Jewgeni Jewtuschenko: Fuku!

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Jewgeni Jewtuschenko: Fuku!

Jewtuschenko-Fuku!

Um auszutreiben mir, dem Knirps,
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaNaivität,
goß man Verstand, gemischt mit Küchenschaben,
mir in die Kohlsuppe,
aaaaaaaaaaaaaaaaaasetzte in Hemdennähte
mir Läuse raschelnd, die mir Weisheit gaben.
Doch Armut heißt Verstand nicht,
aaaaaaaaaaaaaaaGeld heißt nicht Verstand.
Trotz allem,
aaaaaaaaaaich wuchs Stück um Stück heran,
unter den Schlägen auf das Herz fing,
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaungewandt
und holprig, mein Erwachsenwerden an.
Pack unter Pack,
aaaaaaaaaaaaaamein Wort war frech, war Ruppigkeit.
Ich sog an aufgelesnen Kippen ungeniert,
hab mir die Heimat an den Rippen eingebläut,
des Krieges Hunger mit dem Darm studiert.
Ruhm schenkte man mir nicht,
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaich nahm ihn selber mir,
doch hab ich niemals eitel mich in Ruhm gehüllt,
wie einen Bahnhof beim Evakuieren
hab meine Seele ich mit Menschen angefüllt.
In meiner Brust sind mehr als siebzig Länder,
ist Stolz auf die Epoche und ist Scham,
sind die KZs der Welt,
aaaaaaaaaaaaaaaaaasind Monumente,
Betrüger und der Präsidenten Namen.
Ich schlucke die Epoche und ich würg an ihr,
wenngleich ich nie mich übergeben habe,
ich kenne alles, Schmutz und Staub,
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaich kenne hier,
auf dieser Welt, vor allem auch die Raben.
Ich wurde stolz, hab über Maßen kokettiert,
so ungebührlich eingebildet wurde ich,
als wäre in die Haut mir tätowiert
ein „Streng geheim“ mit spitzer Nadel Stich.
Doch hob umsonst die Nase ich empor,
mich labend am Gedanken hohl,
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaman müsse
ein Ende mir bereiten, habe vor,
mich auszulöschen,
aaaaaaaaaaaaaaaaweil ich zuviel wisse.
In Hongkong bin ich selbst aufs Messer zugerannt,
in Vietnam mich Kugelhagel narrten,
in die ich kroch,
aaaaaaaaaaaaaich hab darauf gebrannt
zu sterben,
aaaaaaaaadoch der Tod ließ auf sich warten.
Ich blieb am Leben auf schandbare Weise,
bei all den Kugeln, dümmlich, arrogant.
Man pickte mich, nahm mich als Häppchenspeise,
mich totzuschlagen war nicht intressant.
Beschämend heil bin ich,
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaahab von den Schlachten
bescheidne Narben nur an Körper und Gesicht.
Es ist wohl kaum als Zufall zu betrachten,
daß ich nicht starb –
aaaaaaaaaaaaaaaaaaGefahr barg meine Weisheit nicht.
Und dieser bittere Gedanke hat verbrannt
in mir den Rest von Hochmut aus den Jahren,
da meine Tat nicht ebenbürtig dem Verstand,
die Worte Hohn auf die Erfahrung waren.
Man will der Welt Geheimnis packen, hält es fest,
doch gleitet einem neu es aus den Händen.
Nur schwerer ist, je mehr man flache Rätsel löst,
des Lebens Hauptgeheimnis zu ergründen.
So vieles, das wir selbst begruben auf dem Grund,
auf dem verfluchten Abgrund der Erkenntnis,
so viele Schiffe schon, die er hinabzog
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaund
so viele Staaten auch,
aaaaaaaaaaaaaaaaaadie er hinabriß!
Und ich, verloren auf dem Erdball ganz und gar,
weil mein Talent nicht groß und stark genug,
fühlte mich klein,
aaaaaaaaaaaaaaaspürte, daß ich ein Zwerg nur war,
zerdrückt unter der Last, die Atlas trug.
Ich war, wie einst Kolumbus wohl, verloren,
mit seiner Mannschaft, abgewrackt, von Schnaps beseelt,
als er,
aaaaaBlut unterm Segel,
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaasich erkoren
zum Ziel das höhnische Geheimnis dieser Welt.

(…)

 

 

 

Fuku,

ein afrikanisches Tabuwort, mit dem das Volk in Kolumbien die Namen aller Unglücksbringer belegt, wird von Jewtuschenko zum programmatischen Titel eines Poems gewählt, das in Form und Inhalt Tabus überwinden will. Die ungewöhnliche Verflechtung von philosophischen Überlegungen und intimsten Gedanken, von Dokumenten und persönlichen Erlebnissen, von Geschichte und Gegenwart, von Politik und Alltag verlangte nach einem ausgefallenen künstlerischen Rahmen. So entstand eine Mischform aus Lyrik und Prosa, in der Kindheitserinnerungen ebenso Platz finden wie Reisebilder und authentische Begegnungen, historische Persönlichkeiten und Familienangehörige, Gespräche und Visionen, makabre und brutale Szenen, Witz und Ironie. Jewtuschenko macht vor keinem Thema halt, umschifft keine heikle Klippe, um seine Beunruhigung angesichts der Probleme unserer Zeit so eindringlich wie möglich zu artikulieren. Mit seiner dichterischen Kraft und Individualität hat er erneut bewiesen, daß seine Stimme nicht überhört werden kann.

Verlag Volk und Welt, Klappentext, 1987

 

 

JEWTUSCHENKO

Barbara Rütting, Mariechen Schell, auf dem wackelnden Felsen
abendländischer Welt scholl ihr Sirenensang – und
hin war der Held. Doch passiert das ein zweites Mal nicht mehr, wir kleistern
ihm um die Ohr’n und aufs Maul Patriotismus, der hilft!

Johannes Bobrowski

 

 

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Zum 80. Geburtstag des Autors:

Lothar Müller: Poesie mit Schiebermütze
Süddeutsche Zeitung, 18.7.2013

Hans-Dieter Schütt: Sowjetischer Schlawiner
neues deutschland, 18.7.2013

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