WARD GEBAUT
Blick wie Sterneneinstich in die Zeit
durchs
Wasser Blick auf den Tod
nach
der Welt
Zeichen vor dem was zu erstarren fortfährt
das Sein des Todes
im Denken
das Anwachsen der Knochen
wer
sich von diesem Licht-
Grund
entfernt
über sich
schließt er
seine Schatten
solar schwarz hirngepflanzt
schwillt
eine Zunge
wird über die Leere hinaus
ihre behexten Kehlen verwerfen
die
mit Membranen und Blicken
die Wörteröffnung begannen
keine Zahl kein Raum
nichts
als der Blitz in den Himmeln
des Stillstands
(während der Schrift
zerstören sich die anderen Himmel)
die Spiegel die Jahre
vergilbt
allein
die Antworten
zerfallen nicht
die zerfallen das Geheimnis
jeglichen Endes jeglichen
Gerichts
das Ohr entzieht sich ins Echo des
Namens
weicht noch dem Wasser
die Stirn blaut
dann die Schläfe
die
Flut die Träne
vollendet die Garung der Hühner
die
sich entfernt
von diesem Grund genannt
zur Rückkehr
für den
der nennt und der fragt
„ward gebaut im Unsichtbaren
durch Zeichen“
wird nach Décimal Blanche, das von Paul Celan in den letzten Monaten vor seinem Tod übertragen wurde, der zweite Lyrikband von Jean Daive in deutscher Übersetzung vorgelegt.
So wenig wie jener erste geht Ward gebaut in die Falle der mittlerweile feuilletonistisch verbreiteten Anforderung, Lyrik hätte die subjektive Reflexion angeblich konkreter Sach- und Beziehungswelten zu liefern. Daives Texte sind, ohne darüber programmatisch zu werden, im strengen Sinn poetologisch, in denen sich die Frage nach dem Ursprung jener Welten aus sprachlichen Zeichen die nach der Struktur dieser Zeichen selbst und weiterhin die nach dem Bau der Dichtung artikuliert. Sie bieten das Erinnerungsprotokoll ihrer eigenen Entstehungsgeschichte; aber sie bieten es nur um den Preis ihrer Rundung zur sinnerfüllten Figur: denn was an den Ursprung von Welt und Sprache zurückreichen will, begibt sich ins Babel einander unverständlicher Sprachen und der, weil sie die höchste erstrebt, sich selbst unverständlichen einen. In der Erinnerung an die Genesis sprachlicher Artikulation, um die Daives Texte sich mühen, wiederholt sich das Trauma ihrer Beschädigung:
an der Sprachwurzel
ein Span vom Zeichen getrennt
Diese unheilbare Sprachverletzung schreibt Daives Gedichten ihre hyperbolische Bahn vor. Sie bewegen sich weder um eine thematische Mitte, noch in einer geschlossenen Form wie sie paradigmatisch selbst von der Struktur der Syntax noch gewährt wird. Ihr Aussagecharakter ist der der Gnome, ihr Pathos die „Vernullfachung“ der Sprache, ihre Architektur die eines Labyrinths ohne Wände und ohne Zentrum. Daives Lyrik hat ihren Ort und ihr Sujet an jenem Zwischenraum, der um der Kommunikation willen vergessen werden muß und der jede Kommunikation beschränkt: zwischen körperlichem Sprachbildungsprozeß und dem, was sich dem Wort uneinholbar entzieht:
zwischen Rachenraum
und Unartikuliertem
Sie zieht den Leser in eine ,,Lektüre darin das Aug’ nicht mehr sieht“.
Werner Hamacher, zur Ankündigung von Jean Daive, ward gebaut.
fut bâti ist der zweite Gedichtband von Jean Daive, den Werner Hamacher 1979/80 übersetzt und dem Suhrkamp Verlag zur Veröffentlichung angeboten hatte, wo bereits Decimale Blanche, die Weiße Dezimale in der Übersetzung von Paul Celan, erschienen war. Suhrkamp lehnte ab. Jetzt aus dem Nachlass von Werner Hamacher im Deutschen Literaturarchiv in Marbach herausgegeben von Urs Engeler, zweisprachig Französisch und Deutsch, mit einer Vorbemerkung von Werner Hamacher zur Ankündigung des Buches.
Ward gebaut spannt sich aus in der Perspektive vom Schrei bis zum Satz, siebenmal unterbrochen von sieben Zyklen, bis zum Rück-Schrei von Körper und Erinnerung, der siebenmal versucht, ein Substantiv zu artikulieren, Sprache zu finden. Die Geschichte der Sprache wird durch den Körpertext erzählt, während die Geschichte der Sprache durch den Körpertext gebrochen wird. Doppelte Bewegung einer Sprache, die dazu neigt, ihre eigene Erzählung zu formulieren, die versucht zu erscheinen: ward gebaut, was nicht ist. (Jean Daive)
roughbooks, Ankündigung
Jan Kuhlbrodt: Gesetz und Grammatik
signaturen-magazin.de, 27.9.2019
Schreibe einen Kommentar