Wahrheiten stürzen aus der Deckung,
knirschen im hellen Haus
wächst blinder Schnee.
Nur die zaudernden Träumer
mähen ihre Worte,
hüten Gräser,
denen ich trauen mag.
das Fell gesträubt / von den Endlosschleifen der Erwartungsbrüche“, schreibt Jane Wels in einem der programmatischen Gedichte ihres lyrischen Debüts, um dann auf der Fremdheit der Sprache zu tanzen, wild, aufbegehrend, die sinnliche Welt mit allen Sinnen einsaugend. Denn die Erfahrung des Ichs führt über Natur und Farben, Klänge und Künste, die Wels mit einem reichen Instrumentarium an ebenso originellen wie leicht faßbaren Metaphern in die Sichtbarkeit der Worte auf dem Papier überführt.
edition offenes feld, Verlagsankündigung
In Jane Wels’ lyrischem Debüt Schwankende Lupinen treffen wir zuvorderst auf anmutige und filigrane Sprachkonstruktion. Es sind Gedichte, die in ihrer Wirkung und Gestalt scharfkantigen Eiskristallen gleichen, denn – wie das bei Gedichten üblich ist – vergehen sie schnell, werden bei jedem Umblättern der Seiten verweht und doch erfrischen, beleben sie uns bei direktem Kontakt – und stechen uns so manches Mal wie kleine Nadeln. Ihre Kraft wurzelt in der hochkomplexen Bildlichkeit, mit der die Autorin inhaltlich weite Flächen einzirkelt: Unverzagt erforscht sie das fragile wie intime Miteinander, das in der zärtlichen Hinwendung zum „Du“ seinen äußersten Ausdruck findet:
Ich stehle dir
die Worte aus dem Mund,
hefte sie an die Kiele
meines Cembalos.
Deine Noten
sind Veilchen,
die aus meinen Händen wachsen.
Zustandsveränderungen und Metamorphosen dominieren die von Wels skizzierten Weltentwürfe; der Status quo gleicht einer alten Haut, die durch das unnachgiebige Schürfen des lyrischen Ichs langsam abgestreift wird:
Diese Tage schreiben
neue Ränder in die Zeit,
lösen Schichten,
die Gespinste tragen
und Nachtpfauenaugen.
Dieses Sprecher-Ich wird angetrieben von einer Sinn- und Selbstsuche, die das Gemeinschaftliche als integralen Bestandteil des Individuationsprozesses versteht; zwischen Phasen der Dissolution und Phasen der Konsolidierung wechseln, wie eben das Ich selbst, auch die dargestellten Beziehungen und Landschaften. Dabei ist zwischen den einzelnen Texten ein Echo zu vernehmen, „[w]er ist Ich?“ wird einmal als Frage in den Raum geworfen, in einem anderen Gedicht heißt es dann:
Ich ist ein Quadrat
aus Farbe und Form.
Manchmal taucht das lyrische Ich in die Vergangenheit, dann schwappen Erinnerungen wie steigendes Flusswasser an die Ufer seines Gedächtnisses:
Vergangenes
wurzelt sich unter mein Kissen […]
Meistens aber ist es das sich ständig verändernde, „wilde Jetzt“, dessen sich die Texte annehmen. Ein sehr starkes lyrisches Erstlingswerk.
Jane Wels’ Gedichte sind kleine Oasen der Ruhe in einer hektischen Welt. Mit ihren sinnlichen Eindrücken und Bildern rufen sie Empfindungen und Stimmungen wach, die zum Verweilen und Nachdenken einladen. Mich berühren Rhythmus und Klang der Worte und ihr Zusammenwirken. Ein Gedichtband zum Genießen, Verweilen, zum immer wieder neu Erkunden und Erlesen.
Wie vom Titel dieses Lyrikbandes bereits suggeriert, bewegt sich das Lyrische Ich zwischen Hadern und Hoffen, zwischen Traum und Realität, stets eingeflochten in einem Wurzelwerk der Natur, indem die Flora eine zentrale, metaphorische Rolle spielt.
Jane Wels’ Gedichte regen zum Mit- und Nachdenken an, entführen beim Lesen in eine teils verletzliche Innenwelt, die sich trotz des titelgebenden Schwanken letztendlich aber als „ganz“ entpuppt: Das Lyrische Ich hat seinen Weg gefunden, gerade weil es Umstände und Schattenseiten kennt.
Eine Blume blüht immer.
Man muss sie nur zu genießen wissen oder, wie in diesem Fall, zu lesen!
Absolut empfehlenswert!
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