– Zu Ann Cottens Gedicht „Nein“ aus Ann Cotten: Florida-Räume. –
ANN COTTEN
Nein
Sie glühen ver – ver-
verteufelt und zum Heulen
they’re losing it
blühen sie heut Morgen
weiter und heut Nacht
aus heute Nacht blühen sie
aus.
Meine liebe Frau, sei
nicht wie Tulpen
sie sind zu schnell sie
sie machen etwas
nicht richtig.
Mit ihren „Fremdwörterbuchsonetten“ hat Ann Cotten vor Jahren schon bewiesen, dass sie die alten Muster gut genug beherrscht, um damit Neues zu probieren. Sie kann aber auch ganz anders, denn die gerade mal dreißigjährige Autorin kann sehr viel. In Iowa geboren, ist sie in Wien aufgewachsen, jenem Randgebiet der deutschen Sprache, wo man es nach wie vor mehr als anderswo liebt, sprachliche Grenzen zu überschreiten und sich dabei über die Zöllner lustig zu machen.
In diesem kleinen, auf den ersten Blick nahezu unscheinbaren Gedicht ist jedoch nichts wirklich lustig. Gleich die erste Zeile lässt die Gefühlsverwirrung ahnen, die die Stimme stottern macht: ver-liebt?, ver-dammt?, nein, „ver-teufelt“ ist das mit dem glühenden Blühen, denn da lauern noch viel näherliegende ver-: Was glüht, das verglüht auch, und was blüht, das ver-blüht. Man traut sich kaum hinzuschauen, mag’s überhaupt erst nur auf Englisch sagen (Iowa?), aber es hilft nichts, die ersten Blätter fallen, kein „Nein“ hält sie mehr auf. Wenn sie auch jetzt noch was hermachen, sie werden die Nacht nicht überstehen, „heute Nacht blühen sie / aus“.
Ach, dieses zweite, so verloren dastehende „aus“ – ahnt man dahinter nicht das leise Knacken des brechenden Herzens, wenn alles aus ist? „Zum Heulen“ ist das. Denn einen Tulpenstrauß kauft man sich ja nicht selbst, den bekommt man geschenkt, und auch das nicht einfach so. Das ist immer ein Zeichen, und ganz gewiss ein starkes. Wer aber, wie alle Dichterinnen und Dichter, den metaphorischen Blick gelernt hat, der oder die kommt nicht umhin, das Vanitas-Zeichen zu deuten und der Wahrheit des unvermeidlichen Verwelkens den Vortritt vor der Schönheit des Blühens und Glühens zu lassen.
Es ist die Einsicht, dass Älterwerden immer auch Altern ist. Und kann man das der lieben Frau – er zu ihr oder sie zu sich – liebevoller sagen als mit dem immer noch etwas stammelnden und so überaus rührend zögerlich formulierten „sie sind zu schnell sie / sie machen etwas / nicht richtig“? Was nicht dasselbe wäre wie – sie machen etwas falsch –, denn sie machen ja nur, was sie machen müssen, ihrer und unserer Natur nach, das Unvermeidliche, das – da hilft gar nichts – uns unbeholfen macht.
Ann Cotten ist eine der verwirrendsten Stimmen in der so wunderbar erstarkten jüngeren deutschsprachigen Lyrikszene. Ohne ihre fulminanten Vertreter und nicht zuletzt Vertreterinnen hätten wir ja in unserer Content-versessenen Prosawelt womöglich längst verlernt, was für ein eigensinniges, verqueres, quicklebendiges Wesen unsere Sprache sein kann. Wenn man sie nur lässt.
Dieses Gedicht (um nicht zu sagen: diese Ver-se) steht in Ann Cottens Buch Florida-Räume, in dem Kapitel mit Gedichten und solche mit Prosa zu einem Gemisch von Einfällen, Ideen, Entwürfen, Haltungen und Gefühlen zusammengeführt sind und das sicher kein Roman ist. Was aber ist es dann? Es ist ein Buch, das zum Beispiel solche Gattungsfragen zum Teufel schickt.
Clemens Brentanos Godwi oder Mörikes Maler Nolten waren einst auch solche waghalsigen Unternehmungen, und vielleicht ist es tatsächlich gar nicht so abwegig, wenn man bei diesem kleinen, verschreckten, innigen Gedicht mit seiner Mischung von Beiläufigkeit, genauem Hinsehen und nicht zu linderndem Schmerz auch an Eduard Mörike denkt. Und die Autorin als eine Peregrina sieht, die die Wege liebt, bei denen sie nicht weiß, wo sie hinführen. Uns führen sie allemal zu einer Lyrik, zu der man nur ,ja‘ sagen kann.
Jochen Jung, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Siebenunddreißigster Band, Insel Verlag, 2014
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