IN MIR HERRSCHTE VERZWEIFLUNG
Wo dein Nichtsein so stark war. war es Daseinsform
aaaaageworden.
In mir herrschte Verzweiflung. als spräche sie mit
aaaaaleiser Stimme.
Doch die Worte hatten nicht die Kraft zu überwinden.
Nur zu überwinden. denn es gab kein Was.
Man wendet sich zu Welt. man wendet sich zu sich.
Man möchte keinerlei Sein.
Das ist der gewöhnliche Kern des Unglücks.
„Sie“ war unsere Anrede. gewesen.
Zur Toten konnte ich nur mehr sagen: „Du“.
ein renommierter und einzigartig schöpferischer Techniker des Wortes wie der Logik, „verstummte“ im Januar 1983 infolge des Verlustes seiner Frau. Alix Cleo Roubaud, eine anerkannte Fotografin und unersetzliche Gefährtin des Autors, starb mit 31 Jahren nach langer Krankheit an einer Lungenembolie. Zum Zeitpunkt ihres Todes arbeitete sie an einer Studie zu Wittgenstein, die sie jedoch nicht vollenden konnte. Unter den fotografischen Arbeiten, die sie zum Text gefertigt hatte, befanden sich vier als Serie gestaltete Motive, denen die Fotografin den Titel „Si quelque chose noir“ (Wenn etwas Schwarzes) zugedacht hatte. Zu sehen war eine Frau, nackt, in einem schattenreichen Raum, allein von dem Lichteinfall durch ein Fenster beleuchtet. In den folgenden Sequenzen der Serie verschwindet dieser Körper immer mehr im Dunkel des Raumes. Es handelt sich um Variationen über den Raum und über den Tod, umschrieben als ein allmähliches Schwinden der Konturen in immer schwächer werdendem Licht, als Ausdruck eines herannahenden Nichtseins.
Das Schweigen Roubauds dauerte beinahe 30 Monate an. Als er im Juni 1985 das Schweigen endlich bricht, zitiert er seine Frau im Titel seines Werkes als eine Art Echo aus dem Nichts. Roubaud: „Sie war Fotografin, dieses Buch, das ihr gewidmet ist, ist der Fotografie, der Kunstform, die mir mit Abstand am meisten zusagt, sehr nahe.“
Das „Wenn“ aus der von ihr für die genannten Bilder gewählten Formulierung jedoch ist verlorengegangen; durch den Tod ist aus der Möglichkeit Unumkehrbares, absolutes Nichts geworden, das Roubaud sich in den Monaten des Schweigens aufmacht, akribisch zu ergründen… Der Mensch und Dichter der 30 auf diesen Tod folgenden Monate jedoch ist zunächst schlicht gelähmt, nicht einmal fähig, einfache Worte auszusprechen, er kann weder die sich im Raum befindlichen Gegenstände berühren noch einen Gedichtband öffnen oder ein Telefonat annehmen. Diesen Zustand erfasst er später als Dichter mit der nüchternen und doch so lebensnahen Konsequenz des Technikers Roubaud, der wie kein anderer das Sein auch mathematisch zu begreifen versucht. Er konfrontiert die Dichtung höchstselbst auf direkteste Art mit dem Tod, behauptet dieses als Negation lyrischen Ausdrucks schlechthin. Roubaud: „Aphasie. Jakobson sagt, dass die Aphasie die Sprache in umgekehrtem Verhältnis zu ihrer Aufnahme auffrißt. Die jüngsten Lautbildungen verschwinden als erste. Das gleiche stelle ich mir beim Vers vor. Die Verse verschwinden … in einer ebenso aphasischen Reihenfolge, als wenn die Dichter ihre Gebäude Stück für Stück rückwärts auflösten.“
In den Augen des Logikers Roubaud kann das Wort, das naturgemäß Leben grundsätzlich repräsentiert, vor dem Tod unmöglich bestehen, es muß vor ihm kapitulieren. Elegische Klagelieder oder tröstende Beschwörungen sind für ihn trotz aller Trauer unvorstellbar. Statt dessen thematisiert er, was wirklich ist: das Nichtsein, die Leere, und ergründet sie mit der ihm eigenen Leichtigkeit, einer kristallklaren Sprache, mit der größtmöglichen Aufrichtigkeit und Radikalität.
Druckhaus Galrev, Programmheft, 2000
„Quelque chose noir“: leçon 1
Jacques Roubaud während The Serpentine Gallery Poetry Marathon auf der Frieze Art Fair 2009.
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