Jochen Kelter: Laura

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Jochen Kelter: Laura

Kelter-Laura

Alle Geschichten haben
von rückwärts betrachtet
ihre Geschichte
dies also war eine Telefongeschichte
eine Geschichte über Entfernungen
Angst durchs Telefon
Hoffnung per Telefon
die ganze Welt über Draht
manchmal sahen sich die Anrufer
in der Mitte des Lebens
unsere Geschichte am Draht

 

 

 

Es ist heute selten geworden,

daß Lyriker Zyklen schreiben. Jochen Kelter unternimmt mit seinem vierten Gedichtbuch diesen Versuch.
Laura ist eine Sammlung von Liebesgedichten, traurigen zwar, die einer imaginierten Frau gelten, welche dem Autor, entgegen der Laura Petrarcas, nicht hingebungsvolle Erfüllung verheißt. In unserer Zeit wäre der Liebe zu mißtrauen, die ja immer eine Beziehung zwischen zwei Menschen ist, fände sie unangefochten ein ungetrübtes Glück. „alle Geschichten haben / von rückwärts betrachtet / ihre Geschichte“ heißt es lakonisch in einem Gedicht. Und was Kelter durch sein unermüdliches Fragen nach dem, was gewesen ist und der von Ironie nicht freien Trauer um das, was ist, als bewegten Erfahrungsraum vor den Leser hinstellt, hebt diese Gedichte über das Private hinaus, macht sie nachvollziehbar und so zu einem Teil unserer eigenen, zu einer heutigen Liebesgeschichte.

Ammann Verlag, Klappentext, 1984

 

Kelter, Jochen: Laura

Petrarcas Laura wird von sterblichen Lyrikern immer wieder zur unsterblichen Gestalt verklärt, indem sie den eigenen Liebesverlust variieren und Laura vorschicken. Sie muß schlecht und recht figurieren, von Fall zu Fall, von Liebesleid zu Liebesleid. Manchmal indes entstehen leidliche Gedichte wie bei Jochen Kelter in seinem Gedichtzyklus Laura.
Kelter hat mehrere Gedichtbände veröffentlicht und mit diesem neuen Band den selten gewordenen Typus des zyklischen Gedichtes wiederzubeleben versucht. Er umkreist sein Thema, zieht diese Kreise enger, persönlicher, dann wieder läßt er sie in allgemeinen Überlegungen verlaufen; schließlich kommt er auf sein Vorbild zurück. „Alle Geschichten haben / von rückwärts betrachtet / ihre Geschichte“, heißt es in einem der ersten Texte. Aus der Rückwendung wird eine Hinwendung, und diese Laura – beginnt zu leben als Briefschreiberin und am Telefon, auch über Kontinente hinweg. Sie ist teils nah, teils weit entfernt, unerreichbar, ein Phantom und als Person allenfalls in schmalen Versen, kurzen Gedichten zu ergrübeln. Sie entzieht sich, taucht in Amerika auf, und der zurückgebliebene Liebende weiß:

Ich habe ein Verlierergesicht.

In einer solchen Situation bietet sich für den Gedichtschreiber das Träumen an; Jochen Kelter versucht es („ich träume und träume“, klingt es nach der Art Paul Celans). Was kann einen Verlierer anderes beschäftigen als der Verlust und das Beklagen dieses Verlusts? Kelters Gedichte geben sich gedämpft. Sie überschreiten nie ein gewisses Maß. Maßvoll noch hört es sich selbst dann an, wenn der Tod ins Spiel kommt:

Ich bin mit dem Tod im Geschäft meiner Seele
wundersamer Geselle.

Leidenschaftlichkeit, Heftigkeit sind nicht des Autors Sache in diesen ruhig verlaufenden Versen, die dennoch von Unruhe getrieben sind. Doch mehr als solche gemessene Unruhe kommt nicht auf in Texten, von denen gesagt wird:

Unser Gedicht ist die bessere Seite
des Lebens, wo das Leben
seine bessere Seite sein kann.

Das ist sehr einfach, fast banal gesagt – eine zu einfache Weisheit, wie ich finde.
Dabei ist vom „genauen Gedicht“ die Rede; aber das Fazit ist eher dürftig. Selten erreicht Kelter eine Komprimierung des Textes, der sich in Variationen verliert oder sieh mit Varianten begnügt.
Das wohltemperierte Gedicht setzt sich durch. Es kommt nicht zu Mißgriffen, die Unruhe gerät nicht aus den Fugen, wird nicht zur großen, mißglückten Leidenschaft. Die Resignation bleibt zaghaft. Zuweilen gibt es kurze Wortgeplänkel, die mit dem Leitmotiv, dem Leitwort enden:

Alles in Sicht kein Land
aber darauf mein Wort Laura.

Karl Krolow, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.12.1984

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + Interview 1 + 2 + 3 + 4

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