Jenny Schon: lautes schweigen

Mashup von Juliane Duda zum Buch von Jenny Schon: lautes schweigen

Schon/Lenz-lautes schweigen

LEBEN, INTENSIV
Für Janis Joplin
(Am 4. Oktober 1970 im Alter
von 27 Jahren gestorben)

… eine vulva zu
fugen gesetzt
akkorde brechen
aus dem schlund
noch nie hat eine
frau
sich so entäußert
innenleben
der freiheit
preisgegeben
lust saitenverkehrt
mit unvergleichlichen
songs
im orgasmus sich entladen
siebenundzwanzig jahre
auf eine ewigkeit
verdichtet

 

 

 

Nachwort 

Das Thema lautes schweigen hat mich gesucht auf den Wegen, die nun nicht mehr von blühenden Apfelbäumen gesäumt, wo nicht mehr mein Abendspaziergang mit Bienengesumm begleitet, deren Staub ich ein letztes Mal auf meiner Fußmatte abstreifte – all dies ist Kränen gewichen, die lauter sind als mein erstickter Schrei.
Gewiss Menschen brauchen Wohnungen, auch jene Menschen, die im internationalen Transfer hin- und hergeschoben endlich eine neue Heimat finden sollen, die aber gewiss die Sehnsucht nach ihren Orangenbäumchen, nach ihren Dattelpalmen behalten werden, wie auch ich mich ein Leben lang an den Duft der Blaubeeren und den der Pfifferlinge in den Wäldern meiner Kindheit erinnere. 

Lautes Schweigen sind erstickte Schreie – in meinem Gedicht einer Paschtunin gewidmet, deren Gesicht von einem Säureattentat gezeichnet; für die Toten an der Gedächtniskirche, ihr Leben in Sekunden von einem religiös verblendeten ausgelöscht; für die Kinder schleppenden Mütter, die nicht wissen, wohin! Es nimmt kein Ende – dieses Zerstören. Seit ich 1945 als Vertriebenenkind durch die Trümmer in Dresden tapste und in den Trümmern Kölns eine neue Heimat finden sollte, war sie vorhanden, diese Sehnsucht nach einer Ganzheit, auch in der Stadt die Jahreszeiten beobachten zu können, von den blühenden Bäumen bis zu den reifen Birnen, deren ich eine für Theodor Fontane, der 2019 einen runden Geburtstag hat, aus Wörtern gedichtet habe. Diese Birne in ihrer Janusgestalt kann auch eine AbrissBirne sein, mit der ich als Nachkriegskind groß geworden bin.
Der aktuelle Grund jedoch ein konkretes Gedicht zu machen, war die Auseinandersetzung um Eugen Gomringers 1951 entstandenes Gedicht „avenidas“, an der Häuserwand der Alice Salomon-Hochschule in Berlin angebracht, von Studenten gefordert zu entfernen, was der Akademische Senat bestätigte. Die jungen Leute fanden es veraltet, die Position der Frau nicht mehr zeitgemäß.
Das Gedicht anzubringen, lag keine öffentliche Ausschreibung vor, sondern ergab sich 2011 aus der Vergabe des Alice-Salomon-Poetik-Preises 2011 an Eugen Gomringer. Die Auseinandersetzungen in der Folge sind wie so vieles in Deutschland überhitzt. Diese Maßnahme wurde in die Nähe von Bücherverbrennungen gebracht, Hitler, Ulbricht, Honecker wurden beschworen, als seien sie wieder erwacht. Da sollte man vorsichtig sein, diese einmaligen Grausamkeiten inflationär zu benutzen. Persönlich sehe ich die jetzige Lösung, Barbara Köhlers Gedicht zu wählen und Gomringers als Gedenktafel an anderer Stelle anzubringen, als eine Art Palimpsest, wie es seit Jahrtausenden üblich war, Altes, und auch Unerwünschtes, zu überzeichnen.
Dichterisch habe ich darauf auf meine Weise reagiert, ich habe die Metamorphose gewählt. 

In meiner Freizeit male ich. Die blühenden Garten in der Mark habe ich erst nach der Wende malen können, sie befriedigten meine kindliche Sehnsucht nach Hollerbüschen, Pfifferlingen und Blaubeeren.
Bis ich dann endlich auch in Berlin, in Schmargendorf, eine Wohnung fand, wo ich auf Kleingärten schaute mit ihrer blühenden Pracht und den sich wandelnden Jahreszeiten. Sie sind vernichtet. Offensichtlich bin ich nicht geschaffen für den Garten Eden. Meine Lyrik erzählt davon. 

Heimat finde ich nur in der Sprache der Dichter. Da schaut Hölderlin über den Neckar, Rose Ausländer unterhält sich bei der Loreley mit meiner dort beerdigten Mutter, Wolfgang Borchert hat wie ich den Krieg nur traumatisiert überstanden, in Männerkleidung besuchte Karoline von Günderrode Vorlesungen, auch ich wurde behindert, die Matura zu machen. Und immer wieder Else Lasker-Schüler und Heinrich von Kleist, in denen ich Mitkämpfende fand, die verstanden, das Wort als Waffe zu benutzen und dafür Worte der Liebe fanden. 

Der Germanist Dr. Horst Schulze schrieb dazu:

Und immer wieder sucht sie Zuflucht bei den Dichtern. Das wirkt wie ein von der Feuerwehr aufgespanntes Sprungtuch, aber sie ist es selber, die das Sprungtuch geordert hat. Der Leser springt mit.

Die Collagen der Malerin Christiane Lenz zeigen diese Hingeworfenheit des Menschen, der manchmal aus dem Rahmen fällt, seine Richtung ändert. Ansonsten sitzt er bewegungslos vor dem Geschehen, ist zeitlos, scheint von Anbeginn da zu sein, ohne einzugreifen, lauscht.
Vereinzelt markieren Symbole des Strichcodes die Gegenwart. Das wirkt bedrohlich, denn Fremde kreuzen auf, den Code zu knacken, gegen die Stille zu lärmen. Wer die Nachtigall stört…
Auch die Illustrationen von Christiane Lenz halten keine Idylle aus. 

Jenny Schon, Herbst 2018, Nachwort

 

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