Jens Kirsten: Zu Matthias Biskupeks Gedicht „Saisonales Gelegenheitsgedicht“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Matthias Biskupeks Gedicht „Saisonales Gelegenheitsgedicht“ aus Matthias Biskupek: Des Dichters Fluch. 

 

 

 

 

MATTHIAS BISKUPEK

Saisonales Gelegenheitsgedicht

Bauanleitung mit Hilfestellung

Schläfrig schaukelt der (Jahreszeit)
In (mehrfarbiges Substantiv).
Der (einfarbiges Substantiv) verbreitet
(Morgenkühle / Abendsonne / Abschiedsstimmung).
Matt taumeln die (Insektenart)
Über (Landschaft / Wasserfläche).
(Das lyrische Ich) kehrt
(Vegetationsprodukt) zusammen.
Es wird (Jahreszeit).

 

Aufwärmübung für angehende Dichter

Kürzlich erhielt ich aus Freundeshand ein schmales Bändchen des Schriftstellers Matthias Biskupek. „Nu dudd er ouh nor Dichtn.“ mokierte sich ein Stimmchen mit sächsischem Singsang in meinem Kopf. (Das sind die familiären Wurzeln.) Ich achtete nicht weiter darauf und versenkte mich in’s dichterische Werk. Beim Lesen des „Saisonalen Gelegenheitsgedichtes“ wurde ich plötzlich von Frohsinn (diebischer Freude) ergriffen, der sich zu einer Lachsalve ausweitete. Man soll über andere nicht lästern, aber an dieser Stelle gebührt dem Dichter Biskupek ein Dank aus tiefer Seele. Wer dichtet, sollte nicht nur mit Sprache umgehen können, zu sehen und hören verstehen und hin und wieder Gedichte anderer lesen. (Eine Empfehlung aus Dr. Kirstens lyrischer Hausapotheke.) Für Matthias Biskupek ist all dies nicht nur selbstverständliches Handwerkszeug für sein Schreiben; er versteht es, den Unzulänglichkeiten des Menschlichen mit Spott und Ironie zu begegnen und dem, der gewillt ist, einen Blick zu riskieren (nicht nur in sein neuestes Buch), einen Spiegel vorzuhalten.
Viele tun das nicht. Sie genügen sich selbst und entgleisen gelegentlich (meist) in unfreiwillige Komik. „Über allen Wipfeln ist Ruh! / SÄGESPÄNE-SCHULZE“ las ich vorzeiten in einer Traueranzeige. Wie wahr und wie schade. Jedenfalls um den Wald, würde Biskupek mit dem ihm eigenen Sarkasmus vermutlich hinzufügen. Weitere Kostproben finden sich allenthalben. Biskupeks „Bauanleitung“ nimmt all die aufs Korn, die sich den Lorbeerkranz kurzerhand selbst aufs Haupt setzen und – ohne nach Maß und Gehalt zu schauen – die Welt mit ebenso hohen wie hohlen Tönen beglücken wollen und meist verdrießen. Verse lassen sich nicht wie Buletten schmieden, möchte man ihnen ins Poesiealbum schreiben oder mit Franz Grillparzer zurufen:

So laßt uns schweigen, dann sind wir am wahrsten.

Wer bei Biskupek genau hinschaut, findet nicht nur Hilfestellung, sondern den genauen Blick auf die Dinge, die es zu hinterfragen lohnt.

Jens Kirstenaus Jens Kirsten und Christoph Schmitz-Scholemann (Hrsg.): Thüringer Anthologie. Weimarer Verlagsgesellschaft, 2018

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