START–UP
mit einem Spezialdiktionær das
lieblos expatriierte Wortgut vor
dem Vergessen bewahren
Gemuetstransfer ins un
vordenkliche & genau dort das
Scheitern missgluecken lassen
in den Furchen des Tiefdrucks ist:
jedes Detail gelæufig
jede Ligatur erschreckend vertraut
Magie des Erhabenen gefangen im
Regelwerk der Syntax
das Recht auf diesen Kontinent: erlesen
aus gesprochener Sprache eine
imaginære Wirklichkeit erschaffen &
heimkommen in die Ewigkeit der Gegenwart
sie verknüpfen den metaphysischen mit dem irdischen Raum, die Religion mit der außerparlamentarischen Bewegung, die Erzählformen der Ballade mit dem Rollenspiel des Films.
Dieter Scherr, Klappentext, 2005
A.J. Weigonis lyrischer Vierteiler Dichterloh eine Ligatur von Eros & Thanatos, eine Auseinandersetzung mit Tradition und sprachlicher Form der sogenannten Neuen Medien liegt nach jahrelanger Arbeit endlich vor. Dichterloh ist ein Kompositum, das zwischen phonetischen, piktografischen und onomapoetischen Formen oszilliert. Im Gegensatz zu den Bleiwüsten der Vergangenheit ermöglichen die Schrift- und Zeichensätze, Material Sprache zu arbeiten und darin einzudringen. Diese Gedichte sind immer mehrfach kodiert, sie verknüpfen den metaphysischen mit dem irdischen Raum, die Religion mit der außerparlamentarischen Bewegung, die Erzählformen der Ballade mit dem Rollenspiel des Films.Was A.J. Weigonis Dichtung umspannt, ist nicht wenig: von permanenter Kommunikation bis hin zum Rückzug in die Einsamkeit ureigenster Gedankenwelt. Aber unsentimental und mit sicherem Gespür vollzieht sich hier ein Zusammenfinden mehrerer Bedeutungsebenen und die Mehrdimensionalität seines magischen Wahrnehmens.
Als Sprachskeptiker hält Weigoni die Erinnerung indes bereits für Fiktion. Er hat der Sprachmelodie ihre eigenen Motive abgelauscht und versucht, die deutsche Sprache vor der simplen Verfügbarkeit zu bewahren. Nicht Sinn will dieser Poet mit seinem Werk schaffen, sondern Bedeutung.
Dieser VerDichter ist auf einer unermüdlichen Suche nach den richtigen Puzzlestücken seiner Poesie. Als Schwerstarbeiter im Textbergwerk sampelt er aus den Lebenswissenschaften beharrlich das Beste und zieht daraus das Elementarste.
Begabt mit einer sinnlichen Sprache, breitet A.J. Weigoni mit Verknüpfungskompetenz ein enzyklopädisches Wissen aus, das bei den Hörern und Hörerinnen den Bedeutungsgenerator im Kopf anwirft und ihnen die Möglichkeit gibt, mit dem Käscher Bedeutungstragende Einheiten wie Forellen aus dem dahinplätschernden Redefluss zu fischen. Erotisch ist das pralle Fleisch dieser Gedichte: die Sprache. Die Worte, Verse und Strophen praktizieren all die Stellungsspiele, die sich in klingende Oralität verwandelt haben.
Die Stimme ist gleichsam der Fingerabdruck von Weigonis Persönlichkeit, er trägt seine Gedichte nicht einfach vor, er gestaltet und verwirklicht eine tonale Komposition wie Dichterloh mit sprachlichen Mitteln. Es wird eine Stimme hörbar, die ihrer eigenen Wahrnehmung traut, die Ambivalenzen zum Ausgangspunkt der Betrachtung macht. Unangestrengt schafft er geflüsterte, gesprochene Sprachkunstwerke. Das Mondäne vereinigt sich mit dem Musikalischen; der Intellekt mit dem Sinnlichen.
Diese Gedichte sind zarte Versuche einer Sprachbewegung ins Voraussetzungslose. A.J. Weigoni macht als Stilist mit radikalen Willen zur Genauigkeit mit seiner Poesie deutlich, dass die Spreche als AusdrucksSystem dem Sinn–System Sprache vorausgeht. Er lässt mit Lust an der gesprochenen Sprache, an der Schönheit von Worten, Tonfall, Melodie und Rhythmus hören: durch Intensität und Differenziertheit der Wahrnehmung, die in eine genuine Sprachmusik umgesetzt sind.
Start-up
Caput I – Zuendeln
Caput II – Entflammen
Caput III – Verlodern
Caput IV – Morbidezza
Gesamtlänge: 73.20 Minuten
Um was es im Eigentlichen in den vier Akten geht, ist schwer zu sagen. Am besten trifft es wohl der oft zitierte Satz: „Es geht um alles und nichts.“ Die Namen der einzelnen Capute lassen auf eine Art Kreislauf schließen und sind daher mit bestimmten Themen besetzt. Bei „Zuendeln“ liegt der Schwerpunkt wohl auf Beobachtungen des alltäglichen Lebens und Treibens. In Caput II stehen vor allem Liebe und Sex im Mittelpunkt. Caput III widmet sich der Moderne und dem Fortschritt. „Morbidezza“ stellt, wie der Name schon sagt, vor allem den Tod, die Vergänglichkeit, die Seele und den Geist in den Vordergrund.
Beim ersten Hören mag man wohl denken: „Was ist das denn?“
Schafft man es dann aber, einen erneuten Hörversuch zu starten, fällt der Zugang zu den abstrakten Sprachgerüsten schon leichter. Weigoni spielt mit Wortkonstrukten und schafft durch seinen expressiv verzerrten Ausdruck metaphorische Ebenen, die dem Hörer quasi wieder eigene Gedankengänge ermöglichen sollen.
Der Autor und gleichzeitige Sprecher versucht dabei nicht nur vorzulesen, sondern dem bizarren, grotesken Inhalt mit seinem trockenen abgehakten Sprechstil weiteren Ausdruck zu verleihen. Alles in allem wirkt das anfangs recht befremdlich, aber man gewöhnt sich dran.
Im Prinzip bringt Weigoni in seiner Lyrik Beobachtungen und Gedanken über das Leben zum Ausdruck. Dies tut er auf eine realistisch-expressionistische Art und Weise, die zum einen sehr karg, klar und trocken wirkt, andererseits aber auch die Wirklichkeit stark verzerrt. So entsteht zum einen eine reale Momentaufnahme heutiger moderner Gesellschaften und Menschen. Zum anderen kommt die Kritik an gesellschaftlichen und individuellen Zuständen, aufgrund der krassen Abstraktion der Sprache, durch die Hintertür.
Es sollten hier keine leicht dahinplätschernden Gedichte erwartet werden. Im Gegenteil, die Kost ist schwer und verlangt ein hohes Maß an Konzentration.
Die einen werden sagen, ein hochinteressantes, intelligentes, nicht alltägliches Werk, für die anderen gehört es wohl eher in den Müll als in ihren CD-player.
Es ist wie immer bei solchen Werken, entweder man mag sie oder nicht.
Was auf Anhieb verführt und besticht, ist seine Spreche: ihre Melodie, ihr Rhythmus, ihr weiter Atem. Als „Sprechsteller“ bricht A.J. Weigoni die Sprache auf, dehnt sie ins Geräuschhafte und treibt sie durch seine assoziative Fantasie ins Expressive. Dieser Lyriker lebt in osmotischer Beziehung zur Sprache, die er als etwas Lebendiges und Tödliches auffasst.
Das Sprachmaterial, mit dem er Umgang pflegt, dringt selbstverständlich durch die Membran, wobei die Transformationsprozesse, denen er es gleichzeitig unterzieht, besonders intensiv sind. Seine Lyrik lebt vom Paradox der raumschaffenden Verdichtung, nicht als Formspiel, sondern als formsprengende Lust an der Sprache. Es geht ihm in der Poesie primär um eine Haltung, die Haltung des Dichters und die der Wörter. Seine Gedichte leben von der Genauigkeit der Wahrnehmung, von der Macht der Evokation und der Suggestion.
Als Denkfallensteller im Namen der Literatur bringt A.J. Weigoni seine desillusionierende Poesie mit allegorischer Schärfe zum Ausdruck. Seine Gedichte haben eine analytische Genauigkeit, die man sonst eher in Essays findet; hier werden Formen des Denkens und der Poesie zusammengeführt. So entstehen Gedichte als transitorische Momente, blitzartige images und Augenblicksbilder der Erfahrung. Wie ein Arzt einen Brustkorb, so klopft Weigoni die Worte auf ihren Ideologiecharakter ab, lenkt den Blick in die existenziellen Tiefen der condition humaine. Die Sprache muss dann die Wahrheit ausspucken, ob sie will oder nicht.
Die so genannten Neuen Medien sind ein genuiner Resonanzboden. Auch Weigoni weiss um die negative Qualifikation, die eintritt, wenn einer fähig ist, in Unerklärlichkeiten zu sein, in Zweifeln, ohne dem ärgerlichen Ausstrecken nach Faktum und Vernunft. Er geht das subtile Bündnis von Wort und Ton ein und erweist sich als VerDichter, der die Sprache im Körper verankert und sich vehement dagegen verwahrt, dass man seine lyrischen Konzentrate im Verstehensprozess wieder verdünnen muss.
Als Denkfallensteller im Namen der Literatur bringt A.J. Weigoni seine desillusionierende Poesie mit allegorischer Schärfe zum Ausdruck. Seine Gedichte haben eine analytische Genauigkeit, die man sonst eher in Essays findet; hier werden Formen des Denkens und der Poesie zusammengeführt. So entstehen Gedichte als transitorische Momente, blitzartige images und Augenblicksbilder der Erfahrung. Wie ein Arzt einen Brustkorb, so klopft Weigoni die Worte auf ihren Ideologiecharakter ab, lenkt den Blick in die existenziellen Tiefen der condition humaine. Die Sprache muss dann die Wahrheit ausspucken, ob sie will oder nicht.
Die so genannten Neuen Medien sind ein genuiner Resonanzboden.
Auch Weigoni weiss um die negative Qualifikation, die eintritt, wenn einer fähig ist, in Unerklärlichkeiten zu sein, in Zweifeln, ohne dem ärgerlichen Ausstrecken nach Faktum und Vernunft. Er geht das subtile Bündnis von Wort und Ton ein und erweist sich als ,VerDichter‘, der die Sprache im Körper verankert und sich vehement dagegen verwahrt, dass man seine lyrischen Konzentrate im Verstehensprozess wieder verdünnen muss.
Ulrich Bergman: Postkompost in einem Aufzug
poetenladen.de, 14.12.2013
Francisca Ricinski-Marienfeld: Divers und divergent
literaturkritik.de, Mai 2006
Michael Brinkschulte: Hörspiegel-Meinung
der-hoerspiegel.de, 2005
Margaretha Schnarhelt: Die Essenz eines kreativen Schaffens
fixpoetry.com, 16.1.2017
Wiederbelebungsmasznahme, ein Langstreckenpoem von A.J. Weigoni flankiert durch künstlerische Arbeiten von Haimo Hieronymus
Das Nahbell-Interview 2017 mit A.J. Weigoni
A.J. Weigoni & Frank Michaelis – Literaturclip aus der Schwebebahn.
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