– Zu Kathrin Schmidts Gedicht „Flußbild mit Engel“ aus Kathrin Schmidt: Flußbild mit Engel. –
KATHRIN SCHMIDT
Flußbild mit Engel
ein ausgepeitschter engel quirlt die spree
sie kniet sich tiefer in die stadt und strudelt
die fetten ratten sind mit tod besudelt
und werfen schatten in den pappelschnee
ich weiss es noch wie wir den engel peitschten
der so nach holz und schöpfung roch und lachte
weil uns der gott von monowitz bewachte
der gott der deutschen und der eingedeutschten
Auf den ersten Blick ist das ein sehr einfaches Gedicht. Von der Form her: zwei vierzeilige Strophen mit umarmendem Reim, also die beiden Quartette, mit denen jedes Sonett beginnt. Die zwei Terzette, die eigentlich folgen müßten, sind verschüttgegangen. Wir vermissen sie nicht. Einfach auch vom Inhalt her: Der Ort ist Berlin. In diese Stadt „kniet sich tiefer“ die Spree. Ein Engel „quirlt“ den Fluß. Die winterliche Szenerie ist stark aufgetragen – „die fetten ratten sind mit tod besudelt / und werfen schatten in den pappelschnee“ – und erinnert mit ihren heftigen Pinselstrichen an den Expressionismus.
Doch wer ist der Engel? Verweist der Engel am Fluß auf einen anderen Engel in der Erinnerung? Warum wurde er ausgepeitscht? Und wer ist „der Gott von Monowitz“? Die 1958 in Gotha geborene Kathrin Schmidt – die für ihren zweiten Gedichtband, dem dieses Gedicht den Titel gab, den Meraner Lyrikpreis erhielt – wurde von der Kritik für Klangsinn und Anspielungsreichtum, aber auch dafür gerühmt, daß in ihrer Lyrik die deutschen Zeitläufte durchscheinen.
Stellen wir uns Kathrin Schmidt Anfang der neunziger Jahre bei einer Dampferfahrt auf der wiedervereinigten Spree vor, Ratten tummeln sich am Ufer. Die von Schinkel entworfenen Skulpturen, welche die Schloßbrücke zwischen Zeughaus und Lustgarten schmücken, spiegeln sich im Wasser. Ein Engel – eigentlich eine in den Figurengruppen wiederkehrende Göttin mit gewaltigen Flügeln, die das Leben und Sterben eines Kriegers begleitet – sieht nicht glücklich aus, eher gemartert, auf der Wasseroberfläche mal strudelnd und quirlend, mal in den Wellen zerbrechend. Dieser Engel, der das Gedicht in seiner ersten Zeile eröffnet, weckt Erinnerungen an eine frühere Zeit, als „wir den engel peitschten“. Einen Engel nicht aus Marmor, sondern aus Holz, der nach „schöpfung roch“. Wahrscheinlich der Engel Ernst Barlachs, Symbol des Widerstands in finsteren Zeiten, ein Engel, der durch den Raum schwebt und tatsächlich zu lachen scheint.
Über alldem wachte „der gott von monowitz“. Monowitz hieß das Außenlager von Auschwitz, eine chemische Fabrik, in der die Häftlinge, Deutsche und Eingedeutschte – ein Hinweis der Dichterin auf die brutalen ,Eindeutschungswellen‘, die die Polen über sich ergehen lassen mußten? – Zwangsarbeit verrichteten. Das Nebeneinander von ,lacht‘ und ,witz‘ ist beklemmend und unheimlich. Der Engel weist in seiner Qual auf diesen fürchterlichen, schreckenverbreitenden Gott, der über die Vernichtungslager gebietet.
Für Paul Celan war der Tod „ein Meister aus Deutschland“. Für Kathrin Schmidt, die viel jüngere, in der DDR aufgewachsene Autorin, färbt der Herrscher von Auschwitz das Geschehen bis heute. Der Geist von Monowitz frißt sich in die Gegenwart hinein. Ihre Verse, in einer nicht auflöslichen Mischung aus Trauer, Schmerz, Sarkasmus und Auflehnung, lassen uns nicht so schnell wieder los. Wort um Wort, Bild um Bild entsteht ein Geheimnis. Nur an der Oberfläche ist Klang, Ironie und Reim. Darunter sind Martern und Wunden. Dies ist ein sehr einfaches, sehr deutsches, sehr gutes Gedicht.
Joachim Sartorius, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Sechsundzwanzigster Band, Insel Verlag, 2003
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