– Zu August Stramms Gedicht „Patrouille“ aus August Stramm: Die Dichtungen. –
AUGUST STRAMM
Patrouille
Die Steine feinden
Fenster grinst Verrat
Äste würgen
Berge Sträucher blättern raschlig
Gellen
Tod.
Die Fotos zeigen August Stramm als strammen deutschen Soldaten, energiegeladen, mit stechenden Augen, befehlsgewohnt: einen Hauptmann, wie er im Buche steht, eine deutsche Eiche. Gefällt wurde sie, als der Erste Weltkrieg kaum ein Jahr alt war und sich die deutschen Armeen noch im Vormarsch befanden. Stellungskrieg und Materialschlachten hat Stramm nicht mehr miterleben müssen. Und dennoch handelt seine Poesie unausgesprochen von ihnen.
Das unscheinbare Gedicht fordert durch seine ungewöhnliche Sprachgebung heraus. Stramm gehörte zu den (wenigen) Expressionisten, die mit der mehr geforderten als dann auch realisierten Zersprengung der überkommenen Grammatik Ernst machten, und zwar als Mittel des Protests gegen die saturierte Bürgerlichkeit des wilhelminischen Reichs. Der Inhalt basiert auf Stramms eigenen Erfahrungen. Aber das Gedicht weigert sich, diese Erfahrungen als Erlebnis mitzuteilen: Ein lyrisches Ich fehlt, ja, die Menschen fehlen überhaupt in diesem Gebilde, obwohl es unzweifelhaft menschliche Existenzangst, die Bedrohung menschlichen Lebens im Krieg mitteilt.
Nur Dinge sind genannt, die Steine, die Fenster, die Äste, Berge und Sträucher. Natur und von Menschen Gebautes zeigt normalerweise in Lyrik menschliche Geborgenheit und Behaustheit an. Hier aber geht von allen und allem Bedrohung aus. Diese erfaßt Stramm in ungewöhnlichen Vermenschlichungen. „Die Steine feinden“, ein für Stramm typischer Neologismus, der ein Nomen in ein Verb wandelt und dadurch äußerste Lakonie ermöglicht. Jeder (wohl gebaute) Stein wird zum tödlichen Gegner. „Fenster grinst Verrat“, die wohl knappste Formulierung für den lebensbedrohenden Zynismus, der den Ort der Kommunikation (Fenster) zwischen Innen und Außen zur hinterhältigen Falle umkehrt. „Äste würgen“, das flaue Gefühl, daß die Angst buchstäblich auf den Magen schlägt, wird auf die Äste projiziert, die damit aller ihrer ursprünglichen Natur beraubt werden. Der vierte Vers ist gegenüber den anderen fast geschwätzig, er weitet jedoch das Gefühl der Beklemmung auf die ganze behauste und unbehauste Landschaft aus, in der sich die Patrouille bewegt. Die beiden letzten Verse schließlich nennen, worauf das Feinden, Grinsen, Würgen und Blättern hinausläuft: auf den Tod. Alles, die ganze Landschaft schreit den Entsetzensschrei des Todes. Der Tod ist am Ende durch die Isolierung in einem Vers absolut gesetzt. Nicht die glücklich ausgespähte Stellung des Gegners wird das Ziel der Patrouille sein, sondern allein der Tod.
Wir pflegen gemeinhin von Vermenschlichungen der Natur (oder anderem) dann zu reden, wenn wir damit auch sagen wollen, daß die Natur menschlich sei. Hier jedoch ist sie unmenschlich und vernichtet menschliches Leben. Das lyrische Ich (oder Wir), die das Gedicht ausspart, sind in die Dinge eingegangen, sind nur in den Dingen da, oder genauer gesagt: sie sind verdinglicht. Damit hat Stramm ein sprachliches Mittel gefunden, das auf Erfahrungen vorausweist, die im Krieg erst ab 1916 allgemein geworden sind: der Mensch als das Material, das in den „Materialschlachten“ (die ebendarum so heißen!) vor Verdun und Arras eingesetzt und („sinnlos“) vernichtet worden ist. Die deutsche Oberste Heeresleitung wußte, warum sie Ende 1916 das Wort „Menschenmaterial“ auf den Index setzte. Stramm nötigt in seinem kleinen Gedicht die Sprache dazu, die wahren Sachverhalte der neuen, mit Maschinen geführten Kriege zu „verraten“.
Jan Knopf, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Fünfzehnter Band, Insel Verlag, 1992
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