KNIEBEUGE
Kniee – beugt!
Wir Menschen sind Narren.
Sterbliche Eltern haben uns einst gezeugt.
Sterbliche Wesen werden uns später verscharren.
Schäbige Götter, wer seid ihr? und wo?
Warum lasset ihr uns nicht länger so
Menschlich verharren?
Was ist denn Leben?
Ein ewiges Zusichnehmen und Vonsichgeben. −
Schmach euch, ihr Götter, daß ihr so schlecht uns versorgt,
Daß ihr uns Geist und Würde und schöne Gestalt nur borgt.
Eure Schöpfung ist Plunder,
Das Werk sodomitischer Nachtung.
Ich blicke mit tiefster Verachtung
Auf euch hinunter.
Und redet mir nicht länger von Gnade und Milde!
Hier sitze ich; forme Menschen nach meinem Bilde.
Wehe euch, Göttern, wenn ihr uns drüben erweckt!
Beine streckt!
Mehr als ihre Vorgängerinnen ruft diese Ringelnatz-Auswahl Kritik hervor. Der Herausgeber muß sich den Vorwurf gefallen lassen, einer alten, mittlerweile etwas schal gewordenen Legende neuen Auftrieb zu leihen. Er nimmt den Vorwurf auf sich, ohne sonderlich unter seiner Bürde zu seufzen. Er weiß ebensogut wie manch anderer, der sich ein wenig im Werk und der Biographie des Matrosen, Artisten, Malers und Poeten Joachim Ringelnatz auskennt, daß die vorliegende Auswahl von hahnebüchener Einseitigkeit ist. Gleichwohl wüßte er keinen Grund, sich dafür zu entschuldigen. Er vermißt sich, sogar eine Tugend darin zu sehen, eine Tugend, die mehr ist als das übliche Mimikri für verlegerische Notdurft. Es gibt Einseitigkeiten, die, allen abgerundeten Vorstellungen zum Trotz, das Recht auf ihrer Seite haben. Maßgeblich für die Herausgabe war nicht der Gesichtspunkt, daß die hier zusammengestellten Gedichte noch nach fünfzig Jahren lesbar und überzeugungskräftig geblieben sind. Es hätte durchaus auch Vergnügen gemacht, etwas Unzeitgemäßes zu publizieren, zumal wir dem Zeitgeschmack, ob er sich nun reaktionär oder progressiv gebärdet, überhaupt keine Relevanz zugestehen können und mit Kurt Schwitters meinen, daß es von einem Mangel an künstlerischer Konsequenz zeugt, wenn man von zu vielen verstanden und goutiert wird. Im übrigen macht sich der nur lächerlich, der glaubt, auch der Dichtung und den Künsten gegenüber in das journalistische Feldgeschrei „Aktualität!“ einstimmen zu müssen. Mit der gleichen Narretei könnte einer die Mathematik und die naturwissenschaftliche Forschung auf zeitbedingte Handlangerdienste festlegen wollen. Nein, diese Gedichte wurden vor allem deshalb ausgewählt, weil sie die am weitesten vorgeschobene Stellung markieren, die Ringelnatz bei seinen dichterischen Eroberungszügen je innegehabt hatte.
Da Ringelnatz gegen Ende seines Lebens diese aggressive Position bewußt zurückgenommen und einem etwas rührseligen Paktieren mit den Ansichten des kleingehaltenen Mannes auf der Straße das Wort geredet hatte, darf man diese Auswahl getrost als nicht im Sinne des Autors bezeichnen. Dennoch kommt die Pietät nicht zu kurz. Nur ist hier nicht der verstorbene Dichter für uns vorbildlich, sondern sein sehr lebendiges geistiges Kind, der Seemann Kuttel Daddeldu: kalauernd „Nafikare necesse est“, hält er’s dergestalt mit seiner verstorbenen Braut, daß er ihr wochenlang die friedhöfliche Ruhe stört, sie aus- und wieder eingräbt, nur um sich ihr, in zähflüssiger Treue, immer von neuem beizugesellen. Wir machen’s nicht anders: fröhlich graben wir aus, was uns an Ringelnatzens Versen vollsaftig und begehrenswert erscheint.
Ach das Selbstverständnis der Dichter, ihre Definitionen vom Schönen, ihre apodiktischen Urteile über Poesie und Nicht-Poesie – wie heikel, wie zweischneidig und oft tragisch ist es doch darum bestellt! Je weniger einer sich Gedanken macht, je naiver er schreibt, desto besser. So wird wenigstens seine Produktion nicht allzusehr von dem ideologischen Bodensatz seines Denkens und Meinens versaut. Ja mancher knackt, sobald er zu grübeln anfängt, seiner eigenen Poesie unentwegt in die Fresse. Auch das geschieht im Sinne des Autors. Warum lacht eigentlich keiner über den Humbug dieser Floskel? Saß unser Autor beim Zechen, war er anderen Sinnes als am nächsten Mittag, wenn ihm der Magen knurrte, und er vergeblich in seinen Taschen nach letzten Zechinen fischte. Im Sinne des Autors war auch, daß er eine literarische Diskussion beendete, indem er die Gläser vom Tische fegte und, wenn das noch nicht genügte, mit schlagenden Argumenten die Debatte beschloß. War dann der jähe Zorn verzischt, lag alsbald partout Gegenteiliges im Sinne des Autors: ein ängstliches Abwiegeln, ein rasches Beschwichtigen, ein gottergebenes Jasagen zu den entwürdigenden Bedingungen unseres Daseins. Unser Titelgedicht ist nichts anderes als die gelungene Persiflage auf dieses Dilemma, ein flüchtiger Sieg des Autors, dem aber ein guter Geist Dauer verlieh. Gemeint ist der Geist des stimmigen schönen Worts. Hält man sich daran, hat man mehr als genug und kann darauf verzichten, die Absichten und Ansichten des Autors auszuschnüffeln oder den Untiefen und heimtückischen Zerklüftungen seines Denkens nachzusteigen. Sein Leben lang hat er versucht, was da in ihm klaffte, mit Nonchalance und Heiterkeit zu überbrücken. Er hat es nicht vermocht, trotz aller Gewaltkuren. So wurde er aufgerieben, ausgezehrt – von der inneren Spannung wie von der äußeren Anspannung.
In manchem sind wir beiden, Günter Bruno Fuchs und der Herausgeber, den Leuten von Schilda ähnlich, denn wir haben uns unterfangen, diesen poetischen Geist, der da weht, wann und wo er will, der an der Aborttür zu finden ist und im Mund der Kinder und Narren, der zuweilen mit sanftem Getön sich dem noch so Dickfelligen einschmeichelt, ihn unterminiert, seine Fungibilität im gesellschaftlichen Netzwerk zu paralysieren beginnt oder der vielleicht aus dunklen Worten, aus der Weisheit des Verschweigens ebenso impertinent einen anspringt wie aus manchen Nonsens-Versen – diesen Geist, sage ich, haben wir uns unterfangen zwischen zwei Buchdeckel einzuschließen. Aber Kunst ist wohl immer Schildbürgerei gewesen (selbst zu den Zeiten, da sie sich noch nicht dem Dienst am Numinosen entwunden hatte) vorausgesetzt, daß sie genügend Spielraum ertrotzte und sich einigermaßen freihalten konnte von den Konzessionen an den gesunden Menschenverstand, diesen langweiligen Götzen, an den praktischen Bürger- und Knechtssinn, diese Zwillingsmißgeburt, an die heilige Kuh der Nützlichkeit und die läppische Angst, in Armut zu verrecken. Kunst ist das Gegengift zu den herrschenden Wahnvorstellungen.
Schon deshalb konnte uns am ganzen Ringelnatz kaum gelegen sein. Was wir suchten, war auch nicht die Figur des unverwüstlichen Berserkers und Zechers oder des sonnigen Clowns mit dem Kindergemüt, die Type, von der in bourgeoiser Verzerrung die Legende schwärmt. Gesucht wird vielmehr das Verwundbarste an ihm, die hilflose Person, die geschundene Existenz am Rande der Gesellschaft. Daß die Töne, die ein solcher Schwan singt, aggressiv klingen, mitunter auch subversiv und asozial, und Wehmut immer wieder umschlägt in trotzigen schwarzen Humor, ist uns nicht nur begreiflich, es ist uns auch gerade recht.
Lothar Klünner, Nachwort
Es ist schön, dass uns Lothar Klünner und der Berliner Henssel Verlag die „bösen“ und „frechen“ Gedichte des Joachim Ringelnatz (1883–1934) wieder zugänglich machen. Klünner ist sich bewusst, dass seine Auswahl „von hahnebüchener Einseitigkeit“ ist. Ja, der Herausgeber kommt in seinem prägnanten Nachwort sogar zum Schluss, dass seine Ausgabe „getrost als nicht im Sinne des Autors“ bezeichnet werden kann. Dieses von Günter Bruno Fuchs hervorragend illustrierte Buch enthält „nur“ die „vollsaftigen“ und „begehrenswerten“ Passagen aus Ringelnatzens Werk. In diesen skurrilen und burlesken Improvisationen des Seemanns tritt uns ein verwundbarer, ja zerbrechlicher Gestalter entgegen – eine „geschundene Existenz am Rande der Gesellschaft“:
Dass die Töne, die ein solcher Schwan singt, aggressiv klingen, mitunter auch subversiv und asozial, und Wehmut immer wieder umschlägt in trotzigen schwarzen Humor, ist uns nicht nur begreiflich, es ist uns auch gerade recht.
Der kindliche Typ Ringelnatz befand sich zeitlebens in der Defensive. Mit bissigen Attacken gegen den Bürger, dem „vom spitzen Kopf der Hut“ fliegt (Jakob van Hoddis), versucht er sich aus seiner heillosen Absorbierung zu befreien. Mit derben Spässen setzt er sich gegen die rohe Wirklichkeit zur Wehr:
Drei Söhne hab ich bei den Ulanen verloren,
Mein Mann fiel aus dem dritten Stock.
Aber es wird lustig weitergeboren!
Ich habe nur noch den einen, den Umstandsrock.
Macht es mir nach: Werdet schwanger, ihr Weiber!
Alle Weiber müssen schwanger sein.
Dann springen die Männer vor eure geschwollenen Leiber
Links und rechts beiseite und sind ganz klein.
Aller Anfang ist schwer.
Pfeift auf die Fehlgeburten und Missgeburten.
Wenn nicht immer mal wieder zwei Menschen hurten,
Blieben zuletzt die Wirtshäuser leer,
Gäb’s keine Soldaten mehr.
Die Schweinerei ist nun doch einmal Sitte und Brauch.
Gott hat uns Weiber zu Schöpferinnen gesalbt
Schiebt also trotzig euren geladenen Bauch
Ueber die Friedhöfe hin. – Und kalbt!
Diese Verse wurden zu Lebzeiten des Autors als „witzig sein sollende Reimereien“ bekämpft, „die den sittlichen Anstand in schamloser Weise verletzen.“ Sie wurden als „gemeine Zoten und Spöttereien“ interpretiert. Die kecke Auswahl Lothar Klünners klärt uns über die hohe politische und literarische Funktion und Bedeutung des Dichters Joachim Ringelnatz und seiner „unverschämten“ Reimereien auf.
Peter Rühmkorf: Joachim Ringelnatz zum 80. Geburtstag
Joachim Ringelnatz liest sein Gedicht „Im Park“.
Joachim Ringelnatz gelesen von Harry Rowohlt.
Nora Gomringer liest Joachim Ringelnatz: „Pssst!“.
Nora Gomringer liest Joachim Ringelnatz: „Das scheue Wort“.
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