episoden der eigenen Vergangenheit wach. Zitternd streifen sie dein Gedächtnis mit einer letzten Warnung: Wenn nicht jetzt, werden wir für immer verlöschen. Du spürst den Befehlston. Die Schatten im Gedächtnis waren einmal Fleisch und Blut. Sie sind – du selbst.
So will ich an Großmutter Taube aus Stoptschet erinnern. Sie ist die einzige Großmutter, die ich kannte. Die Eltern meiner Mutter waren schon tot, als ich zur Welt kam. Ich wurde nach dem Vater meiner Mutter benannt. Meine ältere Kusine und meine jüngere Schwester heißen nach der Großmutter mütterlicherseits.
Meine Mutter erinnerte sich nicht an ihre Mutter. Als diese starb, war sie noch ein kleines Kind. Nur ein Name ist von ihr geblieben.
… Die einzigen Großeltern, die ich kannte, waren die Eltern meines Vaters. Großvater Abraham starb, als ich noch ein Kind war. Die Erinnerungen an ihn sind verblasst. An Großmutter Taube hingegen erinnere ich mich deutlich und von ihr will ich erzählen.
Sie war eine kleine dünne, aber rührige Frau. Alles ging ihr flink von der Hand. Sie kochte, besorgte den Haushalt und buk. Sie zog Gänse. Das große Zimmer war ein kleiner Laden, in dem man einen Liter Milch, Schokolade und alles mögliche andere kaufen konnte.
Geholfen haben ihr die zwei Töchter, Braine und Maike. Tante Braine war ein schönes Mädchen mit goldblonden Zöpfen. Wenn sie ihr Haar löste und kämmte, reichte es ihr bis zu den Knien. Sie hatte blaue verschmitzte Augen.
Tante Maike war jünger. Ihr Haar war flachsblond. Sie trug es niemals keck aufgebunden wie ihre ältere Schwester. Sie war still, scheu und in sich gekehrt. Das Blau ihrer Augen war heller, ohne das verschmitzte Feuer. Sie ging leise, tat leise ihre Arbeit, redete leise. Selbst ihr Lächeln war nicht von dieser Welt. Heute weiß ich, dass jene so lächeln, denen es bestimmt ist, jung zu sterben.
… Kein Wunder, dass ich mich bei zwei so reizenden Tanten wohlfühlte wie ein Fisch im Wasser. Sie verwöhnten mich und Großmutter Taube gab mir in allem nach.
In jenem kleinen Städtchen zu weilen, war für mich immer wie ein Fest und ich sehnte mich das ganze Jahr über nach den Sommerferien, um wieder nach Stoptschet fahren zu können. …

Der Schüler Manger wechselte nach der sechsten Klasse auf ein Gymnasium, welches er jedoch schon im ersten Gymnasialjahr verlassen musste. Es wird kolportiert (Kittner, Silbermann) diverse Bubenstreiche, die er seinen Lehrern spielte, seien dafür der Grund gewesen. Wahrscheinlicher ist, dass sein verarmter Vater die Kosten des Schulbesuchs nicht aufbringen konnte und Isidor Helfer deshalb das Gymnasium verließ und bei seinem Vater eine Schneiderlehre begann.
Manger, der in Gedichten immer wieder auf das soziale Elend vieler osteuropäischer Juden hinwies, hat in seinen Kinder- und Jugendjahren erlebt, was Hunger, Kälte, unzureichende Wohnungen und fehlende ärztliche Hilfe bewirken. Hilflos musste er erleben wie seine beiden jüngsten Brüder im Kleinkindalter starben. Das hat Narben auf seiner Seele und Spuren in seinem Werk hinterlassen.
Der Junge feierte seine Bar Mizwa in der Großen Synagoge in der, der Wohnung der Familie naheliegenden Synagogengasse in Czernowitz. Bis dahin verläuft sein Leben zwar turbulent und wird von privaten Schicksalsschlägen geprägt, doch nur wenige Monate später, beginnen die großen Katastrophen, die Europa in der ersten Hälfte das 20. Jahrhunderts vollkommen verändern werden und die Lebensläufe der Menschen – ganz besonders der jüdischen Menschen – extrem beeinflussen.
Im August 1914 begann der 1. Weltkrieg. Russische Kosakendivisionen eroberten sehr schnell Czernowitz, das nur etwa 20 Kilometer von der russischen Grenze entfernt lag. Die Stadt blieb bis 1917 heftig umkämpft und wechselte mehrfach zwischen russischen und österreichischen und verbündeten bayrischen Truppen den Besitz. Es kam zu erheblichen Zerstörungen der Stadtviertel nahe des Pruths einschließlich des Bahnhofs und der Brücken über den Pruth, die von russischen Pionieren gesprengt wurden.
Der überwiegende Teil der Czernowitzer Bevölkerung floh aus der besetzten Stadt; zum Beispiel die Familie Scherzer über Budapest nach Wien und die Familie Helfer nach Rumänien in die Stadt Jassy.
Dort schrieb Isidor Helfer seine ersten Gedichte. Zunächst soll er – nach eigener Aussage – in deutscher Sprache geschrieben haben. Allerdings konnte bis heute kein deutscher Text von seiner Hand gefunden werden. Frühe jiddische Gedichte lassen sich aber nachweisen. „Durch seine Eltern machte der Knabe frühzeitig Bekanntschaft mit jiddischer Volksdichtung“. (Jendrusch) Auch diese Angabe darf bezweifelt werden. Richtig ist, dass im Hause Helfer die Umgangssprache Jiddisch war. Dass aber seine Mutter, die, wie wir wissen, Analphabetin war, ihn mit jiddischer Volksdichtung bekannt machte ist unwahrscheinlich. Für den Vater lässt sich dies auch nur vermuten.
Es ist generell ein Problem, dass über Manger zwar viel Anekdotisches von Zeitzeugen berichtet wird, dass aber präzise, belegbare Angaben zu seinem Leben und Arbeiten selten sind. Selbst wenn mehrere Personen gleich berichten, stellt sich häufig heraus, dass nur eine von ihnen die Quelle ist, die anderen tragen nur Gehörtes weiter.
Hat Isidor Helfer seine Schneiderlehre ordnungsgemäß abgeschlossen? Der Dichter Alfred Kittner berichtet:

Eines Nachmittags sagte er (Manger) mir: „Mein Vater wird heute 60 Jahre alt und seine Kollegen feiern in Weschlers Wirtshaus dieses Ereignis. Komm, wir wollen auf einen Sprung hin und ihm die Ehre unserer Anwesenheit erweisen.“ Wir trafen die um den kleinen, mageren, alten Mann mit der wackeligen Brille versammelte Runde des lokalen Schneidergewerbes bereits im euphorischen Zustand vorgerückter Trunkenheit an und unser Erscheinen wurde mit lautem Hallo begrüßt. Manger, der in ihrer Mitte Platz genommen hatte, erhob sich zu einem Trinkspruch, griff in die Brusttasche seines Rocks, holte aus ihr zwei Büchlein hervor und sagte ungefähr: „Ich habe hier zwei Ausweise – das eine ist das Mitgliedsbuch des PEN-Clubs mit Galsworthys Unterschrift, das andere das mir von unserer Schneiderzunft ausgefüllte Gesellenbuch. Und wenn ihr mich fragt, auf welches von beiden ich stolzer bin, so will ich euch offen gestehen, dass es euer Gesellenbuch ist.“

Leider kann auch diese schöne Geschichte so nicht stimmen. Mangers Vater wurde 1879 geboren. Seinen 60. Geburtstag feierte er im Jahr 1939. Er lebte damals seit fast 10 Jahren in Bukarest, Kittner aber in Czernowitz und Itzik Manger kreuzte mit einigen Hundert Leidensgenossen auf einem Schiff im Mittelmeer, um nach Eretz Israel einzuwandern, was die englische Mandatsmacht in Palästina zu verhindern wusste. Wir wissen zwar, dass Manger nicht nur bei seinem Vater, sondern auch bei mehreren anderen Schneidermeistern in die Lehre ging, es dort jedoch jeweils nur wenige Wochen oder Monate aushielt und ein Abschluss seiner Lehre oder eine Tätigkeit als Schneidergeselle ist uns nicht bekannt. Vielmehr beschloss er bereits 1919 ausschließlich als Schriftsteller zu leben. Dabei schreibt er nur in jiddischer Sprache und er ist sicher, dass jiddische Literatur Weltliteratur ist. Und dieses nicht nur wegen ihrer Verbreitung, sondern auch wegen ihrer Qualität. Seine Wahl für die Sprache ist auch eine Entscheidung für die jiddischsprachige Welt, für die Muttersprache Mameloschen, für die jiddische Kultur und Lebensweise. Manger ist sich bewusst, dass ein jüdisches Leben auch ein Leben in ständiger Gefahr ist. Jahre später notiert er:

Ich wuchs in einem Land des klassischen Antisemitismus auf. In Rumänien. Die griechisch-orthodoxen Kirchen verbreiteten ihren giftigen und gefahrvollen Schatten über die jüdische Bevölkerung. In Polen, dem Land, in dem ich bis zum Zweiten Weltkrieg lebte, spitzte sich dies zu.

1919, wenige Monate nach dem Ende des 1. Weltkriegs, siedelt die Familie Helfer nach Bukarest um. Rumänien hat sich von den Kriegverlierern Österreich, Ungarn und Russland die Bukowina, Teile Siebenbürgens und Bessarabien angeeignet. Bukarest ist damit auch die neue Landeshauptstadt für Czernowitz. Isidor Helfer schreibt intensiv und beginnt 1921 Balladen in jiddischer Sprache in literarischen Zeitschriften in Warschau, New York, Berlin, Czernowitz und Bukarest zu veröffentlichen. Seine Veröffentlichungen zeichnet er mit Itzig Manger, als Dichternamen, der bald auch sein ausschließlicher Name im Alltag wird. Wie etliche Urkunden belegen, bleibt er aber für die Behörden Isidor Helfer vel Manger.

Manger beginnt ein unstetes Wanderleben. Er pendelt stets zu Fuß zwischen Bukarest und Czernowitz. Auf sein Äußeres achtet er wenig, er beginnt zu trinken, Wein und Schnaps werden sein tägliches Brot. Seiner Kreativität tut dies keinen Abbruch.
Lassen wir noch einmal Alfred Kittner zu Wort kommen:

Manger tauchte damals… für längere Zeit in Bukarest auf, wo seine seltsame Gestalt Aufsehen erregen musste und wo er auch zu zahlreichen rumänischen Dichtern in Beziehung trat. Mihail Sadovennu, der nicht geringes Interesse an ihm nahm, stellte ihn damals als den ,echteren‘ Vagabundendichter Panait Istrali gegenüber und in den Schenken des Vacarosti-Viertels, aber auch in der in diesem Viertel befindlichen Gaststätte des weitherzigen Poeten und Publizisten Stefan Roll (mit dem wahren Namen Gheorghe Dinu), dem Treffpunkt der rumänischen surrealistischen Avantgarde um die Zeitschrift Una, war er bald ein häufiger Gast. Ein fahles, mumienhaftes Lamagesicht, in dem ein Paar schwarzer, unheimlich schielender Augen saßen, die seinen Zügen mitunter einen Ausdruck verliehen, als sei ein rasender Blitz durch sie hindurchgefahren, als sei dies Antlitz das eines im Zorn auf die Erde geschleuderten verdammten Engels, ein dünner, langer Hals, der sich aus dem stets offenen weichen Hemdkragen reckte, ein tief in den Nacken geschobener breitkrempiger, speckigschwarzer Schlapphut, der dem stets in einen gleichfalls schwarzen, verfleckten, eng anliegenden Anzug Gekleideten das Aussehen eines durch seine zeitlose Zunfttracht gekennzeichneten Zimmermanns gab, ein Eindruck der durch den derben Stock, der ihn unzertrennlich begleitete, noch verstärkt wurde – eine merkwürdigere Gestalt wird kaum je durch die nächtliche Schenkenwelt Bukarests gestiefelt sein.

Tagsüber, in welcher Stadt er auch weilen mochte, von Schenke zu Schenke bummelnd, stets einen Bierkrug, ein Schnapsglas, eine Weinflasche vor sich auf dem Tische, nachts – phantasierend, skandierend – auf einer Parkbank liegend oder auf der Landstraße dahinschlendernd, kam er tagelang nicht aus den Kleidern, durch die „der Wind bellte“. Seine Zunge war gefürchtet, sie schonte niemand und nichts, immer war er auf der Suche nach einem gefügigen Opfer, das er quälen, drangsalieren, vor anderen bloßstellen konnte. Kein Fluch war ihm derb, kein Spott scharf und verletzend genug; die Streiche, die er spielte – und welch hämische Freude bereitete ihm jedwede Art von Allotria! – wirkten sich mitunter höchst schmerzhaft für die Zielscheibe seines rücksichtslosen Hohns aus. Sein Zorn, seine Verachtung richtete sich vor allem gegen den Wohlstandsbürger, mehr noch gegen den intellektuelles Interesse vortäuschenden Emporkömmling. Als einer seiner Jugendkameraden, gleich ihm Sohn eines Schneiders, doch als Rechtsanwalt zu bürgerlichen Ehren aufgestiegen und sich in der Rolle des Literaturmäzens gefallend, in zahlreicher Gesellschaft seinen Geburtstag feierte, zu der er auch mehrere gesittete Literaten eingeladen hatte, drang Manger, uneingeladen, in den festlich beleuchteten Raum, näherte sich wortlos der Tafel, ergriff das Tischtuch an einem Zipfel und riss zum Entsetzen der speisenden Gäste das gesamte Tafelgedeck vom Tisch, dass Teller und Gläser zu Boden klirrten. Kein Wunder, dass er mehr Feinde als Freunde hatte. Man musste ihn schon sehr gut kennen, um gewahr zu werden, dass sich hinter diesem vom Dämon der Spottsucht und der Gewalttätigkeit getriebenen Unhold im Grunde ein großes Kind versteckte, dass sich Freunden gegenüber sogar bis zur zärtlichen Demut sanft und gütig zu erweisen vermochte. Und so habe auch ich ihn erlebt.

Meine erste Begegnung mit dem Dichter fällt in das Jahr 1926 oder 1927. Plakate hatten einen Vortrag Mangers in Czernowitz unter dem Titel „Die Nacht der Poesie“ angekündigt und da mir der Dichter dem Namen nach bereits bekannt war und das Thema mich ansprach, erstand ich eine Eintrittskarte und sah mich bald in dem großen, bis aufs letzte Plätzchen besetzten, hell erleuchteten Vortragssaal. Der Vortrag war für acht Uhr angesetzt, doch Viertel- um Viertelstunde verstrich, ohne dass er begann. Immer wieder musste das Publikum, das begreiflicherweise stets heftiger seine Ungeduld bekundete, ohne indes den Saal zu verlassen, was von der Treue seiner zahlreichen Verehrergemeinde zeugte, beschwichtigt werden. Es war bereits neun Uhr vorüber, als – endlich – Manger, von einigen Leuten, die ihn in irgendeiner Kneipe aufgestöbert hatten, durch den Mittelgang vorgestoßen, mit Hut und Stock schwankend das Podium betrat und unvermittelt völlig frei zu sprechen begann. Ich glaube Zeit meines Lebens keinen beschwingteren, gehaltvolleren Vortrag über ein poetisches Thema gehört zu haben, als jenen des damals sechsundzwanzigjährigen trunkenen Poeten. Er erwies sich darin nicht nur als gewandter, inspirierter Redner, sondern auch als tiefgründiger Kenner der lyrischen Dichtung aller Völker und Zeiten, der ganze Gedichte aus dem Stehgreif zitierte, die kühnsten Zusammenhänge herstellte und immer wieder auch auf die Dichtungsfolklore der orientalischen wie der slawischen und nordischen Völker verwies. Noch höre ich, ungeachtet des seither verstrichenen halben Jahrhunderts, im Geiste deutlich seine etwas raue, heisere Säufer- und Raucherstimme wie entrückt die Rilke-Verse zitieren:

Traumselige, Vigilie!
Jetzt wallt die Nacht durchs Land:
der Mond, die weiße Lilie,
blüht auf in ihrer Hand

Wann hat Manger wohl Zeit gefunden, musste sich der mit den näheren Lebensumständen des Dichters Vertraute unweigerlich fragen, ein solches Wissen in sich aufzuspeichern und zu verarbeiten? Nicht weniger erstaunlich, wie er das für seine dichterische Entfaltung Erforderliche zu erspüren und sich auch sofort zu beschaffen wusste, wie zum Beispiel Bert Brechts Hauspostille, die er mir, kaum dass sie erschienen war, sogleich mit warmen empfehlenden Worten zu leihen vermochte. Überhaupt: Manger und das Buch – das ergäbe ein Kapitel für sich. Die Kenntnis so manches für mich wichtig gewordenen Buches habe ich Mangers Freundschaft zu danken: Soergels Lyrikanthologie Kristall der Zeit und desselben zweibändige Literaturgeschichte Dichtung und Dichter der Zeit und so manches andere. Alle diese Bücher befanden sich in einem unbeschreiblichen Zustand der Verlotterung, sie waren völlig aus der Form geraten, die Leinen- oder Kartonbände wölbten sich und strebten, faltig und rissig, der Kugelform entgegen, Blätter waren zusammengeklebt, wiesen grünlich-braune Flecken und Tabakspuren auf, strömten einen widerlichen Fuselgeruch aus – man musste sich überwinden, ehe man sich daran gewöhnte und sie um des interessanten Inhalts willen doch zur Hand nahm. Ich bin nicht draufgekommen, ob er das Buch als solches oder nur als unumgänglichen Vermittler ihm unentbehrlichen Wissens schätzte, vermutlich Letzteres. Als Brieftasche diente ihm zu jener Zeit ein zerlesenes Exemplar von Angelus Silesius’ Cherubinischem Wandersmann in der Ausgabe der Inselbücherei, das er schüchtern aus seiner Brusttasche hervorholte, um daraus seinen Personalausweis zu fischen, wenn er sich beim Postschalter legitimieren musste, um seine schon damals nicht unerheblichen Honorare für die in verschiedenen jiddischen Literaturzeitschriften Amerikas oder Polens erschienenen Gedichte abzuheben, ein Vorgang, der mir damals wie ein Wunder erschien. Und natürlich wurden diese Beträge schon in den darauf folgenden Stunden in Bier, Wein oder Schnaps umgesetzt, die durch unser beider ewig durstigen Kehlen rannen und da das Geld nicht bis zum Abend langte und die Runde durch die Schenken noch nicht beendet war, wurde Dr. Max Diamant oder ein anderer mit irdischen Gütern gesegneter Verehrer der Mangerschen Poesie schleunigst daheim aufgesucht und da der Aufgesuchte aus Erfahrung schon wusste, was es geschlagen hatte, reicht er dem ,auf einen Sprung‘ bei ihm erschienenen Gast den üblichen Obolus, der es uns ermöglichte, unsere Wanderung durch die abendlichen Kneipen fortzusetzen.

So wie bei Kittner wird Mangers Vorliebe für den Alkohol und auch seine Verwahrlosung während seiner Wanderungen durch Polen und Rumänien des Öfteren beschrieben. Auch in Rose Ausländers ausgezeichnetem „Dichterbildnis: Itzig Manger“, welches am 10.4.1932 in der Zeitung Der Tag veröffentlicht wurde, scheint beides kunstvoll gefügt auf.

DICHTERBILDNIS
Itzig Manger

Die Schenke ist sein liebster Aufenthalt.
Er küßt den goldnen Wein wie eine Braut.
Sein Rausch ist voller Wege wie ein Wald,
in dessen Dickicht ewiges Dunkel blaut.

Aus seinen Augen fallen Sterne, die
ein Gott verschwenderisch vom Himmel nahm.
Auf seiner Stirne singt die Melodie
des Vogels, der einst aus dem Süden kam.

Zerlumpt und schmierig ist sein Rock, sein Hemd.
Er zecht mit Tod und Nacht und Hur und Laus. –
Vom Meere der Gesichte überschwemmt,
strömt er, den Mond im Arm, verzückt nach Haus.

Gespenster folgen seinem wilden Ritt
und werfen Schlangen in sein schwarzes Haar.
Doch vor ihm wie ein Stern erglänzt der Schritt
der auferstandnen Frau, die ihn gebar.

Allerdings wird auch glaubhaft berichtet, dass Mangers ,Lotterleben‘ von seinen Ehefrauen – seit seiner ersten Heirat im Frühjahr 1932 mit Golde Trauring – in geordnete Bahnen gelenkt wurde. Dies kam seiner Gesundheit, seinem Aussehen und seiner Arbeit als Schriftsteller zu Gute.
1929 lässt sich der Dichter in Warschau nieder. Im Januar 1929 erscheint dort in der Zeitschrift Literarische Bletter ein Interview in dem Manger erklärt warum er nach Warschau gekommen ist:

Ich bin vor allem nach Polen gekommen, um zu hören und zu sehen. Nicht nur die polnischen Wälder sind für mich Legende, auch die Warschauer Liköre. Den ersten überwältigenden Eindruck der Warschauer Liköre habe ich bereits erhalten. Jetzt warte ich voller Spannung auf weitere. Nach Polen getrieben hat mich die Sehnsucht nach Polen selbst, die Sehnsucht eines der wichtigsten jiddischen Kulturzentren näher kennen zu lernen. … Wir leben in Nachbarschaft zu zwei der wichtigsten jiddischen Kulturzentren, Polen und Russland, nur konnten wir diese wichtigen Zentren nicht berühren. Ein erster „Salto mortale“ über diesen mythologisch-phantastischen Fluch ist meine jetzige Ankunft in Polen und ich glaube, dass ich keine Enttäuschung erleben werde.

Warschau wurde für einen Zeitraum von knapp zehn Jahren sein offizieller Wohnsitz. In diesem Zentrum jiddischen Lebens findet er die Arbeitsbedingungen und die Publikationsmöglichkeiten, die er braucht und wird zum bekannten und gefeierten Dichter in der jiddischsprachigen Welt Osteuropas.
Zur selben Zeit, in der Rose Ausländer ihr Dichterbildnis von Manger schrieb, übersetzte Alfred Margul-Sperber, ein in der Bukowina viel beachteter Dichter und Mentor fast aller seiner Czernowitzer Dichterkollegen, 29 Gedichte seines Freundes Itzik Manger. Da er Jiddisch weder lesen noch schreiben konnte, fertigte Manger für ihn Linearübertragungen ins Deutsche an. Auf dieser Grundlage schrieb Margul-Sperber Nachdichtungen, die zum Besten gehören, was uns an Übertragungen vorliegt. Und er veröffentlichte im Czernowitzer Morgenblatt am 26. September 1932 einen großen Artikel über das Werk von Manger mit Gedichtbeispielen.

DER DICHTER ITZIG MANGER

Itzig Manger ist ein europäischer Dichter, der in jüdischer Sprache schreibt. Das muss vorweg festgestellt werden, weil sich mit dem Begriff des jüdischen Dichters die Vorstellung von der Wesensart einer Dichtung verknüpft, die in eine anders geartete Gefühlswelt und in das Erdreich einer fremden Sprache gar nicht oder nur sehr unvollkommen und schwer übertragbar ist.
Jede junge Dichtung wie die jüdische ist ängstlich darauf bedacht, sich zu behaupten und stellt an sich in allererster Linie die Forderung der Eigenart, die sie zu erfüllen glaubt, indem sie besonders charakteristische Seiten des Volkstums betont, die nicht immer seine wesentlichen sind. Die tieferen Elemente der schöpferischen Volksseele sind gewöhnlich solche, welche alle Völker gemein haben: wohl haben sie bei jedem Volke ihre besonders ausgeprägte, eigentümliche Färbung, ohne jedoch damit aufzuhören, auch dem fremden Volke verständlich zu sein. Die erklügelte Rabulistik, der spitzfindige Ghettowitz, der an der Oberfläche spielt, bleibt dem Außenseiter unzugänglich, aber in den an die Sterne reichenden Verzückungen des Balschem eröffnet sich ein Raum. In welchem auch Laotse, Meister Eckhardt und Franziskus von Assisi atmen und wandeln.
Der jüdische Dichter Itzig Manger ist ein europäischer Dichter, weil seine Dichtung aus den  t i e f e r e n  Quellen des jüdischen Volkstums fließt. Diese Dichtung bleibt natürlich in einem eminenten Grade typisch jüdisch, ja geradezu klassisch jüdisch. Aber sie verlässt das Zwielicht der Ghettoromantik, die keine Erde unter sich hat und begibt sich zurück in den großen Raum, in welchen alle Naturmächte hineinragen, in dem alle Elementargeister heimisch sind. In der Dichtung Itzig Mangers umfängt uns ein Wehen des Ahnungsvollen und Dämonischen, des Bedeutsamen und Unaussprechlichen und es bleibt eines der außerordentlichen Merkmale seiner souveränen Kunst, dass er dies Undeutliche, Halbfassbare niemals ganz Gestalt, ganz aussprechen lässt, aber auch niemals ins Formlose und Wesenlose zerfließen lässt. Die Welt seiner Dichtung ist eine Zwischenwelt, ein Dämmerland, in dem sich Gespenster und Spießbürger auf gleichem Fuß begegnen, ohne über dies Zusammentreffen sonderlich erstaunt zu sein. Das macht: seine Gespenster sind keine eigentlichen Gespenster, seine Spießbürger keine Spießbürger von echtem Schrot und Korn: beide sind Spiegelungen, die sich menschliche Einsamkeit im leeren Raum erfindet. Spiegelungen ihrer selbst. Die Balladen Itzig Mangers sind Dialoge. Aber ihre unvergessliche und unvergleichliche Wirkung geht vor allem davon aus, dass im Grunde genommen diese Zwiegespräche nur Selbstgespräche sind. Wie ein Kind aus der Furcht vor dem Dunkel laut zu sich selbst spricht. Selbstgespräche der Einsamkeit, des Grauens, in der Leere, im Chaos: Sprechen um nicht zu schreien.
Es ist keine erfreuliche Landschaft, in welcher diese Dialoge geführt werden. Ihre Konturen sind groß, das Wirken der Naturkräfte macht sich gewaltig sichtbar. Aber eine solche Landschaft erdrückt den Menschen, der in ihr wandelt. Die Dichtung Itzig Mangers hat diesen Zug mit der größten Dichtung: der Dichtung des Volkes, gemeinsam. Wie in der nordischen Ballade sind bei Manger die Naturkräfte dem Menschen feindlich gesinnt. Ob sie nun, wie der unheimliche Strolch in der „Ballade in C-Dur“ dem Wanderer im Grauen der Mitternacht auf bösen Wegen begegnen, sich den Menschen versagen wie der Mond den Müttern verhungerter Kinder in der „Ballade vom weißen Brot“ oder ob sie Unheil verkündend, in die Irre und ins Verderben lockend in den Kreis des menschlichen Lebens hineinragen, wie in den Balladen „Vom Juden, der auf den Markt fuhr“, „Vom weißen Schein“, „Der Brautschleier“, „Von den Irrungen“ und anderen – immer lastet der übermächtige Druck der Natur auf dem Menschenherzen, selten spricht sie ihm mütterlich und trostreich zu, wie es im wunderbaren Gespräch der Mitternacht mit dem sterbenden „Rabbi von 
Podul-Iloi“ geschieht. Eine eigentümliche Vertiefung erfährt das Motiv der feindlichen Naturkräfte in manchen Gedichten Mangers, in welchen er es umkehrt und den Menschen sich gegen die Feindschaft auflehnen lässt, wie in der Ballade vom Heiducken, der den Mond vom Himmel herunterschießt oder im Gedicht vom Mönch, der den Frühling tötet. Aus all dem Vorhergesagten erhellt sich, dass durch die Welt Mangerscher Dichtung ein tiefer Riss geht – der Riss, der in der Schöpfung klafft; die Grundstimmung ist leidenschaftliche Zerrissenheit und Hoffnungslosigkeit. In sehr spärlichen Momenten nur löst sich der Missklang seines Schmerzes am Dasein in weiche, versöhnende Akkorde auf oder es ist seiner Dichtung gegeben, sich zu den Höhen jenes unsterblichen Humors zu erheben, der das Leid der Welt überwindet. Aber wenn das einmal der Fall ist, so entstehen hinreißende Gebilde, wie die flutende Strophenfolge seiner „Bettlerlegende“ oder der überdimensionale Humor seines ,Säufers Iwan‘, der mit Gott Hand in Hand durch die Welt wandert und in den Schenken säuft.
Es ist natürlich im Rahmen des hier zur Verfügung stehenden Raums ganz unmöglich, über die Persönlichkeit eines Dichters von der Vielgestalt und Eigenart Mangers auch nur das Notwendige zu sagen: dieser Aufsatz muss sich daher darauf beschränken, das Thematische seiner Dichtung anzudeuten. Wie aus dem Vorstehenden bereits ersichtlich ist, entfaltet der Dichter Manger seine Begabung am stärksten auf dem Gebiet der Ballade, der er ganz neue und eigenartige Wirkungen abzugewinnen verstanden hat und ich stehe nicht an zu behaupten, dass Manger nicht nur der größte jüdische, sondern der bedeutendste lebende europäische Balladendichter ist – was ja an und für sich nicht viel besagt, weil die Ballade in der zeitgenössischen europäischen Dichtung fast gar keine Vertreter aufweist. Aber auch seine Lyrik und diese vielleicht, weil absichtsloser, in einem noch ausgeprägterem Maße, verhilft seiner dichterischen Begabung zum Durchbruch. Für die Weite seines schöpferischen Horizonts legt die Vielfalt seiner Themen Zeugnis ab: bald sind es Probleme jüdischer Tragik und Ausweglosigkeit, die ihn beschäftigen, wie er etwa der „metaphysischen Sünde des Judentums“, dessen Festhalten an der Ratio, in der „Ballade in C-Dur“ ein unvergessliches Symbol geschaffen hat; oder er verleiht dem sozialen Notruf der Zeit zwingenden Ausdruck wie in der erschütternden „Ballade vom weißen Brot“ oder in den packenden Rhythmen der „Oktoberballade“; und schließlich ist ihm in Gedichten wie der „Ballade vom schlanken Husar“ wohl erstmalig in der neueren Literatur, der Versuch gelungen, Motive des melodramatischen Kitsches und Schunds landläufiger Dienstmädchenliteratur, der Köchinnenromantik und des Bänkelsanges, in ernsthafter Absicht und mit sehr ergreifender Wirkung künstlerisch zu gestalten.
Aber aus welchem Gebiet immer er sich seine Stoffe holen mag: immer packt und ergreift er durch die oft bis zum Visionären, Unheimlichen gesteigerte Stärke der dichterischen Anschauung, die Intensität seines starken und echten Gefühls, den herben Duft seiner knappen, erd- und naturechten Sprache und den Zauber des unsterblichen Liedes, der in seinen Versen lebt.
Itzig Manger ist ein Sohn unserer Stadt: er ist 1901 in Czernowitz geboren. Sein im Jahr 1929 veröffentlichter Gedichtband Sterne auf dem Dach, der von der kompletten jüdischen Kritik der großen Welt außerordentlich hoch bewertet wird, hat ihm in der zeitgenössischen jiddischen Literatur einen der repräsentativsten Plätze gesichert. Aber nicht nur die vorstehenden Momente rechtfertigen den Versuch der Übertragung Manger’scher Gedichte, den ich unternommen habe und von dem die nachfolgenden zwei Stücke Probe sein sollen: maßgebend war für mich vor allem meine Überzeugung, dass Itzig Manger, selbst nach europäischen Begriffen und Maßstäben, ein sehr bedeutender Dichter ist, dem der Weg in die allgemeine Anerkennung bahnen zu helfen, eine wirkliche Ehre und Kulturpflicht bedeutet.

Auch Helios Hecht, Kultur- und Politikjournalist, Graphologe und sieben Jahre lang Lebensgefährte von Rose Ausländer und als solcher mit Itzik Manger, dem Freund Rose Ausländers, gut bekannt, nimmt einen Vortrag Mangers zum Anlass, über ihn zu schreiben. Er bedient sich dabei einer seltsam pathetischen Sprache, die uns heute fremd in den Ohren klingt, damals in Czernowitz aber durchaus ,gängig‘ war. Er schreibt in der Zeitschrift Der Tag vom 09. November 1932:

ITZIG MANGER. VORTRAG ÜBER DAS WESEN DER BALLADE.

„Die Billion des Blutes“ nennt Manger das Grundthema, über das er Donnerstagabend im großen Saale des jüdischen Nationalhauses vor einem vielhundertköpfigen, mit angehaltenem Atem horchenden Publikum gesprochen hat. Das war aber mehr als ein Vortrag, es war die Verkündigung unerhörter Erlebnisse aus dem Grenzbereich der Mystik, aus einem Jenseits der Empfindungen und Schauungen, die ins Diesseits hineinragen, wenn man sich ihnen nur erlebnisbereit erschließen will. In dieser an geistigen Manifestationen armen, an Geburtstagsfeiern, politischen Superlativen und blutaufgrellenden Extraausgaben so überreichen Stadt muss es wie eine versöhnende Gerechtigkeit wirken, wenn einmal ein echter Künstler die Gedankenarmut durchblutet und die Phantasielosigkeit der Zeit geißelt. Was Manger zu sagen hatte und wie er es vortrug, das war neu, kühn und aus jener Berechtigung hergeholt, die nur dem schöpferischen Menschen gegeben ist. Da war die Tribüne in einen von Mondenschein und Sternenlicht überglänzten Hain umgewandelt und der Seher einer fremden, von tausend Mahnungen und mitternächtigen Grauen erfüllten Welt beschwert. Ihre Schemen und Schrecken, die uns realer ansprachen als die Nöte und Nahrungssorgen unserer Tage. Geisterfinger drehten aus dem Schattenreich in die Beschaulichkeit und Ahnungslosigkeit dieses Lebens. Jeder Mensch, sei er noch so gottverlassen, hat früher oder später eine solche blutaufwühlende Vision, eine unerklärliche Furchtanwandlung, das unabweisliche Gefühl, dass diese Dinge und alle Erscheinungen nicht von uns in Bewegung gesetzt werden, sondern über unser Erfassen hinaus ihren Urbeweger haben. Das Unrechttum, alle Schmerzensrufe der Gefolterten, das Stöhnen der Erniedrigten, das ungehörte Todesröcheln der gemordeten Kreatur, all diese Gewalten ballen sich zu einer in mitternächtigen Einsamkeiten phosphoreszierenden Anklage, die uns zuweilen wie ein Blitz der Erkenntnis durchs Blut schlägt. Da braut für Manger der Urstoff seiner balladesken Schaffungen. Dieser ferne Ruf aus einer anderen Sphäre tönt in unserem Blute, wir hören ihn nicht und können ihn doch nicht für immer entraten. Ob unserem Tun und Denken wacht ein ewiges Auge, trohnt ein ernster Mahner, dem wir uns nicht für immer verschließen können. Diese dunkle, mahnende Stimme unseres Blutes nennt Manger das überweltliche Gewissen, das wir durch alle Generationen der Menschheitsentzündung in uns tragen. Allem Sträuben zutrotz schwingt ein Ewiges unserer Gattung im Reich des Unsichtbaren mit. Wer solche Visionen künstlerisch zu gestalten begnadet ist, der hebt sie als Drama, als Ballade aus dem Chaos des Grauens. Nachtmahr, Irrlichte, Unkenruf, der heimliche Schrei vorüberziehender Wildgänse, der rasende Wirbelwind, in dessen Zentrum ein Unhold haust, alle fremden Stimmen und Gesichte suchen nach Erlösung und der Dichter entsetzt sich vor ihnen nicht, sondern bläst ihnen seinen schöpferischen Odem ein und ruft sie ins Licht. Das sind Mangers Balladen.
Ein Krämer rollt nach des Tages Feilschen einen Silbertaler in der Hand. Er streichelt das vom Urahn übernommene Blutgeld, glättet sich das runde Bäuchlein, beide sein einziger Interessenkreis und merkt unterdessen nicht, dass die Nacht herandunkelt und am Himmel ein ganz anderer, wunderbarer Silbertaler aufgegangen ist. Er vertauscht jenen mit dem in der Hand, immer näher kommt der Taler hernieder, schon bekommen ihn die Greiffinger zu fassen, schon hat er ihn unter seinem Fuße. Der Taler aber kreist und gleißt fort und zieht die Krämerseele in seinen Rhythmus hinein, reißt ihn fort, wirbelt ihn herum, höher, immer höher, himmel- und höllenwärts. Und nun merkt der Schacherer nicht, dass nicht er den Taler, sondern dieser ihn besitze. So beherrschen uns die Affekte. So gestaltet Manger die Besessenheit, die im Besitze zu schwelgen glaubt. Das ist sein Urton und die Geburt der Ballade. Aber was und wie gestaltet Manger aus solchen Stoffen! An dramatischem Gehalt, an Visionen des Grauens und Entsetzens, an einer versöhnenden ewigen Gerechtigkeit haben sie nicht ihresgleichen in der bekannten Literatur. Neu und durch die Autorität des künstlerischen Geistes beglaubigt ist Mangers Auseinandersetzung mit Goethes Erlkönig, der er Bürgers Eleonorenballade hoch voranstellt an Kunst und psychologischer Wahrscheinlichkeit. Die Zuhörer wurden gleichsam spielerisch durch Mangers beredte Gestaltungskraft mit der Ballade der europäischen Literatur vertraut gemacht. Und nicht einen Augenblick lang verließ sein Vortrag das hohe Niveau, auf das er ihn mit den ersten zündenden Worten gehoben hatte. Da war kein Vakuum in dieser nur aus Hohem und Tiefen schöpfenden Rede. Dann las er mehrere seiner Balladen mit ausgezeichneter Beherrschung, wie sie nur dem Schöpfer des Kunstwerks eigen sein kann.
Manger ist gewiss ein Visionär, ein bedeutender Künstler, der Initiator einer Literaturgattung, mit der man auch in Europa bald zu rechnen haben wird. Über den Menschen Manger, über die Dämonie seiner Schöpfungen und seines Charakters, über seine komplizierte, ins Ungewöhnliche und unerkannt Unbekannte greifende Persönlichkeit soll später noch einmal gesprochen werden. Diesmal aber will ich den Anlass benützen und freudig bekennen, dass sich aus der alles nivellierenden Verflachungstendenz unserer Zeit sein Geist herauskonturiert und sich in eine Sphäre erhebt, in der nur Sterne ihre Heimat haben. So kann nicht unerkannt bleiben, was des Geistes ist, was aber unerkannt bleibt oder für eine Weile nur irrlichternd aufblitzt, um wieder in die Flachheit zu versinken, das stammte nicht aus himmlischen Bezirken.
In Itzig Manger besitzen wir, besitzt die ganze geistige Welt einen echten Künstler; in Manger, der jetzt von uns scheidet, um Einladungen nach Warschau, Antwerpen, Paris und London zu folgen, verlieren wir die stärkste und strahlendste Persönlichkeit und wenn sein Ruhm mit vermehrter Helle in anderen Ländern aufstrahlt, wird der Widerschein auch uns freundlich erhebend grüßen.

Noch einmal sei für die frühen Dreißiger Jahre aus den Erinnerungen von Alfred Kittner zitiert:

Wenn Alfred Margul-Sperber, leider selten genug, aus Burdujeni, wo er seinen Dienst versah, zu unser beider Freude nach Czernowitz kam, musste er wohl oder übel eine Zeitlang mithalten und gutmütig unseren Spott über sich ergehen lassen, wenn er, ehe er das einzige Glas, das er sich genehmigte, an die Lippen setzte, eine Prise Speisesoda nahm. Sperber, der damals bereits Mangers Balladen zu übersetzen begann und das Erscheinen einiger dieser Übersetzungen im Klingsor erwirkte, erzählte mir, wie Manger eines Nachts plötzlich, einem Gespenst gleich, vor dem erleuchteten Fenster seiner am Erdgeschoss gelegenen Wohnung in Burdujeni erschien, müde von der langen Fußwanderung auf der Landstraße mit verstaubten Kleidern und ihn überredete, mit ihm in die Schenke zu gehen. Betrunken habe ich den Dichter eigentlich nie gesehen und wenn er, was zuweilen vorkam, vor Müdigkeit und Schwäche zusammenzubrechen drohte, so war nicht das Trinken daran Schuld, sondern der Umstand, dass er über dem Trinken nur allzu oft das Essen vergaß. Unvergesslich ist mir eine Begebenheit, deren Schauplatz die Wohnung der Dichterin Rose Ausländer in der Dreifaltigkeitsgasse war. Zu später Stunde – es mochte kurz vor Mitternacht gewesen sein und einige Freunde saßen noch um den Tisch vereint – läutete es und herein trat aschfahl und schwankenden Schrittes, Manger: ihm war zum Umsinken übel, er musste auf den Diwan gebettet werden und es dauerte eine ganze Weile, bis er wieder zu sich kam.
Manger war damals schon weit in der Welt herumgekommen, hatte in Berlin Else Lasker-Schüler besucht und von ihr sehr schmeichelhafte Worte zu hören bekommen und rüstete bereits zu einer neuen Reise in die weite Welt.
Ehe Itzig Manger auf Reisen ging – und diesmal ging es nach Paris – veranstalteten seine Freunde ihm zu Ehren einen Vorlesungsabend, zu dessen Einführung Alfred Margul-Sperber eigens aus Burdujeni angereist gekommen war, mit anschließendem Abschiedsbankett, was Manger Gelegenheit bot, seinen nagelneuen Anzug ,einzuweihen‘. Doch da musste auch passendes Schuhwerk her – und dies ließ sich nicht so leicht auftreiben. Zum Glück erinnerte ich mich eines Paars nicht allzu abgetragener Lackschuhe aus langverflossenen seligen Tanzschulzeiten, die einst meinen Stolz gebildet hatten und nun vergessen in einem Schrank lagen. Die stellte ich Manger freudig zur Vervollkommnung seiner Festgarderobe zur Verfügung. Doch stellten sie sich leider als ein Danaergeschenk heraus, denn sie bewiesen sich als zu eng und bereiteten dem Gefeierten Höllenqualen. Auf dem Heimweg durch die nächtliche Herrengasse ertrug er’s nicht länger, streifte sie ächzend von den gemarterten Füßen, schmiss sie mit dem Verzweiflungsschrei:
„Kittners Lackschuh!“ in weitem Bogen auf den gegenüberliegenden Gehsteig und setzte den Weg auf Socken fort. Tags darauf schon reiste Manger ab und als mir gemeinsame Freunde schon wenig später die Lackschuhe zurückbrachten, fand ich in ihnen, als Schuheinlage zurechtgefaltet, eine von Mangers Hand stammende Abschrift seiner kurz zuvor entstandenen berühmten „Ballade von dem blauen Krüglein“.

Die Jahre in Warschau waren die beste Schaffensperiode in Mangers Leben. Schon eine Aufzählung seiner Veröffentlichungen in jenen Jahren zeigt den erfolgreichen Dichter: Schtern ojfn Dach (1929), Lamtern in Wind (1933), Chumesh Lider (1935), Megile Lider und Felker singen (1936), Demerung in Schpigel, Welwl Sbarzher schrajbt Briw zu Malkele der Schejner (1937) und Noente Gestaltn (Essays, 1938).
Ab 1936 arbeitet er auch als Dramatiker. Am Anfang stehen die – von Zeitgenossen als zu „frei“ geziehenen – Bearbeitungen der Stücke Di Kischufmacherin und Drai Hozmachs von Abraham Goldfaden. Manger interessiert sich auch für den Film. Zwischen 1936 und 1938 arbeitet er an den Drehbüchern der jiddischen Filme Der Dibbuk und Der Purimspieler mit, kümmert sich besonders um die Dialoge und schreibt für den Film Yidl mitn Fidl die Liedtexte. Alle drei Filme wurden in Warschau produziert und werden noch heute auf Festivals und im Fernsehen (arte) gezeigt.

In diese Zeit fällt auch die letzte Begegnung Mangers mit Alfred Kittner:

Noch einmal sollte ich Manger wieder sehen. … Es war im Sommer 1937. Manger war wieder nach Warschau zurückgekehrt, wo er unterdessen die Schriftstellerin Ruchel Auerbach geheiratet hatte, die treulich für sein leibliches Wohl, aber auch für sein Äußeres und seine Kleidung sorgte und der es gelang, vorübergehend, solange diese Ehe eben dauerte, aus dem Vagabunden einen etwas manierlicheren Menschen zu machen. Ich verbrachte in jenem Sommer zwei Urlaubswochen im Dorf Valea Putnei im Süden der Bukowina und befand mich gerade zu früher Nachmittagsstunde in meinem Zimmer, als plötzlich das Geratter eines Autos von der Straße her an mein Ohr drang. Ich eilte ans Fenster und sah, wie Manger aus dem Wagen einer alten Rumpelkiste sprang und auf die Tür zuschritt. Ich eilte ihm entgegen und wir lagen uns in den Armen. Er war mit seiner Frau zu Freunden, die ihn dorthin eingeladen hatten, in das Gebirgsstädtchen Cimpolung gekommen, um dort einige Sommerwochen zu verbringen und hatte erfahren, dass ich im nahe gelegenen Valea Putnei war und nun war er hier, um mich wieder zu sehen und mich im Wagen nach Cimpolung mitzunehmen. Ich ließ mich nicht lange bitten und wir verbrachten gemeinsam diesen mir unvergesslichen Nachmittag. Auf einer Wiese liegend, las ich ihm meine kurz zuvor entstandenen Gedichte vor, darunter ein „Regenrauschlied“ betiteltes Gedicht, in dem der Vers „Im Winde stöhnt ein Baum“ vorkommt. Als ich beim Vorlesen an diese Stelle gelangt war, fiel er mir ins Wort, schlug mich auf die Schulter, sah mich bedeutungsvoll an und sagte: „… brennt ein Baum“, eine Bemerkung, die mir für die bildhafte und auch vor dem Grellsten nicht zurückschreckende Ausdrucksweise von Mangers Lyrik als bezeichnend erscheint.
Dies sollte unsere letzte Begegnung sein. Es folgten für uns beide schwere Jahre, die jedem von uns, jedem an seinem Ort in den Nimbus des Todes geraten ließen.

Efrat Gal-Ed datiert die Heirat mit Ruchel Auerbach auf 1932. Sie schreibt:

Wichtigste Unterstützung und Inspiration erfuhr Manger seit 1932 durch seine Lebensgefährtin Ruchel Auerbach, Rochl Ojerbach (Lanowitz, Galizien 1903 – Tel Aviv 1976). Sie war eine begabte und geschätzte Publizistin, die in jiddischen und polnischen Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichte und neben ihren Artikeln zur Literatur, Kunst und Psychologie auch poetische Kurzprosa schrieb. Mit ihr erlebte Manger, was geordnetere Lebens- und Wohnverhältnisse bewirken können. Sie half Manger, seine zerstreuten Manuskripte zusammenzustellen, übersetzte Gedichte ins Polnische, stand ihm, als er der freien Bearbeitung der Kischufmacherin wegen in der Presse angegriffen wurde, öffentlich bei und betreute die Drucklegung seiner Bücher, zumal nach seiner Ausweisung 1938. Die einzigen Liebesgedichte, die Manger je geschrieben hat, entstanden in der Zeit dieser Liebe und waren ihr gewidmet (Welwl Sbarzher schreibt Briefe an Malkele die Schöne, Warschau 1937). Später wird Manger für geliebte Frauen diese Gedichte umwidmen, aber keine neuen schreiben. Ruchel Auerbach, die die Zerstörung des Warschauer Gettos auf der ,arischen Seite‘ überlebte, rettete Mangers Manuskripte und Unterlagen; doch war sie, nach dem Bruch, den die Schoah in ihr verursacht hatte, nicht mehr in der Lage, mit ihm weiter zusammenzuleben.

Wenn aber Manger, wie Efrat Gal-Ed berichtet, ab 1932 mit Ruchel Auerbach zusammen lebte, was wurde dann aus Golde Trauring, die er gemäß amtlicher Urkunde am 18. März 1932 in Czernowitz heiratete? Noch lässt sich diese Frage nicht beantworten. Vielleicht wird das für immer so bleiben.
1938 erfolgt die entscheidende Zäsur in Mangers Leben. Schon seit einigen Jahren gab es von Seiten der faschistischen rumänischen Regierung Pläne zur „Purifizierung“ der rumänischen Nation. Grundgedanke war die Schaffung einer „ethnisch reinen“ rumänischen Bevölkerung in Rumänien. Dies sollte durch „Transfers“ ethnischer Gruppen erreicht werden. Die in Rumänien lebenden Ungarn sollten nach Ungarn übersiedelt werden; im Gegenzug die Rumänen aus Ungarn nach Rumänien kommen. Für die Ukrainer war die Übersiedelung in die Sowjetunion vorgesehen; die Rumänen von dort sollten nach Rumänien geholt werden. Für alle anderen „fremden“ Ethnien war dieses Prozedere ebenfalls vorgesehen Nur für Juden nicht. Für sie war ein „einseitiger Transfer“ geplant. Sprich, sie sollten hinausgeschafft werden aus Rumänien, ohne dass andere Menschen aufgenommen wurden. Dahingestellt sei, ob sich eine solche Planung jemals hätte verwirklichen lassen. Maßnahmen gegen Juden aber ergriff die rumänische Regierung sofort. Als erster Schritt wurde mit ihrer „wirtschaftlichen Marginalisierung“ begonnen. Allen Juden, die nicht mit amtlichen Dokumenten nachweisen konnten, dass sie bereits 1919 auf dem Gebiet des Staates Rumänien gelebt hatten, wurde die rumänische Staatsbürgerschaft aberkannt. Sie waren damit staatenlos und ihrer bürgerlichen Rechte beraubt. Etwa ein Drittel der rumänischen Juden waren hiervon betroffen. Zu Spottpreisen übernahmen Rumänen Fabriken, Geschäfte, Kanzleien usw., Arbeitsstellen der Juden wurden gekündigt, soziale Hilfe nicht geleistet. Viele der Betroffenen verließen Rumänien. Damit konnte die rumänische Regierung einen ersten Teilerfolg erzielen.
Itzik Manger hatte, obwohl er in Warschau lebte, die rumänische Staatsbürgerschaft behalten. Diese wurde ihm 1938 aberkannt und als nunmehr Staatenlosem erfolgte seine Ausweisung aus Polen. Er gelangte nach Frankreich, wo er in Paris als Illegaler lebte. Trotz seiner extrem schwierigen Situation legte er letzte Hand an ein Romanmanuskript und Ruchel Auerbach erreichte in Warschau die Publikation des Romans Das Buch fun Gan Eden (Das Buch vom Paradies), welches später in Europa, den USA und Israel zum erfolgreichsten Werk Mangers werden sollte.
Auch Alfred Kittner teilt diese Einschätzung:

War der Ruhm des Lieder- und Balladendichters ungeachtet zahlreicher Übersetzungen sehr zu Unrecht im wesentlichen auf den Bereich der jiddischen Rezeption beschränkt – vergeblich wird man in den großen deutschen Balladensammlungen der Zeit, in Georg von der Vrings und Wachauers Tausendmund und den Europäischen Balladen in Reclams Universal-Bibliothek Mangers Namen suchen – so wurde ihm in den letzten Lebensjahren die Genugtuung zuteil, dass ihm sein um 1960 vollendeter komischer Roman Das Buch vom Paradies, dessen 1962 in Bern erschienenen deutschen Übersetzung von Salcia Landmann lange Zeit auf der Bestsellerliste des deutschen Buchhandels stand, Weltgeltung einbrachte.
Ich glaube nicht, dass es Manger gefreut hätte, dass der Ruhm des Erzählers den des Lyrikers in den Schatten stellt. Der deutschen Übersetzung seines Romans hat Manger ein kurzes Vorwort vorangestellt, in dem es unter anderem heißt: „… herumirrend zwischen Grenzen ohne Pass, ohne Visum – in dieser grotesken Pose verneige ich mich vor dem verehrten Publikum und präsentiere ihm einen Schmuel Abe Aberwo mit seiner absonderlichen Lebensgeschichte“. Eigentlich ist das
Buch vom Paradies der erste Teil einer geplanten Trilogie. Das Buch von der Erde und Das Buch von der Irrwelt werden vielleicht einst noch geschrieben werden. Dieses ausgelassen fröhliche Buch enthält viele meiner intimsten Erlebnisse, viel von meinem eigenen Leben, Lieben und Leiden. Dieses Buch widmete ich mir selber: eine Erinnerung an die einsamen Tage und Nächte, als ich herumstreifte in den Straßen und über die Boulevards von Paris. Die fröhlichsten Momente in dieser unendlichen Verlogenheit waren meine Begegnungen in den Nachtkneipen mit den Schatten der französischen Vagabunden, diesen ausgelassenen Sängern, die vermutlich in ihrem eigenen Vaterland nicht weniger einsam waren als ich. Ein Hauch von Trost

Edith Silbermann, Germanistin, Übersetzerin und Publizistin, Czernowitzerin wie Kittner, schrieb 1992 in einem Text über Manger und sein Werk:

… Als ,Prinz der jiddischen Ballade‘ ist Itzig Manger in die Literatur seines Volkes eingegangen. In einer Zeit, in der die jiddische Poesie immer mehr danach strebte, von der ,Jüdischkeit‘, der ausschließlichen Behandlung jüdischer Stoffe, zur vordringlichen Behandlung allgemein menschlicher Probleme im individuellen Erleben überzugehen, in der Absicht, auf diese Weise rascher den Anschluss an die europäische Literatur zu finden, hat Manger bewusst und seinem Temperament entsprechend, zu den Wurzeln der jiddischen Poesie zurückgegriffen, indem er sich als Nachfahre jener jüdischen Volkssänger bekannte, die als Badchen oder Marschalik, als Berufsspaßmacher, bei Hochzeiten und zum Purimfest volkstümliche Lieder vorzutragen pflegten, ein bis ins Mittelalter zurück zu verfolgender Brauch. So schuf er in seinen „Megile-Liedern“ eine höchst reizvolle Variante der volkstümlichen Purimspiele, die zum Gedenken an die im biblischen Esther-Buch überlieferte Rettung der persischen Juden durch Königin Esther in vielen Gemeinden und jüdischen Privathäusern aufgeführt wurden. Anlässlich eines Gastspiels des Jiddischen Theaters Tel Aviv im Rahmen der Internationalen Maifestspiele Wiesbaden 1969 hatte das deutsche Publikum Gelegenheit, eine szenische Bearbeitung von Mangers Purim „Megile-Liedern“ kennen zu lernen, jener humorvollen Verse, die sich um die Purimlegende ranken. Aus der vorliterarischen Phase des jiddischen Schrifttums, einer Art Troubadurpoesie, in der die Erinnerung an die Tradition des Spielmanns weiterlebte und die sich zumeist aus deutschen Quellen speiste, schöpfte Manger seine poetische Inspiration. Und diesem von ihm bevorzugten Genre entsprach auch seine menschliche wie dichterische Haltung. Da er jedoch zugleich ein gründlicher Kenner der deutschen Volkspoesie war, zumal der Volksballade und nicht nur der deutschen allein, vermochte er eine aus primitiven Quellen gespeiste Dichtung oft bei Wahrung des Bänkelsängertons, zu hoher Poesie emporzuheben wie kaum ein anderer in der gesamten Weltliteratur.
Hinzu tritt in nicht geringem Maße seine Bevorzugung einer vom Geiste der chassidischen Mystik genährten Thematik, ein liebevolles Verständnis für die Welt der Armen und Elenden des ostjüdischen Schtetls und nicht zuletzt sein zu Spiel und Maskerade neigender, kaustischer, ja ätzender Humor, dem nichts heilig ist, so dass er sogar mit den Gestalten der Bibel seinen Spott treibt. Daher kann man wohl zu Recht von seinem mystischen Humor sprechen. Besonders in seiner frühen Lyrik finden sich auch Anklänge an die Poesie Francois Villons, an Rilkes Stundenbuch und an die Zigeunerlyrik. Mangers Bedeutung beruht zweifellos vor allem auf seiner Lyrik. Nichtsdestoweniger hat nicht diese, sondern ein von ihm als Nebenwerk angesehenes Prosabuch seinen Weltruhm begründet; der um 1960 vollendete komische Roman Buch vom Paradies, dessen 1962 in Bern erschienene deutsche Übertragung von Salcia Landmann lange Zeit auf der Bestsellerliste des deutschen Buchhandels stand, dann auch als Taschenbuch weite Verbreitung fand und in der DDR zu einem vielgelesenen Erfolgsbuch wurde. Der deutschen Übersetzung hat Manger ein kurzes Vorwort vorangestellt, in dem es heißt: „Am Rande des Abgrunds wird das Lachen ausgelassener. Beraubt meiner Staatszugehörigkeit, vertrieben aus meinem Geburtsland Rumänien, weit entfernt von meiner polnisch jüdischen Gemeinschaft, herumirrend zwischen den Grenzen, ohne Pass; ohne Visum: in dieser grotesken Pose verneige ich mich vor dem verehrten Publikum und präsentiere ihm meinen Schmuel Abe Aberwo mit seiner absonderlichen Lebensgeschichte.“
Worum geht es nun in diesem sonderbaren Schelmenroman? Einer alten jüdischen im Midrasch „Von der Schöpfung des Kindes“ enthaltenen Legende zufolge, leben die Kinder vor ihrer Geburt als Engel im Paradies. Bevor sie zur Erde fliegen, erzählt Manger, versetzt man ihnen einen Nasenstüber; dadurch vergessen sie alles, was sie im Paradies erlebt und gesehen haben. Der kleine Schmuel Abe Aberwo, der Held dieser romanartigen Geschichtenfolge, überlistet seinen beschwipsten Geleitengel und erzählt nach seiner Geburt den staunenden Eltern und Nachbarn, was er im Paradies erlebt und gesehen hat. Entsprechend einem kabbalistischen Wirt, wonach was unten, auch oben ist, enthüllt sich in Schmuels Erzählungen das Paradies als ein recht irdisch anmutendes Spiegelbild der ostjüdischen Welt. Hier spielen die Engelkinder, voran Schmuel Abes Freund Pisserl, dem Talmudlehrer Mejer Kopfkrätze die üblichen Bubenstreiche, indem sie ihm beispielsweise die Flügel mit Pech verkleben.
Mangers Paradies kennt keine Gerechtigkeit: hier gibt es, wie auf Erden, Arme und Reiche, man schuftet den ganzen Tag und hat doch nicht genug zu essen; es gibt Liebeskummer und Bosheit. Die Erzväter wohnen in Villen mit Obstgärten und König David betrügt ungestraft seine alternde Frau Bethseba – es ist wie überall. Ab und zu ereignen sich auch große Dinge, wie die Flucht des ,Messias-Stiers‘ ins christlich-orthodoxe Paradies. Dass es hier keinen Tod gibt, ist das Einzige, was diese Jenseitswelt vom Diesseits unterscheidet. So gibt es hier allerdings auch keine Heilung für den Schmerz, der einen armen paradiesischen Schneiderlehrling erfülle, dem dieser Weg nicht offen steht.
Die Worte, die Georg Büchner seinen Woyzeck sprechen lässt: „Wir armen Leut, wenn wir in den Himmel kämen, so müssten wir donnern helfen“, drängen sich bei so mancher Schilderung in diesem Buch förmlich auf. Als den „Abgesang eines gebildeten, aber naiv versponnenen Humoristen auf eine verlorene, versunkene oder mit ihrer Sprache versinkende Welt“ hat der Literaturhistoriker Otto F. Best in seinem Buch Mameloschen. Jiddisch eine Sprache und ihre Literatur Schmuels absonderlichen Vorlebensbericht bezeichnet.

Kehren wir zurück zu Itzik Manger in das Jahr 1939. Der Dichter befindet sich in einer extrem belastenden Situation. War er in Warschau ein bekannter Dichter, ist er in Paris ein Niemand. Er lebt von Almosen. Der seit 1931 in Paris lebende Maler Arthur Kolnik, mit dem er schon in Czernowitz befreundet war und der zahlreiche Porträts von ihm geschaffen hat, unterstützt ihn gemäß seiner Möglichkeiten, die jedoch bescheiden sind. Seine Versuche, mit Hilfe von Freunden in die USA zu gelangen, bleiben erfolglos. Nachrichten von seiner Frau, seiner Familie, erreichen ihn nur selten. Eine jiddische Gemeinschaft, der er sich anschließen könnte, ist kaum vorhanden. Die Bedrohung durch Nazi-Deutschland wächst. Als die Deutsche Wehrmacht in Frankreich eindringt, flieht der Dichter nach Südfrankreich, versteckt sich in Marseille. Verzweifelt versucht er, legal nach Palästina einzuwandern. Das dafür nötige Zertifikat wird ihm verweigert. Schließlich geht er mit anderen jüdischen Flüchtlingen an Bord eines Schiffes, welches sie illegal nach Palästina bringen soll. Die englische Mandatsmacht vereitelt dieses Vorhaben. Das Schiff muss abdrehen und läuft mehrere Häfen in Nordafrika an. Doch der Arm der Engländer reicht weit. Die jüdischen Passagiere dürfen nicht von Bord gehen. Manger notiert, er sei ein Reisender auf einem umherirrenden Schiff nach Eretz [Israel]. Nach einigen Monaten kehren die verhinderten Einwanderer nach Marseille zurück. Es gelingt Manger als Hilfsmatrose auf einem französischen Schiff nach Gibraltar anzuheuern. Von dort nimmt ihn ein englischer Kapitän mit nach Liverpool. Er kommt krank an, muss sofort in ein Spital. Nach seiner Genesung gelangt er 1941 nach London. Dort ist er vor der Verfolgung als Jude sicher. Seine Situation aber bleibt unhaltbar und der in Paris ähnlich.
Doch getreu dem Volksglauben, dass wenn die Not am größten ist, auch die Hilfe nah sei – wohl dem, der sich darauf nicht verlassen muss – geschieht ein „Wunder“. „In jenen Jahren (1941-1951) war Margret Waterhouse, Urenkelin des Dichters Percy B. Shelley und eine bekannte Buchhändlerin, buchstäblich Mangers rettender Engel. Sie nahm den mittellosen Flüchtling, dessen Augen nicht von den Büchern in ihrem Schaufenster wichen, bei sich auf. Es wird ihr nicht leicht gefallen sein, Mangers bittere Verzweiflung, sein Trinken und Kettenrauchen, seine Zornesausbrüche und zerrütteten Nerven zu ertragen. Doch sie gab ihm ein Zuhause, versorgte den leidenschaftlichen Leser mit Büchern und führte ihn in die englischen literarischen Kreise ein, wo man sein Talent sehr bewunderte.“
Manger hält Vorträge, schreibt für Zeitungen, vor allem aber schreibt er wieder Gedichte. Freunde helfen finanziell bei der Herausgabe zweier Gedichtbände und des Theaterstücks Hozmach-Schpil (Aufgeführt und als Buch erschienen 1947, geschrieben bereits 1936/37). Der Gedichtband Wolkens ibern Dach erscheint 1942 und der Band Der Schnajder-Geseln Note Manger singt, der als Epitaph für den Bruder gelesen werden muss, wird 1948 herausgegeben. Vor allem aber gelingt es ihnen den 50. Geburtstag des Dichters mit einer großen öffentlichen Feier zu begehen.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges besucht Ruchel Auerbach 1945 mit einer jüdischen Delegation London. Dabei kommt es zu einem Treffen mit Manger. Er ist betrunken und beschimpft die Frau, die ihm so lange eine treue und nützliche Lebensgefährtin war, unflätig. Nach diesem Auftritt ist eine Versöhnung unmöglich. Die beiden sehen sich nie wieder.
Vielleicht ist dieser Vorfall auch der schweren Depression geschuldet, in die Manger verfiel, als er erfuhr, dass sein Vater 1942 in Transnistrien in einem rumänischen Lager ermordet wurde und dass sein Bruder, nach seiner Deportation 1941 durch die Sowjets, 1944 in Samarkand verhungerte. Aus seiner Familie lebt nun nur noch seine Schwester. Aber lebt sie wirklich? Er hat seit Jahren keine Verbindung mehr zu ihr. Manger erfährt, dass Rose Ausländer die Shoa überlebt hat und sich in New York aufhält. Es gelingt ihm, die Adresse der Freundin aus Czernowitz ausfindig zu machen. Er schreibt am 30. Januar 1947 an sie:

My dear Roisele
I am very glad that you got out of our „beloved“
country. Mamaliga and pogrom. I would like you should write to me about yourself and what you know about my sister. I have some (?) in New York couldn’t you speak to them and tell them that they (?) send her all the possible-help: Dr. Bickel has their address.
Please write to me
Yours
I Manger

Erfreulicherweise konnte Rose Ausländer ihm mitteilen, dass seine Schwester lebte. Sie hatte sie und ihren Mann 1946 in Bukarest wohlbehalten angetroffen, wo sich beide auf die Auswanderung nach Palästina vorbereiteten. Ob die Intervention bei den Freunden Mangers in New York zu Hilfslieferungen – gemeint war wohl die Überweisung von Geld – für den Dichter führte, ist unbekannt.
Aus anderen Briefen, zum Beispiel aus dem Jahr 1957, wissen wir, dass Rose Ausländer und Itzik Manger auch in New York Kontakt zueinander hatten und sich gelegentlich trafen. Beide hatten Shoa, Krieg und Exil sehr verändert. Der Umgang miteinander war nicht mehr selbstverständlich; es war eine Freundschaft auf Distanz.

1951 gelang Manger schließlich die ersehnte Reise nach Amerika. Er kam zuerst für eine Vortragsreihe nach Kanada. In Montreal traf er auf eine große und lebendige jüdische Gemeinde. Man nahm ihn mit Wärme auf und er erlebte einmal mehr, dass man seine Gedichte kannte, seine Lieder sang.

Tatsächlich sind Dutzende der Gedichte Mangers von verschiedenen Komponisten vertont worden. Die Noten und Texte haben eine weite Verbreitung gefunden. Sie gehören heute zum festen Repertoire der Interpreten, die jiddisch singen. Und viele sind Volkslieder geworden. Selten wissen die Singenden, dass die Texte Gedichte von Itzik Manger sind.
In New York wird der Poet begeistert empfangen. Seine Vorträge und Lesungen erreichen sehr viele jiddisch sprechende Menschen. Wieder findet er eine Frau, die ihn liebevoll umsorgt. Er heiratet Ghenya Nadir, die Witwe des Schriftstellers Moysche Nadir und hat von da an keine materiellen Sorgen mehr. 1952 wird in New York und London ein umfangreicher Sammelband seiner vergriffenen Gedichte mit dem Titel Lid un Balad publiziert. Damit dokumentiert sich noch einmal welch großartiger Dichter Itzik Manger ist. Er schreibt wieder. Hauptsächlich Erinnerungsprosa, die in jiddischen Wochenblättern veröffentlicht wird. Gedichte entstehen nur noch wenige, meist aus konkretem Anlass, z.B. zu seiner Rede anlässlich seines 60. Geburtstags, der 1961 im New Yorker Hilton Hotel großartig gefeiert wird. Manger erhält zahlreiche Ehrungen. Auch in Israel, das er 1958 erstmalig besucht, werden seine öffentlichen Auftritte zu Triumphen. Angeregt schmiedet er Pläne für neues schriftstellerisches Schaffen; nur Weniges setzt er davon in die Tat um. Der 1967 erschienene letzte Gedichtband, ein Sammelband mit dem Titel Schtern in Schtojb, enthält kaum neue Gedichte.
Zwei Schlaganfälle im Jahr 1965 machen ihn bettlägerig. Seine Frau übersiedelte mit ihm nach Israel, wo er in einem Sanatorium in Gedera gepflegt wurde. „Wo er, der Stimme beraubt, in einer Matratzengruft dahindämmerte, bis den Siebenundsechzigjährigen am 21. Februar 1969 der Tod von unsäglichem Leiden erlöste.
Seine Beerdigung, an der auch der Präsident des Staates Israel, Salman Schasar und die Kulturministerin Golda Meir teilnahmen, gestaltete sich zu einer nationalen Trauerkundgebung, Tausende folgten seinem Sarg auf dem Weg zum Friedhof. Glanzvoller ist, denke ich, kein Vagabund beerdigt worden.“

Helmut Braun, Nachwort

 

FOLG MIR NICHT NACH, MEIN BRUDER
[Nach Itzik Manger. Aus dem Jiddischen]

Ich bin der Weg ins Leere,
das blonde Sonnensinken,
die braune Hirtenflöte,
das müde Abendwinken.

Folg mir nicht nach, mein Bruder –
mein Gehen ist Vergehn!
Es wird dein junger Glaube
an meinem Weh verwehn!

Ein Dolch ist meine Schönheit,
der tief sich gräbt ins Herz.
Zwei blaue Lippen über
dem Kruge Wein: mein Schmerz.

Mein Sehnen: ein Zigeuner
in windgepeitschter Steppe.
Eine tote, bleiche Mutter
auf dunkler Abendtreppe.

Folg mir nicht nach, mein Bruder,
mein Gehen ist Vergehn!
Es wird dein junger Glaube
an meinem Weh verwehn!

Meine Gier: eine nackte Nonne,
vor dem Altar gebeugt,
die ihre heißen Brüste
dem blonden Narren neigt.

Meine Luft: ein Regenbogen,
der an der Sonne reift
und in der Hand verflüchtet,
die gierig nach ihm greift.

Mein Haß: ein wilder Reiter,
in seiner Hand ein Strick,
doch statt den Feind erwürgt er
im Wahn sein eignes Glück.

Folg mir nicht nach, mein Bruder –
mein Gehen ist Vergehn!
Es wird dein junger Glaube
an meinem Weh verwehn.

Rose Ausländer

 

 

Gal-Ed, Ruth Renée Reif: Das unbekannte Jiddischland

 

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Itzik Manger liest sein Gedicht „There is a tree that stand“.

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