ASTRONOMISCHES VIERTEL
Von der Sternwarte aus könnte es sich lohnen,
dir zuzusehen, wie du die Straße querst,
in dem mattgrauen, dehnbaren Flaum,
aus dem du bestehst.
Schon ist es zu spät, der Tag vorüber,
und wenn es dich noch gibt,
bist du in einer Parallelgalaxie.
Hinter der Brockhausfassade endet die Weisheit
und die Wildnis beginnt, im Torbogen,
der vom Hotel den kürzesten Weg
in die Stadt einschlägt. Die Straße
kennt kein Replay, nur laufend
neue Lichtverhältnisse, Blätterschatten,
Schall und deine beschwingte Schrittkadenz,
die bisweilen an entfernte Lieder grenzt.
An der medizinischen Fakultät ist die Beweisaufnahme
abgeschlossen
und die Studenten strömen in den Abend aus,
Teil des Nebels, aus dem du wie Muschelkalk
herausgewittert bist, bis du Pore für Pore
mit ihm identisch warst. Die Milchstraße
ist auf den Kernschatten zweier Stirnlampen geschrumpft,
mit denen wir uns am Brennesselgebüsch
durch die Baustellenausfahrt drücken.
Was erwartet uns an der Empore?
Ein Gartenerker über altem Mauerputz,
das Inkognito, wo du dem Winter trotzt,
zur Tarnung
gibst du Unterricht in Reiten, Fechten und Ballett.
Das von der Sonne durchschossene Blätterdach auf der Flugbahn der Mauersegler. Die Epoche, in der ein Meer zu Sandstein vertrocknet. Der vor unseren Fenstern tobende Krieg. Diese Gedichte sind Zeitzeugen des Lichts, das es seit viereinhalb Milliarden Jahren gibt, Zeitzeugen der Schwerkraft, welche die Erde auf ihrer Umlaufbahn hält, Zeitzeugen des Lächelns in einem Vorortzug, das zwischen zwei Stationen über die Gesichter huscht.
Jan Röhnerts Poesie durchdringt auch in seinen neuen Gedichten die Schönheiten und Abgründe unserer Innen- und Außenwelten auf eine höchst sinnliche als auch tief analysierende Weise, die einzigartig ist in der deutschsprachigen Dichtung der Gegenwart.
Stephan Turowski: Das Licht in den Blättern
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