– Zu Ernst Jandls Gedicht „zweites Sonett“ aus Ernst Jandl: idyllen. –
ERNST JANDL
zweites Sonett
die zeile will die zeile sein
hier muß nicht erst noch sinn hinein
mit sinn die sprache ist beladen
und dreckig, also laßt sie baden
im reinen schaum der schönen lieder
und fürchtet nicht, sie käm nie wieder
wie ihr sie kennt und wollt und braucht
wie wir erst aus dem schlamm getaucht.
wir setzen uns mit tränen nieder
denn unser leben war zu kurz
wir streckten eben erst die arme
nach einem schönen bilde aus
da riß es sich aus seinem rahmen
nichts blieb darin zurück. amen. aus.
Über die Jahrhunderte hat sich die Poesie einige unverrückbare Themen bewahrt: Schönheit und Liebe, Vergänglichkeit und Tod. Schon immer begleitete diese Themen die Reflexion des Dichters über das Material, mit dem er arbeitet, die Worte, die Sprache. Das Gegebenste also, das Vertrauteste und das doch nie ganz Gefügige. Man könnte Bücher füllen mit solchen poetologischen Gedichten, die alle die geheimnisvolle Schnittstelle berühren, an der der Austausch stattfindet zwischen Welt und Ich. Kommt die dichterische Sprache ,herab‘ und benutzt den Dichter nur als Medium? Fügt sich jeder Dichter seine eigene Sprache zurecht? Reißt der Dichter auf der Suche „nach einem schönen bilde“ die ,richtige‘ Sprache erst aus der geläufigen Sprache?
In seinem Gedicht „zweites sonett“ befaßt sich Ernst Jandl mit allen diesen Fragen auf eine leicht, fast nonchalant wirkende Art. Das Gedicht huscht dahin, mutet zunächst fast wie eine ,écriture automatique‘ an, hüpft von Doppelreim zu Doppelreim, wird dann allerdings in den sechs Schlußzeilen etwas atemloser, auch trauriger bis zum schroffen, fast abgehackten Schluß.
Zwei Aussagen macht Ernst Jandl zur Sprache: Sie ist mit Sinn beladen, so daß ihr der Dichter nicht noch zusätzlich Sinn einzublasen braucht. Und: Die Sprache ist „dreckig“. Sie kann also gebadet, geschrubbt, gereimt, gesungen werden, ohne daß ihr Wesen, ihr Kern verloren ginge. Denn sie kommt immer wieder – wie wir – im Urzustand, „aus dem schlamm getaucht“. Was heißt das? Was nicht benutzt, bestrichen, beatmet, befingert wird, altert rasch. Was ständig verwendet wird, bleibt frisch. Ein Prozeß der Erhaltung durch Verschleiß.
Dann bringt das Gedicht, ab der neunten Zeile, einen abrupten Wechsel, von der „sprache“ zum „wir“, vom Material zum Benutzer, von den unsterblichen Dingen zum sterblichen Mensch. Jandl zitiert den Beginn des Schlußchorals aus der Matthäus-Passion:
wir setzen uns mit tränen nieder.
Auch wenn er dieses „Fundstück“ vielleicht nur einsetzt, weil er die Musik liebt und das Zitat paßt, so verändert sich doch die ganze Stimmungslage. Die schöne Fließgeschwindigkeit der ersten beiden Strophen stockt. Warum dieser Szenenwechsel? Die strenge Form des Sonetts mit den gestatteten 14 Zeilen erlaubt nicht längere narrative oder reflexive Passagen. Häufig beschleunigen die kürzeren Endstrophen den Schluß, hier mit dem Reim „rahmen / amen“ und dem doppelten „aus“. Die Sprache lebt immerfort, unser Leben aber ist kurz, „zu kurz“, stellt Ernst Jandl fest. In der Sprache ereignen sich unablässig Bilder. Wir suchen „nach einem schönen bilde“, können es nicht greifen, haben letztlich einen Rahmen konfektioniert, in dem nichts zurückbleibt.
Dieses Gedicht steht in einem der letzten Gedichtbände von Ernst Jandl, in den 1989 veröffentlichten idyllen. Doch mit Altersweisheit allein läßt sich dieses Sonett nicht bestimmen. Eher scheint es ein kurzer, witzig-wehmütiger Selbstkommentar zu sein. Natürlich will der Dichter Funkenflüge. Mit einem Augenzwinkern: Das Ewig-Schöne zieht uns hinan. Aber stets die Schönheit, diese Favoritin der Künstler, im Gedicht selbst zu haben, das wäre doch sehr altmodisch und gar nicht vereinbar mit seiner Auffassung von Poesie. So scheint Jandl die eilige Schlußformel „amen. aus“ fast erleichtert, fast gern zu sprechen. Denn er zielte ja nie auf das Sublime. In seinem ganzen Werk war so gut wie kein Platz für das Erhabene, oder für die Harmonie, die Zwillingsschwester der Schönheit. Eher für das Ungesicherte, das Unkonventionelle, das Freie. Er will keine Wünschelruten außer die, welche die Sprache ohnehin für ihn bereit hält, wenn sie in seinen Gedichten klingt und denkt.
Joachim Sartorius, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Neunundzwanzigster Band, Insel Verlag, 2006
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