– Zu Gerhard Altenbourghs Gedicht „Diese Schläge in den Stunden“ aus Gerhard Altenbourgh: Rinnen. –
GERHARD ALTENBOURGH
Diese Schläge in den Stunden
Hockt ihm da ein Specht am Schädel
diesem Herrn aus Paditz
hockt ihm da und klopfet
klopft und hockt im Schädel
einer Naht ganz nahe
die schon reich geziert von Schlägen
und die Busenreiche Gnadennahe
Unerreichte über jenem Hügel
schaut auf dies Ereignis
mit dem stillen Lächeln einer Sonnennahen
der das eruptive Schwarzgestein
ferner ist als Steinbruchteiche
denen einst entblühte manche Mörderleiche
grün von Wolfstrapp an der Wettereiche
Gerhard Altenbourg, das größte Kunstgenie, das nach dem Zweiten Weltkrieg aus Thüringen hervorgegangen ist, war ein Dichter erster Güte. Das beginnt beim Namen, den er sich gab: Zur alten Skat- und Residenzstadt, mit der sich der 1926 in Schnepfenthal bei Gotha geborene Gerhard Ströch identifizierte, kommt das weiche französisierende O – das geographische Altenburg wird damit in einen imaginären Raum verrückt und zur Residenz seiner Poesie erklärt. Auf das O als wiederkehrendes grafisches Element und die damit verknüpfte Symbolik trifft man in Altenbourgs Blättern, beim überfliegen der hochpoetischen Bildunterschriften permanent. Es sind Flurnamen einer traumwandlerisch autonomen Geographie, wie sie kein Gothaer Atlas je verzeichnete.
Umso erstaunlicher, dass Altenbourg in einem Gutteil seiner über viele Künstlerbücher verstreuten Gedichte konkrete Fluren durchstreift, sich auf Ortschaften des nordöstlichsten Thüringen bezieht, der von Bergbau, Militär und Agrarindustrie geschundenen Grenzregion zu Sachsen einen verstörenden Reiz abgewinnt. Osterland, Paditzer Schanzen, Kayna, Meuselwitz, Zeitzer Forst. Reime, Halbreime, rhythmischer Singsang von Versen, die wie Kalauer aus dem privaten Altenbourger Idiom wirken, sind Kennzeichen eines grotesken Humors, der die Gegenden um Altenburg vermisst. Es ist die aufgerissene, vernarbte, zerstückelte Natur, die der menschliche Zugriff hinterlassen hat und aus diesem wieder hervorgewuchert ist, eine postindustrielle Wildnis, Abraum- und Abriebflächen, Aufhäufungen und Überlagerungen von Schichten, die in den palimpsestartigen Strukturen von Altenbourgs Drucken wiederkehrt.
Der Steinbruch ist Altenbourgs bevorzugter Ort; er selber der Specht, der im vorliegenden Gedicht als letzter Herr von Paditz wie nach einer Apokalypse weiterklopft. In diesem Steinbruch ergeht es einem wie in der verwunschenen „Zone“ von Tarkowskijs Stalker: Man wird in sie hineingesogen, sobald man sie betritt; der Klang der vertrauten Worte verschwimmt zum Gespensterwald. Wem ob der Wirklichkeit die Haare zu Berge stehn, hält sie sich mit grausem Spott vom Leib. Zeit, den Lyriker Altenbourg zu lesen.
Jan Volker Röhnert, aus Jens Kirsten und Christoph Schmitz-Scholemann (Hrsg.): Thüringer Anthologie. Weimarer Verlagsgesellschaft, 2018
Schreibe einen Kommentar