– Zu Bertolt Brechts Gedicht „Über Kleists Stück ,Der Prinz von Homburg‘“ aus Bertolt Brecht: Die Gedichte von Bertolt Brecht in einem Band. –
BERTOLT BRECHT
Über Kleists Stück „Der Prinz von Homburg“
O Garten, künstlich in dem märkischen Sand!
O Geistersehn in preußischblauer Nacht!
O Held, von Todesfurcht ins Knien gebracht!
Ausbund von Kriegerstolz und Knechtsverstand!
Rückgrat, zerbrochen mit dem Lorbeerstock!
Du hast gesiegt, doch war’s dir nicht befohlen.
Ach, da umhalst nicht Nike dich. Dich holen
Des Fürsten Büttel feixend in den Block.
So sehen wir ihn denn, der da gemeutert
Durch Todesfurcht gereinigt und geläutert
Mit Todesschweiß kalt unterm Siegeslaub.
Sein Degen ist noch neben ihm: in Stücken.
Tot ist er nicht, doch liegt er auf dem Rücken:
Mit allen Feinden Brandenburgs im Staub.
1940, im September, als Hitler alles zu gelingen schien und dem Westen gar nichts, wunderte sich Brecht, der gerade am Puntila-Drama arbeitete, über sich selbst:
der puntila geht mich fast nichts an, der krieg alles; über den puntila kann ich fast alles schreiben, über den krieg nichts.
Brecht, auf seiner Flucht in Finnland festsitzend, schließt das Notat mit folgender Elfenbeinturm-Feststellung:
es ist interessant, wie weit literatur, als praxis, wegverlegt ist von den zentren der alles entscheidenden geschehnisse.
In jenem bedrückenden Jahr 1940 hat Brecht auch streng geformte Sonette verfaßt, „Studien“ über Texte von Dante, Shakespeare, Kant, Lenz, Schiller (zweimal), Goethe und eben über Kleists Prinz von Homburg. Die insgesamt acht Gedichte gelangten erst 1951 an die Öffentlichkeit, und zwar mit dem beschwichtigenden Hinweis:
Diese sozialkritischen Sonette sollen natürlich den Genuß an den klassischen Werken nicht vereiteln, sondern reiner machen.
Wie sieht nun die „sozialkritische“ Säuberung des Kleistschen Homburg-Schauspiels zum Zwecke reineren Genusses aus? Das Sonett läßt sich als Musterbeispiel dafür lesen, wie Brecht beim dichterischen Arbeiten die Poesie des Kleistschen Dramas visionär, fast sehnsuchtsvoll, zu verklären wußte, aber andererseits die Handlung des Stückes umbog und umlog, auf daß sie sich als Ausdruck preußisch-militaristischer Menschenverachtung für marxistische Sozialkritik eigne. Brechts Sonett beginnt in pathetisch gehobener Sprechweise. Nach der getragenen Anrede „O Garten“ stellt sich eine zarte Spannung her zwischen dem „märkischen Sand“ (wo man Exerzierplätze oder günstigstenfalls Kartoffelanbau erwartet) und dem „künstlich“ (das man dortselbst entschieden weniger erwartet).
Der Beginn des Sonetts – die ersten fünf Zeilen enden sämtlich mit einem Ausrufezeichen! – konstituiert einen hochgespannten Ton. Rasch ist ein visionärer Höhepunkt erreicht. Brecht vermag Kleists unvergleichliche Anfangsszene in eine einzige, freilich geniale Zeile zu sublimieren:
O Geistersehn in preußischblauer Nacht!
Was für eine enharmonische Umdeutung des Preußischblau! Preußischblau, ein synthetisches Pigment, 1704 von dem Alchimisten Diesbach in Berlin dank glücklichen Zufalls gewonnen, ist ja zunächst nur eine ganz bestimmte Farbe. Von Brecht in Zusammenhang mit dem größten Preußen-Drama unserer Literatur gebracht, widerfährt dem Preußischblau das Wunder einer poetischen Transformation. Es ist ein verzaubertes Preußen, wie Gott und Kleist es träumten, wie Gérard Philipe es einst in Paris spielte. Ein Preußen, dessen Helden eben nicht bloß Kommißköppe, Kriegsspezialisten, funktionierende Befehlsempfänger waren, sondern auch Geisterseher und Träumer sein durften in preußischblauer Nacht.
Wohin soll das führen? Brecht nimmt sich sogleich gehorsamst sozialkritisch zusammen. Bereits das zweite Quartett endet mit einer Dissonanz, einer Grimasse.
Dich holen
des Fürsten Büttel feixend in den Block.
Feixend? Das beschädigt nicht nur den hohen Ton des Sonetts, sondern auch Kleists Wahrheit. Kein Mensch kommt ja bei Kleist auf die Idee, über des undisziplinierten Arthur von Homburg Schicksal zu feixen. Der wiederum hat auch keineswegs „gemeutert“, sondern er ist übereifrig gewesen, exzentrisch, eigensinnig, todesängstlich, verliebt, zerstreut – am Ende schuldbewußt. Um dem Kleist-Drama sozialkritisch beikommen zu können, mußte der große Brecht also schwindeln. Sein Sonett nahm daran Schaden, ging aber nicht zugrunde. Sondern nun steht es als Muster vor uns, wie wunderbar Brecht Wahrheit dichten konnte und wie schlecht Lüge.
Joachim Kaiser, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Sechzehnter Band, Insel Verlag, 1993
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