DES PUDELS KERN
was würde sein
wenn…
gesetzt den fall
ich wäre
ein pudel
wo ist der kern
der sache
so würde ich
rangehn
dem ding an sich
es ergäbe sich
erforschte ich
weiter
die spur von
seinem kern
aber es sind
düfte gesetzt
irrwege schnitzeljagd
die spuren
zu verwischen
spürnase
ist des pudels kern
auf der spur bleiben
ganz einfach
wär ich der pudel
Die Nähe ihrer Lyrik zum Lebensgefühl und Stil der Dichter des expressionistischen Jahrzehnts sprang mir schon in den Sechzigerjahren, als ich sie kennenlernte, ins Auge.
Ganz recht, so hat sie auch von Anfang an ihre Gedichte geschrieben. Ohne das ,Wir‘-Gefühl, das ist gar nicht falsch gesehen.
Und Moral lief auch von Anfang an immer so mit, aber nicht so, dass man hätte sagen können, sie sei eine Moralistin. Sie moralisierte nicht. Überhaupt war sie in einem strengeren Sinne mehr eine eigentliche Expressionistin als mindestens die Hälfte der damaligen Dichter der expressionistischen Generation, ihr diente die erfahrene und segmentiert festgehaltene Außenwelt nur zur Folie des ,expressiv‘ geäußerten, emotional empfundenen individuellen Lebensgefühls.
Sie schrieb über das Innen, das nach außen drängte. Soweit umgekehrt, war gleich die Abwehr zu spüren.
Übrigens, was die Großstadtlyrik und die Gereiztheiten betrifft, die darin von vielen damaligen Expressionisten ausgedrückt wurden, da war Rilke mit von der Partie. Und sogar besser.
,Freiheit‘-absolut definiert! Ich weiß nicht, ob Jenny Schon dem Grosz das als Aufruf oder als Einverständniserklärung sagen will. Grosz blieb, denke ich, zeitlebens in seinen Haltungen gebunden an seinen Willen zur schrillen Kritik und im Spannungsverhältnis dazu, aber viel schwächer, an sein Bekenntnis zu seiner Einbettung in vielfältige Traditionen, also meinem Empfinden nach stecken in seinen Werken keine Bilder der Absolutsetzung der Freiheit, und demnach klingt das Gedicht Jenny Schons eher wie ein Aufruf an Grosz. Das betrifft aber nur die Widmungszeile, die auch wegbleiben könnte. Denn wenn auch inhaltlich die in dem Gedicht gestaltete Klage eine enorm lange Tradition hat, drücken Jenny Schons Verse doch ganz ihr eigenes Gefühl aus, und es ist ihre Sprache. Besonders deutlich wird das, wenn man etwa die vielen Verse des ersten und zweiten Kapitels des Predigers Salomo, Davids Sohns, aus dem Alten Testament, die sich inhaltlich weitgehend mit Jenny Schons Aussage decken, danebenhält. Die Absolutsetzung der Freiheit ist in der Bibel aber nicht der Tenor, sie gehört allein Jenny Schon und ist ihre eigentliche Hauptaussage. Mit ihr sind, in einer Art dialektischen Prozesses der Aufhebung, die Inhalte der Klagen aufgelöst.
Es wäre auch auf die Überlieferung der Vorstellungsbestandteile hinzuweisen. Die Absolutsetzung der Freiheitsidee, die ich aus ihrem Text herauslese, ist woanders nicht vorgegeben gewesen. Dagegen steht die Antithese von Depression und Lebenslust genau so in den angegebenen Kapiteln des Predigers im Alten Testament. Nicht geboren sein zu wollen, ist von Brechts Salomon-Song ein Wunsch, den er dem Salomon zuschreibt, im Prediger steht er aber nicht, wohl aber im Alten Testament an anderer Stelle, bei Jeremia Kapitel 20 Vers 14.: Verflucht sey der tag darinn ich geboren bin, übersetzt Luther (maledicta dies in qua natus sum, steht in der Vulgata entsprechend der Übersetzung von Hieronymus).
Horst Schulze,1 Nachwort
Anna Gerstlacher zu: Jenny Schon: endlich sterblich. Gedichte. Eigenwillig und tiefgründig sind die Prosatexte der Autorin Jenny Schon seit jeher.
So ist es auch nicht überraschend, dass Jenny Schon auch mit ihrem neuen Gedichtband überzeugt. Hinter dem provokanten Titel endlich sterblich verbirgt sich eine lyrische Lebensrückschau auf ein eigenständiges Leben, das von der Zeit der Studentenbewegung bis in die Welt von heute führt. Von Reminiszenzen an prominente KundInnen in ihrer Buchhandlung der 60er Jahre bis zur Ungnädigkeit der weltpolitischen Entwicklung unserer Tage reichen ihre lyrischen Exkursionen.
Gekonnt in knappen treffsicheren Gedichtszeilen bringt sie die Situation auf dem Kairoer Tahrirplatz, die Gräueltaten in Nigeria oder die Kulturvernichtung in Timbuktu genauso auf den Punkt wie ihre Betrachtungen zu ihrem Lieblingsdichter Heinrich von Kleist. Innehalten ist angesagt und Nachdenken die Folge.
Bei aller Betroffenheit der angesprochenen Themen blitzt immer wieder Lebensbejahung durch – und die macht Jenny Schons „endlich sterblich“ literarisch eigentlich „unsterblich“.
Gefällt mir gut. Überzeugt mit unterhaltsam gestalteter Klarheit.