IGNORABIMUSELMANISCH
Ich will das Wie nicht wissen noch das Was;
Den Nießnutz nur von Ja und Nein (für Naß!),
Den echten Schein der Summe des Seins,
Der Dreiheit, der Zweiheit und der Eins.
(Die Drei dehnt des Denkens dunkle Dimension,
Zwei spiegelspaltet, Zwist und Zwang zum Lohn,
Die einsame Eins kann nichts weiter tun
Als im Ueberallhier immernun zu ruhn.)
Die Welt ward bestmöglich effektuiert,
Unterleibnitz hat nie Oberleibnitz geniert;
Ich vermißmutmaße in seinem Attest
Einen schwer zu tragenden, peinlichen Rest.
Gern verzicht’ ich auf Fichtes Weltvernicht-ichtung,
Aus Hegelexegese les’ ich Hexendichtung,
Der juvenile Absolütiti
Liegt mir so fern wie Otahaiti;
Indifferentier und kosmosaisch
Scheint die Kompr0misere mir höchst prosaisch!
Trotz des Erkenntnisbetriebes Ungewissensbissen
Sperrsitz’ ich fröhlich v o r den Weltkulissen.
Es enthält neben den verstreut veröffentlichten Gedichten auch Hoexters im Selbstverlag herausgegebene Sammlung Apropoésies Bohémiennes sowie einige Arbeiten aus einem neu entdeckten Textkonvolut, die bisher unveröffentlicht sind.
Poesie schmeckt gut e.V., Ankündigung
Das achte Heft der Lyrikreihe VERSENSPORN – Heft für lyrische Reize, die seit dem letzten Jahr vom Verein POESIE SCHMECKT GUT e.V. herausgegeben wird, ist in dieser Woche erschienen. Dieses neue Heft präsentiert Texte des notorischen Caféhausgängers und „Pumpgenies“ John Hoexter, der sich 1938, wenige Tage nach der Reichspogromnacht, bei Potsdam das Leben nahm.
Eigentlich war Hoexter Maler, allerdings nur mit wenig Fleiß ausgestattet, was schon Heinrich Zille erzürnte, der schimpfte, man solle doch den sein Talent Vergeudenden mit „nem nassen Waschlappen totschlagen“.
Hoexters Texte, zum großen Teil expressionistisch-dadaistisch angehauchte Betrachtungen über sein Dasein im Caféhaus, wunderbare Wortspiele und ätzende Schüttelreime, sind zwar keine hohe Literatur, vermögen es aber, ein lebendiges Zeugnis sowohl von der Blüte der Berliner Boheme-Kultur als auch von deren Hinsterben unter den Schatten der heraufziehenden braunen Gefahr zu geben.
Seit dem letzten Jahr gibt der Verein in jeweils nur 100 Exemplaren diese schöne Lyrikheftreihe heraus und lädt interessierte Leser ein, sich mit Gedichten von vergessenen und verkannten Autoren der Moderne auseinanderzusetzen.
Zu erwerben sind die schön aufgemachten Hefte direkt über den Verein (www.poesieschmecktgut.de) oder in der Bücherstube Philler am Johannisplatz.
– Anmerkungen zu John Höxter (1884–1938). –
John Höxter gehörte der Berliner Expressionisten-Bohème vor und nach dem Ersten Weltkrieg an und war eine ihrer merkwürdigen Gestalten. Als Sohn eines jüdischen Kaufmanns ist er am 2. Januar 1884 in Hannover geboren; kurz nach den antisemitischen Nazi-Progromen der ,Kristallnacht‘ endete er im November 1938 durch Selbstmord.
CAFÉ WOLKENKUCKUCKSHEIM
Dies rauchige Café ist unser Reich,
Vor Gott und dem Kellner sind alle gleich.
Anfänger und Prominente
Zahlen ihm zehn Prozente.
Der allerwürdigste Barde
Gleich dem grünsten der jungen Garde
Hält treu zu unserem, Union Jack‘:
Kaffeeschwarz, Herzrot und Gold-Tabak,
Zwar trifft man auch manchmal leider
Gevatter Schuster und Schneider.
Sie kriechen hervor aus ihrem Kolk
Und mischen sich unter das Künstlervolk.
Die Allgemeinschaft der Bohème
Scheint ihnen puncto Liebe bequem.
Doch Mimi Pinson hat Rasse,
Sie fordert Geist oder Kasse:
Und so kühn sie manch Loch in die Kasse reißt,
Nie sündigt sie gegen den heil’gen Geist,
Stets kehrt sie vom Haus am Scharmützelsee
Ins Chambre garnie heim, ins Atelier,
In das Bild, in den Traum und in den Reim
Der Gäste vom Wolkenkuckucksheim!
Höxters erste graphische und literarische Arbeiten – Auf dem Fluß Tschi – erschienen nach 1908 in der von Karl Ludwig Schröder herausgegebenen Deutschen Theater-Zeitschrift. Als 1911 – ebenfalls in Berlin – Franz Pfemfert Die Aktion gründete, gehörte Höxter zu den frühen Mitarbeitern. Er stand zu diesem Zeitpunkt mit dem Neuen Club und dem Neopathetischen Cabaret in Verbindung; jedenfalls haben sich bei Georg Heym und Kurt Hiller entsprechende Reflexe erhalten. Für einige Zeit hatte er mit Jakob van Hoddis eine gemeinsame Wohnung. „Kein Beardsley“, merkt Hiller zu Höxters graphischen und illustrierenden Arbeiten an, „aber in dessen Nachfolge ein sehr subtiler Künstler, schönheitsselig und zugleich extrem ,asphalten‘, übrigens bei all seinen Abweichungen von der bürgerlichen Regel von angenehmsten, weil delikatesten Verkehrsformen.
Was die Kriegsjahre angeht, lesen wir in Höxters 1929 erschienener Autobiographie So lebten wir, 25 Jahre Berliner Bohème, neben einem schmalen Lyrikheft und einem Bändchen Zeichnungen, denen er die Titel Apropoésies Bohèmiennes und Imagines Divi gab, seiner einzigen separaten Publikation:
Den Kriegsschauplatz selbst betrat ich nie, spielte nie eine Heldenrolle, und das herosmaringeschmückte Massengrab blieb mir erspart. Dennoch zeigte mir ein kurzer Aufenthalt hinter den Kulissen allerlei, das den durch Gewöhnung abgestumpften, von Dreck, Schweiß und Blut verklebten und in dem gefährlichen Rampenlicht der Front geblendeten Augen da vorn entging.
Er lieferte auf diese Weise einen anschaulichen Bericht über die Zwangsrekrutierungen zum Kriegsende, die selbst vor Kriegskrüppeln nicht halt machten; bei Ereignissen dieser Art setzte Bertolt Brecht mit seiner ,Legende vom toten Soldaten‘ an.
Nach dem Ende des Krieges gründete Höxter selbst eine Zeitschrift – es war dies Der blutige Ernst! Die beiden ersten Hefte standen unter den Themen Der Arzt und Der Jude; er zeichnete selbst für mehrere Bild- und Text-Beiträge. Ab der dritten Nummer übernahmen Carl Einstein und George Grosz das satirische Blatt und gaben ihm seine feste expressionistisch-dadaistische Kontur.
PRO DOMO
Wenn ich wollte, was ich könnte,
Könnt’ ich eher, was ich wollte;
Doch wie will ich wollen können,
Und wie kann ich können wollen
Ohne Muß zum Können wollen,
Da man wollen kann, wer muß!
Müßt’ ich wirklich, was ich müssen wollte,
Könnt’ ich sicher, was ich können muß.
Seht! Ein Mann, der manches können könnte,
Wenn der gute Mann nur wollen wollte.
Er verstummt und macht vorzeitig Schluß,
Weil (nach Nathan) kein Mensch müssen muß!
Höxters eigentliche Lebenswelt aber waren die Berliner Bohème-Cafés, allen voran das Café des Westens und – später – das Romanische Café. Dort gehörte er zum ,Stamm‘ – und folglich haben sich zahlreiche literarische Erinnerungen an ihn erhalten! Hier einige davon – im Auszug:
Ludwig Meidner:
Wenn man jemand stets antraf, so war es John Höxter, ein junger Mann ohne bestimmten Beruf, obschon er sich als Maler ausgab, dem man aber den Bohemien sogleich ansah, und der dann freilich auch ein tragisches Ende nahm, dreißig Jahre später, als das Dritte Reich begann.
Ausführlicher Emil Szittya:
Früher hatte der Prinz von Theben manche Sympathie für John Höxter, der auch behauptet, er stamme aus einem alten jüdischen Fürstengeschlecht, und über den der feine Dichter Ferdinand Hardekopf das Wort ,John, der dunkelste aller Morphinisten‘ schrieb. (…) Nein, die Anekdoten über ihn kann man hier nicht aufzählen, weil sie zu zahlreich sind, aber er ist ein Mensch, der von allem etwas versteht und sich seit 20 Jahren gebückt durchs Café schleicht. Er kennt nicht nur alle Berühmtheiten Deutschlands, sondern kann sich rühmen, mit jedem Berühmten einmal im Suff schon per Du gestanden zu haben; dennoch sieht er immer zerlumpt und gebrochen aus. Der Hunger glotzt ihm aus den Augen. Er ist der Ahasver des Café Größenwahn, und es gibt wenig Künstler in Deutschland, die er noch nicht angepumpt hat. Merkwürdigerweise hat er bei Frauen sehr viel Glück, und prahlt, Lotte Pritzel habe auch ihm schon einmal ihre Gunst geschenkt.
Walter Mehring schließt hier unmittelbar an:
Ein Leberleiden hatte ihn zum Morphisten gemacht, und die Not ihn zum Pumpgenie. Doch sein Aussehen, seine ausgemergelte, gleichsam oxydierte Gestalt erhöhte nur noch seine Kredite eines Moribundus; dem man höchstens noch zwei Tage zu leben gab, weswegen ihm jeder Mitfühlende, ob Kollege, ob Gönner das allernotwendigste spendierte: das Geld für noch zwei Tage Morphium! Aber nicht an seiner Sucht starb er, sondern an dem Machtrauschgift des III. Reiches, das auch ihn austilgte. (…) Höxter selber war nicht Dadaist, sondern ein auf eigene Faust dadaisierender Vagant.
Ein bezeichnendes Schlaglicht wirft Sylvia von Harden:
Jeder Abend mit Hardy brachte eine neue Überraschung, so jener, als an unseren Stammtisch John Höxter trat, ein Mann mit langen, schwarzen Haaren, glitzernden Mäuseaugen, gelber Gesichtsfarbe, mit zitternden Händen und nervöser Stimme – Maler, Morphinist, Kokainist, der seinen sarkastischen Vers immer wieder zum besten gab:
Wenn mancher Mann wüßte,
Wer Thomas Mann wär’,
Gäb’ mancher Mann Heinrich Mann
Manchmal mehr Ehr’.
Er sammelte so viel Geld täglich im Café Größenwahn und später im Romanischen, wie er zu seinem kostspieligen Laster benötigte. Als Äquivalent unterhielt er seine kleinen Größenwahn-Mäzene geistreich, spöttisch, poetisch.
Hier halfen ihm sein wacher philosophisch-kritischer Kopf und sein ausgeprägtes sprachspielerisches Talent, das zu witzigen Pointierungen tendierte.
Von einem zufälligen Treff in München – und dort im Café Stefanie – berichtet Richard Seewald:
(…) auf der langen Bank unter dem Spiegel hockten Höxter und Spela. Leo von König, der letzte legitime Porträtmaler, hat sie gemalt, den stets schwarzgekleideten morbiden Décadent mit dem blassen Pferdegesicht unter dem steifen Hut und Spela mit ihrem großen schneeweiß gepuderten Antlitz hinter den Absinthgläsern. Wovon lebten sie? – Frauen haben vielerlei Wege; von Höxter erzählt man, er habe philosophisch gesagt, Schnorrer brauche man immer. Ich sah ihn zuletzt gleich einem Revenant nach 1936 durch das Romanische Café in Berlin von Tisch zu Tisch geistern, seine gewohnte Pumprunde machen. Er schien nicht gealtert zu sein, er war immer schon alt.
Und selbstverständlich werden wir bei Else Lasker-Schüler fündig, die Szittya in ihrer Wunschrolle – und so auch der Titel eines ihrer Lyrikbände – als ,Prinz von Theben‘ apostrophierte. In ihrem Briefroman Mein Herz kommt sie wie folgt auf John Höxter zu sprechen.
Höxter und ich sitzen heute ganz allein im Vorgarten des Cafés; wir knobeln in der Sonne aus, daß wir beide von Beduinen stammen, er sitzt immer wie ich auf einem edlen Araberpferd, darum können wir nie ganz verkommen. Wir sind vom Stamm der Melechs und ziehen in Gedanken immer gegen andere Rassen. Ich bin Höxter dankbar, er erzählte mir ein Wunder, seine Schwester heiße Schlôme.
Höxter seinerseits hat seine Porträtisten in einer kleinen Prosaskizze – Ein Tag im Café des Westens – wie folgt zurückporträtiert:
„’n Tag, Herr Hoxter!“ In der Tür steht der ,rote Richard‘ und salutiert mit einem Zeitungshalter. „Am Bufet liegt ein Brief für Sie“. Hinter ihm grüßt von oben herab eine Gipsbüste Wilhelms II., mit unbeabsichtigter Symbolik auf den Quasselkasten, das Telefonhäuschen, postiert. Aus der Nische vom Zeitschriftenschrank her ruft mir mit Alter und Programm entsprechendem Temperament der um seinen Führer, den Dr. Kurt Hiller, versammelte Kreis der damals Jüngsten zu, die ,Neopathetiker‘, Inventoren der nach Kerr benannten ,Fortgeschrittenen Lyrik‘. (…) Zwei Minuten bleibe ich stehen, um Hausschlüsselfragen mit Hoddis zu ordnen (einen verlor er wohl jede Woche), dann treibt es mich weiter, meinen Brief zu holen. Aber schon am nächsten Tische bleibe ich wieder hängen. Herwarth Waldens Sturm-gesellen, Else Lasker-Schüler, Dr. Döblin, Peter Baum, Dr. S. Friedländer-Mynona und Karl Einstein haben Besuch aus Wien erhalten; Karl Kraus und Theodor Loos führen ihre neueste Entdeckung, den Maler Oskar Kokoschka, den Berlinern vor. (…) Mynona, menschenscheu und platzängstlich, fühlt sich sichtlich unbehaglich; seine Hände zittern, Schweiß perlt ihm von der Stirn. Plötzlich bemerke ich, wie er heimlich seine Erbuhr aus der Tasche holt, ein Glas Wasser zu sich heranzieht und dann den Chronometer langsam an der Kette in das kalte Naß hinabgleiten läßt. „Ah“, seufzt er befriedigt, als er meinen fragenden Blick fühlt, „das erfrischt“. (…) Nun bemerke ich auch einige Tische weiter unter meinen eigentlichen, alltäglich-allnächtigen Kameraden, Erich Mühsam, Ferdinand Hardekopf, René Schiekele, Rudolf Kurtz, Ali Hubert, Benno Berneis, Lotte Pritzel, Emmy Hennings und Spela ein neues Gesicht; der Maler Max Oppenheim (Mopp) aus Prag ist hier der neue Mann, der sich vorläufig durch Anekdotenerzählen bekannt, beliebt und geschätzt zu machen versucht. Stille setze ich mich dazu und stimme in die immer sich wiederholenden Lachsalven ein. Mopp erntet Triumphe. Endlich bemerkt er mich: „Nun, Herr Hoxter, in Prag erzählt man doch, Sie seien ein so geistreicher Mann, Sie reden doch kein Wort?“ „In Ihrer Gegenwart, Herr Oppenheimer? Wie könnte ich, ein kleiner Gelegenheitsarbeiter des Witzes, mit einem Warenhaus konkurrieren? Nein, nein, mein Lieber, alle Achtung! Welches Riesenlager, und alles so erstaunlich billig“.
*
Die bislang ausführlichsten Recherchen zu Person und Werk hat Alfred Bergmann angestellt, der 1971 – im Auftrag der Grabbe-Gesellschaft und als deren neunzehnte Jahresgabe – dieser seltsamen literarischen Figur einen monographischen Denkstein gesetzt hat; er zitiert, was Höxters letzte Lebensjahre angeht, Herbert Günther mit seiner Autobiographie Drehscheibe der Zeit aus dem Jahre 1957. Nachdem die Nationalsozialisten 1933 den Juden die Frequentierung öffentlicher Lokale verboten hätten, sei der gealterte und nun ausgestoßene Caféhaus-Bohèmien noch einige Zeit sehnsüchtig an den Fenstern und Türen der vertrauten und ihm zur Heimat gewordenen Lokalität vorbeigestrichen; man hatte ihn aus seiner Welt verjagt.
„Wie sollte er, der nicht emigrieren wollte und wohl auch nicht konnte, weiterhin leben, seiner äußeren und seiner inneren Daseinsmöglichkeit beraubt?“, fragt Bergmann:
Wir wissen darüber nichts, wir wissen nur, daß er es noch eine Reihe von Jahren vermocht hat.
Im Abschiedsbrief vor seinem Freitod an Leo von König stehen die in ihrer bitteren Konsequenz wie in sich selbst einprägsamen Sätze:
Halten Sie der Situation zugute, wenn ich etwas wirr und unklar schreibe. Ich bin noch ein ungeübter Selbstmörder.
Franz-Josef Weber und Karl Riha, die horen, Heft 137, 1. Quartal 1985
Vier Kapitel aus einer unvollendeten Autobiographie „Abenteuer wider Willen“
John Höxter
1928 lernte ich ihn im Romanischen Café kennen und gehörte fortan zu den zahlreichen Bekannten, von denen er sich allabendlich 50 Pfennige stiften ließ. Ich war – als damals Siebzehnjähriger – ziemlich erschrocken, als er mir (Elfriede saß dabei) mit extremer Nüchternheit den Satz sagte:
Meine frühere Homosexualität war schlimm, schlimmer ist aber mein Morphinismus, am schlimmsten mein Judentum.
Alle anderthalb Stunden verfiel er, hatte beim Gespräch eine fades hippocratica, stand vom Marmortisch auf, wankte zur Toilette und kam aus ihr erst nach 20 Minuten, frisch wie ein junger Gott, wieder heraus. „Wissen Sie, ich habe am ganzen Körper kaum noch eine Stelle, in die ich einstechen kann“, sagte er erklärend zu mir im Hinblick auf die lange Dauer seiner Lokusaufenthalte. Er tauchte im Romanischen Café immer erst am Nachmittag auf, bis gegen Mittag schlief er. Als ich ihn einmal in seiner Kasba in der Nürnberger Straße besuchte – er schenkte mir zwei großartige Holzschnitte aus seiner Frühzeit, Porträts von Heine und Novalis –, sah ich mit Entsetzen seine Injektionsspritze auf dem Tisch liegen: dreckig, die Kanüle verrostet, ein Instrument, das geradezu die Sepsis garantiert. Er aber blieb gefeit, obwohl er nie Ampullen benutzte, sondern aus einer schmuddligen Flasche mit Mf.-Lösung – und dazu noch oft durch die Kleidung – injizierte. Ihm, dem echtesten Ahasver, den ich kannte, verdanke ich eine Überfülle von Indiskretionen über Literaten, Maler und Schauspieler jener Zeit (heute sind sie fast sämtlich „Unsterbliche“ geworden). Sein Wortwitz war dem von Mynona ebenbürtig, Höxter nannte seine Schüttelreime seine Apropoesie; einer davon lautete zum Beispiel:
Vor des Erkenntnisbaumes Schlange
wird selbst dem Chochme Schlaumes bange.
Wer versteht das heute noch? Wer weiß noch, daß die Chochme – die Scheißklugheit – ursprünglich, als „Chochmah“ – zu den zehn Sephiroth des kabbalistischen Baumes zählte, und daß Salomo, der angeblich so sehr weise, im Jiddischen „Schlaume“ genannt wird? Die vielen Gäste im Romanischen Café, die ihre 50 Pfennige an Höxter zu zahlen hatten, nannte er seine „laufenden Wechsel“. Ich war, obwohl zunächst noch Primaner und später dann Student, trotz knappester Kasse, gern ebenfalls ein solcher laufender Wechsel.
Durch Höxter lernte ich mühelos Slevogt und Orlik, Leonhard Frank und Max Brod, Franz Blei und Ivar von Luecken kennen, während seltsamerweise diejenigen bedeutenden Menschen, die mir zur echten Schicksalsbegegnung wurden, das Romanische Café ganz oder fast ganz mieden, wenigstens zu meiner Zeit damals: so Gottfried Benn, Else Lasker-Schüler, Paul Zech, Max Hermann-Neiße, Jakob Haringer, Ludwig Meidner und Abraham Nathan Stenzel.
Von Höxter brachte ich 1930 in meiner kleinen Zeitschrift Der Taugenichts das Gedicht
SOHN DES JUDEN
Fremde Städte schaffen unsre Moden,
Ernten sammeln wir auf fremdem Boden,
Fremde Worte bilden unsre Sprache,
Fremde Nöte wurden „unsre Sache“,
Doch mein Herz ist das Herz meines Vaters.
Was ich denke, wuchs in fremden Hirnen,
Fremde Kappen decken unsre Stirnen,
Selbst mein Fühlen, Hören, Sehen
Formte fremdes, früheres Geschehen,
Nur mein Herz ist das Herz meines Vaters.
Um mein Lager stehen fremde Wände,
fremde Werke schaffen meine Hände,
fremden Zielen werd ich sterben,
fremde werden mich beerben,
Doch mein Herz bleibt das Herz meines Vaters.
Ich habe ihm in meinem gleichfalls 1930 erschienen Gedichtbuch Verschneites Atelier ein Gedicht gewidmet und war dennoch feige genug, 1939, als ich mit gelegentlichem Gestapo-Besuch immerhin rechnen mußte (eine Rechnung, die erst 1941 aufging), Höxters Foto von der Wand meines Zimmers zu entfernen. Er war da schon tot, hitlerogenes Suicid.
Herbert Fritsche, aus Herbert Fritsche: Baum der Käuze, Corvinus Presse Berlin, 1991
Gerhard Haase-Hindenberg: Einblicke in ein jüdisches Künstlerschicksal
Jüdische Rundschau, 6.1.2017
Frank Milautzcki: Erinnern an John Hoexter
fixpoetry.com, 17.11.2013
AUF FREMDER ZEIT CHAUSSEE
Mein Ahnherr hat mir Schellen angebunden,
An meinen Kleidern klebt vergossner Wein,
Stillkühle Waldruh hab ich nie gefunden,
Ich Narr – auf fremder Zeit Chaussee allein.
Zu heiß für dich sind meine irren Stunden,
Zu wild die Hände für dein mondnes Sein.
Ich giftger Zuckerkand aus Satans Tüte,
Im dummen Fackelzug grotesker Mohr,
Wie hätt ich Recht auf deine reine Güte,
Ich Unkenruf, ich Irrlicht nachts im Rohr,
Wie dürftest du mir blühn, du Frühlingsblüte,
Mir, der aus Kinderland den Weg verlor?
Das Wunder ward. Dein Christstern bethlehemte
Vorfrühling über meiner Wüsten Sand,
Aus meinen sündverklebten Haaren kämmte
Viel Wiesenblumen deine kleine Hand,
Und durch das nasse Laub ein Windhauch schwemmte
Hollunderdüfte in mein schwarzes Land.
Du schenktest lieb mir deine reine Süße,
Das schönste, was ein Mädchen schenken kann,
Ringsum erblühte unsre Maienwiese,
Doch ach, es flog ein roter Wind heran,
Der faßte mich – und alle unsre Küsse
Verstarben gleich den Ammern weh im Tann.
Heut leben wir getrennt und wie auf Inseln,
Aus keiner Linde jauchzt Tandaradei,
Ein Teufel tat die Unschuld blutig pinseln
Und aus den süßen Seufzern sprang ein Schrei.
Ich steh in Lehm und grauen Leidgerinnseln,
Ein Bettler müd – die Leute gehn vorbei.
Mein Herz verglüht in eklen Nachtrotunden,
Am fahlen Mittagszaun symbolt ein Schwein.
So wank ich durch die klappernd leeren Stunden,
Ein Narr, auf fremder Zeit Chaussee allein,
Mein Ahnherr hat mir Schellen angebunden,
An meinen Kleidern klebt vergossner Wein.
Als Gruß an John Höxter
Herbert Fritsche
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