Jan Volker Röhnert: Wolkenformeln

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Jan Volker Röhnert: Wolkenformeln

Röhnert-Wolkenformeln

KLEINE UNRUHE

Die Natur hat Arabesken nötig, damit Etwas ihr
aaaaaentspringt.
Verästelungen, Gewebemuster, Knollenrauten,
die mitwirken am reinen Blau.
Solange die Textur sich ändert, darfst du den Ort

Nicht wechseln – er bildet seine Ableger,
Kolonien, Neopoli am Küstenrand
des gelben Flecks. Stille Buchten,
manchmal nur minutenlang bevölkert,

denen wir von unsren weißen Segeln aus
die Chance sich zu entfalten geben:
Das Logbuch verzeichnet Blütenstände, Niederschlag,
Giftgewächse, wilde Tiere, Gipfelformen;

was im Innern vorgeht, bietet selten ungeschützt
sich dar: solange sich das Wasser
nicht über deinem Kopf ergießt, be-
ziehst du die Wolken nicht auf dich. Für

die Mädchen ist es immer Zeit, in ihren Farben
auszugehen, keiner verübelt ihnen zuviel
Buntstifte, Weichzeichner, das Baden im Dekor.
Sie wissen, es ist am besten, zweimal

mit demselben Fuß die Wiese zu betreten –
einmal für die Linse, einmal fürs Gefühl,
den grünen Teppich zu berühren, dem
die Webfehler des Schöpfers nicht anzusehen sind.

Dein Vorwurf abzuschweifen, während ich
doch nur den Kern umkreisen will,
ist nicht auszuhalten. Die Vögel sind am Steg
versammelt, ziehen die Konzentrik

des Wassers der eignen Unrast vor.
Sie tanken Strahlen, tauchen ab
in trübe Strömung, trocknen das Gefieder
im Flug. Was du siehst und was sie tun –

das Schwärmen um die Mitte, die es nur
in Arithmetik und Gedanken gibt,
die Genauigkeit der Bögen, die rund sind
nur im Wort „Kreis“ – bleibt unversehrt.

 

 

 

In Röhnerts Gedichten

wird bewahrt, was unserem Gedächtnis zu schnell entweicht: die Stimmung eines Augenblicks, die sich sich zusammensetzt aus Gesten von Mensch und Natur, vor allem aber aus dem Licht, das ständig sich wandelt wie die Gestalt der Wolken.
In seinen bisher acht Lyrikbänden hat Jan Volker Röhnert einen eigenen Ton herangebildet, eine unaufdringliche Eleganz, die zwischen Sehnsüchten, Beobachtungen und realitätsüberschreitenden Phantasien vermittelt. Intensiver und umfassender den Augenblick festzuhalten, als eine Fotografie das vermag, dazu ist der Himmel vonnöten, eine Hingabe an die Situation und eine enorme Fähigkeit, Wahrnehmung und Empfindung in geglückten Sprachbildern zu bündeln.
Jan Volker Röhnerts Gedichte schwingen dem Lesen noch lange nach.

Edition Faust, Klappentext, 2014

 

Lyrisch auf die Formel gebracht

– Jan Volker Röhnert im Frankfurter Literaturforum. –

Er ist in den Wolken zu Hause. Jedenfalls ziehen sie durch seinen Gedichtband, der, nach acht vorausgehenden Lyrikbänden, unter dem zweideutigen Titel Wolkenformeln in der Frankfurter Edition Faust erschienen ist. Jan Volker Röhnert ist kein Wolkenkuckucksheimer. Dafür ist sein Blick zu scharf, seine Wahrnehmung zu exakt. Wenn er am Frankfurter Mainkai entlangschlendert, sieht er nicht nur Wolken und Vögel über den Fluss ziehen, sondern auch die „Wollfäden am Saum“ der Flanierenden. Nichts ist sicher vor dem Scharfblick des 37 Jahre alten Lyrikers: keine Stadt, keine Landschaft, kein Maler, keine Idylle. Einen Zyklus von zehn Gedichten hat er allein diesen Eidola, kleinen Bildern, in seinem Band gewidmet: etwa die „Kleine Bücherei“, die er jetzt unter anderem im Frankfurter Literaturforum vortrug.
Begeistert von dem Dichter aus Braunschweig, wo dieser seit 2011 Literaturwissenschaft an der TU lehrt, hatte Gastgeber Harry Oberländer schon zur Begrüßung aus diesem Gedicht zitiert:

Nicht einmal während wir lesen, erst
im Schlaf kehren uns die Bücher ihr Innerstes zu.

Eingenickt sind die Zuhörer im gutbesuchten Literaturforum im dritten Stock des Mousonturms allerdings nicht. Sie lauschten aufmerksam den Erinnerungen ans „Zeltkino“ im Jugendcamp auf der Insel Rügen, wo der junge Thüringer in den achtziger Jahren Bekanntschaft mit Chingachgook und anderen Indianern gemacht hatte und kaum noch zurück ins Tageslicht der DDR-Realität fand. Sie ließen sich mit den geographischen Details von Burgas am Schwarzen Meer bekannt machen und mit einer kongenialen Nachdichtung Baudelaires.
Wolkenformeln ist der dritte Band, den Bernd Leukert in dieser noch jungen Reihe der Faust Kultur GmbH herausgibt. Vorausgegangen waren eine Gedichtauswahl von Paulus Böhmer und Gedichte des rumänischen Schriftstellers Alexandru Vona, der mit seinem Roman Die vermauerten Fenster (Rowohlt) bekannt geworden war. Nach seinem Tod 2004 hat sein Landsmann Alexandru Bulucz Gedichte in alten rumänischen Literaturzeitschriften aufgestöbert und für Faust Kultur übersetzt. Sie sind alle vor dem Roman, also vor 1947, entstanden. Einige sind jetzt auch in der August-Nummer des Literaturboten, der Publikation des Literaturforums, erschienen: eine echte Ausgrabung. Im Literaturforum sind überdies Zeichnungen von Matthias Kraus zu sehen: fliegende Männer über Textwolken von Majakowski.

Claudia Schülke, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.11.2014

Vor Balkone tragen Wellen den geglückten Tag

Wer einen Gedichtband aufschlägt, mag sich manchmal fragen, gibt es einen Anfang und ein Ende, ein poetisches Treiben und Geschehen, das auf der letzten Seite den Leser glücklich zurück und wieder an den Anfang gelangen lässt? Denn an den Anfang zu gelangen, wo nichts erklärt und versprochen werden muss, wo Anmut und Schönheit keine leeren Phrasen und Sprachhülsen sind, wo Rhythmus und Klang für sich wirken können, wo die Idee zur Musik wird und der Vers ungebunden spricht, wäre dies nicht ein idealer Ort für die Kunst?
So oder so ähnlich ergeht es einem nach der Lektüre von Jan Volker Röhnerts Gedichtband Wolkenformeln. Für einen Augenblick sieht man die Welt anders, beglückt, und wünscht sich, dass dies nicht aufhören möge. Oder wie es der Dichter sagt:

Ich habe die Landschaft,
ein stilles Glück,
beide Beine im Gras,
Rohrweihe Kiebitz Kormoran auf dem See.
Die Schwalben bauen an Nestern,
ein halbes Leben sesshaft,
ein halbes Leben unterwegs –
ein Leben lang in der Luft.

Indes Röhnert ist kein Idylliker, jedoch ein Impressionist der Innerlichkeit. Gleichzeitig sucht er die äußere Welt und durchstreift sie als Reisender. Wie ein Flaneur spaziert und wandert er durch Landschaften und Städte, die Refugien sein könnten. Freilich sind es erschütterungsfähige, fragile Gebilde, die ihn, den Dichter, wie in dem Gedicht „Genua“ in die Poetik der Frage führen:

Wie könnte der Raum derselbe geblieben sein?
Jeder der hindurch geht, verändert ihn.

Die Suche nach einem Süden, nach dem Mittelmeerischen, hat eine lange Tradition, in die sich Röhnert einreiht, wenn er das Licht und die Farben, die Umrisse der Schatten und die Skalen, die Töne und auch die „Sonnenquartette“ bedichtet, die einst Haydn in eine höfische Welt setzte. Es sind die helleren, wärmeren Farben auf der Palette, die es Jan Röhnert angetan haben. Man mag sich Monet vorstellen, wie er ein Kornblumenfeld ins Bild setzt, so sprießen in diesen Versen die Farben licht und leicht:

Sie tragen die Boote hinaus
und mit ihnen das Licht, in dem wir den Tag überstehen.

heißt es in „Fuga“ und endet:

Diese konzentrischen Ringe, in die wir eintreten,
sind eine laufende Vermählung,
von der wir nichts wissen, bleib auf der Hut,
wie du willst – wenn wir sie streifen,
treibt uns die Sonne in Anmut, Betörung, Liebe zurück.

Immer wieder findet sich die Anrufung an die Sonne, den Tag-Stern, und das Licht als Lebenselixier. Das Licht einer südlichen Landschaft, gleißend vor Helle und ägäischer Transparenz. Dabei reichen die Referenzflächen und Traditionslinien, die Jan Röhnert berührt, von der Moderne zu den französischen Dichtern des neunzehnten Jahrhunderts bis hinein in die Klassik. So lässt er gleich im ersten Gedicht „Landschaft“ den Leser wissen:

Ich will, um mit meinen Liedern abzuheben,
unter freiem Himmel wie die Astrologen leben,
und den Bildern, angespornt von Wind,
folgen an den Tagen, die aus Sonne sind.

War wirkliche Dichtung jemals frei von wahrhaftigem Pathos? Röhnert scheut sich nicht etwas aufzurufen, das in uns verborgen liegt: die Tage der Kindheit und die Sehnsucht nach einer anderen Welt, vielleicht sogar nach einem Fantasie-Reich. Um an die weniger belichteten Stellen der eigenen Geschichte zu treten und zu reflektieren, dass die Erinnerung ein „unscharfes Sommerbild“ ist. Dem Akt des Erinnerns wird das Positive zugeschrieben: Was immer wir im Spiegel erkennen, der Blick ist unvermeidlich – und was immer wir sehen, es zeigt unser wirkliches Bild.
In den Texten des 1976 im ostdeutschen Thüringen geborenen Autors verbindet sich eindrucksvoll die sinnliche Wahrnehmung von Dingen mit einem fotografischen Gedächtnis, dabei entstehen Rückblenden und Bildwelten, die Vergangenheit und Gegenwart miteinander verbinden. So auch in den Liebesgedichten, getragen von dem, was Roland Barthes „den Liebeswahnsinn“ nannte:

Wo ich dich träumte, der Ort
ist nicht wo ich dich sah,
nicht wo du dein Kleid
von den Hüften streifst
der Traum noch einmal beginnt.

Das Glück, das wir vermeintlich erfahren, entspricht dem Wunsch schweben zu können. Und doch wissen wir, dass die Flügel aus Federn und Wachs sind und sich, je näher wir der Sonne kommen, aufzulösen beginnen.

Ich setze ein Jahrhundert
auf das Wippen deines Beins,
ein Jahrtausend auf den Vogelflug.

Besser und einleuchtender hat dies lange niemand mehr formuliert: die Gunst des Augenblicks. Um nichts anderes geht es, um das Wissen von Sprache und Welt. Jan Röhnert ist dies mit seinen Wolkenformeln auf beinah vollkommene Weise gelungen.

Tom Schulz, Luxemburger Tageblatt, 6.5.2015

auch bei signaturen-magazin.de

Weiterer Beitrag zu diesem Buch:

Ursula Teicher-Maier: Mehr Licht
fixpoetry.com, 2011.2014

 

 

Vom Gehen im Karst | Katrin Schumacher unterwegs mit dem Literaturwissenschaftler und Lyriker Jan Röhnert

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