MOLTO MODERATO
betrachte die schnecke, zum beispiel,
deren fuß ihr bauch ist:
sie bewältigt ihren weg nicht,
sie verzehrt ihn.
kleines grasschiff, immer in schräglage,
immer schlingernd, eine karavelle
in grüner brandung, die zu kentern droht,
doch weiter ihrer ruhigen route folgt.
die schnecke betrachten, während sie uns
kaum wahrnehmen kann, zu eilige schemen
jenseits der bühne, flüchtiges am rande
eines anderen, größeren dramas,
und das heißt: schnecke.
ihr nachzustellen, mit asche,
mit salz und bier? ihr,
über der ein winziger zyklon
aus kalk sich dreht und mit ihr wächst?
die überall ist, im ozean,
in seen und an land?
nur am himmel nicht. dafür
zieht sie einen silberschweif
hinter sich her, ähnlich den fallenden
sternen – nur langsamer,
langsamer.
Jan Wagners Gedichte strahlen heitere Souveränität aus… Die Form nimmt dem Gedicht die Schwere und gibt ihm flaumfederleichte, spielerische Eleganz. Und weil die Instanz des schreibenden Ichs in den Hintergrund tritt, nehmen die Gegenstände eine scheinbare Objektivität ein, aus der sie nur wieder die feine Ironie entläßt.
Jürgen Brôcan
Ein Lyriker, der virtuos und bescheiden die Tradition der modernen Dichtung fortsetzt, eine nur angeblich vertraute, nur scheinbar säkularisierte Welt auf ihre Verläßlichkeit zu prüfen und ihr den Zauber des Unsicheren zurückzuerstatten.
Thomas Steinfeld
Der Leser stutzt bei diesem Kaleidoskop traumwandlerisch-beiläufiger Exaktheit: so kühl halten in diesen Gedichten die Bilder ihren Überschuß an Bedeutungen in Schach, so wenig neigen sie dazu, ihre metaphysischen Geheimnisse auszuplaudern, so suggestiv gelingt es ihnen immer wieder, scheinbar nur „mitgeschriebene“ Wahrnehmungen mit logischen Widerhaken zu spicken.
Lothar Müller
Nicht die Malaise ist Wagners Sache, sondern das Mirakel. Dieser sanguinische Archivar verfügt über eine Kraft des Sehens, welche den gewohnten Griff nach unserer wissenschaftlich taxierten Welt spielerisch übersteigt.
Richard Pietraß
Immer wieder möchte man Chapeau! ausrufen, unsicher nur, ob man selbigen nur ziehen oder nicht zwischendurch auch mal mit Schwung in die Lüfte werfen sollte.
Jochen Jung
MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2011
Statt auf lorbeerschwerem Bärenfell auszuruhen, macht es dieser gefeierte junge Dichter, dem alles bescheinigt wird: Forscherauge und Formensinn, Spielfreude und Horizontweite, Themenglanz und sprachliche Eleganz, zum fliegenden Teppich. Es bereitet Vergnügen, sich dem geistigen Urenkel Humboldts und Darwins anzuschließen, mit seinem Rucksack voller Neugier auf die Welt und ihre Wesen – wie Qualle und Chamäleon, Ölbaum und Flechte – und deren leuchtende Wiedergeburt in Gedichten, mit denen ihm Meisterstücke glücken.
MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2011
Jan Wagners Gedichte behandeln, wie sollte es in seiner Generation anders sein, die Geschichte als etwas beständig Unstetes. Er ist ein kühl durchwehter Romantiker seelischer Wildnisforschung; was er bekräftigt, ist die erschütternd beschränkte Geltung aller Dinge, alles Denkens. Entzauberung als tägliches Evangelium. Aber der ernste traurige Gedanke blüht auf im heiter gesetzten Sprachbild, als sei er just da nach Hause gekommen.
Jan Wagner, 1971 in Hamburg geboren, veröffentlichte 2001 seinen ersten Gedichtband – dessen Titel Probebohrung im Himmel deutet in ironischer Stichellust auf unseren Verfehlungsdrang hin: das zivilisatorisch Vorpreschende an den unmöglichsten Stellen zu versuchen und technische Wagnisse gegen gravierende natürliche Einsprüche zu betreiben. Zugleich kündet Wagners Metapher vom augenzwinkernden Trotz des Dichters: Er koppelt gern die Schwerkraft, von denen die Ambosse erzählen, mit jenen Sehnsüchten nach Leichtigkeit, die den „kopf beinahe in den wolken“ schweben lassen.
Quedlinburger Glocken klingen ihm wie Samt, „um nicht das porzellan der luft zu zerschlagen“. Aber doch Zähmungszeit allenthalben: Schlugen den Poeten früher im Frühling die Bäume aus, so sind es heute Rasenmäher hinter den Kleinstadthecken, die den Mai verkünden, und „im garten jener brunnen voller durst“. Er bedichtet Tiere, Irland und Japan, den Hiddenseer Dezember, den Schlamm des Ersten Weltkrieges, und die Qualle ist dem Poeten eine „lupe, die den atlantik vergrößert“.
Diese Lyrik ist das schöne Selbstanschauungstheater eines Dichters, dessen Skepsis nicht überzeugen, sondern überraschen will. Gedichte, denen dies, „fuß um fuß dem epitaph entgegen“, belebend gelingt.
Jan Wagner: Lob des Spreewals
Der Tagesspiegel, 11.6.2016
Stefan Sprenger: Dass der Mensch der Stil sein möge
Sprache im technischen Zeitalter, Heft 218, Juni 2016
Richard Pietraß liest am 4.5.2018 für planetlyrik.de die 3 Gedichte „Hundewiese“, „Klausur“ und „Amok“.
Denis Scheck trifft Jan Wagner in Druckfrisch.
Jan Wagner liest bei faustkultur.
Poetry Crossings: Jan Wagner, Monika Rinck, Alistair Noon und Adrian Nichols lesen im Studio Niculescu am 15.4.2011 ausgewählte Gedichte und übersetzen sich gegenseitig.
Salon Holofernes – mit Jan Wagner. Judith Holofernes spricht mit Künstlern über das Kunstmachen.
Ein Gedicht und sein Autor: Ursula Krechel und Jan Wagner am 17.7.2013 im Literarischem Colloquium Berlin moderiert von Sabine Küchler.
Jan Wagner liest in der Installation Reassuring Synthesis von Kate Terry aus seinem neuen Gedichtband Australien im smallspace, Berlin.
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